Titel: Beitrag zur Geschichte der Kutschen.
Fundstelle: Band 25, Jahrgang 1827, Nr. XLVI., S. 152
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XLVI. Beitrag zur Geschichte der Kutschen. Aus White's History of Inventions im New London Mechanics' Register N. 20. S. 464. (Im Auszuge.) Beitrag zur Geschichte der Kutschen. Kutschen oder bedekte Wagen soll der vierte Koͤnig von Athen, Erectita, ungefaͤhr 1400 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung zuerst gebraucht haben. Ihr Gebrauch in Indien, wo kein Frauenzimmer von Rang sich vor einem Manne zeigen darf, scheint indessen weit aͤlter gewesen zu seyn.Ueber die verschiedenen Arten von Wagen, welche die Alten gebrauchten, findet man die beßten Nachrichten in folgendem Werke: Die Wagen und Fahrwerke der Griechen und Roͤmer und anderer alten Voͤlker, von J. Ch. Ginzrot, koͤnigl. bayer. Wagenbau-Inspektor. 2 Bde. in 4to mit vielen Kupfern. Muͤnchen 1817; der dritte demnaͤchst erscheinende Band enthaͤlt die Beschreibung und Abbildungen der Fuhrwerke unserer Zeit. A. d. R. Kutschen, wie unsere Postkutschen, mit zwei Pferden bespannt, auf deren einem der Kutscher ritt, sind in den Gemaͤlden des Herculanum abgebildet. Spaͤter hielt man es fuͤr weibisch, in Kutschen zu fahren, und der Geist des Feudal-Systemes scheint sie gaͤnzlich verbannt zu haben. „Die Erfindung der heutigen Kutschen schreiben die Ungarn sich zu, und wollen dieß durch die Namen Kutsche und Kotsee (einem Orte nicht weit von Preßburg, wo die ersten Kutschen gemacht worden seyn sollen, die daher auch ihren Namen haben sollen) beweisen. Matthias Corvinus war der Erste, der in einer Kutsche fuhr; wann, wird nicht angegeben.“ Hr. White scheint in der Geschichte des festen Landes, so wie uͤberhaupt alle Englaͤnder, sehr wenig unterrichtet. Matthias Corvinus, der groͤßte Mann seines Jahrhundertes, der Napoleon seiner Zeit, der von der Adria bis an die Ostsee herrschte, und mit dem der Glanz Pannoniens, dessen groͤßter Monarch er gewesen ist, zu Grabe ging, ist bei ihm Matthias Cervinus. Hr. White weiß nicht, daß M. Corvinus gerade in der Mitte des 15ten Jahrhundertes den Gipfel seiner Groͤße erreichte; sonst wuͤrde er nicht M. Corvinus als „den Ersten“ angefuͤhrt haben, der sich der Kutschen bediente, und ihn hinter Philipp den Schoͤnen gestellt haben, der beinahe um 2 Jahrhunderte vor Corvinus lebte. Auf ein paar Jahrhunderte in der Geschichte, und auf ein Tausend englische Meilen in der Geographie kommt es heute zu Tage den Englaͤndern eben nicht an. A. d. U. Philipp d. Schoͤne befahl in einem Luxus-Verbothe vom J. 1294, daß die Buͤrgers-Frauen nicht mehr in Kutschen fahren sollen; sie mußten also damahls in Frankreich schon ziemlich allgemein gewesen seyn, obschon man weiß, daß die Maͤnner es damahls noch fuͤr eine Schande hielten, in Kutschen zu fahren; daß sie sich derselben nur im Falle eines Uebelbefindens bedienten, und daß die Adeligen die Erlaubniß, sich der Kutschen bedienen zu duͤrfen, bei ihren Souveraͤnen ansuchen mußten. Kaiser und Fuͤrsten bedienten sich derselben auf ihren Reisen in der Mitte des 15ten Jahrhundertes allgemein. Ambros Trevasi hielt, als Gesandter, zu Mantua seinen Einzug in einer Kutsche, und im J. 1475 fuhr Kaiser Friedrich III.Friedrich III. lebte im Anfange des 14ten Jahrhundertes; Friedrich IV. im 15ten; vielleicht meinte Hr. White diesen. A. d. U. in einem praͤchtig gedekten Wagen zu Frankfurt ein. Die aͤlteste Nachricht von einem in England gebrauchten Wagen ist vom J. 675, wo der lahme Heilige, Eokenwald, in einem Wagen von einer Kirche zur anderen gefahren wurde, um zu predigen. Stowe erzaͤhlt, daß die Damen sich schon sehr fruͤhe offener Karren, die Whirlicotes hießen, in England als Fuhrwerk bedienten. Als Richard II. sich vor seinen rebellischen Unterthanen fluͤchten mußte, floh seine Mutter auf einem Wagen. Die Gattinn Heinrich VI. wurde nach der Schlacht von Tewkesbury