Titel: Versuch einer Analyse der Lichenen, welche die Orseille liefern. Von Hrn. Robiquet.
Fundstelle: Band 36, Jahrgang 1830, Nr. XXXIII., S. 153
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XXXIII. Versuch einer Analyse der Lichenen, welche die Orseille liefern. Von Hrn. Robiquet. Aus den Annales de Chimie et de Physique. November 1829. S. 236. Robiquet, Versuch einer Analyse der Lichenen, welche die Orseille liefern. Als ich die verschiedenen Schriftsteller uͤber die Orseille nachschlug, um zu sehen, was wir denn eigentlich uͤber dieselbe wissen, erstaunte ich uͤber das Wenige, was uns bisher mit Zuverlaͤssigkeit uͤber diesen wichtigen Gegenstand bekannt geworden ist. Kaum daß man die eigentlichen Arten der Flechten kennt, die uns diesen Faͤrbestoff liefern: die Fabrikation desselben liegt in der dunklen Nacht der Empirie begraben, und uͤber die eigentliche Beschaffenheit dieses Faͤrbestoffes sind wir noch in gaͤnzlicher Unwissenheit. In dem Augenblike, wo ich bedauerte, daß dieser wichtige Gegenstand bisher noch nicht die Aufmerksamkeit irgend eines Chemikers auf sich gezogen hat,Wenn die franzoͤsischen Chemiker unseres unsterblichen Beckmann Beitraͤge zur Geschichte der Erfindungen kennten, oder wenn die franzoͤsische Litteratur nur ein so fleißig gearbeitetes Werk, wie Boͤhmer's techn. Gesch. d. Pflanzen besaͤße; so wuͤrde die Orseille ihrer Aufmerksamkeit nicht so lang entgangen seyn.A. d. Ue. erhielt ich von einem meiner Collegen, von Hrn. Codère, Apotheker zu Prades, eine Kiste mit mehreren Pfunden jener Flechte, welche die Orseille-Fabrikanten zu Lyon jaͤhrlich auf den Felsen der Pyrenaͤen von Tagloͤhnern sammeln lassen, die sie aus dem Departement du Cantal eigens zu dieser Arbeit dahin abschiken. Hr. Codère betrachtet diese Flechte als diejenige, welche die schoͤnste Orseille, die sogenannte Land-Orseille (orseille de terre) liefert, und drang so freundlich in mich, dieselbe einer chemischen Analyse zu unterziehen, daß ich mich in der That an diese Arbeit wagen wollte; allein, meine schwache Gesundheit und meine Berufsgeschaͤfte wuͤrden mir dieß unmoͤglich gemacht haben, wenn nicht Hr. Chedehoux, ein junger Laureatus unserer pharmaceutischen Schule, mir alle moͤgliche Beihuͤlfe bei dieser Arbeit angeboten haͤtte. Ich muß ihn um Erlaubniß bitten, ihm hier oͤffentlich meine Dankbarkeit bezeugen zu koͤnnen. Ehe ich zur Analyse selbst schreite, muß ich bemerken, daß mehrere und verschiedene Arten von Orseille im Handel vorkommen, und namentlich die sogenannte Insel-Orseille (Orseille des îles) und die sogenannte Land-Orseille (Orseille de terre).Man nennt diese Land-Orseille im Deutschen sehr ungeschikt Erd-Orseille, indem kein Staͤubchen Erde mehr bei derselben ist, als bei der Insel-Orseille. Orseille de terre wird in der franzoͤsischen Sprache nur im Gegensaze von Orseille des îles gebraucht; terre heißt hier festes Land im Gegensaze der Insel. Man uͤbersezt Orseille de terre eben so schlecht mit Erd-Orseille, als man Terra firma schlecht mit fester Erde uͤbersezen wuͤrde.A. d. Ue. Erstere, die man jeder anderen vorzieht, und die auch die theuerste ist, kommt von den Canarischen Inseln, vom gruͤnen Vorgebirge, auch von den Azoren, aus Madeira, aus Corsica, aus Sardinien.Man fuͤhrte aus Teneriffa allein 25 Tonnen Orseille jaͤhrlich aus, und die Tonne galt im. J. 1726 zu London 80 Pfd. Sterl. Auch in den Inseln des Archipels wurde, wenigstens noch zu Tournefort's Zeiten, viel Orseille gesammelt, und um denselben Preis, wie die canarische, verkauft. Nach Imperati wuͤrde man dieselbe wohl auch in Dalmatien sammeln koͤnnen. Wenn sie dort vorkommt, so wird der Aufschwung, den der beruͤhmte Botaniker, Generalmajor v. Welden, als Befehlshaber der k. k. oͤsterr. Truppen in Dalmatien, der Botanik in dieser europaͤischen Terra incognita gegeben hat, gewiß dazu beitragen, die Dalmatiner auf einen Schaz aufmerksam zu machen.A. d. Ue. Berthollet erklaͤrt diese Art fuͤr Lichen Roccella L., von welchem die neueren Botaniker mehrere Abarten „(und Arten)“ unterscheiden. Die zweite wird auf unseren Bergen in den Pyrenaͤen, in dem Deptt. d. Alpen, in der Auvergne, in der Lozere gesammelt. Man schreibt sie allgemein dem Lichen parellus L. zu, und unter dem Namen Parelle kennen sie alle Sammler und alle Fabrikanten. Indessen versichert Hr. Cocq, dem wir (in den Annales de Chimie T. LXXXI.) mehrere nuͤzliche Notizen uͤber diesen Gegenstand verdanken- (und er stuͤzt sich hier auf keine geringere Auctoritaͤt, als auf die des beruͤhmten Ramond, dessen Tod die Wissenschaften als einen neuen Verlust zu beklagen haben,Der Uebersezer befand sich gerade zu der Zeit zu Clermont, Dptt de Puy de Dôme, als Baron Ramond, der damals Praͤfect dieses Departements war, sich mit der Untersuchung dieser Flechten beschaͤftigte. Der sel. Freiherr theilte ihm dieselben Bemerkungen mit, die Hr. Robiquet oben anfuͤhrt, und Prof. Decandolle hat dieselben auch in seiner Flore française benuͤzt. Wohl werden die Wissenschaften und wird Frankreich den Verlust Ramond's noch lang zu beklagen haben: es wird sobald nicht wieder einen Praͤfecten bekommen, wie Ramond war, der, bloß mit 2 Municipalraͤthen, einem Unterpraͤfecte und einem Secretaͤre nebst 2 Schreibern, die Verwaltung eines Departements von mehr denn 200,000 Menschen so gewissenhaft besorgte, daß er nie von seinem Arbeitstische aufstand, ohne alle seine taͤglichen Amtsgeschaͤfte besorgt, und aus seinem gruͤnen Arbeitstische, wie er sagte, table nette gemacht zu haben. 