Titel: Ueber eine neue im Pflanzenreiche allgemein verbreitete Säure. Von Hrn. H. Braconnot zu Nancy.
Fundstelle: Band 21, Jahrgang 1826, Nr. CXLV., S. 542
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CXLV. Ueber eine neue im Pflanzenreiche allgemein verbreitete Säure. Von Hrn. H. Braconnot zu Nancy. Aus den Annales de Chemie. T. 28. S. 173. Braconnot, über eine neue im Pflanzenreiche allgemein verbreitete Säure. Ich habe diese Saͤure zuerst aus den Knollen der Georginen und Topinambour erhalten; da ich aber ihre Eigenschaften nicht vollkommen kannte, so habe ich sie unter den Bestandteilen dieser Knollen in meiner Analyse derselben nicht aufgefuͤhrt. Einige Zeit nachher fand ich sie bei Untersuchung der Sellerie-Wurzel wieder, und erkannte ihre Eigenschaften als Saͤure, und zeither traf ich sie so haͤufig wieder bei meinen Untersuchungen, daß ich auch nicht eine einzige Wurzel oder Pflanze mehr gefunden habe, ohne dieselbe darin zu entdeken. Ich fand sie in den Wurzeln der weißen und gelben Ruͤbe, der Alkermes, (Phytolacca), Scorzonere, Pfingstrose und knolligen Phlomis: des Gemuͤse-Ampfers (patience), und der knolligen Spierstaude (Filipendula), wo sie mit einem Farbestoffe vereinigt ist; in den Zwiebeln; in den Staͤngeln und Blaͤttern der krautartigen Gewaͤchse; in den Rindenlagen aller Baͤume nach vorlaͤufiger Abschaͤlung der aͤußeren gefaͤrbten Rinde, in welchen sie sich in großer Menge findet, bald vereint mit einem rothen Faͤrbestoffe, wie in den Kirschen, Ahornen, Haselnuͤssen; bald ungefaͤrbt, wie an dem Hohlunder; in den Saͤgespaͤnen; in Aepfeln, Birnen, Zwetschgen, in den kuͤrbißartigen Gewachsen, und ohne Zweifel in allen anderen Fruͤchten; in den Getreidearten. Sie scheint mir dem unter dem unbestimmten Namen Gallerte (gelée) bekannten, Grundstoffe hoͤchst analog, wenn sie nicht vielleicht mit demselben einerlei ist. Die Sache mag sich wie immer verhalten, man erhaͤlt sie sehr leicht aus verschiedenen Pflanzentheilen. Wenn man Wurzeln behandelt, welche Starkmehl enthalten, wie Sellerie oder Moͤhren, so reibt man sie auf Reibeisen zu einem Breie, und druͤkt den Saft aus; man kocht das Mark in Wasser aus, dem man etwas Salzsaͤure zusezt, und waͤscht es, oder erhizt es in einer sehr verduͤnnten Aezkali oder Natron-Aufloͤsung. Dadurch erhaͤlt man eine dike, schleimige, wenig alkalische Maͤßigkeit, aus welcher die Salzsaͤure die neue Saͤure in Form einer reichlichen Gallerte abscheidet, die nur mehr gehoͤrig gewaschen werden darf. In diesem Zustande ist sie kaum gefaͤrbt, zumahl, wenn sie von Pflanzen herruͤhrt, die keinen Farbestoff enthalten. Diese Gallerte schmekt merklich sauer. Sie roͤthet Lakmus-Papier sehr deutlich, obschon sie keine fremde Saͤure enthaͤlt. Sie ist im kaltem Wasser kaum aufloͤsbar: diese Fluͤßigkeit nimmt jedoch etwas Weniges von derselben auf, wie man durch Reagentien bemerkt. Wenn man Wasser uͤber dieser sauren Gallerte kocht, so wird etwas mehr davon aufgeloͤst; die filtrirte Fluͤßigkeit ist farbenlos, wie Wasser, laͤßt bei dem Abkuͤhlen nichts zu Boden fallen, und