Titel: Ueber den Einfluß, welchen die Luft ausübt, um die Salzauflösungen zur Krystallisation zu disponiren, von Thom. Graham, Esq.
Fundstelle: Band 30, Jahrgang 1828, Nr. LV., S. 200
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LV. Ueber den Einfluß, welchen die Luft ausuͤbt, um die Salzaufloͤsungen zur Krystallisation zu disponiren, von Thom. Graham, Esq. Aus dem Philosoph. Mag. and Annals of Philos. Sptbr. 1828. S. 215. Graham, uͤber den Einfluß, der Luft, um die Salzaufloͤsungen zu disponiren. Die Erscheinung, welche ich hier vor Augen habe, ist schon lange bekannt und besonders bei dem Glaubersalz beobachtet, aber noch nicht auf eine genuͤgende Weise erklaͤrt worden. Wenn man eine Flasche oder einen Kolben mit einer siedendheißen gesaͤttigten Aufloͤsung von schwefelsaurem Natron (Glaubersalz) fuͤllt und sie sogleich verkorkt oder mit einem Stuͤk Blase fest verbindet, so lange sie noch heiß ist, so erkaltet die Aufloͤsung, welche auf diese Art gegen den Zutritt der Luft geschuͤzt ist, gewoͤhnlich ohne zu krystallisiren, und bleibt Stunden und sogar Tage lang klar, obgleich sie einen großen Ueberschuß von Salz enthaͤlt. Zieht man aber den Kork heraus, oder durchsticht die Blase, so daß die Luft Zutritt erhaͤlt, so verwandelt sie sich augenbliklich in eine schwammige krystallinische Masse, wobei viel Waͤrmestoff frei wird. Man schrieb die Krystallisation zuerst dem Druk der Atmosphaͤre zu, welchem die Fluͤssigkeit ploͤzlich ausgesezt wird, bis man fand, daß dieselbe Erscheinung sich auch einstellt, wenn Luft zu einer dem atmosphaͤrischen Druk bereits ausgesezten Aufloͤsung hinzukommt. Auch nahm man seine Zuflucht zu der Annahme, die festen in der Luft schwimmenden Theilchen, welche durch sie mit der Aufloͤsung in Beruͤhrung gebracht werden, wuͤrden diese Wirkung hervorbringen, oder man nahm an die Beruͤhrung gasfoͤrmiger Molekuͤle selbst wuͤrde die Krystallisation eben so gut veranlassen, wie feste Theilchen. So viele theoretische Betrachtungen die Chemiker aber auch uͤber diese Erscheinung anstellten, so gibt man doch allgemein zu, daß sie bis jezt noch nicht auf genuͤgende Weise erklaͤrt worden ist. Als ich uͤber diesen Gegenstand Versuche anstellte, zeigte sich, daß heiße concentrirte Aufloͤsungen in Phiolen oder Recipienten uͤber Queksilber in der pneumatischen Wanne umgekehrt werden, und doch beim Abkuͤhlen fluͤssig bleiben koͤnnen, wodurch man die Ursache, welche die Krystallisation bedingt, also leichter ausmitteln konnte. Zu diesem Ende war es aber noͤthig, das Queksilber in der Wanne zuvor auf 110 oder 120° F. (34 oder 39° R.) zu erhizen, denn sonst kuͤhlte derjenige Theil der Aufloͤsung, welcher mit dem Queksilber in Beruͤhrung war, so schnell ab, daß er in dem unteren Theile des Recipienten die Krystallisation schon veranlaßte, ehe noch der obere Theil auf die Temperatur der Atmosphaͤre herabgekommen war. In solchen Faͤllen begann die Krystallisation auf der Oberflaͤche des Queksilbers, und ruͤkte dann langsam und regelmaͤßig durch die Aufloͤsung vor. Oben blieb immer ein Theil der Aufloͤsung, der zu schwach zum Krystallisiren war, weil sein Salzgehalt durch die dichte Krystallisation im unteren Theile vermindert worden war. Auch war es noͤthig, daß der untere und aͤußere Theil der Recipienten von aller