200,000 Auvergnacs, unter welchen vor seiner Ankunft Morde kein seltenes Verbrechen waren, liebten Ramond, ihren Praͤfecten, wie ihren Vater. Er ist unser Vater! hoͤrte ich viele Bauern in der Auvergne ausrufen, wenn ich sie fragte, wie sie mit ihrem Praͤfecten zufrieden sind. Und waͤhrend er der Vater seiner Bauern und Buͤrger war, sagte der große Kaiser von ihm: Ramond ist mein bester Praͤfect: er machte ihn auch zum Baron und zum Commandeur der Ehrenlegion. Es verdient bemerkt zu werden, daß Ramond von allem juristischen Schnikschnak und Kanzelleischnoͤrkeln so wenig mußte, als sein Stiefel. Die Revolution warf ihn aus dem Elsaß, wo er geboren war, an den Fuß der Pyrenaͤen, und machte ihn hier zum Schulmeister in einer Centralschule. Hier lebte er ganz fuͤr den Unterricht der Jugend, fuͤr Naturgeschichte, vorzuͤglich fuͤr Botanik und Mineralogie, und fuͤr die hoͤhere Mathematik, bis ihn sein Schiksal mit den Maͤnnern der damaligen Verwaltung Frankreichs, wo Verdienste geschaͤzt und belohnt wurden, in Beruͤhrung brachte. Sein Werk uͤber Hoͤhenmessungen mit dem Barometer, zufaͤllig an demselben Orte (Clermont) und an demselben Berge (Puy de Dôme) vollendet, wo ein Jahrhundert fruͤher Pascal die ersten Versuche anstellte, Berghoͤhen mittelst des Barometers zu messen, wird immer eines der besten uͤber diesen Gegenstand bleiben, so wie sein Voyage au mont-perdu. eine der besten Reisebeschreibungen. Wenn der gruͤne Tisch von Amtspapieren leer war, ging er in sein Studierzimmer, und arbeitete dort als Naturhistoriker, als Mathematiker, als schoͤner Schriftsteller eben so rastlos, wie kurz vorher noch als Staatsbeamter. Seine Frau und sein Kind waren ihm gewoͤhnlich zur Seite: er war ein sehr guter Hausvater, der fuͤr die physische Erziehung seiner Kinder trefflich sorgte. Der Uebersezer sah den ersten Sohn des guten Ramond seinem Vater in die Arme laufen, als er noch nicht 3/4 Jahr alt war.A. d. Ue. daß nicht nur die Art, die eigentlich den ganzen Haufen, der von Orseille in der Auvergne gesammelt wird, bildet, kein Lichen parellus und himmelweit davon verschieden ist. Es ist naͤmlich eine Variolaria, die die (franzoͤsischen) Botaniker Variolaria orcina nennen, und von dieser unterscheiden sie wieder mehrere Abarten, die in der Auvergne unter dem Namen Varenne, pucelle, parelle maîtresse bekannt sind, je nachdem sie naͤmlich mehr glatt ist, und die Pusteln weniger hervorragen, wie es an derjenigen der Fall ist, die auf Granit waͤchst; je nachdem sie vor ihrer gaͤnzlichen Entwikelung auf den Laven und zum ersten Male gesammelt wird; oder endlich erst dann gesammelt wird, wann sie ihren ganzen Wachsthum erreicht hat, also erst im fuͤnften oder sechsten Jahre ihres Wachsthumes. An diese verschiedenen Abarten einer und derselben Art reihen sich, nach Hrn. Cocq, noch einige andere Arten, wie die Variolaria aspergilla, der Lichen corallinus u.a., so daß also die eingesammelte Orseille aus einer Menge aͤhnlicher Flechten besteht, deren Faͤrbekraft man, im Einzelnen, nicht kennt, und von welchen man folglich nicht wissen kann, ob sie mehr nuͤzlich oder schaͤdlich sind. Man sagt sogar, daß die Tagloͤhner, die diese Flechten sammeln, absichtlich dieses Gemenge veranstalten, um desto mehr daran zu gewinnen; sie koͤnnen sich diese Verfaͤlschung mit desto groͤßerer Sicherheit erlauben, als diejenigen, die sie zu dieser Arbeit dingten, selbst nicht wissen, welche Art von Flechten, die sie ihnen darbieten, wirklich die bessere ist. In der Hoffnung, uͤber diesen wichtigen Zweig unserer IndustrieFrankreich theilt aber diese Industrie mit England, mit Holland, mit Italien, und wird sie auch bald mit Oesterreich und Rußland theilen muͤssen.A. d. Ue. einiges Licht zu verbreiten, entschloß ich mich die Arbeit zu unternehmen, uͤber welche ich nun die Ehre haben will Bericht zu erstatten. Wir haben gesehen, daß die Orseille, welche in der Auvergne gesammelt wird, groͤßten Theils aus einer Variolaria besteht, und ich muß hier bemerken, daß die Flechte, welche Hr. Codère mir schikte, und die er fuͤr die beste bei der Fabrikation der Orseille haͤlt, gleichfalls eine Variolaria ist: die Variolaria dealbata Dec., in dessen Flore française; der Lichen dealbatus des Acharius, wie mein College, Hr. Prof. Clarion, es erwiesen hat. Ich muß hier bemerken, daß derselbe auch nicht ein Fragment einer Patellaria darunter gefunden hat. Es ist also wahr, daß Hr. Codère diese Sammlung mit der groͤßten Sorgfalt veranstalten ließ, und daß er alle noͤthige Vorsicht traf, damit diese Flechte rein und unvermengt blieb, und nicht verfaͤlscht wurde, wie sie es bei den Orseille-Fabrikanten gewoͤhnlich wird. Die Resultate, die ich hier aufstellen werde, beziehen sich also bloß auf Variolaria dealbata.Die franzoͤsischen Flechten erscheinen jezt in einem eigenen, von Hrn. Delise zu Vire besorgten Herbar. viv. unter dem Titel: Lichens de France. 1828. Vire. Eine Lieferung von 25 Exempl. kostet 8 Franken.A. d. Ue. Nach einigen Versuchen, die es uͤberfluͤssig waͤre hier anzufuͤhren, da sie eigentlich bloß ein Tappen im Finsteren waren, gelang ich auf folgende Weise zur Abscheidung der verschiedenen Bestandtheile dieser Flechte, deren Daseyn ich in derselben gefunden habe. Die Flechte wurde zuerst mehrere Male nach einander in concentrirtem Alkohol gekocht, und die Abkochung wurde siedend heiß filtrirt. Dadurch erhielt man eine weiße, krystallinische und etwas flokige Masse, die sich bei dem Erkalten zu Boden sezte, und die in den ersteren Abkochungen natuͤrlich haͤufiger war, als in den uͤbrigen. Nachdem die Flechte mit diesem Alkohol ausgekocht war, ließ man alle Abkochungen durch dasselbe Filtrum laufen, und erhielt auf diese Weise, als erstes Produkt, die oben erwaͤhnten weißen Floken. Man mußte sie nothwendig mit etwas kaltem Alkohol begießen und auswaschen. Hierauf ließ man in einem Destillirapparate ungefaͤhr die Haͤlfte aller dieser Abkochungen verdampfen, und sammelte auf diese