Titel: Literatur.
Fundstelle: Band 1, Jahrgang 1820, Nr. L., S. 499
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L. Literatur. Literatur. Chemie. Handbuch der allgemeinen und technischen Chemie. Von P. T. Meißner, Magister der Pharmacie, ordentl. und oͤffentl. Professor der technischen Chemie am k. k. polytechnischen Institute in Wien, und ordentl. Mitglied der Gesellschaft zu Befoͤrd. der gesammten Naturwissenschaft in Marburg. Erster Band. System der Chemie. Beschreibung der chemikalischen Apparate. Tabellarische Uebersicht der chemischen Zusammensezungen. Mit vier Kupfertafeln. Wien 1819. Gedruckt und im Verlage bei Carl Gerold. Auch unter dem Titel: Anfangsgruͤnde des chemischen Theiles der Naturwissenschaft. (XX. u. 491 S. in gr. 8.) Es ist schwer vor Vollendung des Werkes ein richtiges Urtheil uͤber dasselbe zu faͤllen; wir wollen uns daher vorlaͤufig mit einer kurzen Anzeige des Inhaltes begnuͤgen, und unser Urtheil uͤber die Vorzuͤge oder Maͤngel des Werkes bis zur vollendeten Erscheinung des Ganzen vorbehalten. Nur einige kurze Bemerkungen wollen wir uns am Schlusse der gegenwaͤrtigen Anzeige erlauben. Der vorliegende erste Band besteht aus einer Einleitung, sechs Abschnitten, und einem Anhange. Die Einleitung handelt von der Naturwissenschaft im allgemeinen, und von dem Standpunkte und Inhalte der Chemie ins Besondere. Der erste Abschnitt von den Naturkraͤften; der zweite Abschnitt von dem chemischen Prozesse; der dritte Abschnitt von den chemischen Operationen; der vierte Abschnitt von dem chemikalischen Apparate; der fuͤnfte Abschnitt enthaͤlt eine Uebersicht der bekannten unzerlegten Stoffe und tabellarische Aufstellung ihrer Verbindungen. Der sechste Abschnitt giebt einige kurze und allgemeine Betrachtungen uͤber die Stoffe und ihre Verhaͤltnisse und Beziehungen, vorzuͤglich uͤber die organischen und unorganischen Gebilde. Der Anhang endlich enthaͤlt 1) eine Vergleichung der bekanntesten Araͤometer; 2) Verwandschaftstafeln; 3) Uebersicht der Unterabtheilungen einiger der bekanntesten Gewichte; 4) Vergleichung der Gewichte verschiedener Laͤnder; 5) Vergleichung der Fluͤßigkeitsmaße; 6) der Getreidmaße, endlich 7) der Laͤngenmaße. Soweit der Inhalt des vorliegenden ersten Bandes. Die ersten vier Abschnitte finden wir im Ganzen recht gut, und zum Unterrichte vollkommen geeignet; der Vortrag ist klar und fließend, und die Reihe der Gedanken natuͤrlich und ungezwungen. Eigentuͤmlich sind dem Verfasser die Schemate, wodurch er die chemischen Prozesse zu versinnlichen sucht. Die einzelnen Agentien werden naͤmlich nicht, wie es in andern chemischen Lehrbuͤchern angetroffen wird, zusammengeklammert, sondern unter einander gesezt, und ihre gegenseitige Einwirkung auf einander, ihre Verbindung und Scheidung, durch Punkte die von der linken zur rechten Seite zusammen und auseinander laufen, ausgedruͤckt. Gesezt es kommen salzsaure Thonerde und kohlensaures Kali mit einander in Conflict, so bezeichnet der Verfasser den Prozeß auf folgende Weise: Textabbildung Bd. 1, S. 501 Salz; Kohl; Thonerde; Salzsäure; Kali, Kohlensäure wodurch angedeutet wich, daß die Salzsaͤure mit dem Kali sich verbindet, waͤhrend Kohlensaͤure und Thonerde