roͤthet kaum das Lakmus. Alkohol macht sie in eine durchscheinende farbenlose Gallerte, wie Eis, gerinnen; eben so wirken alle Metall-Aufloͤsungen ohne Ausnahme auf sie; eben so das Kalkwasser, Barytwasser, die Saͤuren, das salzsaure und schwefelsaure Natrum, das salpetersaure Kali etc. Diese Saͤure haͤlt sich so wenig in ihrer waͤsserigen Aufloͤsung, daß man nur etwas Zuker in dieselbe werfen darf, um den groͤßten Theil der Fluͤßigkeit in Gallerte gerinnen zu sehen. Abgeraucht in einer Schale zeigt sie sich in Gestalt durchscheinender Blaͤtter, die mit dem Gefaͤße beinahe gar leinen Zusammenhang haben. In diesem Zustande von Trokenheit blaͤht sie sich in kaltem Wasser beinahe gar nicht auf, loͤst sich in siedenden Wasser nur in geringer Menge auf, und biethet mittelst Reagentien die so eben angegebenen Erscheinungen dar. Wenn diese Saͤure aus ihrer Verbindung mit dem Kali durch Salzsaͤure niedergeschlagen, und in einer kleinen glaͤsernen Retorte destillirt wird, blaͤht sie sich nicht auf, und liefert ein Product, welches viel brennzeliges Oehl enthaͤlt, aber weder Ammonium noch Salzsaͤure. Es bleibt eine bedeutende Kohle zuruͤk. Verduͤnnt mit Wasser entwikelt sie mit Beihuͤlfe von gelinder Waͤrme, Kohlensaͤure aus ihren Malischen Verbindungen. Mit Kali bildet diese Saͤure ein im Wasser sehr aufloͤsbares Salz, welches man als durch scheinende Gallerte erhaͤlt, wenn man schwachen Alkohol in die Fluͤßigkeit gießt, der das uͤberschuͤßige Alkali mit sich reißt, und auch den Faͤrbestoff, wenn ein solcher vorhanden ist. Diese Gallerte ist, nachdem sie auf Leinwand mit alkoholisirtem Wasser ausgewaschen, ausgedruͤkt und getroknet wurde, eine neutrale Verbindung, welch im Wasser, waͤhrend sie sich aufloͤst, aufquillt, und, nach dem Verdampfen der Fluͤßigkeit, eine durchscheinende Masse mit vielen Spruͤngen zuruͤklaͤßt, die dem arabischen Gummi aͤhnlich ist, und sich so wenig anlegt, daß man sie durch die geringste Reibung von der Abrauchschale los erhaͤlt. Der Geschmak dieses Salzes ist fad, undeutlich. Auf ein dunkelroth erhiztes Eisen gestreut, blaͤht es sich, außerordentlich auf, und laͤßt einen dunkelbraunen Ruͤkstand, der im Wasser aufloͤsbar ist, und alle Merkmahle der mit Kali verbundenen Ulmine darbiethet. Der Flamme einer Kerze auf einer Silberspize ausgesezt, brennt es, und bildet duͤnne Faden, die aus der gluͤhenden Masse hervortreten, wie Vermicelli. Wenn man diese Faden neuerdings der Flamme aussezt, so schmelzen sie zu Kuͤgelchen von basisch kohlensaurem Kali. Wenn dieses Salz in Wasser aufgeloͤst ist, wird es durch Alkohol, Zuker, salzsaures Natrum, essigsaures Kali, und andere Neutral-Salze zu einer Gallerte gerinnen. Alle erdigen und metallischen Salze zersezen es durch doppelte Verwandschaft. Die Saͤuren vereinigen sich mit dem Kali, und scheiden die Saͤure als Gallerte aus. 100 Theile dieses Salzes im neutralen Zustande in einem Platinna-Tiegel gebrannt, ließen eine gewisse Menge basisch kohlensaures Kali zuruͤk, welches mit Schwefelsaͤure roth gegluͤht, 28 Theile schwefelsaures Kali gab, woraus