Weise nach dem Erkalten eine neue Quantitaͤt obiger weißer Floken, die man jedoch nicht mit den vorigen zusammenmengte, weil sie gereinigt werden mußten. Man destillirte auf eine aͤhnliche Weise zum zweiten Male, und, nachdem dadurch aller Alkohol und aller weiße Stoff abgeschieden ward, erhielt man, als Produkt der vollkommenen Verdampfung, ein geistiges Extrakt, das sehr deutlich nach frischem Alkohol roch. Man behandelte nun dieses Extrakt mit kaltem Wasser, und wusch es so lang, bis es vollkommen ausgezogen war. Die beste Verfahrungsweise hierbei ist, das Extrakt in einem gewoͤhnlichen Moͤrser zu zerreiben, und das Wasser so lang zu erneuern, bis es geschmaklos ablaͤuft. Die ersten Waschwasser sind gelbbraun und schmeken suͤßlich. Bei gelinder Waͤrme abgedampft gaben sie, als Produkt, eine braune Fluͤssigkeit von der Consistenz eines Syrupes von sehr suͤßem Geschmake, jedoch mit einem sehr deutlichen bitteren Nachgeschmake. Diese Fluͤssigkeit krystallisirt, mit der Zeit, in langen strahlenfoͤrmigen Nadeln ohne Festigkeit, so daß es sehr schwer ist sie aus den Mutterlaugen abzuscheiden. Es gelang mir nur dadurch, daß ich sie einem sehr starken Druke aussezte, und dadurch erhielt ich eine Art Moscovade, die, mit thierischer Kohle gereinigt, eine krystallinische Masse darbot, welche aus langen, gelblich weißen, undurchsichtigen Prismen bestand, die noch immer suͤß und staͤrker schmekt. Das auf diese Weise von allen im Wasser aufloͤsbaren Stoffen befreite geistige Extrakt wurde in der Folge im Wasserbade getroknet, und dann mit Aether behandelt, der davon stark gruͤngelb wurde. Man wusch es hierauf noch mehrmals mit kaltem Aether aus, und alle aͤtherischen Tincturen, die man auf diese Weise erhielt, wurden in eine glaͤserne Retorte zusammengeschuͤttet, und bei gelinder Waͤrme destillirt: die Destillation wurde erst unterbrochen, nachdem man 5/6 Aether uͤbergezogen hatte. Der Ruͤkstand bot, nach dem Erkalten, eine krystallinische Masse dar, die in eine klebrige Fluͤssigkeit gehuͤllt, stark gruͤnlichbraun gefaͤrbt war, und einen scharfen Geschmak nebst einem besonderen sehr deutlichen Geruch besaß. Man befreite die Krystalle von dieser Masse, indem man sie mit einer geringen Menge kalten Alkohols wusch, dann, mittelst der Waͤrme, wieder vollkommen in dieser Fluͤssigkeit aufloͤste, und erhielt so, nach mehreren wiederholten Krystallisationen und Reinigungen, aus diesem Ruͤkstande der aͤtherischen Tincturen zwei verschiedene Produkte. Das eine derselben bestand aus langen weißen und steifen Nadeln, die in Alkohol und Aether sehr leicht aufloͤsbar sind; das andere aus einer Art gruͤnen Harzes, das diese Nadeln urspruͤnglich umhuͤllte, und einen sehr scharfen Geschmak besaß. Nachdem das geistige Extrakt nach und nach mit Wasser und Aether ausgezogen wurde, blieb nur eine teigartige, braune, gleichsam gekoͤrnte Masse zuruͤk, deren Eigenschaften wir spaͤter angeben werden. Man kam nun wieder auf die Flechte zuruͤk, die, mit Alkohol allein behandelt, bereits wenigstens fuͤnf verschiedene, deutlich von einander unterschiedene, Produkte gegeben hat. Man kochte sie mehrere Male in destillirtem Wasser, nachdem man sich jedes Mal uͤberzeugte, daß keine Spur von Sazmehl darin enthalten war. Alle diese Abkochungen wurden bis auf den gehoͤrigen Punkt eingekocht, ohne daß eine Spur von Gallerte sich zeigte. Man pruͤfte sie nun auf Salzgehalt, und es fand sich, daß sauerkleesaures Ammonium allein eine deutliche Wirkung hervorbrachte. Diese Fluͤssigkeit enthaͤlt demnach ein Kalksalz, aber nur in geringer Menge. Durch Abdampfung gab sie ein gummiges Extrakt von fadem Geschmake, das so zu sagen nur negative Eigenschaften besaß, und folglich von keinem besonderen Interesse war. Wir glauben daher nicht laͤnger bei demselben verweilen zu duͤrfen, und glauben daß es hinreicht, das bloße Daseyn desselben angedeutet zu haben. Um die Bestandtheile der Flechte alle zu erhalten, theilte man das Produkt aus derselben durch die Behandlung mit Alkohol und mit Wasser in zwei Theile. Den ersten Theil macerirte man in Wasser, das mit Salpetersaͤure gesaͤuert wurde, den zweiten verbrannte man in einem Platinnatiegel, den man im Feuer bis zur Rothgluͤhehize erhizte. Die Menge Asche, die man durch diese Einaͤscherung erhielt, war wirklich ungeheuer. Da diese Asche kein in Wasser aufloͤsbares Salz enthalten konnte, so behandelte man dieselbe unmittelbar mit schwacher Salpetersaͤure, die einen Theil derselben ausloͤste. Nach einer hinlaͤnglich langen Zeit filtrirte man die saure Maceration, saͤttigte sie mit Ammonium, um die Kalksalze aus derselben abzuscheiden, und erhielt dadurch einen reichlichen Niederschlag, welcher calcinirt, sich in kaustischen Kalk verwandelte. Allem Anscheine nach war dieses Kalksalz also bloß sauerkleesaurer Kalk. Aus dem bisher hier in Kuͤrze Angefuͤhrten ergibt sich, daß die durch den Alkohol ausgezogenen Produkte die einzigen sind, die von uns von Interesse seyn koͤnnen, indem nur in denselben der Faͤrbestoff, der Hauptgegenstand unserer Untersuchungen, sich finden kann. Wir muͤssen also wieder zu jedem einzelnen dieser Produkte zuruͤk, die uns Anfangs keinen besonders auffallenden Charakter in dieser Hinsicht darboten, und so zu sagen nach der Eliminations-Methode verfahren, um zu dem erwuͤnschten Zweke zu gelangen. Ich will diese Revision mit den lezten Produkten beginnen, und zuerst dasjenige betrachten, welches, nachdem es urspruͤnglich dem geistigen Extrakte angehoͤrte, in der Folge der Einwirkung des Wassers und des Aethers widerstand. Dieses Produkt ist braunroth, sehr schwach saͤuerlich, und gaͤnzlich in Alkohol aufloͤsbar. Der Waͤrme ausgesezt blaͤht er sich bedeutend auf und gibt einen sehr haͤufigen kohligen