Titel: Auszug aus einem Berichte des Hrn. Francoeur über Hrn. Baron Karl Dupin's Unterricht in Geometrie und Mechanik für die Handwerksleute.
Fundstelle: Band 19, Jahrgang 1826, Nr. C., S. 400
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C. Auszug aus einem Berichte des Hrn. Francoeur uͤber Hrn. Baron Karl Dupin's Unterricht in Geometrie und Mechanik fuͤr die Handwerksleute. Dupin's, Unterricht in der Geometrie und Mechanik fuͤr die Handwerksleute. Hr. Francoeur erstattet im Bulletin de la Société d'Encouragement, Nr. 257., S. 372, einen ausfuͤhrlichen Bericht uͤber Hrn. Baron Dupin's treffliches Elementar-Werk der Geometrie und Mechanik,Cours normal de Géomêtrie et de Mécanique des Arts et métiers et des beaux arts, á l'usage des ouvriers et des artistes; par M. le B. Ch.Dupin. Paris, chez Bachelier. und uͤber die von demselben hervorgerufenen Unterrichts-Anstalten fuͤr Kuͤnstler und Handwerker in Frankreich. „Es ist nicht genug fuͤr das Wohl und fuͤr die Kultur eines Landes, sagt Hr. Francoeur, daß Gelehrte vom ersten Range den Umfang menschlicher Kenntnisse erweitern, Instrumente und technisches Verfahren verbessern, neue Apparate erfinden, und Materialien benuͤzen lehren, die man bisher als unbrauchbar liegen ließ; diese Entdekungen und Erfindungen muͤssen das Eigenthum der Nation werden, und das persoͤnliche Interesse, so gierig es nach allem greift, was ihm Nuzen verschaffen kann, bedarf selbst noch mancher Kenntnisse um diese Entdekungen gehoͤrig benuͤzen zu koͤnnen. Wenn die Klasse der Handwerker in Unwissenheit versunken bleibt, so wird sie den einsichtsvollen Maͤnnern, die sich derselben bedienen muͤssen, nur wenig nuͤzen koͤnnen, die Handwerker werden nur als eine Art von Maschine dienen, und unter der Last eines Lebens, das jenem der reißenden Thiere nur zu aͤhnlich ist, nur noch mehr verwildern.“ „Wenn eine Nation in den Kuͤnsten der Industrie glaͤnzen soll, wenn sie sich erhalten soll bei der Thaͤtigkeit, die andere Voͤlker in dieser Hinsicht belebt, so ist es unumgaͤnglich nothwendig, daß sie sich zu demselben Grade geistiger Bildung emporhebt, auf welchem sich diese Voͤlker bereits befinden. Wie wird man Jemanden begreiflich machen koͤnnen, daß er Vortheil davon ziehen kann, indem er seine Kapitalien (statt sie in das Lottospiel der Boͤrse zu werfen), auf Errichtung von Fabriken, Werkstaͤtten, Erbauung von Oefen, Wasserraͤdern, Dampfmaschinen etc. verwendet, wenn er von allen diesen Dingen keine (oder gar veraͤchtliche) Begriffe hat? Und, wenn er solche Unternehmungen wagen, oder seine bereits bestehenden Fabriken vergroͤßern und verbessern will, wie sollte er seine Plane ausfuͤhren koͤnnen, wenn seine Umgebungen ihn nicht begreifen, wenn er von Dingen spricht, die Niemand versteht? Das Wohl eines Staates, insofern es auf der demselben unentbehrlichen Industrie beruht, beruht also zugleich auf der Bildung des Volkes: auf diese wird immer Alles ankommen muͤssen.“ „Dieß fuͤhlten auch Sie, meine Herren, als sie bei dem ersten Entstehen der Gesellschaft des Elementar-Unterrichtes (Société d'enseignement élémentaire) ihre Bemuͤhungen mit jenen der Stifter dieser schoͤnen Verbindung vereinigten, die kein Hinderniß abzuschreken vermochte.