erhellt, daß dieses Salz aus   85 Saͤure,   15 Kali –––– 100 besteht. Man darf nicht glauben, daß dieses Salz unbenuͤzt bleiben wird; man wird es auf eine mannigfaltige Weise in der Zukerbaͤkerei benuͤzen koͤnnen. Es ist wirklich auffallend, daß eine so geringe Menge dieser Verbindung so großen Massen Zukerwassers die Eigenschaft ertheilen kann, sich in eine Gallerte zu verwandeln. Ich habe in lauem Wasser etwas von diesem Salze, das ich aus weißen Ruͤben bereitete, aufgeloͤst, und in diese Fluͤßigkeit Zuker geworfen, und eine aͤußerst unbedeutende Menge Saͤure zugesezt: in einem Augenblike darauf war alles zu einer zitternden Gallerte geworden. Auf diese Weise habe ich gewuͤrzhafte, sehr wohlschmekende und sehr schoͤne, durchscheinende und farbenlose Gallerten gebildet. Auch koͤstliche Rosen-Gallerten habe ich mit Rosenwasser, das ich mit etwas Cochenille faͤrbte, auf diese Weise bereitet. Eben diese Saͤure bildet auch mit schwachen Ammonium eine aufloͤsbare Verbindung, welche, zur Trokenheit abgeraucht, ein fades und nur wenig schmakhaftes Neutral-Salz, wie Gummi, bildet, das sich von der Abrauchschale in großen durchscheinenden Blaͤttern abloͤst, wie Glimmer. Eine Aufloͤsung desselben gerinnt mit Reagentien durchaus so, wie das vorhergehende. Ich habe Ein Gramm dieser Ammonium-Verbindung in 100 Grammen Wasser aufgeloͤst, und Alkohol zugesezt, wodurch sich eine durchscheinende Gallerte daraus abschied, welche, auf Leinwand abtroͤpfelnd, 110 Gramme wog. Uebrigens kann dieses Salz wie das vorige, zur Bereitung der Gallerten dienen, und ist sogar noch vortheilhafter, weil man es sehr leicht im neutralen Zustande erhaͤlt. Die uͤbrigen Verbindungen dieser Saͤure sind beinahe alle unaufloͤsbar, und koͤnnen durch doppelte Zersezung erhalten werden. Concentrirte Schwefelsaͤure scheint kalt, wenig Wirkung auf diese Saͤure zu haben; mit Beihuͤlfe der Waͤrme aber bildet sich schwefelige Saͤure und Ulmine. Bis zur Trokenheit daruͤber destillirte Salpetersaͤure ließ einen Ruͤkstand, der dem Wasser Sauerkleesaͤure mittheilte. Es blieb ein weißes Pulver uͤbrig, welches, mit Ammonium behandelt, sich darin zum Theile aufloͤste, und sauerkleesauren Kalk zuruͤkließ. Saͤure in die Ammonium-Aufloͤsung gegossen, schied daraus ein koͤrniges krystallinisches, saͤuerliches Sediment, welches die Merkmahle der Schleimsaͤure hatte; in einer' Glasroͤhre gehizt, ward es schwarz, schmolz unter Aufblaͤhung, und sublimirte sich unter nadelfoͤrmigen Krystallen. Ein so allgemein in allen Pflanzen verbreiteter Stoff muß in denselben eine wichtige Rolle spielen, und verdient die Aufmerksamkeit der Physiologen. Ich bin sehr geneigt anzunehmen, daß er nichts anderes, als das Cambium, oder der organische Stoff des Grew und Duhamel ist, der sich bekanntlich als gallertartige Tropfen uͤberall zeigt, wo neue Pflanzen-Organismen sich entwikeln. Ich werde im Fruͤhlinge versuchen, ob meine Vermuthung gegruͤndet ist; indessen schlage ich den Namen Gerinnsaͤure (acide pectique, von πἠκτιρ coagulum) vor, um diese Saͤure von den gleichartigen zu unterscheiden.