Ruͤkstand. Die dabei sich entwikelnden Daͤmpfe riechen beinahe wie Tobakrauch. Es kommt eine gelbliche Fluͤssigkeit zum Vorscheine, die sich endlich in dem Halse des Destillirgefaͤßes anlegt. Mit Kupferoxyd verbrannt liefert dieser Stoff etwas Stikstoff. Saͤuren und Alkalien wirken, selbst concentrirt, nicht auf denselben, wenigstens nicht merklich. Was das naͤchste Produkt betrifft, so konnte ich in der einen der beiden aͤtherischen Aufloͤsung nur jenen gruͤnen harzartigen Stoff wahrnehmen, der sich beinahe in allen Pflanzen findet, und den man Chlorophyll zu nennen beliebt. Er hat, wie dieser, die Eigenschaft, sich in Aether und Alkohol aufzuloͤsen; hat, wie dieser, einen scharfen Geschmak, weicht aber doch, in anderer Hinsicht, davon ab. So wird er z.B. sehr leicht fluͤssig, wenn man ihn der Einwirkung der Waͤrme aussezt. Indessen darf man nicht vergessen, daß dieser angebliche unmittelbare Pflanzenstoff bei jeder Pflanze beinahe eben so sehr verschieden ist, als die Pflanzen selbst, und daß man ihn vielleicht nie zwei Mal nach einander vollkommen identisch erhielt. Uebrigens ergeht es diesem Pflanzenstoffe nicht allein so; es ist bei den Harzen, Gummiarten etc. um nichts besser. Wir kommen nun auf den Grundstoff, der dieses lezte aͤtherische Produkt begleitet; dieser scheint mir in seiner Art einzig zu seyn. Er krystallisirt sich, wie wir sagten, in schoͤnen weißen Nadeln. Er ist in Aether und in Alkohol sehr leicht aufloͤsbar; er schmilzt bei einer sehr gelinden Waͤrme, und wird dann so durchscheinend, wie geschmolzenes Harz; durch Erkalten wird er aber wieder undurchsichtig, und bildet nur mehr eine blaͤttrige kristallinische Masse. Wenn man ihn etwas starker erhizt, so faͤngt er schnell an zu sieden, und gibt, ohne scheinbare Zersezung, eine Art wesentlichen, farbelosen und sehr stark riechenden Oehles; hierauf verdichtet er sich im Halse der Retorte zu einer weißen krystallinischen Masse, die von derselben Art zu seyn scheint, wie er urspruͤnglich gewesen ist, und auf dem Boden des Gefaͤßes bleiben kaum einige Spuren eines kohligen Stoffes, wenn die Form des Gefaͤßes gehoͤrig gewaͤhlt wurde; denn wenn die Retorte einen zu tiefen Bauch hat, so fallen die lezten Daͤmpfe, die sich leicht in dem oberen Theile verdichten, ohne Unterlaß zuruͤk, und dieser Koͤrper zersezt sich endlich durch wiederholte Einwirkung der Waͤrme. Diesem Nachtheile laͤßt sich leicht dadurch abhelfen, daß man eine sehr kleine Retorte nimmt, und dieselbe zugleich oben und unten erhizt. Dieses Produkt, welches, seiner sonderbaren Eigenschaften wegen besondere Aufmerksamkeit zu verdienen scheint, hat indessen, bei Einwirkung verschiedener Reagentien, nichts geaͤußert, was die Gegenwart irgend eines Faͤrbestoffes zu verkuͤnden scheint. Da es an und fuͤr sich weder sauer noch alkalisch ist, so bleibt es ungefaͤrbt in Saͤuren, wie in Alkalien; der Luft ausgesezt bleibt es unveraͤndert; es ist also weder ein Faͤrbestoff noch ein Koͤrper, der ein Faͤrbestoff werden koͤnnte. Wir haben nun nur mehr zwei Produkte zu untersuchen uͤbrig; das eine ist jene Art Zukers, welche wir durch Auswaschen mit Wasser aus dem geistigen Extrakte erhielten; das andere ist jener krystallinische weiße Stoff, der sich waͤhrend des Erkaltens des Alkohols, mit welchem die Flechte gekocht wurde, niederschlug. Allein dieses leztere Produkt besizt wieder durchaus keine derjenigen Eigenschaften, wodurch Faͤrbestoffe sich gewoͤhnlich auszeichnen. Es ist, z.B., nachdem man es von allen fremdartigen Stoffen gaͤnzlich befreit hat, vollkommen weiß, unschmakhaft, an der Luft unveraͤnderlich, in Wasser unaufloͤsbar, und vollkommen neutral. Es verbindet sich ziemlich gut mit Alkalien, zumal durch Beihuͤlfe der Waͤrme, wird aber durch dieselben nur sehr schwach gruͤnlich gefaͤrbt; in concentrirter Schwefelsaͤure nimmt es eine Bisterfarbe an, und wird nie vollkommen schwarz. In der Hize verkohlt es sich ohne zu fließen, und wenn man behutsam dabei verfaͤhrt, so sieht man Anfangs einige weiße, glimmerartige Blaͤttchen sich erheben, welche sich nach dem oberen Theile des Gefaͤßes sublimiren; bald darauf werden diese Blaͤttchen von einem braunen empyreumatischen Oehle weggeschlaͤmmt, das nicht lang darnach anfaͤngt sich zu entwikeln. Waͤhrend der ganzen Dauer dieser Operation entwikelt sich ein Geruch, als ob ein fettartiger Koͤrper sich zersezte; indessen unterscheidet dieser Koͤrper sich durch seinen Mangel an Schmelzbarkeit durch die geringe Faͤhigkeit, die er besizt, sich mit Alkalien zu verbinden, durch die Schwierigkeit, mit welcher er sich in Aether aufloͤst, hinlaͤnglich von den uͤbrig bekannten Fetten, und scheint sich desto mehr denjenigen Koͤrpern zu naͤhern, die Hr. Bonastre Unterharz (Sous-resine) nennt. Es liegt uͤbrigens wenig daran, ob dieser Koͤrper ein fetter Koͤrper oder ein Unterharz ist; das Einzige, was hier in diesem Falle von demselben erwiesen werden muß, ist, daß er kein Farbestoff ist, und es scheint uns, daß wir Beweise genug anfuͤhrten, um jeden zu uͤberzeugen, daß er kein solcher Stoff ist. Der zukerartige Stoff bleibt also allein noch unsere Zuflucht, und er allein ist es, der fortan unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Die Art der Krystallisation, und vorzuͤglich der deutliche, wenn auch etwas ekelhafte, Zukergeschmak dieses Stoffes ließ mich denselben gleich Anfangs als eine Art Traubenzuker, als ein Mannit betrachten; als ich denselben aber naͤher untersuchte, sah ich gar bald meinen Irrthum ein: in der That bedurfte es nur der Einwirkung der Hize allein, um diesen Irrthum zu beseitigen. Die gewoͤhnlichen zukerhaltigen Stoffe werden fluͤssig, blaͤhen sich auf, braͤunen sich und verkohlen sich; bei diesem Stoffe hingegen hat nichts von Allem