“ „Unterricht in Geometrie, Chemie, Mechanik, dieß ist es, was vor Allem in der unteren Volksklasse verbreitet werden muß; allein, dieser Unterricht sezt voraus, daß man Lesen, Schreiben, Rechnen, und selbst etwas Zeichnen kann. Ein Minister, dem die Industrie Frankreichs ein ehrenvolles, dankbares Andenken geweiht hat, hat Unterrichts-Anstalten gegruͤndet, die Kenntnisse unter der arbeitenden Klaffe verbreiten; allein, diese Anstalt, bloß auf Paris beschraͤnkt, war nur ein Versuch, zu zeigen, welche ungeheuren Vortheile Frankreich dadurch gewinnen konnte, wenn dieselbe eine groͤßere Ausdehnung erhielte. Dem Eifer und den Talenten des Hrn. Dupin wird Frankreich den schoͤnen Erfolg zu danken haben, solche Unterrichts-Anstalten, solche Schulen uͤberall in demselben, so weit seine Graͤnzen reichen, verbreitet zu sehen. Er hatte nicht bloß die gluͤkliche Idee, Vorlesungen fuͤr Handwerker zu einer Stunde zu halten, wo ihre Werkstaͤtten geschlossen wurden, und sie also, ohne Nachtheil, dabei erscheinen koͤnnen, sondern er laͤßt auch seine Vorlesungen zum Gebrauche der Handwerker druken um sie bei ihrem Selbststudium zu leiten, und auch denjenigen zu nuͤzen, die aͤhnliche Vorlesungen in den Provincial-Staͤdten Frankreichs besuchen.“ „Das Wesentliche bei diesem Unterrichte ist, daß nicht mehr bei demselben vorausgesezt werden darf, als Kenntniß der sogenannten piep Rechnungs-Species, und daß die Unterweisung in Geometrie und Mechanik so einfach, als moͤglich, geschieht, und sich lediglich auf das Nuͤzlichste in den verschiedenen Zweigen der Industrie beschraͤnkt. Der Unterricht wird also jedem, der Lesen und Rechnen kann, verstaͤndlich.“ „Der Zwek ist erstens, die Vorsteher der Fabriken und Gewerbe auf den hoͤheren Theil ihrer verschiedenen Professionen aufmerksam zu machen, sowohl in Hinsicht auf die Genauigkeit der Formen, die ihren Arbeiten nothwendig sind, wobei die Geometrie ihre Anwendung findet, als in Bezug auf gehoͤrige Anwendung der Kraͤfte der Arbeiter, der Maschinen, der Thiere, so daß sie jedes Mal die moͤglich groͤßte und beste Wirkung hervorzubringen im Stande sind.“ „Ein zweiter Zwek ist, unter der ganzen Klasse der Fabrikanten bis zum untersten Arbeiter hinab, die intellektuellen Faͤhigkeiten, Beurtheilungskraft, Ueberlegung, Phantasie zu weken; ihnen Mittel darzubieten, ihre Arbeiten auf eine weniger muͤhevolle und vortheilhaftere Weise zu vollenden; ihnen neues Wohlseyn zu bereiten; ihre Moralitaͤt dadurch zu foͤrdern, daß man ihre Ideen, ihre Sitten dem Verstande, dem Geiste der Ordnung angewoͤhnt: denn Verstand allein ist der sicherste Buͤrge fuͤr oͤffentliche Ruhe und Gemeinwohl.“ „Noch einen dritten Zwek soll dieser neue Unterricht erreichen. Sie wissen, meine Herren, daß unsere fuͤrchterlichsten Rivalen in allen Zweigen der Industrie, die Englaͤnder und Schottlaͤnder, schon seit einigen Jahren den Vortheil eines Unterrichtes fuͤr die Handwerker einsahen, in welchem die Wissenschaften auf Kuͤnste und Gewerbe angewendet werden; sie haben daher Schulen dieser Art in den meisten ihrer Fabrik-Staͤdte eroͤffnet.“ „Der Anfang wurde zu Glasgow gemacht, und bald fuͤhlte diese Stadt die Vortheile und die gluͤklichen Resultate dieser Anstalten. Das Beispiel dieses gluͤklichen Erfolges fuͤhrte, sobald es ein Mal der Klasse der Handelsleute und Fabrikanten vor Augen gelegt wurde, zur Nachahmung, und in kurzer Zeit entstanden eine Menge aͤhnlicher Bildungs-Anstalten fuͤr die arbeitende Klasse. Edinburgh und London ahmten zuerst dieses Beispiel nach; dann kamen Liverpool, Manchester, Birmingham, Newcastle, Aberdeen. Diese Schulen verbreiteten sich so schnell, daß man in einem halben Jahre in Großbritannien 31 Staͤdte zaͤhlte, in welchen solche Lehranstalten errichtet wurden.