ausgeschieden werden. Bei verwickeltern Prozessen werden freilich, diese Schemate so sehr verwickelt, daß sie immer einer eigenen Auslegung beduͤrfen, und wenig oder gar keinen Nuzen mehr gewaͤhren, wie man sich Seite 92 – 94 im Werke selber uͤberzeugen kann. Noch mehr vergroͤßert und erschwert werden diese Schemate dadurch, daß der Verfaßer jeden unzerlegten waͤgbaren Stoff als eine Verbindung des Waͤrmestoffs (Araͤoticon nach des Hrn. M. Nomenklatur) mit einer unbekannten Grundlage nicht blos ansieht, sondern auch in seinen Schematen und Tabellen durchfuͤhrt. Wir wollen nach Seite 64 nur das Glaubersalz anfuͤhren, welches man gewoͤhnlich fuͤr eine Verbindung der Schwefelsaͤure mit Natron und Krystallwasser ansieht, hier aber als eine 16fache Verbindung demonstrirt wird. Naͤmlich: Textabbildung Bd. 1, S. 502 Araͤoticon; Oxygen; Araͤotic; Hydrogen; Sodium; Schwefel; Schwefelsäure; Wasser; Sodiumoxydhydrat; Schwefelsäurehydrat; Sodiumoxydhydrat Das U voraus bedeutet immer Unbekannt, weil das Araͤoticon und die waͤgbaren Grundlagen des Sauerstoffes, Wasserstoffes, Schwefels, Natrons u.s.w. fuͤr sich nicht dargestellt werden koͤnnen. Hier geht nun freilich die chemische Gelehrsamkeit so sehr ins Superfeine, daß uns zu ihrer Bewunderung die Worte fehlen. Die Namen schwefelsaures Sodiumoxydhydrat, statt schwefelsaures Natron, Azot-Suboxydhydrat statt atmosphaͤrische Luft etc. etc. etc. stehen nicht, wie man etwa glauben koͤnnte, bloß hier in den Schematen, sondern fast durch das ganze Werk, und fallen haͤufig der Zunge eben so schwer wie dem Ohre. Die bestaͤndigen Neuerungen in der chemischen Nomenklatur, und das fortwaͤhrende Umtaufen laͤngst bekannter Stoffe und Verbindungen gereicht der Chemie weder zur Ehre, noch zum Vortheile. Der vierte Abschnitt, welcher die vorzuͤglichsten chemikalischen Apparate beschreibt, und auf 4 sauber gestochenen Kupfertafeln abbildet, ist sehr brauchbar. Unbegreiflich ist es uns aber, wie der Verfasser nun mit einem Mahle von den Geraͤthschaften und Oefen weg durch einen gewaltigen Sprung uͤber alle Lehren von den chemischen Eigenschaften der Koͤrper, ihrer Zerlegung und Zusammensezung u.s.w., auf die Tabellen des fuͤnften Abschnitts gelangt. Hier erscheinen auf ein Mahl wie durch einen Zauber alle unzerlegten Stoffe und chemischen Verbindungen, welche bisher dargestellt, oder zerlegt worden sind, nach ihren Namen, Bestandtheilen, Aggregatzustaͤnden, Farben, specifischen Gewichte, nach ihren Mischungs-Verhaͤltnissen und stoͤchyometrischen Zahlen sowohl wie sie von Doͤbereiner als auch von Berzelius berechnet worden sind, ohne daß vorher gelehrt worden waͤre, wie und wo diese Koͤrper alle vorkommen oder dargestellt, gepruͤft und erkannt werden, wie man die einfachen Stoffe aus den zusammengesezten scheidet, wie man sie wieder zu neuen Koͤrpern verbindet, welche Eigenschaften diesen zukommen, wie die zusammengesezten Koͤrper analysirt, wie aus den Analysen die chemischen Aequivalente berechnet werden u.s.w. Wir wollen mit dieser Bemerkung dem Fleiße und den Einsichten des Verfassers nicht zu nahe treten, und geben recht gerne zu, daß diese Tabellen, fuͤr bereits gebildete Chemiker ihren großen Werth haben moͤgen, besonders