dem Statt; er wird bei einer sehr gelinden Waͤrme fluͤssig; die Fluͤssigkeit bleibt vollkommen durchscheinend; wenn man aber die Hize fort einwirken laͤßt, so faͤngt er an zu kochen und sich von aller Fluͤssigkeit zu befreien, wenn er eine solche bei sich fuͤhrt; hierauf sieht man schwere Daͤmpfe aufsteigen, die sich in dem Halse des Destillirgefaͤßes anhalten, und sich daselbst zu einem festen, beinahe farbelosen und durchscheinenden, Koͤrper verdichten, welcher, nach einigen Stunden, gegen die Muͤndung des Halses hin anfaͤngt sich zu krystallisiren, und endlich mit der Zeit nur eine krystallinische, undurchsichtige oder durchscheinende, Masse bildet, welche an ihrem Umfange wie mit einem Firnisse uͤberzogen ist. Dieser Theil, der auf diese Weise verfluͤchtigt wurde, scheint keine Veraͤnderung erlitten zu haben; denn er besizt noch alle seine urspruͤnglichen Eigenheiten. Wenn man diese Parallele noch weiter verfolgt, so bemerkt man noch andere eben so schneidende Unterschiede; so wird z.B. dieser Stoff aus seiner waͤsserigen Aufloͤsung durch basisch essigsaures Blei vollkommen niedergeschlagen, waͤhrend bei den gewoͤhnlichen zukerstoffhaltenden Koͤrpern das Entgegengesezte Statt hat. Concentrirte Salpetersaͤure faͤrbt diesen Stoff Anfangs blutroth, wie es bei vielen anderen organischen Koͤrpern der Fall ist; allein diese Farbe verschwindet nach und nach in Folge der Einwirkung und Gegenwirkung, und, obschon sich viel salpetrigsaures Gas entwikelt, erhaͤlt man doch nie durch Abdampfung Krystalle von Sauerkleesaͤure. Es waͤre allerdings gut gewesen, wenn man, um die Vergleichung ganz durchzufuͤhren, versucht haͤtte, diesen zukerartigen Stoff gaͤhren zu lassen; allein, die zu geringe Menge, die ich von demselben besaß, erlaubte mir nicht diesen Versuch zu unternehmen. Uebrigens wird man wahrscheinlich auch eingestehen, daß dieser Versuch eben nicht unumgaͤnglich nothwendig war, und daß die bereits angegebenen Unterschiede mehr als hinreichend sind, um eine feststehende Ansicht uͤber diesen Gegenstand zu gewaͤhren. Wir wollen also annehmen, daß dieser zukerartige Stoff ein Koͤrper eigener Art ist, und er wird dadurch unsere Aufmerksamkeit nur desto mehr verdienen; wir werden ihn desto sorgfaͤltiger untersuchen, je mehr wir Wahrscheinlichkeiten zu seinen Gunsten finden werden. Wir haben bereits bemerkt, daß dieser Stoff, der Einwirkung der Waͤrme ausgesezt, sich verfluͤchtigt, ohne sich zu zersezen, und man weiß, daß in der geringen Anzahl organischer Faͤrbestoffe, die man bisher in reinem Zustande erhielt, beinahe alle diese Eigenschaft besizen. Man weiß, daß keiner derselben weder sauer noch alkalisch ist, und auch der gegenwaͤrtige ist vollkommen neutral. Hier waͤren also bereits einige feststehende Aehnlichkeitspunkte: allein der wesentlichste hat sich noch nicht gezeigt; naͤmlich der, daß durch irgend eine Modification Farbe entwikelt wird; eine Farbe, die sich den Geweben mittheilen laͤßt. Hiervon weit entfernt, scheint dieser Koͤrper unwandelbar durch Zutritt der atmosphaͤrischen Luft, selbst durch Zutritt des reinen Sauerstoffes: es entsteht keine Faͤrbung, keine Einsaugung. Unter den verschiedenen Reagentien, deren Einfluß man ihn aussezte, waren die Alkalien die einzigen, die zu dem erwuͤnschten Zweke zu fuͤhren schienen. Diese Beobachtung bot große Hoffnungen dar, indem, wie die ganze Welt weiß, fauler Harn oder Ammonium in den Orseillefabriken mit der Zeit den Farbestoff aus den Flechten entwikelt. Indessen, wenn man einige Tropfen Alkali, besonders Ammonium, in die waͤsserige Aufloͤsung dieses zukerartigen Stoffes gießt, so sieht man nach und nach eine fahle Farbe sich in der Fluͤssigkeit entwikeln, und mit der Zeit wird diese Farbe immer starker und staͤrker. Wenn man sie zwei oder drei Tage lang der Luft ausgesezt stehen laͤßt, wird sie dunkelbraun, aber durchaus nicht jener lebhaften und reichen dunkel violetten (Pensee) Farbe aͤhnlich, die die Orseille liefert. Dieses Resultat bleibt immerdar dasselbe, man mag das Verhaͤltniß des Alkali wie immer abwechseln, und die Aufloͤsung auch noch so lang an der Luft stehen lassen. Ich mußte also annehmen, daß entweder dieser Faͤrbestoff von demjenigen, welchen ich suchte, verschieden war, oder daß die beobachteten Resultate nur von dem Reste eines Faͤrbestoffes entstanden, der bereits veraͤndert worden ist. Diese lezte Idee noͤthigte mich zu allen jenen Reinigungsmitteln Zuflucht zu nehmen, durch welche ich glaubte eine vollkommene Elimination des Faͤrbestoffes erhalten zu koͤnnen. Ich schuͤttelte also eine concentrirte Aufloͤsung des zukerartigen Stoffes sehr lang mit fein gepuͤlverter, auf dem Reibsteine abgeriebener Bleiglaͤtte. Ich filtrirte und verdampfte diese Aufloͤsung, nachdem ich geschwefelten Wasserstoff durch dieselbe durchziehen ließ, und erhielt als Resultat dieser Reinigung vierseitige flache Prismen, deren zwei gegenuͤberstehende Seiten groͤßer waren, als die anderen, und schief abgestuzt. Diese Krystalle, die ich fuͤr reiner halten mußte, als den urspruͤnglich angewendeten Stoff, wurden auf die vorige Weise behandelt, und gaben vollkommen dieselben Resultate, wie die oben angefuͤhrten gewesen sind. Ich blieb also uͤberzeugt, daß der zukerartige Stoff wirklich an und fuͤr sich ein Faͤrbestoff war; da ich aber aus demselben nicht die schoͤne Karmesinfarbe erhalten konnte, die ich suchte, so besorgte ich, daß dieselbe vielleicht von der thierischen Kohle verschlungen worden seyn koͤnnte, deren ich mich gleich Anfangs zur Reinigung des zukerartigen Stoffes und zur Erleichterung der Krystallisation bediente. Ich nahm also diese Kohle wieder vor, und, nachdem ich sie in reinem kalten Nasser gut gewaschen hatte, behandelte ich sie dann warm mit