Titel: Wie Landwirthschaft und Industrie zu Capitalien gelangen, und Staatsschulden getilgt werden können.
Autor: E. E.
Fundstelle: Band 37, Jahrgang 1830, Nr. LXXX., S. 297
Download: XML
LXXX. Wie Landwirthschaft und Industrie zu Capitalien gelangen, und Staatsschulden getilgt werden koͤnnen. Aus einem Schreiben an den Herausgeber. Ueber Tilgung der Staatsschulden. **** 1. August 1830. E. E. Ich fand in Ihrem Journale Bd. XXXVI. S. 417. eine Stelle, die mich, so alt ich bereits geworden bin, etwas elektrisirte. Einer Ihrer Correspondenten sagt a. a. O. „der Staat koͤnnte sich auf Subscription leicht, sehr leicht regieren – derjenige Staat, welcher zuerst auf Subscription regiert wird, wird sicher derjenige seyn, der unter allen der gluͤklichste ist; der, wenn man so sagen darf, recht con amore besteht; der im Frieden nicht das Heer der Schreiber und im Kriege kein Heer der Feinde zu furchten hat.“ Ich habe lang genug gelebt um zu begreifen, wie man diese Idee fuͤr bare Narrheit erklaͤren kann: indessen glaube ich nicht, daß an mir noch oͤfters, als es bereits geschehen ist, das Sprichwort wahr werden soll, daß Ein Narr zehn aͤndere macht, wenn ich Ihrem Correspondenten vollkommen beistimme. Ich habe seine Idee von allen Seiten erwogen und gepruͤft, und ich finde nicht, daß sie so naͤrrisch ist, wie sie aussieht. Da man indessen von keiner Idee, die in das leben eingreifen soll, den wahren Werth bestimmen kann, ehe man die Ausfuͤhrung derselben versuchte; da bei jedem Versuche, den man unternimmt, das Resultat am sichersten und schnellsten erlangt wird, wenn man mit dem Maximum beginnt, und nicht mit Halbheiten und Minimen Zeit und Geld verliert; so will ich den Versuch versuchen, meinen Zeitgenossen in meinem Vaterlande den Puls zu greifen, um zu sehen, wie viel noch Bayer alten Schrot und Kornes in Bayern leben; in wie vielen derselben noch heute zu Tage einige Troͤpfchen Blutes derjenigen Bojen wallen, die bereits durch mehr als zwei Jahrtausende, in den haͤrtesten Unfaͤllen, die irgend ein Volk treffen konnten, erwiesen haben, wie richtig der große Geschichtschreiber ihrer Feinde sie mit sechs Worten schilderte: GENS MINIME OB MORAE TAEDIVM PATIENS.Livius hist. l. XXXIII. 22. c. Die Klage, daß es an Geld, an Capitalien fuͤr die Landwirthschaft, wie fuͤr die Industrie fehlt, ist jezt lauter, als sie vor 2000 Jahren nach unserer Niederlage bei Felsina (Bologna) von Marcellus gewesen seyn mag. Wo der Staat in Anspruch genommen wird um Steuernachlaß, wird auf eine Schuldenlast von 123 Millionen, 377,673 fl. hingewiesen, die auf einem Haͤufchen von 4 Millionen Menschen ruht. Diese Staatsschuld ist es, an welcher nicht bloß die Masse des Volkes mit feinem Regenten an der Spize, sondern jedes einzelne Individuum, der Bettler so gut, wie der Fuͤrst, leidet; wodurch jede Unternehmung bei dem Privatmann, jede Unterstuͤzung derselben von Seite der Regierung wenn nicht gelahmt, doch so beengt wird, daß jede Erwartung eines vollgelungenen Resultates zum eitlen Traume werden muß. 123',377,673 fl. Schulden, und nur 32',434,343 fl. jaͤhrlicher Einnahme! Beinahe vier Mal so viel Schulden als Einnahme! Beinahe 5 Millionen, beinahe den sechsten Theil der Einnahme an Interessen jaͤhrlich bezahlen muͤssen! Wie lang kann eine große Fabrik, ein großes Handlungshaus bei einem solchen Soll bestehen, wenn es, gegen die Ereignisse der Zeit geschuͤzt, als solides Haus da stehen soll? Wird ein verstaͤndiger und ehrlicher Fabrikant