zum Nachschlagen der Mischungsverhaͤltnisse der Koͤrper und der daraus berechneten Aequivalente, nur haͤtten wir sie sammt dem Anhange am Schluß des ganzen Werkes, nachdem das Ganze der Chemie zuerst didaktisch entwickelt worden waͤre, erwartet, weil sie daselbst ganz an ihrer rechten Stelle gewesen waͤren. Denn in dieser Ordnung sind die Tabellen, welche doch den groͤßten Theil des vorliegenden ersten Bandes ausmachen, fuͤr den Anfaͤnger gaͤnzlich unverstaͤndlich und unbrauchbar. Was uͤbrigens die Tabellen selbst betrifft, so muͤßen wir gestehen, daß sie auf einem maͤßigen Raume eine große Reichhaltigkeit darbieten; man muß beim Anblick derselben staunen uͤber die große Menge von Koͤrpern, die bereits analysirt, und stoͤchyometrisch berechnet worden sind. Nur haͤtten wir den Tabellen eine etwas vorteilhaftere Einrichtung gewuͤnscht, die Benennungen der Koͤrper haͤtten leicht, anstatt in zwei, in eine Columne gebracht werden koͤnnen, der Aggregatzustand, die Farbe, das specifische Gewicht nebst noch andern Eigenschaften der Koͤrper waͤren bequemer und vorteilhafter in einer besondern Tabelle zusammen zu stellen gewesen, so zwar, daß die Breite der Tabellen fuͤr die stoͤchyometrischen Zahlen, und die Resultate der chemischen Analysen, welche in den vorliegenden doch die Hauptsache ausmachen, auf eine Octavseite beschraͤnkt worden waͤre, waͤhrend sie, so wie sie vorliegen, sehr unbequem und manchmahl sehr Raum verschwenderisch zwei Octavseiten breit sind. Schluͤßlich muͤßen wir noch die Bemerkung beifuͤgen, daß das Werk von Seiten des Verlegers vortrefflich ausgestattet worden ist; was Papier und Druck anbelangt, so kann es fuͤglich den bessern Londner und Pariser Verlags-Artikeln an die Seite gesezt werden. Wir wuͤnschen dem Werke recht viele Leser, und eine baldige Vollendung. B. Geschichte der Salzsaͤure, oder zusammenhaͤngende Uebersicht aller Verbindungen derselben, und der verschiedenen Ansichten, uͤber ihre Bestandtheile; von Alois Wehrle, Doktor der Chemie, und Assistent bei dem Lehrfache der allgemeinen technischen Chemie an dem k. k. polytechnischen Institute in Wien. Wien, gedruckt und im Verlage bei Karl Gerold. 1819. (7 Bogen 8.) Das chemische Publikum, wird dem Verfasser gewiß seinen Beifall und Dank, den diese Arbeit verdient nicht entziehen; denn haͤtten wir uͤber alle Koͤrper der Art, eine so bearbeitete Geschichte, so wuͤrde diese Wissenschaft auf einer noch hoͤhern Stuffe der Vollkommenheit gefunden werden, und leicht wuͤrde es seyn, das wahrhaft Neue und entdeckte, von den Bekannten zu sichten. Mit vielem Rechte beruͤhrt der Herr Verfasser abermals die Wahrheit, daß unter den Chemikern (Deutschlands) diejenigen das mehreste, oder vielmehr brauchbarste geliefert und der Wissenschaft wie der Kunst haben, welche ihre primitive Bildung in einer pharmazeutischen Anstalt erhielten, oder mit einem Worte, die in ihrer Jugend Apotheker waren. Wer kann sich auch ruͤhmen, und wenn er noch so lange auf den Universitaͤten herumzieht, Gelegenheit gehabt zu haben, eine solche Menge einschlagenden Stoff, und Materialien unter die Haͤnde und Augen bekommen zu haben, als der Apotheker; daß aber die besondere Lebensart des Apothekers, besonders