Titel: Ueber die Kunst des Beobachtens.
Fundstelle: Band 40, Jahrgang 1831, Nr. XXXIV., S. 189
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XXXIV. Ueber die Kunst des Beobachtens. Von Hrn. Babbage, aus dessen Bemerkungen on the Art of Observing, im Mechanics' Magazine. N. 379. 13. Nov. S. 205. Ueber die Kunst des Beobachtens. „Wenn das Instrument Gradeeintheilungen und Verniers hat, so ist das Erste, worauf es ankommt, dieses, daß man die Verniers gehoͤrig ablesen lernt. Wenn die Abtheilungen so fein sind, daß das Uebereintreffen dadurch oͤfters zweifelhaft wird, so ist das Beste, was der Lehrling thun kann, dieses, daß er sich an irgend einen Bekannten wendet, der mit Instrumenten gut umzugehen weiß. Der Lehrling kann dann sein Instrument nach Belieben stellen, die Verniers ablesen, aufschreiben, und seinen Freund bitten, daß er dasselbe thut. Ergibt sich zwischen zwei Beobachtungen ein Unterschied, so muß er die zweifelhafte genau pruͤfen, und seinen Freund bitten, ihn auf die Kleinigkeiten aufmerksam zu machen, von welchen hier die Entscheidung abhaͤngt. Dieß muß oft wiederholt werden, und nach einiger erlangter Uebung muß der Lehrling sich aufzeichnen, wie oft im Hundert seine Lesung auf dem Vernier von jener seiner Freunde abweicht, und um wie viel Abtheilungen sie gewoͤhnlich von anderen abweicht.“ „Der naͤchste Punkt ist, die Genauigkeit zu bestimmen, mit welcher ein Lehrling einen Gegenstand mittelst der Faden in seinem Teleskope in zwei gleiche Theile theilen kann. Dieß kann ohne alle fremde Beihuͤlfe geschehen: es ist nicht einmal noͤthig das Instrument zu stellen, man darf es nur nach irgend einen entfernten Gegenstand richten. Wenn durch dasselbe irgend ein merkwuͤrdiger Punkt an jenem in zwei gleiche Theile getheilt wird, so lese man den Vernier ab, und zeichne das Resultat auf. Dann bringe man das Teleskop in eine andere Lage, und fuͤhre es endlich wieder auf den vorigen Punkt zuruͤk. Wenn nun einmal eine Reihe solcher Beobachtungen angestellt wurde, so ergibt sich bald das Vertrauen, welches man auf das Auge des Beobachters sowohl in Hinsicht der Faͤhigkeit einen Gegenstand in zwei gleiche Theile zu theilen, als den Vernier richtig abzulesen haben darf. Da er Lezteres bereits gelernt hat, so mag er dann aus diesen Versuchen seine Geschiklichkeit in Ersterem beurtheilen. Wenn sich bei dem Ablesen am Vernier eine Abweichung ergibt, so muß er zum Teleskope zuruͤk, und sich uͤberzeugen, ob er den Gegenstand so genau, als es ihm moͤglich ist, in zwei gleiche Theile getheilt hat. Ueberhaupt muß der Anfaͤnger jede dieser Operationen einzeln vornehmen, und die Resultate niederschreiben, wo er nur immer die Abweichungen derselben messen kann.“ „Nachdem dieß geschehen ist, muß er endlich eine Beobachtung anstellen. Damit er aber zugleich sich selbst und sein Instrument pruͤfen kann, lasse man ihn die Hoͤhe irgend eines feststehenden irdischen Gegenstandes nehmen, und nachdem er die Resultate seiner Beobachtung aufgezeichnet hat, lasse man ihn sein Instrument verruͤken und wieder neu stellen, und so die vorige Messung fuͤnfzig bis hundert Mal wiederholen. Dieß wird ihm nicht nur eine herrliche Uebung gewaͤhren, sondern ihn auch in den Stand sezen, seine Geschiklichkeit selbst beurtheilen zu koͤnnen.“ „Das Erste, worauf es bei dem Gebrauche eines jeden Instrumentes ankommt, ist, die Graͤnzen zu bestimmen, innerhalb welcher derjenige, der sich desselben bedient, denselben Gegenstand unter denselben Umstaͤnden messen kann. Nur insofern er diese kennt, kann er Vertrauen auf seine Messungen desselben Gegenstandes unter verschiedenen Umstaͤnden haben, und hiernach auf die Messungen verschiedener Gegenstaͤnde unter verschiedenen Umstaͤnden.“ „Diese Grundsaͤze sind beinahe auf alle Instrumente anwendbar. Wenn irgend Jemand Hoͤhen mit einem sogenannten Bergbarometer messen will, so soll er in seinem Studirzimmer anfangen mit seinem Barometer zu beobachten, und zwar Anfangs nur oben, und das, was er am Vernier abgelesen hat, niederschreiben. Dann soll er Zeiger und Vernier verschieben, und wieder stellen, beobachten und niederschreiben. Wenn er nun mit der Genauigkeit der Graͤnzen, innerhalb welcher er beobachten kann, zufrieden ist, kann er dieselben Beobachtungen wiederholt unten anstellen: nie darf er aber ehe, als bis er seine eigenen Fehler im Ablesen und im Stellen des Instrumentes kennen gelernt hat, uͤber die Fehler des Instrumentes urtheilen wollen. Beim Barometer hier muß er ferner noch sicher seyn, daß die Temperatur des Queksilbers waͤhrend der Zwischenzeit sich nicht geaͤndert hat.