anhaͤngenden Aufloͤsung gereinigt wurde, wenn man sie in die Wanne stellte, weil manchmahl salinische Theilchen durch continuirliche Krystallisation von der aͤußeren Atmosphaͤre aus in die Aufloͤsung in dem Recipienten kamen. Wenn diese Vorsichtsmaßregeln beobachtet wurden, blieben salzige Aufloͤsungen uͤber Queksilber eben so lange ohne zu krystallisiren, wie wenn man auf gewoͤhnliche Weise die aͤußere Luft ausgeschlossen hatte. Aufloͤsungen, welche die Recipienten ganz ausfuͤllten, als man sie in die Wanne stellte, ließen einen Theil Queksilber hineintreten, indem sie sich beim Abkuͤhlen zusammenzogen. So konnte man also eine Luftblase hinauflassen, ohne von der Aufloͤsung etwas aus dem Recipienten zu treiben und die Krystallisation veranlassen, ohne die Aufloͤsung geradezu der Atmosphaͤre auszusezen. Zuerst beobachtete ich, daß Aufloͤsungen von schwefelsaurem Natron, nachdem eine Luftblase Hineingelassen worden war, zuweilen gar nicht krystallisirten, oder doch erst nach langer Zeit. Dieses abweichende Verhalten zeigten besonders solche Aufloͤsungen, welche bei einer Temperatur, die 150 oder 170° F. (52,5 oder 61° R.) nicht uͤberstieg, bereitet worden waren, obgleich das Wasser bei diesen niedrigeren Temperaturen mehr schwefelsaures Natron aufloͤst, als beim Siedepuncte. Schleuniges Sieden waͤhrend einiger Minuten bewirkte jedoch, daß die Aufloͤsung beim Erkalten von der Luft wie gewoͤhnlich afficirt wurde. Bei allen Versuchen, welche gelangen, fing die Krystallisation im oberen Theile des Recipienten rund um die Luftblase an, durchschritt aber in wenigen Secunden die ganze Aufloͤsung. Ein leichtes Glaskuͤgelchen stieg in die Aufloͤsung hinauf, ohne sie zu truͤben. Ich dachte nun, da die Wirkung der Luft nicht durch mechanische Geseze erklaͤrt werden koͤnne, so muͤsse sie durch irgend eine chemische Wirkung auf die Aufloͤsung bedingt seyn. Das Wasser enthaͤlt bei der gewoͤhnlichen Temperatur immer eine gewisse Menge Luft aufgeloͤst, die es beim Kochen ausgibt. Wenn es sich nach dem Kochen in einem verschlossenen Gefaͤße abkuͤhlt und dann der Atmosphaͤre ausgesezt wird, absorbirt es wieder seinen gewoͤhnlichen Gehalt an Luft sehr begierig. Nun scheint diese absorbirte Luft in geringem Grade das Vermoͤgen des Wassers, andere Koͤrper aufzuloͤsen, zu vermindern; wenigstens wird ein betraͤchtlicher Theil derselben bei der Aufloͤsung von Salzen ausgeschieden. Laͤßt man eine Luftblase in eine Aufloͤsung von schwefelsaurem Natron hinaufsteigen, die zuvor gekocht und aller ihrer Luft beraubt worden ist, so wird gewiß eine geringe Menge Luft rund um die Blase durch die Aufloͤsung absorbirt. An der Stelle, wo die Luft aufgeloͤst worden ist, wird dann das Loͤsungsvermoͤgen des Menstruums ein wenig vermindert, und da das Menstruum sehr mit Salz uͤberladen ist, so ist es geneigt, von diesem etwas abzusezen; die geringste Verminderung des Loͤsungsvermoͤgens kann daher wohl die Praͤcipitation oder Krystallisation des unnatuͤrlichen Ueberschusses von Glaubersalz veranlassen. Auf diese Art kann die Absorbtion von Luft die Faͤllung des uͤberschuͤssigen Glaubersalzes aus der Aufloͤsung anfangen und veranlassen. Dadurch wird auch die eben erwaͤhnte Thatsache erklaͤrt, daß Aufloͤsungen von Glaubersalz, welche nicht gekocht worden sind, der Luft