die fruͤher geuͤbte Bildung in der Lehr- und Dienstzeit, bei manchem einen solchen Eindruck auf seine Unternehmungen hervorbrachten, daß sich einige derselben, in dem weiten Kreise in welchem sie leben, sich selbst zu sehr beengen, sind keine Betrachtungen welche hieher gehoͤren. In Frankreich ist die Chemie schon mehr in den groͤßern Kreis des Buͤrgerlebens uͤbergegangen, und selbst der gemeine Mann nennt einen Pillendreher oder Elixirfabrikanten gewiß keinen Chemiker, ihr ist schon der hoͤhere Stand angewiesen, Minister und erste Raͤthe des Reichs beschaͤftigen sich mit dieser Wissenschaft, und sie ist aus dem Gewande der Gemeinheit gezogen. Dieses sind die Ideen welche uns der Verfasser bei dieser Gelegenheit mittheilt, und wobei er Veranlassung nimmt, die wohlerrungenen Verdienste des Rittes von Stifft zu wuͤrdigen. Was nun die Bearbeitung des Stoffes selbst betrift, so ist diese umfassend fuͤr den Gegenstand, und man findet nicht weniger als was der Titel ausspricht. Im ersten Abschnitte zeigt der Verfasser das Vorkommen und die Gewinnungsart der Salzsaͤure, ihre Verbindung und Eigenschaften. Manche Erfahrung von dem Vorkommen der Salzsaͤure wird vielen hier bekannt werden, die chemische Bemerkungen, oder eigentlich physiologisch chemische Wahrnehmungen nicht in andern Werken, als in unsern sogenannten vollstaͤndigen chemischen Handbuͤchern suchen. So wird freie Salzsaͤure gemeiniglich da gefunden wo große Salzlagen sind, Schultes fand sie zu Wieliczka, und Humbold in Suͤdamerika, und interessant, werden vielen die hier aufgezeichneten Verbindungen salzsaurer Salze verschiedener Art, mit dem Wasser seyn. Der Verfasser handelt auch von einer vierfach oxydirten Salzsaͤure in diesem Abschnitte, welche vom Grafen Stadion im Jahre 1816 entdekt wurde. Der zweite Abschnitt enthaͤlt die aufgestellten Theorien, uͤber die Bestandtheile der Salzsaͤure, und deren Verbindungen. Der Verfasser geht hier die ersten Meinungen uͤber die Saͤuren und ihre Bildung uͤberhaupt durch, worauf er denn auf die neuesten Thatsachen uͤber diesen fuͤr die Chemie wichtigen Gegenstand koͤmmt, und den eigenthuͤmlichen Stoff der Salzsaͤure als Chlorine eroͤrtert. Man findet hier die wichtigen Versuche des Humpfry Davy, und deren Erfolge ebenfalls klar und deutlich dargestellt, wie sich Rec. nicht erinnert sie dargestellt gefunden zu haben. Theorien, welche wichtig genug sind, geht der Verf. mit vielem Scharfsinn durch, und sagt seine Meinung ohne Ruͤckhalt, mit der einen Gelehrten zierenden Bescheidenheit. Im dritten Abschnitte handelt der Verf. von der Anwendung der Salzsaͤure und ihrer Verbindungen. Es ist hier nur von der medizinischen Anwendung der Salzsaͤure und ihrer Verbindungen, keinesweges von der technischen die Rede, welche zwar auch in eine Geschichte der Salzsaͤure gehoͤrt, vielleicht aber zu weit gefuͤhrt haben wuͤrde. Was wir bei dieser in daß Gebiet des gelehrten Wißens gehoͤrenden Schrift vermissen, ist die Angabe der Literatur, welche der Verf. benuͤzte; es waͤre zu wuͤnschen, daß es dem Verfasser gefallen haͤtte, seiner Schrift einen Konspekt der gebrauchten Huͤlfsmittel anzuhaͤngen. Uebrigens hat er ein Werk geliefert, das in keiner chemischen