oder Handelsmann bei einem solchen Stande seines Hauptbuches sich auch nur frei bewegen koͤnnen in seinen Geschaͤften, Statt daß er zugreifen koͤnnte an großen Unternehmungen, und sein Haus dadurch emporheben? Es gehoͤrt viele Klugheit, viel Fleiß und auch viele Gewandtheit dazu, daß er, bei einem solchen Stande seiner Actien, sein Haus auch nur so zu erhalten vermag, daß es stehe. Stehen ist aber im Frieden, wie im Kriege, ein Ruͤkwaͤrtsschreiten, wenn unsere Freunde oder Feinde vorwaͤrts schreiten, waͤhrend wir stille stehen. Die ganze Fabrik- und Handels-Welt erstaunt uͤber die Fortschritte, die ein Haus, das keine Creditoren auf seinem Naken hat, mit einem Capitale von einigen Hunderttausenden mitten unter Millionaͤren macht, von welchen man die Passiva kennt. Kleine schuldenfreie Haͤuser haben Millionaͤre uͤbereilt, und am Ende gestuͤrzt. Es ist mit Staaten um kein Haar besser. Europa und der Erdball erstaunt uͤber die Riesenforts schritte der Vereinigten Staaten N. Amerikas, die, kaum ein Menschenalter alt, jezt schon beinahe ganz schuldenfrei da stehen. Man bewegt sich ganz anders in der Welt, wenn man auch bei kleinem Vermoͤgen, Niemanden einen Heller schuldet, als wenn man, selbst bei großem Vermoͤgen, einen guten Theil des Capitales, mit welchem man Geschaͤfte macht, nicht sein freies Eigenthum nennen darf. Je mehr man Schulden hat, desto weniger ist man werth; und aller Werth ist dahin, wo man eben so viel fremdes Eigenthum besizt, als eigenes. Der Fabrikant, der Kaufmann, der mit Schulden arbeitet, ist indessen, so ungluͤklich er auch ist und so gefahrvoll seine Lage dabei auch immer seyn mag, weit gluͤklicher daran, als jeder Staat, bei welchem die Schuldenlast auch nur die Hoͤhe einer Jahreseinnahme uͤbersteigt. Der Fabrikant, der Handelsmann bedarf, wenn seine Passiva auch an Millionen reichen, darob nicht eines einzigen Schreibers mehr in seinem Comptoir; er dekt seine Schulden durch den Lauf seiner Geschaͤfte, die er gewoͤhnlich desto hoͤher zu treiben sucht, je mehr er Schulden hat, bis er endlich faͤllt. Bei dem Staate hingegen ist ein Schuldentilgungsfond nothwendig, und zu diesem kommt, wie Raben zum Aase und Wolken von Schmeißfliegen zu alten Krebsschaden, sehr bald ein ganzes Heer von Schreibern, deren jaͤhrlicher Unterhalt nicht selten die ganze Summe verschlingt, um welche es, bei aller Sparsamkeit, in einem Jahre moͤglich war, die Staatsschuld zu vermindern. Es entsteht eine Wirtschaft im Staatshaushalte, die nicht unaͤhnlich derjenigen ist, welche man in verschuldeten Haͤusern der Privaten sieht: es wird ein Loch aufgerissen, um ein anderes dadurch zuzustopfen; es wird nach Contis, Statt nach barer Bezahlung gearbeitet, und zwei bis drei Mal mehr aufgeschrieben, als gearbeitet wurde, wie es beinahe uͤberall der Fall ist, wo man à Conto arbeiten laͤßt; und wenn es ein unerhoͤrt seltener Fall ist, daß der Buchhalter eines Hauses, das zu Grunde ging, zugleich mit dem Hause zu Grunde geht; wenn es haͤufiger der Fall ist, daß der Verwalter eines Landgutes, dessen Besizer auf die Gant gerieth, das Gut fuͤr sich selbst kauft; so darf man sich nicht wundern in denjenigen Staaten die reichsten Finanzbeamten zu finden, wo die Finanzen am schlechtesten bestellt sind. Die neueste Geschichte vieler Staaten liefert die sprechendsten Beweise fuͤr diese traurige Wahrheit. Wenn man nun die Staatsschuld als den Krebs betrachten muß, der nicht bloß am Marke des Staates, sondern an dem Fleische