“ „Haͤtte Frankreich nicht gesucht, dieses Beispiel nachzuahmen, und dasselbe noch zu uͤbertreffen, so wuͤrde seine arbeitende Klasse nur zu bald in theoretischer und praktischer Hinsicht unter jene Englands und Schottlands herabgesunken, und wir wuͤrden weniger als jemals im Stande gewesen seyn, mit unseren Rivalen zu wetteifern.“ „Ueberzeugt von dieser Wahrheit hielt ich es fuͤr Pflicht, nach allen meinen geringen Kraͤften zu versuchen, Unterricht in Geometrie und Mechanik, in ihrer Anwendung auf Kuͤnste, in Frankreich zu verbreiten; einen Unterricht, der, durch ein beklagenswerthes Schiksal bei uns eben so sehr zuruͤk ist, als er der nothwendigste ist.“ „Der Unterricht in der Chemie, den die beruͤhmten und maͤchtigen Gelehrten, die Chaptal, Berthollet, Guyton de Morveau, Fourcroy, Vauquelin, und die wuͤrdigen Schuͤler derselben, Gay-Lussac, Thenard, Darcet, Clément, Chevreul, Desormes etc. in Frankreich gruͤndeten, hat sich seit einer Generation in unseren Fabrik-Staͤdten fortgepflanzt. Frankreich hat sich dadurch auf die hoͤchste Stufe unter allen Voͤlkern, die sich mit chemischen Kuͤnsten beschaͤftigen, emporgeschwungen, und dieses Land darf jezt weniger als jemals fuͤrchten, durch irgend eine Concurrenz von dieser Stufe vertrieben zu werden.“ „Weniger gluͤklich, weniger vorgeruͤkt sind wir in den geometrischen und mechanischen Kuͤnsten; auf diese muͤssen wir daher vorzuͤglich unsere Aufmerksamkeit richten.“ „Der Herzog de la Rochefoucauld und das nun franzoͤsisch gewordene Haus Wilson und Manby, die HHrn. Perier werden ihren Arbeitern in den Feierstunden den noͤthigen Unterricht in Geometrie und Mechanik ertheilen lassen. Der Minister der Marine hat in allen Seehaͤfen den Professoren der Hydrographie befohlen, woͤchentlich zwei Mal des Abends in den Feierstunden den Arbeitern Unterricht in Geometrie und Mechanik zu ertheilen: zu Marseille, Bordeaux, Ronen, Nantes, le Havre, Caen, Dunkerque, Bayonne, Brest, Toulon, Rochefort, Lorient und Cherbourg werden also jezt die Arbeiter so gut, wie zu Paris, unterrichtet.“ „Rochelle hat nur 18,000 Einwohner, und fand doch, bei Eroͤffnung dieser Schulen, 300 Zuhoͤrer, zu welchen spaͤter noch 80 hinzu kamen. Nevres, mit 12,000 Einwohnern, zaͤhlte deren 200. Aehnliche Schulen werden nun zu Lyon, Metz, Versailles, St. Etienne, Saint-Lo, Clermont, Elbeuf und Sedan, und uͤberhaupt in 57 Staͤdten errichtet, wo ungefaͤhr 19,000 Franzosen unentgeldlichen Unterricht erhalten, groͤßten Theiles durch Officiere der Marine, des Genie-Corps, des Bruͤken- und Straßenbaues und des Bergbaues. Unter diesen 57 Lehrern sind 20 Schuͤler der alten polytechnischen Schule, echte Schuͤler des beruͤhmten Monge. „Diese Lehranstalt, geboten von dem Zeitalter, in welchem wir leben, und geschuͤzt von der Regierung, hilft uns gleichen Schritt mit dem Auslande halten und mit demselben zu wetteifern, da es sich einbildet Franzosen uͤbertreffen zu koͤnnen. Das Vaterland der Descartes, Pascal, d'Alembert, Monge, Laplace, Borda, Coulomb, Montgolfier, Riquet, Vaucanson wird diesen erniedrigenden Sieg nicht zu befuͤrchten haben.