Titel: Bericht des Hrn. Bellangé über die Seidenraupenzucht im Departement de l'Allier.
Fundstelle: Band 21, Jahrgang 1826, Nr. LX., S. 269
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LX. Bericht des Hrn. Bellangé über die Seidenraupenzucht im Departement de l'Allier. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement. N. 210. S. 66. (Im Auszuge.) Bellangé, über Seidenraupenzucht. Die Société d'Agriculture du Depart de l'Allier und die Société d'Agriculture, d'hist. naturelle et Arts utiles du Depart. du Rhône uͤberschikten der Société d'Encouragement erstere einen Bericht des Hrn. Gensoul und Martin uͤber Seidenraupenzucht, leztere Muster von Seiden-Zeugen, die zu Lyon daraus verfertigt wurden. Nach Hrn. Gensoul's Bericht erhellt: 1) daß 17 Kilogramme 870 Gramme Cocons von guter Qualitaͤt im Dptt. de l'Allier 2 Kilogramme 620 Gramme rohe Seide gaben; 2) daß ein Theil dieser Seide 6–7fadig, ein anderer nur 5fadig war; lezterer war, zu Organsin gesponnen, 28 7/15 Deniers, ersterer, zu Eintrag (Trame) gesponnen, 36 5/10 Deniers; 3) diese Seide, von Hrn. Poidebard gesponnen, war sehr schoͤn; 4) Glanz, Reinheit und Regelmaͤßigkeit der Faden war unuͤbertrefflich; 5) die HHrn. Maurier und Soulary fils aîne, die zu den ausgezeichnetesten Fabrikanten Lyons gehoͤren, verarbeiteten sie, und Hr. Gouin faͤrbte sie; 6) zwei dieser Probe-Stuͤke, eines eines weißer Atlas à grande reduction das andere, gros de Naples jedes 11 Ellen 1/4, wurden der Société d'Agriculture de Lyon uͤberreicht: sie ließen nichts zu wuͤnschen uͤbrig; 7) obige Fabrikanten erklaͤrten, daß diese Seide aus den Cocons des Deptt. de l'Allier so schoͤn war, als die schoͤnste piemontesische, und nicht mehr Abgang erlitt; 8) daß alles also der Behauptung des Hrn. Chancey, Mitgliedes der Société d'Encouragement entspricht: „man koͤnne in allen unter dem 46° und selbst unter dem 48° gelegenen Departements mit Vortheil Maulbeerbaͤume und Seidenraupen ziehen.“ Hr. Tessier zu Vallerangue schreibt in einem diesem Berichte beigelegtem Briefe, daß er uͤberzeugt ist, man koͤnne die Maulbeerbaͤume in kaͤlteren Klimaten ziehen, als man gewoͤhnlich glaubt. Er fuͤhrt Beweise hieruͤber an. „Um nur einige Thatsachen anzufuͤhren,“ sagt er, „will ich bloß von Vallerangue und dessen Umgebungen sprechen. Diese kleine Stadt liegt am Fuße des Aigonal in einem von zwei Bergruͤken gebildeten Thale. Das Klima ist daselbst sehr gemaͤßigt, und ich glaube selbst etwas warmer, als um Lyon: allein, so wie man den Bergruͤken hinansteigt, aͤndert die Temperatur sich in einem solchen Grade, daß man nur eine (franz.) Meile west- oder nordwaͤrts keinen Baum mehr pflanzen kann. Dessen ungeachtet stehen, ungefaͤhr 150 Klafter von dieser Graͤnze des Obstes, dicht an den Waldbuchen, Maulbeer-Pflanzungen, die sehr schoͤn sind, und trefflich gedeihen. Es scheint demnach, daß man sagen kann, (da die Buche hier neben dem Maulbeerbaume gedeiht, die dem Norden mehr eigen ist), ein warmes Klima ist zum Gedeihen des Maulbeerbaumes nicht unumgaͤnglich nothwendig.