eines jeden einzelnen Buͤrgers nagt; der die herrlichsten Unternehmungen im Keime erstikt und die kraftvollsten Ausfuͤhrungen laͤhmt; so entsteht die Frage: gibt es kein Mittel, diesem Nationalschaden und dieser Nationalschande abzuhelfen? Wenn es Menschen gibt, denen die Ehre und das Wohl ihres Vaterlandes mehr werth ist, als eine geringe Entbehrung kleiner eitler Genuͤsse; so scheint dieses Mittel in der Hand eines jeden Buͤrgers zu liegen, oder vielmehr in dem Herzen eines jeden Buͤrgers, wenn es seinem Vaterlande nicht entfremdet wurde. Waͤre, um hier nur in runden Zahlen zu rechnen, von den 4 Millionen Bayern jedes Individuum im Stande 30 fl. zu bezahlen, so waren die 123 Millionen in der Stunde getilgt, wo diese Summe zusammengeschossen und auf den Altar des Vaterlandes gelegt wuͤrde. Wir wollen nicht sagen, daß dieß auch dann noch moͤglich waͤre, wann, von derjenigen Classe von Buͤrgern an gerechnet, welche jaͤhrlich eine Einnahme von 1000 fl. beziehen (die also leicht 3 p. C. entbehren koͤnnen), die reicheren in demselben Verhaͤltnisse mehr beitruͤgen, als sie mehr Einkommen besizen. Wir wollen annehmen, daß unter den 4 Millionen bayerscher Buͤrger nur Einer unter 25 Einkommen, Vaterlandsliebe und Selbstverlaͤugnung genug besaͤße, um dem Vaterlande, um der aͤrmsten Classe seiner Mitbuͤrger, auf welcher vorzuͤglich die Schuldensteuer von 5 Millionen lastet, eine Spende nur von 30 fl. jaͤhrlich darzubringen, so waͤre die Schuld von 123 Millionen durch 161,480 bayersche Buͤrger in 25 Jahren rein abgetragen. Ist es nun erlaubt zu zweifeln, daß es unter 4 Millionen Bayern auch nur 161,480 Buͤrger gibt, deren jeder 30 Gulden im Jahre zu dem wohlthaͤtigsten Zweke, den ein Buͤrger vor Augen haben kann, zu entuͤbrigen und zu verwenden pecuniaͤres und moralisches Vermoͤgen genug hat? Wenn wir sehen, daß man in Irland, in Frankreich, in Belgien in wenigen Tagen Millionen zum Untergange und zum Verderben des Landes zusammenzuschießen sich beeilen kann; sollte man nicht annehmen duͤrfen, daß gute Buͤrger eben so viel der Erhaltung ihres Vaterlandes opfern koͤnnen, als schlechte dem Untergange desselben? Wie leicht sind nicht 30 Gulden des Jahres erspart! Und wenn auch gar kein Sinn fuͤr Gutes, Wahres und Schoͤnes mehr unter dem Volke waͤre; wenn alle Vaterlandsliebe verbannt, alles Mitleid mit dem aͤrmeren Mitbuͤrger verloschen, alles Gefuͤhl fuͤr die Schande, einem uͤber und uͤber verschuldeten Volke anzugehoͤren, das nie mehr seine Kraͤfte zu entwikeln im Stande ist, und sich wie ein Stein bald in diese, bald in jene Wagschale werfen zu lassen gezwungen ist, je nachdem man rechts oder links den Ausschlag geben will; wenn bloß die Rechentafel Statt des Herzens, und Procentos Statt der Pulsschlaͤge unser buͤrgerliches Leben unterhalten duͤrften; so forderte es selbst dieses Rechnungsprincip, sich so bald als moͤglich dieser Schuldenlast zu befreien: man erhielte hier fuͤr 30 fl. jaͤhrlich 1 4/5 fl., also beinahe 6 p. C. Interesse; denn mit 1 4/5 fl. muß gegenwaͤrtig jeder Buͤrger seinen Antheil an den 5 Millionen Interessen jaͤhrlich bezahlen. Wenn die Vorsteher einer jeden Gemeinde eines Dorfes ihre wohlhabenderen Grundbesizer, die Magistrate in den Maͤrkten und Staͤdten ihre Buͤrger auf die Vortheile, auf die Notwendigkeit eines solchen Vereines der Freunde des Vaterlandes aufmerksam machen wuͤrden; wenn die Seelsorger auf dem Lande, die Beamten in den Staͤdten mit einem guten Beispiele vorgingen; wenn die