einem etwas alkalisirten Wasser. Allein ich erhielt auch auf diese Weise nur eine matte rothbraune Farbe, derjenigen aͤhnlich, welche ich unmittelbar durch Behandlung des zukerartigen Stoffes mit Ammonium erhielt. Da ich nun auf diesen lezteren Stoff wieder zuruͤkkommen mußte, und uͤberzeugt war, daß der Zutritt der atmosphaͤrischen Luft und die Einwirkung des Ammoniums unerlaͤßlich sind, wenn die gesuchte Farbe sich entwikeln soll, so stellte ich nun Versuche hieruͤber an, und gelangte endlich, nach einer langen Reihe vergeblicher Bemuͤhungen, zu dem gluͤklichsten Resultate, indem ich den zukerartigen trokenen Stoff alsogleich den Daͤmpfen des fluͤchtigen Ammoniums aussezte, und dann das uͤberschuͤssige Ammonium nach und nach durch bloßes Aussezen an die atmosphaͤrische Luft entweichen ließ. Statt also einer waͤsserigen Aufloͤsung des zukerartigen Stoffes fluͤchtiges Alkali zuzusezen, goß ich etwas fluͤssiges Ammonium in ein Staͤngelglas, und stellte auf dieses Glas eine kleine Kapsel mit solchem zukerartigen Stoffe, und stuͤrzte uͤber Glas und Kapsel eine glaͤserne Gloke. Der zukerartige Stoff ward Anfangs braun, und immer dunkler und dunkler. Des anderen Tages war er sehr gesaͤttigt rothbraun. Man nahm ihn unter der Gloke hervor. Wenn man ihn dann unmittelbar im Wasser aufloͤste, erhielt man noch immer die rothbraune Farbe. Wenn man ihn aber einige Zeit uͤber troken der atmosphaͤrischen Luft aussezte, erhielt er eine dunkel violette Farbe, und wenn man ihn dann in Wasser aufloͤste, so entwikelte er in demselben die schoͤnste roth violette Farbe, die man sehen kann, zumal wenn man einige Tropfen Alkali zusezte. Ich habe diesen Faͤrbestoff noch nicht genug studirt, um alle verschiedenen Veraͤnderungen, die er durch dieses oder jenes Reagens erleidet, zu kennen; es hat mir jedoch geschienen, daß, wenn das Ammonium zu schnell und zu heftig wirkt, die Farbe in das Rothbraune uͤbergeht; daß das Johannisbeerenroth (rouge-groseille) von einem geringeren Grade, das Violettroth (rouge-violet) von einem noch schwaͤcheren Grade abhaͤngt. Ich glaubte noch uͤberdieß zu bemerken, daß, im ersteren Falle, der Zukergeschmak gaͤnzlich zerstoͤrt ist, im lezteren aber noch etwas davon uͤbrig bleibt, d.h., ein Theil des zukerartigen Stoffes unversehrt blieb. Es ist uͤbrigens ausgemacht, daß die Luft bei allen diesen Veraͤnderungen eine große Rolle spielt. So habe ich mich z.B. wiederholter Malen uͤberzeugt, daß, ohne Beihuͤlfe der Luft, der zukerartige Stoff, so wie die Flechte selbst, keine Faͤrbung durch Ammonium erleidet. Es ist ferner eine alte, schon von Abbe Nollet gemachte und von Berthollet wiederholte, Bemerkung, daß Orseille-Tinctur in luftleerem Raume sich entfaͤrbt. Ich habe auch gesehen, daß geschwefeltes Wasserstoffgas dieselbe Wirkung hervorbringt; ich habe aber zugleich auch wahrgenommen, daß dieses sonderbare Phaͤnomen nicht die Folge einer entsaͤurenden (desoxygenirenden) Wirkung des geschwefelten Wasserstoffgases ist, sondern eine bloße, einfache Verbindung dieser Saͤure mit dem Faͤrbestoffe, indem man bloß Alkali bis zur Saͤttigung derselben zusezen darf, um die urspruͤngliche Farbe wieder herzustellen. Hr. Chevreul hat schon fruͤher dieselbe Beobachtung an dem Faͤrbestoffe des Fernambukholzes, des Campescheholzes, des Tournesols gemacht (vergl. Annales de Chimie, T. LXVI. p. 240.); lezterer ist wahrscheinlich derselbe Faͤrbestoff, mit jenem der Orseille, indem er gleichfalls aus einer Flechte bereitet wird.Dieß ist nicht ganz richtig. Der hollaͤndische Tournesol wird, nach Ferber, allerdings aus der Orseille des îles bereitet. Allein Tournefort, der die Orseille in Griechenland so genau studirte, fuͤhrt in seinen Instit. rei herbar, so wie Nissole zu Montpellier in Act. paris 1712 p. 337 t. 171 den Lackmuß-Kroton (Croton tinctoria L.) als die Pflanze auf, aus welcher der franzoͤsische Tournesol bereitet wird; er nennt diese um Montpellier wildwachsende Pflanze deutlich und bestimmt: Ricinoides, ex qua paratur Tournesol Gallorum.A. d. Ue. Waͤhrend der Zeit, als ich mich mit diesen Untersuchungen beschaͤftigte, und ehe ich noch wußte, was dieser Faͤrbestoff war, versuchte ich denselben unmittelbar aus einer Ammonium-Tinctur abzuscheiden, welche mit dieser Variolaria bereitet wurde, damit ich dieses Produkt mit den uͤbrigen erhaltenen Produkten vergleichen koͤnnte. Das erste Mittel, welches sich hierzu auf eine natuͤrliche Weise darbot, war die Saͤttigung dieser Tinctur mit einer schwachen Saͤure. Wirklich bildete sich ein ziemlich bedeutender Niederschlag, und die Fluͤssigkeit wurde sehr merklich, jedoch unvollkommen entfaͤrbt. Dieser Niederschlag, auf einem Filtrum gesammelt und gut ausgewaschen, loͤst sich neuerdings in Alkali auf, und entwikelt in der Aufloͤsung eine reiche Farbe. Wenn er aber der Einwirkung der Hize ausgesezt wird, so verkohlt sich der Faͤrbestoff schnell, und verbreitet einen widerlichen Geruch. Da keines der anderen Produkte diese Eigenschaften besaß, so blieb ich uͤberzeugt, daß ich den wahren Farbestoff noch nicht gefunden habe; als ich spaͤter einsah, daß der zukerartige Stoff die Basis desselben bildet, wiederholte ich denselben Versuch mit demselben Stoffe, nachdem derselbe in Faͤrbestoff verwandelt war, und sah wirklich, daß er durch einige zugesezte Tropfen Essigsaͤure großen Theils aus seiner waͤsserigen Aufloͤsung niedergeschlagen wurde, und daß dieser Niederschlag keinen Zukergeschmak mehr besaß. Man wird leicht einsehen, daß gegenwaͤrtige Arbeit nur als ein erster, noch sehr unvollkommener Versuch zu betrachten ist; man wird aber auch ohne Zweifel finden, daß, ungeachtet noch sehr viel hier zu thun ist, ich bereits eine ziemlich große Menge von Thatsachen gesammelt