Titel: Ueber Weizenmehl, von Hrn. Henry, d. Vater, Mitgliede der Akerbau-Gesellschaft.
Fundstelle: Band 38, Jahrgang 1830, Nr. LXXXI., S. 317
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LXXXI. Ueber Weizenmehl, von Hrn. Henry, d. Vater, Mitgliede der Akerbau-Gesellschaft. Auszug im Journal de Pharmacie. September. S. 535. Henry, uͤber Weizenmehl. Der beinahe allgemeine Gebrauch, den man heute zu Tage in Frankreich von Weizenmehl als Nahrungsmittel seiner Einwohner macht, bestimmte die Regierung schon oͤfters untersuchen zu lassen, ob dieses Lebensbeduͤrfniß vom ersten Range nicht mit anderen Stoffen theils von Grasarten, theils von Knollengewachsen gemengt ist, vorzuͤglich in denjenigen Zeiten, wo der hoͤhere Preis derselben den Eigennuz verfuͤhren koͤnnte Dinge beizumischen, die zwar an und fuͤr sich nicht schaͤdlich sind, die aber doch weniger Brot liefern, als das gewoͤhnliche Weizenmehl. Um den Wuͤnschen mehrerer achtbarer Personen Genuͤge zu leisten, unternahm ich eine Reihe von Versuchen, durch welche man die Reinheit des Weizenmehles pruͤfen kann. Ich will sie hier zum Besten derjenigen mittheilen, die an dem Gedeihen wohlthaͤtiger Zweke Antheil nehmen. Die Versuche der Chemiker aller Laͤnder, vorzuͤglich Beccaria's, welcher der erste die Idee hatte den Teig aus Weizenmehl zu waschen, um ihn in Staͤrkmehl und Kleber zu verwandeln, haben allgemein erwiesen, daß der gaͤhrungsfaͤhige Stoff des Getreides in diesem lezteren Stoffe gelegen ist; daß Abwesenheit oder hoͤchst geringe Menge desselben nur einen matten Koͤrper, einen sogenannten Plaz (Kloß, Knoͤdel) gibt, dem es an der Leichtigkeit und Porositaͤt des gut gegangenen Brotes fehlt. Man weiß ferner, daß ein recht ziehiger Teig aus Weizenmehl, wenn er sich selbst uͤberlassen ist, bei einer nicht sehr hohen Temperatur in eine gewisse innere Bewegung geraͤth, und eine eigene Fluͤssigkeit entwikelt, waͤhrend dieß bei angefeuchtetem Erdaͤpfelstaͤrkmehle nicht der Fall ist. Wenn man dem Teige einen Gaͤhrungsstoff zusezt, der entweder aus Vier, oder aus Gerstenabsud, oder aus einem jaͤhrenden Teige genommen ist, so geht diese Bewegung noch rascher und schneller von Statten. Wasser mit Staͤrkmehl, unter gleichen Umstaͤnden, verbunden, gewaͤhrt diese Erscheinungen nicht. Man mußte also den Kleber als Ursache dieser Gaͤhrung betrachten, und diese Ansicht ist so richtig, daß nur die Abwesenheit oder die geringe Menge desselben in gewissen Mehlarten die einzige Ursache ist, warum man kein gutes Brot aus denselben bereiten kann. Da man mich so oft ersuchte, eine Menge Mehlmuster zu analysiren, und die Verhaͤltnisse der Bestandtheile derselben anzugeben, so erstaunte ich uͤber die Unterschiede, die zwischen denselben Statt hatten, und glaubte die Ursache dieser Verschiedenheiten in den verschiedenen Verhaͤltnissen des Erdaͤpfelstaͤrkmehles und Weizenmehles zu finden. Das Verfahren, welches man bei den Analysen verfaͤlschter Mehlarten anzuwenden hat, ist aber sehr langweilig und schwierig, wenn man nicht in aͤhnlichen Arbeiten tuͤchtig eingeuͤbt ist. Es war daher nothwendig auf ein Mittel zu denken, durch welches