Bibliothek fehlen sollte. J*** Kurze Anleitung zur Eisenhuͤttenkunde in mineralogischer, chemischer und huͤttenmaͤnnischer Hinsicht. Ein Handbuch fuͤr Hammergewerken, (?) Offizianten (Hammerwerkoffizianten?) und unstudirte Huͤttenmaͤnner. Sondershausen und Leipzig bei Bernhard Friedrich Voigt 1819. (Es liegt auch ein Holzschnitt bey.) Bog. 13. kl. Octav ohne Vorrede. Dieses Werkchen haͤtte, unbeschadet der physiographischen, huͤttenmaͤnnischen und chemischen Wissenschaften, ungeschrieben, wenigstens ungedruckt bleiben koͤnnen. Der Verfasser entschuldiget sich auch in einem Vorwort selbst, daß er es nicht besser gemacht habe, wir muͤssen daher glauben, er habe es nicht besser machen koͤnnen, und darum haͤtte er es lieber gar nicht machen sollen. Der erste Abschnitt zaͤhlt eine Menge Eisenminen aufmit einer Beschreibung derselben, wie man sie in jeden Handbuche der Mineralogie findet. Der zweite Abschnitt handelt vom Eisen in chemischer Hinsicht; auch hier sucht man vergebens etwas Besonderes; was der Verfasser mittheilt, das haben alle chemische Hand-Buͤcher bereits deutlicher und kuͤrzer. Es ist wie zu erwarten, die Rede vom Verhalten des Eisens zu andern Koͤrpern; von der Scheidung des Eisens, von seinen Verbindungen; von den verschiedenen Arten des Eisens; von Methoden, um beigemengtes Eisen zu entdecken. Sodann koͤmmt eine Abhandlung, welche gar nicht hieher zu gehoͤren scheint; sie heißt: Versuch uͤber hie Bereitung des Berlinerblau. Der dritte Abschnitt beschaͤftiget sich mit dem Eisen und dessen Behandlung durch den Huͤttenarbeiter, was der Verf. Huͤttenmann'sche Einsicht nennt; vorangehen einige allgemeine chemische Kenntnisse, naͤmlich chemische Operationslehre; den Beschluß machen: Materialien zu den Schmelzoͤfen, Feuer und Brennmaterial, und die Stahlbereitung. J*** Mathematik. Architektonisches Lehrbuch von Friedrich Weinbrenner, Großherzogl. Badischen Oberbaudirektor. Zweiter Theil. Perspektivische Zeichnungslehre. Erstes und zweites Heft, mit Kupfern (lithographirten Zeichnungen) Tab. I. – IX. Tuͤbingen, in der Joh. Georg Cotta'schen Buchhandlung 1819. Jedem bildenden Kuͤnstler, vorzuͤglich aber dem Maler und dem Architekten, ist die Wissenschaft, einen Gegenstand richtig, und nach mathematischen Gesezen ins Perspektiv zu zeichnen, unumgaͤnglich nothwendig. Bei historischen Gemaͤlden, bei Landschaften und Theaterdekorationen wird man es mit Schmerzen gewahr, wenn dem Kuͤnstler die noͤthigen Kenntnisse in dieser Wissenschaft fehlen. Der geometrische Aufriß eines Gebaͤudes zeigt die Verhaͤltnisse ganz anders, als sie in der Ausfuͤhrung erscheinen, und derjenige Baumeister, der die Lehre der Perspektive nicht vollkommen inne hat, darf keine Anspruͤche auf den Namen eines bildenden Kuͤnstlers wachen. Der Eindruck der einfachen Architektur wird durch den Zauber der Perspektive erhoͤht, und nur durch sie der uͤberraschende Effekt des architektonischen Kunstwerkes hervorgebracht. Nur nach optischen Gesezen wird der wahre Architekt seine Formen bestimmen und mit Sicherheit anordnen, nichts aber dem Zufall verdanken wollen. – Die große Wirkung dieser einfachen Wissenschaft, Gegenstaͤnde, wie sie in der Wirklichkeit vorkommen, zu zeichnen, verbreitet