Regierung die patriotischen Absichten dieses Vereines foͤrderte und demselben die Huͤlfsmittel zur Ausfuͤhrung erleichterte; so wuͤrde die Zahl der Mitglieder des Vereines der Freunde des Vatersandes, und die Summe der Beitraͤge derselben sehr bald die oben aufgestellten Berechnungen uͤbersteigen. Die Namen der Freunde des Vaterlandes, die dasselbe aus den Schlingen des gefaͤhrlichsten seiner Feinde zu befreien wußten, wuͤrden nicht die weniger ehrenvollen seyn in den Annalen des bayerschen Volkes, das, gewohnt sein Leben freudig dem Vaterlande zu weihen, den Aufwand eines kleinen Suͤmmchens wohl nicht mehr scheuen wird, als den Tod. Es ist kein Zweifel, daß benachbarte Voͤlker sich beeilen werden, dem Beispiele der Vaterlandsliebe nachzueifern, welches das bayersche Volk zuerst auf eine eben so lautere als wohlberechnete Weise gegeben haͤtte, wenn es auf diese Weise seine Staatsschuld tilgte; es ist vielmehr zu besorgen, daß andere Voͤlker, von der Zwekmaͤßigkeit der Subscriptionen zur Abhuͤlfe der Lasten, die auf ihr Vaterland druͤken, taͤglich mehr und mehr uͤberzeugt, Bayern in Ausfuͤhrung dieses Rettungsplanes zuvorkommen duͤrften.Waͤhrend in Bayern nur der fuͤnf und zwanzigste Mensch taͤglich 5 kr. zuruͤklegen (eine Maß Bier sich abbrechen) darf, um mit 30 fl. des Jahres sein Vaterland, (sein Haus!) ganz schuldenfrei zu sehen vor allen Voͤlkern der Erde, brauchte der fuͤnf und zwanzigste Mensch in Wuͤrtemberg, wo die Finanzen besser administrirt wurden, und nur 17 fl. Staatsschulden auf den Kopf kommen, nur etwas mehr als 16 fl. des Jahres, kaum taͤglich einen Groschen, zu sparen, um dieselbe Freude mit dem Bayer zu theilen. Spart er so viel wie der Bayer, so kommt er um 12 Jahre ehe an's Ziel. Es ist nicht wahrscheinlich, daß irgend ein Buͤrger, vielweniger ein Staatsmann, jener Ansicht huldigen wird, die ein Weiser im Scherze aufstellte, und die einige Thoren im Ernste nahmen: daß der Reichthum und Wohlstand des Staates desto groͤßer ist, je groͤßer die Summe seiner Schulden ist. Es ist noch unwahrscheinlicher, daß, wie einige besorgen wollen, die Finanzverwaltungen mancher Staaten sich der Einloͤsung der Staatsschulden durch ihre Buͤrger widersezen wurden, indem die Bureaukratie dadurch den nervus rerum gerendarum aus ihren Haͤnden verloͤre, und die Staatsschuld nur ein Popanz waͤre, mit welchem man das Volk schreken und laͤhmen zu muͤssen glaubt. Sollte indessen diese leztere hohe Unwahrscheinlichkeit wirklich reine Wahrheit seyn; sollte es auch noch Voͤlker geben, welche weder aufgeklaͤrt genug uͤber ihr eigenes Interesse sind, um die Zwekmaͤßigkeit, die Nothwendigkeit einzusehen, die Staatsschuld auf diese Weise zu tilgen, und die durch dieselbe in die Staatskasse gebannten Capitalien der Landwirthschaft, der Industrie zu schenken, und in freien Umlauf zu sezen; noch edel und treu genug ihrem Vaterlande ein Opfer zu bringen, das taͤglich nur 5 kr. kostet; dann mag man einer solchen Regierung und einem solchen Volke mit dem Dichter zurufen: Quid facias illi? Jubeas miserum esse, libenter Quantenus id facit; dann moͤgen solche Regierungen fuͤr ewig verdammt bleiben zu jenem Schaukelsysteme, das sie fruͤher oder spaͤter zum sicheren Sturze fuͤhrt, und solche Voͤlker fuͤr ewig verdammt bleiben, ihre Staatspapiere alle 10 Jahre arrosiren zu muͤssen, und bei jedem nothwendigen Verkaufe derselben 5–10 p. C. zu verlieren, und am Ende die Beute desjenigen zu werden, der am wenigsten fuͤr sie bietet.