jeder auf die leichteste Weise und schnell, in wenigen Augenbliken, bestimmen kann, ob irgend ein Mehl Starkmehl enthaͤlt; denn man weiß seit langer Zeit, daß der Kleber nicht immer in demselben Verhaͤltnisse vorkommt, und daß er von einem Fuͤnftel bis zu einem Drittel spielt. Die Chemiker wissen ferner, daß Weizenmehl sich veraͤndert und verdirbt, wenn man es in heißen und feuchten Magazinen aufbewahrt, und es nicht gehoͤrig umkehrt und der Einwirkung der atmosphaͤrischen Luft aussezt. Sie wie das Mehl sich erhizt, bekommt es einen Geruch, und faͤngt dann an in eine Art von Gaͤhrung zu gerathen; es faͤngt an seine gaͤhrende Eigenschaft zu verlieren, oder es gibt nur aͤußerst geringe Mengen von Kleber, welche weder Zaͤhigkeit noch Consistenz besizen, und die man bei aller moͤglichen Sorgfalt um sie herauszuschaffen nicht zusammenbringen, nicht einander naͤhern kann. Fourcroy, der das Verfahren den Kleber auszuziehen sehr gut beschrieben hat, sagt daher mit Recht in seinem trefflichen Werke: „diese so einfache und so leichte Arbeit wird eine strenge Probe fuͤr die Guͤte, die Eigenschaft, den schlechten oder guten Zustand dieses nuͤzlichen Materiales.“ Diese Betrachtungen bestimmten mich, einen anderen Weg einzuschlagen: ich will das Verfahren angeben, dessen ich mich bedienen zu muͤssen glaubte. Seit einiger Zeit pflegen die Mehlhaͤndler dem Weizenmehle bis auf ein Fuͤnftel Staͤrkmehl zuzusezen. Eine groͤßere Menge von lezterem wuͤrde, dem Mehle zugesezt, keinen großen Gewinn gewaͤhren: fuͤr die Brotbereitung selbst und fuͤr den Ertrag an Brot wuͤrde sie nur ein hoͤchst schwaches Resultat liefern. Was die Beimischung einer zu großen Menge Staͤrkmehles zu dem Mehle hindert, ist der Umstand, daß das Staͤrkmehl, kalt, sich mit dem Wasser nicht so verbinden laͤßt, und dasselbe nicht so behaͤlt, wie das Mehl, welches einen zaͤhen, elastischen Teig mit demselben bildet, der dann bald in Gaͤhrung uͤbergeht. Um zu sehen, ob ein Mehl mit Erdaͤpfelstaͤrkmehl gemengt ist, und in welchem Verhaͤltnisse man noch von lezterem zusezen koͤnnte, bediente ich mich folgenden Mittels, welches man leicht uͤberall anwenden kann. Wir ließen das Mehl aus vollkommen reinem Getreide bereiten. Unser College, Hr. Darblay, ein sehr ausgezeichneter und unterrichteter Kaufmann, hatte die Gefaͤlligkeit mich mit seinen Einsichten und Kenntnissen zu unterstuͤzen. Er ließ unter unseren Augen Weizenmehl bereiten, das vollkommen rein und frei von aller fremdartigen Beimischung war, und ihm und seiner gefaͤlligen Sorgfalt verdanken wir die Aufklaͤrung, die wir hieruͤber erhielten. Das von Hrn. Darblay bereitete und von uns gemeinschaftlich untersuchte, auf dieselbe Weise behandelte, Mehl gab folgende Resultate: Mehl aus der Central-Apotheke gab in 100 Theilen           Staͤrkmehl       86;           Trokenen Kleber    11,4;           Schleimzukerstoff         2;           Eiweißstoff oder gummi-klebrigen Stoff (substance gommo- glutineuse de Vauquelin)     0,6; ––––– 100,0 Die Farbe war gelblich weiß. Mehl von Hrn. Darblay.           