sich uͤber die ganze Kunstwelt, und durch sie werden die Ideen des Kuͤnstlers gestaltet. Bei diesen Vorzuͤgen sollte man glauben, daß eine solche Wissenschaft allen bildenden Kuͤnstlern eigen sey, so wie sie fuͤr alle Beduͤrfniß ist. Aber man darf sich nicht lange in den Werkstaͤtten der Kuͤnstler, und auf Bauplaͤzen umsehen, um das Gegentheil zu finden. Woher diese Erscheinung, welche um so auffallender ist, je mehr wir uns aus der Natur der Sache uͤberzeugen, daß sie gar nicht vorkommen sollte? – Wahrscheinlich ist die Ursache im Mangel an Lehrern zu suchen; denn an Lehrbuͤchern fehlt es nicht. Oder ist der Lehrvortrag nicht so wie er seyn sollte? Um die Lehre der Perspektive verstehen zu koͤnnen, sind Vorkenntnisse in der Geometrie nothwendig. Kuͤnstlern, welche mit diesen ersten Grundsaͤtzen nicht bekannt sind, muͤssen aber deßwegen die ersten Wege dunkel seyn; der erste Vortrag erscheint ihnen zu trocken, zu abstrackt, und die ersten allgemeinen Grund- und Lehrsaͤze bleiben ihnen ohne Aufklaͤrung. Daher waͤre recht sehr zu wuͤnschen, daß sich Lehrer und Schuͤler befleißigen moͤchten, bei ihrem Unterrichte und Lernen Geometrie zu uͤben; denn Lust und Neigung zu einer Wissenschaft waͤchst bei dem Schuͤler nur dann, wenn ihm der Lehrvortrag hell und klar ist, wenn er alle einzelne Saͤze begreifen und auffassen kann. Was ein Lehrbuch uͤber Perspektivzeichnungskunst nicht ganz zu erfuͤllen vermag, das soll der Lehrer ersezen; wo das Wort nicht hinreicht, da soll die Zeichnung die Begriffe entwikeln. Die Perspektiv-Zeichnungslehre ist eine Wissenschaft, welche in mathematischer Hinsicht als geschlossen angesehen werden kann, und wenn uͤber diese ein Werk erscheint, so soll sich dasselbe durch Deutlichkeit und systematische Ordnung auszeichnen. Der Verfasser der vorliegenden Hefte hatte diesen Gesichtspunkt im Auge, und vorzuͤglich wird das erste Heft von Seite 19 – 28 und die dazu gehoͤrigen drei lithographirte Zeichnungen zum Selbstunterricht in der Perspektiv-Zeichnungskunst sehr viel beitragen. Wahrscheinlich werden die nachfolgenden Hefte zusammengesezte Gegenstuͤcke und groͤßere architektonische Partieen enthalten. Mancher Lehrer, dem ein sicherer Leitfaden in dieser Wissenschaft nothwendig ist, wird der Erscheinung dieser Hefte mit Verlangen entgegen sehen. Und wie viele Kuͤnstler gibt es, welche sich selbst in der ihnen unentbehrlichen Wissenschaft unterrichten wollen, damit sie es bei ihren Entwuͤrfen und Umrissen, nicht blos auf Uebung ankommen lassen muͤssen, sondern sich beruhigende Gewißheit verschaffen koͤnnen. Zur Erleichterung des Selbstunterrichts vermißt Rezensent fuͤr die allgemeinen Erklaͤrungen, Geseze und Lehrsaͤze der Perspektiv, bei manchen Saͤzen, eine erlaͤuternde Zeichnung z.B. §. 20. „fuͤr die perspektivische Zeichnung nimmt man zwei Grundlinien an; eine fuͤr die Gegenstaͤnde, die andere fuͤr die Bildflaͤche“ etc. Dergleichen an sich richtige Saͤze, wuͤrden dem Schuͤler durch einige Linien auf dem Papier gleich anfangs deutlich werden. Indessen erhaͤlt der Leser in der Folge von dergleichen Saͤze Erlaͤuterung, und es hat daher dieses Werk immer den Werth eines gruͤndlichen und erschoͤpfenden Unterrichts.V***