ausgesezt, weniger afficirt werden, als solche, welche einige Zeit in vollem Sieden erhalten wurden; denn erstere halten immer noch den groͤßten Theil ihrer Luft zuruͤk, und absorbiren die Luft, wenn sie ihr ausgesezt werden, nicht so begierig, wie Aufloͤsungen, welche gekocht worden sind. Diese Theorie wurde noch vollends durch Versuche, in wie fern andere Gasarten als die atmosphaͤrische Luft, die Krystallisation veranlassen, bestaͤtigt. Es zeigte sich, daß ihr Einfluß mit dem Grade, in welchem sie von Wasser und salzigen Aufloͤsungen absorbirt werden, genau in Verhaͤltniß steht. Zu einer Aufloͤsung von schwefelsaurem Natron uͤber Queksilber, die durch eine Luftblase nicht afficirt worden war, ließ man eine Blase von kohlensaurem Gas hinzu. Augenbliklich fing die Krystallisation um die Blase und von hier aus durch die ganze Masse an. Das Wasser kann sein gleiches Volumen kohlensaures Gas aufloͤsen, und eine moͤglichst gesaͤttigte Aufloͤsung von schwefelsaurem Natron kann nach Saussure mehr als ihr halbes Volumen davon absorbiren. Eine Aufloͤsung von Glaubersalz, welche noch schwaͤcher war, und worin sowohl gemeine Luft als kohlensaures Gas das Gleichgewicht nicht stoͤren konnten, wurde durch eine kleine Blase Ammoniakgas sogleich zur Krystallisation gebracht. Werden Gasarten angewandt, welche das Wasser in Menge aufloͤst, wie Ammoniakgas und schweflichsaures Gas, so geht die Krystallisation sehr schnell vor sich. Sie bleibt nicht so lange aus, bis die Gasblase bis in den obersten Theil des Recipienten hinaufgestiegen ist, wie es immer mit gewoͤhnlicher Luft und haͤufig mit kohlensaurem Gas der Fall ist, sondern der Lauf der Blase wird die gemeinschaftliche Axe unzaͤhliger krystallinischer Flaͤchen, auf welchen sie hinaufgetragen worden zu seyn scheint, und oft wird die Blase, ehe sie noch ganz hinaufgestiegen ist, von krystallinischen Theilchen, die ihr vorausgehen, umfangen und aufgehalten. Es gibt nur wenige Gasarten, die in Wasser weniger aufloͤslich sind, als die atmosphaͤrische Luft; unter diesen aber zeigte sich das Wasserstoffgas entschieden am, wenigsten vermoͤglich, die Krystallisation zu veranlassen. Kleine Menge anderer in Wasser aufloͤslicher Fluͤssigkeiten bewirkten ebenfalls, daß die Aufloͤsung unmittelbar krystallisirte, wie man dieses schon erwarten konnte, aber keine energischer als Alkohol. Bekanntlich kann Alkohol das schwefelsaure Natron aus seiner waͤsserigen Aufloͤsung niederschlagen. Von den aufloͤslichen Gasarten nehme ich an, daß sie eben so wirken. Diese Thatsachen scheinen zu dem Schluß zu berechtigen, daß die Luft die Krystallisation uͤbersaͤttigter Salzaufloͤsungen dadurch bewirkt, daß sie sich in dem Wasser aufloͤst und hierdurch der schwachen Kraft, wodurch das uͤberschuͤssige Salz in Aufloͤsung erhalten wird, einen Stoß gibt. Waͤhrend die vorhergehenden Bemerkungen gedrukt wurden, erfuhr der Verfasser, daß Hr. Gay-Lussac in seiner Abhandlung uͤber die Krystallisation (Ann. de Chim. Bd. 87) ganz dieselbe Theorie als Vermuthung aufgestellt hatte, was in keinem chemischen Lehrbuche bemerkt ist. Da aber Hr. Gay-Lussac seine Theorie nicht durch Experimente beleuchtet, und in der That ein Experiment als ihr unguͤnstig anfuͤhrt, so ist die experimentelle Bestaͤtigung der Theorie neu und war gewiß noͤthig.