Staͤrkmehl    86;           Trokenen Kleber 11,3;           Schleimzukerstoff      2;           Eiweißstoff oder gummi-klebriger Stoff   0,6;           Verlust   0,1; ––––– 100. Der kleine Unterschied im Kleber haͤngt ohne Zweifel vom Troknen ab, welches oͤfters, zumal wo man mit kleinen Massen zu thun hat, sich nur sehr schwer auf eine gleichfoͤrmige Art reguliren laͤßt. Ich will hier nicht eine Analyse geben, welche alle Bestandtheile des Mehles darstellt; ich vernachlaͤssigte die phosphorsauren und die uͤbrigen Salze, die sich in demselben befinden, und mit welchen Hr. Vauquelin sich mit der ihm eigenen Genauigkeit beschaͤftigte. Ich wollte aber doch sehen, ob diese Mehlsorten nicht besondere Kennzeichen darboͤten, die man mit freiem Auge wahrnehmen koͤnnte, und brachte sie daher auf gefaͤrbtem Papiere in die Sonne: wir konnten keine glaͤnzenden Punkte unterscheiden. Wenn man sich des Vergroͤßerungsglases bedient, so bemerkt man hier und da einige glaͤnzende Kuͤgelchen, welche ohne Zweifel der Zusammenhaͤufung mehrerer Mehlmolekeln zuzuschreiben sind. Zwei Theile Mehl und ein Theil Wasser gaben einen zaͤhen elastischen Teig, welcher, nachdem er drei Stunden lang der Luft ausgesezt war, alle seine Eigenschaften fort beibehielt. Nach 12 Stunden bekam der Teig außen eine Rinde, in seinem Inneren behielt er jedoch seine vollkommene Elasticitaͤt. Aus Obigem ergibt sich nun deutlich, daß beide oben angefuͤhrte Mehlsorten vollkommen einerlei sind. Um nun auf eine genaue Weise zu bestimmen, wie viel man Staͤrkmehl dem reinen Mehle zusezen durfte, bedienen wir uns folgender Mittel. Wir machten vier Mischungen aus Mehl und Starkmehl in folgenden Verhaͤltnissen: 1) reines Mehl   90;     Staͤrkmehl   10; –––– 100. Diese beiden Koͤrper wurden sehr genau unter einander gemengt, und zu wiederholten Malen durch ein seidenes Sieb gesiebt, um die Mischung so vollkommen als moͤglich zu machen. Die chemische Analyse gab folgendes Resultat:           Staͤrkmehl    88;           Trokenen Kleber 10,1;           Schleimzukerstoff   1,6;           Eiweißstoff oder gummi-klebrigen Stoff   0,3; ––––– 100. Die Farbe war den vorigen aͤhnlich. Man konnte bei klarem Himmel die Staͤrkmehlkuͤgelchen mit freiem Auge unterscheiden; wenn man sich aber eines Vergroͤßerungsglases bedient, so sind die Kuͤgelchen noch deutlicher. Zwei Theile dieses Mehles und ein Theil Wasser geben einen Teig, der dem vorigen vollkommen aͤhnlich ist. 2) Reines Mehl 87,5;     Staͤrkmehl 12,5. Chemische Analyse:           Staͤrkmehl   88,4;           Trokener Kleber     9,9;           Zukerstoff     1,4;           Eiweißstoff oder gummi-klebriger Stoff     0,3; –––––– 100,8. Die Farbe des Mehles war jener des vorigen aͤhnlich. Man kann die Kuͤgelchen des Erdaͤpfelmehles mit freiem Auge unterscheiden. Mittelst eines Vergroͤßerungsglases fand man die Kuͤgelchen sehr haͤufig und sehr deutlich. Dieselbe Mischung dieses Mehles mit Wasser, wie in N. 1., gab ungefaͤhr denselben Teig, nur mit dem Unterschiede, daß dieser schneller troken wurde. 