im J. 1471 in ihrem Wagen aufgefunden. Die Gemahlinn Heinrichs VII., und dessen Mutter fuhren bei einer Feierlichkeit im J. 1487 in einem mit Goldstoff reich bedekten Wagen, gezogen von 6 Pferden, und 21 Damen begleiteten den Wagen zu Pferde, alle auf Schimmeln reitend. Die erste, etwas moderne Kutsche, die in England verfertigt wurde, machte Walter Rippon im J. 1555 fuͤr Henry Fitz Allen, Earl of Rutland; im J. 1564 verfertigte derselbe Walter „eine hohle Kutsche, mit welcher man umkehren konnte,“ fuͤr die Koͤniginn Elisabeth. Ein Hollaͤnder, Wilh. Boonen, Elisabeth's Leibkutscher, war der erste Kutscher in England, und trug durch seine Geschiklichkeit im Fahren sehr viel zur Verbreitung der Kutschen in England bei. Die Kutschen der damahligen Zeit waren eine Art von Kanapeh mit schoͤn verzierten Fuͤßen, uͤber welches ein Vorhang von Stoff oder Leder gezogen war, den man noͤthigen Falles in die Hoͤhe ziehen konnte. Sie waren indessen so schwer, und da sie keine Federn hatten, auf den damahligen Straßen so unbequem, daß selbst die Damen sich derselben wenig bedienten. Die Koͤniginn Elisabeth ritt von London bis Exeter hinter ihrem Kanzler. Selbst am Ende des 17ten Jahrhundertes waren die Straßen in der Naͤhe von London noch so schlecht, daß man beinahe gar keinen Wagen auf denselben brauchen konnte. Es ging lang her, bis man einen Kasten auf den Wagen brachte, und der Kutscher ritt immer auf dem sogenannten Sattelgaule, es mochten zwei oder vier Pferde angespannt seyn. Einer Kutsche mit Glasfenstern wird zuerst im J. 1631 erwaͤhnt, wo Maria, die Infantinn von Spanien, Gemahlinn des Kaisers Ferdinand III., sich derselben bediente. Es konnten nur 2 Personen in dieser Kutsche sizen. Heinrich des IV. Kutsche hatte wahrscheinlich noch keine Glasfenster, als dieser gute Koͤnig in derselben im J. 1610 von dem Jesuiten Ravaillac ermordet wurde. Man kann nicht mit Genauigkeit angeben, wann man anfing Kutschen-Kasten in elastischen Federn aufzuhaͤngen; die Kutsche, in welcher Ludwig XIV. im J. 1643 seinen Einzug hielt, scheint indessen diese Vorrichtung bereits gehabt zu haben. Der Herzog von Buckingham war der Erste, der im J. 1619 mit 6 Pferden fuhr: um denselben laͤcherlich zu machen, ließ der Earl of Northumberland 8 Pferde vor die seinige spannen. Die erste Staats-Kutsche, deren in der Geschichte Englands Erwaͤhnung geschieht, ist diejenige, die fuͤr Karl I. verfertigt wurde: sie war mit karmesinrothem Sammt und Gold verziert. Die Miethkutschen (Fiacres) heißen in England Hackneycoaches, weil sie in dem Dorfe Hackney zuerst zur Bequemlichkeit derjenigen errichtet wurden, die Geschaͤfte in der Hauptstadt hatten. Im J. 1625 zeigten sie sich zuerst in der Stadt und warteten in den Straßen. Ihrer waren damahls 20, und sie standen unter der Aufsicht eines alten See-Capitaͤns, Bailey.Gegenwaͤrtig zaͤhlt man in London nahe an 2000 Fiacres oder Miethkutschen, die, so wie jene zu Paris, ihre eigenen Geseze haben. Hr. White haͤtte uns wohl die Geschichte erzaͤhlen koͤnnen, wie der heilige Fiacre zu den Fiacres, oder diese zu ihm kamen: denn St. Fiacre ist der Schuz-Patron der Fiacres in Frankreich. A. d. U. Man reiste ehevor in England immer zu Pferde in Begleitung eines Wegweisers (Courier or guide). Ungefaͤhr um das Jahr 1564 wurden lange Wagen eingefuͤhrt, deren Gebrauch bis zum Jahre 1661 waͤhrte, wo die ersten Stagecoaches zu fahren anfingen. Wood erzaͤhlt uns, daß man im J. 1667 mit einer solchen Stage-Coach zwei volle Tage brauchte, um von London nach Oxford zu fahren. Spaͤter kam eine Kutsche unter dem Namen fliegende Kutsche (Flying coach) zum Vorscheine, die diesen Weg in 13 Stunden zuruͤklegte, die aber im Winter nicht fahren konnte.Gegenwaͤrtig faͤhrt man von Oxford nach London (eine Streke von 58 englischen oder 29 bayerischen Post-Stunden) in etwas weniger dann 6 Stunden; und taͤglich fahren zwei solche Schnell-Kutschen dahin. A. d. U.