habe, die, zusammengenommen, einiges Interesse darbieten. Wenn ich mich nicht taͤusche, so verdiente dieser sonderbare Faͤrbestoff schon fuͤr sich allein unsere Aufmerksamkeit zu beschaͤftigen. Ich kenne kein Analogon desselben; es laͤßt sich vermuthen, daß der Zukergeschmak desselben mehr denn einen Mißgriff veranlaßt haben kann. Man hat bereits mehr denn ein Mal die Gegenwart eines zukerartigen Stoffes in den Flechten dargethan, und es ist sehr wahrscheinlich, daß einige derselben einen aͤhnlichen Farbestoff, wie diese Flechte, enthalten. Es sind neue Versuche nothwendig, wenn wir uns uͤber diesen Gegenstand die gehoͤrige Aufklaͤrung verschaffen wollen;Malo academiam ruminantem, sagte Bacon, quam quae nova detegat. Es wissen vielleicht wenige unserer Leser mehr, daß die Akademie zu Lyon vor bald fuͤnfzig Jahren eine Preisaufgabe uͤber den Nuzen der Flechten stellte, und daß ein Bayer, Georg Franz Hoffmann (ehemals Professor zu Erlangen, spaͤter zu Goͤttingen, endlich zu Moskau, wo er in dem großen Brande Alles verlor) den Preis errang. Die. Preisschrift ist: G. F. Hoffmann de vario lichenum usu. 4. Erlang. 1786. Sie wurde auch zu Lyon zugleich mit den Abhandlungen der HHrn. Amoureux fils und Willemet (Mémoires sur l'utilite des Lichens. 8. Lyon 1787) gedrukt. Der treffliche alte Schwede Westring hat schon vor 50 Jahren auf die Flechten als Faͤrbematerialien aufmerksam gemacht. Die Chemie hat zeither solche Fortschritte gethan, daß es hoch an der Zeit waͤre, Westring's und anderer schwedischer Naturhistoriker aͤltere Versuche einer muen Pruͤfung zu unterziehen: man wuͤrde auf schoͤne Resultate gelangen.A. d. Ue. indessen muͤssen wir, um die Gegenwart desselben in den Flechten, welche die Orseille liefern, zu beurkunden, ihn mit einem Namen bezeichnen, welcher seinen Ursprung andeutet. Ich wuͤrde den Namen Orcine vorschlagen; es waͤre vielleicht natuͤrlicher gewesen, denselben Variolarine zu nennen, weil ich ihn in einer Variolaria fand; allein, abgesehen, daß dieser Name zu lang ist, gewaͤhrt er auch nicht den Vortheil so bestimmt, wie der Name Orcine, an den wichtigsten und bekanntesten Faͤrbestoff der Flechten, an die Orseille, zu erinnern. Ueberdieß ist Variolaria dealbata Dec. nichts anderes, als Lichen Orcina, und wir koͤnnen diese Synonyme benuͤzen.Diese Synonyme ist aber außer Frankreich nirgendwo bekannt. Da fast alle Flechten denselben zukerartigen Farbestoff besizen, der, mit verschiedenen Reagentien behandelt, verschiedene Farben gibt (wie es beinahe bei jedem Faͤrbestoffe der Fall ist); so koͤnnte man ihn vielleicht fuͤglicher Lichenine nennen.A. d. Ue. Ein anderes Produkt, welches gleichfalls mit einem besonderen Namen bezeichnet zu werden verdient, ist jener weiße krystallinische Stoff, den. man aus dem geistigen Extrakte mittelst des Aethers erhaͤlt. Dieser Stoff besizt mehrere Eigenschaften, welche ihn von jedem anderen bekannten Stoffe unterscheiden. So bietet er, z.B., außer seiner großen Aufloͤsbarkeit im Alkohol und Aether, eine merkwuͤrdige Eigenschaft an einem trokenen und krystallinischen Stoffe dar, naͤmlich diese, durch Destillation eine Art wesentlichen Oehles zu liefern, und sich gaͤnzlich zu verfluͤchtigen. Da dieser Stoff noch uͤberdieß vollkommen neutral ist, so schlage ich den Namen Variolarin fuͤr dieselbe vor. Hier hat die Lange des Namens nichts zu bedeuten, weil es sich um einen Stoff handelt, der weniger nuͤzlich und weniger gesucht ist, als die Orcine. Wir wollen nun noch sehen, ob diese ersten Resultate, so unvollkommen sie auch sind, irgend eine nuͤzliche Anwendung in der Fabrikation der Orseille erlauben: dieß wollen wir nun noch in Folgendem untersuchen. Wir haben oben bereits gesagt, daß die Fabrikation der Orseille, wenigstens nach demjenigen zu urtheilen, was uͤber dieselbe bisher bekannt gemacht wurde, dem Schlendrian, der Empirie uͤberlassen ist. Das Verfahren, welches beinahe allgemein bei derselben befolgt wird, ist noch immer dasjenige, welches Hr. Cocq beschrieben hat. Man muß indessen gestehen, daß, seit einigen Jahren, mehrere Fabrikanten den guten Rath benuͤzt zu haben scheinen, welchen dieser treffliche Beobachter in seiner lehrreichen Abhandlung ihnen ertheilt hat, und namentlich den Rath, Ammonium Statt des Harnes zu brauchen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die HHrn. J. M. Bourger zu Lyon und Huilard zu Paris die Verbesserung ihrer Fabrikate dieser Anwendung des Ammoniums verdanken. Es ist nach demjenigen, was wir uͤber die Natur und uͤber die Eigenschaften der Orcine gesagt haben, offenbar, daß es sich nicht bloß um Beseitigung der fettigen und harzigen Stoffe handelt, die die Oberflaͤche der Flechte, wie ein Firniß uͤberziehen und dieselbe beinahe undurchdringlich machen, wenn man den Farbestoff der Flechten entwikeln will, sondern auch um die Einwirkung des Alkalis und sodann der Luft. Wie verfaͤhrt man nun aber bei der alten herkoͤmmlichen Methode? Man mengt vorlaͤufig, sagt Hr. Cocq, die Flechten mit dem Harne; man ruͤhrt die Mischung von drei Stunden zu drei Stunden unter einander, und schließt in der Zwischenzeit die Kufen sorgfaͤltig zu. Nachdem man drei Tage lang Harn und Flechte auf einander ein- und gegenwirken ließ, sezt man, mit der Vorsicht, die diese Koͤrper fordern, Kalk, Arsenikoxyd und Alaun zu, und faͤngt dann wieder an umzuruͤhren, jedoch in kuͤrzeren Zwischenraͤumen, und, wenn die Temperatur der Jahreszeit eine lebhafte Ein- und Gegenwirkung veranlaͤßt, muß man beinahe alle Viertelstunden umruͤhren, um eine Art von Rinde zu durchbrechen, die sich an der Oberflaͤche bildet, die ganze Masse einhuͤllt, und die, wenn sie sich verdichtete, das Fortschreiten der Arbeit erschweren wuͤrde. Nach demjenigen zu urtheilen, was wir jezt uͤber