3) Reines Mehl 80;     Staͤrkmehl 20. Chemische Analyse:           Staͤrkmehl   89,3;           Trokener KleberEr ist schwer zu erhalten. Man muß ihn sorgfaͤltig auf einem dichten seidenen Siebe sammeln; ohne diese Vorsicht fuͤhrt das Starkmehl bei seiner Abscheidung den Kleber fort. A. d. O.     9,1;           Zukerstoff     1,3;           Eiweißstoff oder gummi-klebriger Stoff     0,3; –––––– 100,0. Farbe: ein mattes Weiß. Man nimmt die Kugelchen des Erdaͤpfelstaͤrkmehles sehr leicht wahr, ohne eines Vergroͤßerungsglases hierzu zu beduͤrfen. Ein Teig aus diesem Mehle nach obigen Verhaͤltnissen (2 Theile Mehl, 1 Theil Wasser) besizt keine Elasticitaͤt, bricht unter den Fingern, ohne sich auszudehnen waͤhrend man ihn knetet; drei Stunden lang aufbewahrt wird er troken und pulvert sich groͤblich. Zwoͤlf Stunden spaͤter verwandelt er sich in kleine Stuͤke. 4) Reines Mehl 75;     Staͤrkmehl 25. Chemische Analyse:           StaͤrkmehlMan wird bemerken koͤnnen, daß das in den Mischungen gefundene Verhaͤltniß des Staͤrkmehles immer etwas groͤßer ist, als jenes, welches aus der Summe des Staͤrkmehles des Weizens und der Erdaͤpfel hervorgehen sollte. Dieß ruͤhrt ohne Zweifel von einer geringen Menge Feuchtigkeit her, welche nach der Operation sich darin gefunden hat. A. d. O.      90;           Trokener KleberSiehe obige Bemerkung bei N. 3. A. d. O.     8,5;           Zukerstoff     1,2;           Eiweißstoff oder gummi-klebriger Stoff     0,3; ––––– 100,0. Farbe: glaͤnzend weiß. Man sieht mit bloßem Auge alle Kuͤgelchen des Erdaͤpfelstaͤrkmehles. Dieses Mehlgemenge gibt, mit Wasser, wie oben, angeknetet, einen Teig, der leicht bricht, ohne sich auszudehnen, der sich aber, wie ein Pflaster, malaxiren laͤßt. Nach dreistuͤndiger Ruhe treten obige Erscheinungen noch schneller ein, als an dem vorhergegangenen Teige. Uebrigens verhaͤlt sich dieser Teig ganz wie der vorige. Bemerkungen. Wenn auch das Erdaͤpfelstaͤrkmehl mit dem Mehle auf dem Reibsteine abgerieben worden waͤre, so daß man weder mit dem freien Auge noch mit dem Vergroͤßerungsglase ein Erdaͤpfelstaͤrkmehl-Kuͤgelchen entdeken koͤnnte, so waͤre doch das sicherste Mittel das Erdaͤpfelstaͤrkmehl im Weizen zu finden, ein Mittel das keinen Zweifel uͤbrig laͤßt das Wasser in den oben angegebenen Verhaͤltnissen, naͤmlich 1 Theil Wasser auf 2 Theile Mehl. So oft sich also Zweifel uͤber die Natur eines Weizenmehles erheben; so oft man Verdacht hat, daß es mit Erdaͤpfelstaͤrkmehl in was immer fuͤr einem Verhaͤltnisse gemengt ist, so darf man nur etwas von diesem Mehle auf gefaͤrbtes Papier geben, dasselbe in eine duͤnne Schichte auf diesem Papiere ausbreiten, und dann entweder mit dem bloßen Auge oder mit den Vergroͤßerungsglase untersuchen, um zu sehen, ob nicht hier oder da glaͤnzende Kuͤgelchen vorkommen; hierauf zwei Theile dieses Mehles und Einen Theil Wasser nehmen, und einen gleichfoͤrmigen Teig mit demselben anruͤhren. Wenn der Teig die Eigenschaften des Teiges aus reinem Weizenmehl besizt, so ist dieß ein Beweis, daß das Mehl rein ist.Wir koͤnnen versichern, daß es Baͤkermeister gibt, welche durch einen bloßen Griff mit ihrer Hand, die sie in das Mehl steken, mit Gewißheit sagen koͤnnen, ob das Mehl mit Erdaͤpfel-Staͤrkmehl gemengt ist, oder nicht.A. d. Ue.