“ Hr. Tessier fuͤgt noch einige Bemerkungen uͤber den zweiten Trieb des Maulbeerbaumes in diesem Thale bei, im Vergleiche mit jenem in der Provence und in Languedoc, und das Resultat derselben ist ganz zu Gunsten des Thales von Vallerangue. Hr. Gensoul widerlegt einige Einwuͤrfe, die man gegen die Anpflanzung der Maulbeerbaͤume in jenen Departements machte, welche noͤrdlicher als Lyon gelegen sind. „Diejenigen,“ sagt er, „die weder meiner, noch Tessier's Meinung sind, behaupten, daß die Erfahrung durch zwei bis drei Jahrhunderte her erwiesen habe, daß die Seide, welche von Raupen gesponnen wird, die mit Blaͤttern gefuͤttert wurden, welche noͤrdlicher als 46° liegen, d.h. in einem kalten und feuchten Klima, keine schoͤnen Seidenzeuge liefert. Der unter der Aufsicht der Commission der Gesellschaft angestellte Versuch beweiset das vollkommenste Gegentheil, so daß es uns scheint, die angebliche geringere Guͤte der Seide aus den noͤrdlichen Gegenden Frankreichs, haͤngt bloß von der geringeren Aufmerksamkeit derjenigen ab, die sich daselbst mit Seidenzucht beschaͤftigen, und die Cocons bei Hause abwinden lassen, ohne die, hierzu noͤthigen, Geraͤthe zu besizen. Es ist ja allgemein bekannte Thatsache, daß in allen Laͤndern, in welchen man nur kleine Seiden-Abwindereien hat (filatures), die Seide immer sehr ungleich ausfaͤllt, und von geringerem Werthe ist. Seit man in Frankreich große Abwindereien besizt, wo man sich der gehoͤrigen neueren Mittel bedient, die Kessel zu heizen, hat unsere Seide in mehreren Gegenden einen Grad von Vollkommenheit erreicht, der jenem der schoͤnsten piemontesischen Seide gleich kommt, wenn er sie nicht gar uͤbertrifft.“ Nachdem Hr. Gensoul mehrerer besonderer Umstaͤnde erwaͤhnte, die dazu beitrugen, die Maulbeerbaum-Zucht bisher bloß auf das mittaͤgige Frankreich zu beschranken, fuͤgt er hinzu: „Bald darauf gelangte die Regierung zur Einsicht der Wichtigkeit dieses Gegenstandes, und suchte die Maulbeerbaum-Zucht in ganz Frankreich zu beguͤnstigen; sie schrieb Preise fuͤr diejenigen aus, die Maulbeerbaum-Pflanzungen anlegen wuͤrden. Viele Grundbesizer entsprachen dem Wunsche der Regierung, und man sah selbst in der Naͤhe von Paris bedeutende Maulbeerbaum-Pflanzungen: allein sie waren nur einzeln zerstreut, und gewahrten daher nur geringen Erfolg; es kamen die Stuͤrme der Revolution; alle Zweige der Industrie wurden gelaͤhmt, und die Seide fiel so sehr im Preise, daß der Landmann sich nicht langer mit einem Zweige der Industrie beschaͤftigen konnte, der beinahe gar keinen Ertrag mehr gewahren konnte; man riß den groͤßten Theil der gepflanzten Maulbeerbaͤume wieder aus. Wir wollen hoffen, daß, da wir nun aus Erfahrung wissen, daß die Maulbeerblaͤtter-Ernte in bergigen, und selbst in kalten, Laͤndern weit sicherer ist, als in den waͤrmeren Ebenen der suͤdlichen Gegenden, die Maulbeerbaum-Zucht im Norden sowohl in hochstaͤmmigen, als in Zwerg-Maulbeerbaͤumen rasche Fortschritte machen wird. Nach dem Berichte des Hrn. Martin haben sich nur 11 Particuliers in und um Moulins mit Seidenraupenzucht im vorigen Jahre abgegeben. Die Raupen aus 58 Unzen, alten Mark-Gewichtes gaben 466 Pfund Seide desselben Gewichtes; oder Eine Unze Eyer gab 8 Pfund Seide. Man wuͤrde um 1/10 mehr Seide erhalten haben, wenn die Maulbeerbaͤume nicht so viele Fruͤchte getragen haͤtten, wodurch nicht bloß die Menge, sondern auch die Guͤte der Blaͤtter litt. Hr. Martin vergleicht nun die obige Ernte mit jener, die der beruͤhmte Graf Dandolo nach dreijaͤhrigem Durchschnitte erhielt. Der Hr. Graf erhielt von Einer Unze Eyer 112 bis 127 Pfund Cocons. Da aber das Maylaͤnder Pfund nur 12 Unzen Markgewicht (poids de Marc), enthaͤlt, so haͤtte im Durchschnitte die Unze Eyer ihm 118 Pfund Cocons gegeben, und da man, wegen der Verschiedenheit des Gewichtes, 1/4 abziehen muß, so bleiben 88 Pfund Cocons auf Eine Unze Eyer; oder, 10 Pfund Cocons auf Ein Pfund Seide gerechnet, kommen 8 4/5 Pfund Seide auf Eine Unze Eyer. Dieser unbedeutende Unterschied erklaͤrt sich aus dem oben erwaͤhnten Umstande, und aus der unguͤnstigen Witterung. Man darf hierbei nicht vergessen, daß nicht alle Italiaͤner so gluͤklich sind, wie Graf Dandolo, welcher selbst bemerkt, daß man in Italien, im Durchschnitte, nur 52 Pfund Mail. Cocons (39 Pfd. franz. poids de Marc) aus Einer Unze Eyor erhaͤlt. Zu Moulins erhielt man, nach 20jaͤhrigem Durchschnitte, 67 Pfund Cocons, und seit den in den lezten Jahren eingefuͤhrten Verbesserungen, 74 Pfund aus einer Unze Eyer, waͤhrend man anfangs nur 60 Pfund Cocons gewann. Unter denjenigen, die sich zu Moulins (46° N. B.) mit Seidenraupenzucht beschaͤftigten, hatte einer aus 9 Unzen ungewaschener Eyer 1062 Pfund schone Cocons (deren 120 auf das Pfund gingen), und hieraus 102 Pfund Seide erhalten. Die Auslagen hierbei betrugen nicht uͤber 500 Franken. Die Erfahrung beweiset demnach, daß eine maͤßige Waͤrme den Seidenraupen weit zutraͤglicher ist, als eine große Hize, welche den Seidenraupen eben so nachtheilig ist, als den Maulbeerblaͤttern. Vorzuͤglich um Staͤdte, sagt Hr. Martin, wo nicht viele Fabriken sind, und nicht die ganze Bevoͤlkerung mit Arbeit uͤberhaͤuft ist, sollten Pflanzungen von Maulbeerbaͤumen angelegt werden: auf diese Weise wuͤrde die unbeschaͤftigte Bevoͤlkerung durch das Abwinden der Seide, und durch andere kleine Arbeiten wenigstens durch 3 bis 4 Monate reichliche Beschaͤftigung finden.“ Die Seidenzeuge, die man aus dieser zu Moulins erzogenen Seide zu Lyon verfertigen ließ, waren so schon, als man sie nur immer wuͤnschen konnte. Es ist also erwiesen, daß man auch noͤrdlich, und ziemlich weit noͤrdlich von Lyon, den Maulbeerbaum mit Erfolg ziehen kann, und daß die mit den Blaͤttern desselben gefuͤtterten Raupen eine Seide geben, die eben so schoͤne Zeuge liefert, als die des mittaͤgigen Frankreich oder Italien. „Frankreich hat noch im Jahre 1820 fuͤr ein und zwanzig Millionen Franken Seide aus dem Auslande bezogen: es ist also der Muͤhe werth, Seidenzucht in Frankreich zu foͤrdern, um so mehr, als England unsere Seiden-Manufacturen zu Grunde zu richten bemuͤht ist.“ Hr. Bellangé schlaͤgt der Société d'Encouragement vor, Preise denjenigen zuzuerkennen, die vom 46° bis zum 49° Maulbeerbaͤume pflanzen und Seidenraupen ziehen. Er bemerkt, daß seit vielen Jahren die Familie Bardel zu St. Germain-en-Laye jaͤhrlich 50 bis 100 Pfund weiße Seide von Raupen aus chinesischer Race, und daß man um Tours et Saumur (47° N. B.) jaͤhrlich mehrere tausend Pfund Seide von der besten Qualitaͤt zieht.Es ist uns sehr erfreulich, von so erfahrnen Seidenziehern, wie die HHrn. Gensoul und Martin, die Ansichten vollkommen bestaͤtiget zu finden, die Hr. Hofr. Schultes schon vor Jahren in unserem polyt. Journ. Bd. XVI. S. 343. aufgestellt hat. Uebrigens wundert es uns, hier Alles so sehr nach dem Breite-Grade gemessen, und gar keine Ruͤksicht auf die Seehoͤhe genommen zu sehen, die, in der Entfernung einer Meile, eine Differenz von 90° Breite geben kann, naͤmlich: Schneegraͤnze. A. d. Ueb.