diesen Gegenstand wissen, ist es wahrscheinlich, daß einige unter den bei diesem alten Verfahren angewendeten Mitteln geradezu schaͤdlich sind, und daß der Nuzen der uͤbrigen nur hoͤchst mittelbar ist. Es ist z.B. offenbar, daß der Kalk nur zur Entwikelung des Ammoniums dient, und da man nothwendig eine große Menge uͤberschuͤssigen Kalkes nehmen muß, so kann dieser Ueberschuß leicht schaͤdlich werden. Auf der anderen Seite wird der Alaun durch das Alkali des Harnes zersezt, und laͤßt die Thonerde fahren: die Kalkerde und die Thonerde vermehrt dann nicht bloß das Gewicht der Orseille zum Nachtheile des Kaͤufers, sondern verschlingt auch einen großen Theil des kostbaren Faͤrbestoffes, der darin gaͤnzlich verloren geht. Alle diese Nachtheile verschwinden, wenn man Ammonium Statt des Harnes anwendet, wodurch vielleicht der Kalk ganz entbehrlich wird, und wahrscheinlich auch der Alaun und der Arsenik. Diese beiden lezten scheinen uns bloß dazu bestimmt, die Nachtheile zu beseitigen, die der Harn hervorbringt. Diese Auswurfsfluͤssigkeit enthaͤlt, wie man weiß, stikstoffhaltige, der Faͤulniß faͤhige Stoffe, die die ganze organische vegetabilische Masse schnell in ihrer Zersezung mit sich fortreißen wuͤrden, wenn man nicht ein Mittel dagegen aufstellte; die Rolle dieses Mittels spielt, nach unserem Dafuͤrhalten, der Arsenik und ein Theil des Alaunes. Und selbst diese Koͤrper schuͤzen nicht immer genug gegen Faͤulniß; denn man ist oͤfters gezwungen, wo man derselben vorbeugen oder wo man sie aufhalten will, der bereiteten Orseille etwas rothes Queksilberoxyd zuzusezen, welches, wie man weiß, noch in einem weit hoͤheren Grade faͤulnißwidrige Eigenschaften besizt. Kann aber das Ammonium allein alle diese Beimischungen zur Orseille ersezen? Ich bin nicht im Stande dieß behaupten zu koͤnnen; ich bin aber beinahe davon uͤberzeugt, und meine Gruͤnde dafuͤr sind folgende. Ich ließ eine gewisse Menge dieser Flechte in verduͤnntem Ammonium weichen, und erhielt, nachdem sie mehrere Tage lang eingeweicht war, eine Tinctur, die sehr schoͤn karmesinroth war. Ich muß indessen gestehen, daß die Flechte nicht so schoͤn karmesinroth ward, als ich dieselbe befeuchtet den Daͤmpfen des fluͤchtigen Alkali aussezte; ich erhielt auf diese leztere Weise, so wie es bei dem zukerartigen Stoffe der Fall war, nur ein Rothbraun, und ich konnte auch durch sorgfaͤltiges Troknen diese Farbe nicht veraͤndern. Indessen bin ich uͤberzeugt, daß der schlechte Erfolg, den ich hatte, einzig und allein von einem Fehler in der Behandlung abhaͤngt, und ich bin um so mehr geneigt, dieß zu glauben, als ich mit Sicherheit weiß, daß diejenigen, welche ihre Orseille mit Ammonium bereiten, gleichfalls in ihrer Arbeit nicht immer gleichen Erfolg erhalten. Ich weiß auch, daß sie diesen Wechsel der ungleichen Beschaffenheit des Ammoniums zuschreiben; es ist aber noch weit wahrscheinlicher, daß diese Unfaͤlle von Umstaͤnden abhaͤngen, die sie nicht gehoͤrig zu wuͤrdigen wissen. Um nur ein einziges Beispiel hiervon anzugeben, will ich hier bemerken, daß, waͤhrend ich ein Mal aus einer Flechte, die ich in alkalisirtem Wasser macerirte, eine Tinctur von sehr reicher karmesinrother Farbe erhielt, ich, bei demselben Versuche, mit denselben Materialien und zu derselben Zeit, nur eine dunkelbraunrothe Fluͤssigkeit bekam, ohne daß ich, im Stande war, die Ursache dieses Unterschiedes aufzufinden. Ich bemerkte bloß, daß das Gefaͤß, welches die lezte Fluͤssigkeit enthielt, besser gestoͤpselt war, und daß mehr Fluͤssigkeit die Flechte bedekte. Es ist uͤbrigens gewiß, wie ich bereits bemerkte, daß die Luft eine große Rolle bei der Orseillebereitung spielt, und daß, ohne dieselbe, die Orcine gar keine Farbe erhaͤlt. Man ist also, auf der einen Seite, gezwungen, dieselbe in geschlossenen Gefaͤßen zu behandeln, indem sonst das Ammonium sich verstuͤchtigen und nicht auf die Flechte wirken wuͤrde; auf der anderen Seite ist es unerlaͤßlich, von Zeit zu Zeit der Luft Zutritt zu verschaffen, damit sie auf den durch das Alkali bereits modificirten Farbestoff wirken kann; wahrscheinlich muß hier zwischen diesen auf einander folgenden Einfluͤssen ein gehoͤriges Verhaͤltniß beobachtet werden, in welchem der ganze sogenannte schwierige Punkt, der sogenannte Handgriff des Fabrikanten gelegen ist. Was uns berechtigt anzunehmen, daß das, was man heute zu Tage gereinigte Land-Orseille, oder violette Orseille nennt, (Orseille de terre épurée, orseille violette), welche troken und in Pulverform verkauft wird (und die in der Faͤrberei eben dasjenige leistet, was die Orseille aus den canarischen Inseln), nur mit Beihuͤlfe des Ammoniums allein bereitet wird, ist dieses, daß sie durchaus kein zerfließendes Salz enthaͤlt, wie dieß nothwendig jedes Mal der Fall seyn muß, wo man Harn und Kalk anwendet, und daß sie keinen der Faͤulniß faͤhigen Stoff zu enthalten scheint, indem sie sich unveraͤndert und ohne uͤblen Geruch aufbewahren laͤßt. Es scheint mir also, daß, wenn man den Faͤrbestoff aus den Orseilleflechten auf eine schikliche Weise ausziehen, d.h. aus den fettigen und harzigen Stoffen, in welchen er begraben liegt, so zu sagen zu Tage foͤrdern will, die gleichzeitige Beihuͤlfe des Wassers, der Luft und des Ammoniums nothwendig ist. Lezteres dient nicht bloß zur Faͤrbung der Orcine, sondern bildet auch mit dem Ueberzuge, der die Flechte umkleidet und sie undurchdringlich macht, noch eine Art Seife. Es hat, bei dieser Arbeit, nach meiner Ansicht, keine Gaͤhrung Statt, wie man behauptet hat: alles beschraͤnkt sich bloß auf Ein- und Gegenwirkung der oben angezeigten Reagentien, welche Ein- und Gegenwirkung natuͤrlich dort schneller und staͤrker sich zeigt, wo die Temperatur der Atmosphaͤre mehr erhoͤht ist.