“ „Ein guter Freund brachte mir einst eine ungemein schoͤn gearbeitete Vorrichtung um hoͤchst kleine Zeittheilchen mittelst derselben zu beobachten. Dreihundertel Einer Secunde konnten mittelst derselben bemerkt werden. Es war eine Art Taschenuhr, an welcher man einen Zeiger mittelst eines Stiftes aufhalten konnte. Ich schlug meinem Freunde vor, daß wir, jeder einzeln, versuchen wollen, die Uhr 20 Mal nach einander auf demselben Punkte aufzuhalten. Wir waren beide gleich ungeuͤbt, und unsere ersten Versuche lehrten uns, daß wir uns nicht auf 1/20 Einer Secunde verlassen dursten. Sowohl die Zeit, die noͤthig war, die Fingerspizen dem Willen gehorchen zu lassen, als auch die Zeit, welche nothwendig erfordert wurde, das Fleisch zusammenzudruͤken, ehe die Finger auf den Aufhaͤlter wirken konnten, schien Einfluß auf die Genauigkeit unserer Beobachtungen zu haben. Nach einigen Versuchen, die ich anstellte, glaubte ich annehmen zu duͤrfen, daß die Schnelligkeit der Willensaͤußerung von dem Gesundheitszustande des Koͤrpers und von der Ermuͤdung abhaͤngt.“ S. 170–173. Hr. Babbage macht ferner bei Vergleichung der intellectuellen Faͤhigkeiten Sir H. Davy's und Dr. Wollaston's folgende Bemerkungen: „Die außerordentliche Kleinheit der Theilchen von Koͤrpern, mit welchen Dr. Wollaston seine chemischen Analysen anstellte, erregten die Bewunderung aller derjenigen, die das Gluͤk hatten, Zeugen bei seinen Versuchen zu seyn: seine Verfahrungsweisen verdienten weiter bekannt zu seyn.“ „Es scheint, daß uͤber diesen Gegenstand ein großes Mißverstaͤndniß obwaltet. Man hat ihn als Beispiel einer außerordentlichen Scharfe koͤrperlicher Sinne einzelner Individuen dargestellt: wenn dieß sich wirklich so verhielte, so wuͤrde der Charakter dieses Individuums, als Physiker, nicht besonders dadurch gewinnen. Ich bin geneigt die Sache in einem ganz anderen Lichte zu sehen, und finde in derselben bloß eines der Resultate der wunderbaren Genauigkeit der Kenntnisse eines solchen Individuums.“ „Waͤhrend der vielen Gelegenheiten, die ich hatte, Wollaston's Migniaturversuche zu sehen, erinnere ich mich nur Eines Falles,Dieß war an Hrn. South's Sternwarte. Der Gegenstand waren die Punkte auf dem Declinationskreise des Aequatoriales. Dr. Wollaston lehrte mich aber hier nicht, wie ich sie sehen koͤnnte. A. d. O. in welchem ich einen merklichen Unterschied in der Schaͤrfe seiner koͤrperlichen Sinne im Vergleiche jener an anderen Personen, welche dieselben uͤbrigens in einem hohen Grade besaßen, wahrgenommen habe. Er zeigte mir nie einen beinahe mikroskopischen Draht, der nur seinen Augen sichtbar war, den meinigen aber nicht, und ich denke, daß dieses oft der Fall bei solchen Maͤnnern war, die sich viel mit Versuchen abgaben, und deren Sinne noch immer ungeschwaͤcht durch Krankheit und Alter geblieben sind.“ „Es war eine weit schaͤzbarere Eigenschaft, auf welcher das Gelingen solcher Untersuchungen beruhte. Es ging aus der vollkommensten Aufmerksamkeit hervor, uͤber die er gebieten konnte, und aus der feinsten Aufmerksamkeit, mit welcher er jeden Gegenstand untersuchte. Einen deutlichen Beweis der Thatsache, daß man haͤufig einen Gegenstand nicht sieht, weil man nicht weiß, wie man ihn sehen muß, und nicht weil man ihn wegen schwacher Augen nicht sehen kann, begegnete mir vor einigen Jahren auf einem Besuche zu Slough. Ich sprach mit Hrn. Herschel uͤber die dunklen Linien in Fraunhofer's Solarspectrum, und er fragte mich: ob ich sie gesehen haͤtte? Als ich ihm verneinend antwortete, und ein großes Verlangen zeigte, dieselben zu sehen, sagte er mir, daß auch er, selbst mit Fraunhofer's Beschreibung in der Hand, außerordentlich viel Schwierigkeit fand, sie zu sehen, und viele Zeit verlor, bis er sie endlich entdekte. „Ich will den Apparat vorrichten,“ fuͤgte mein Freund bei, „und sie in eine solche Lage stellen, daß sie sichtbar seyn muͤssen, und sie dieselben doch nicht finden werden, so sehr sie sie auch suchen. Ich werde sie in dieser Lage lassen, und Ihnen dann sagen, wie Sie sie sehen muͤssen, und Sie werden sie sehen und sich wundern, daß Sie dieselben nicht schon fruͤher gesehen haben. Sie werden glauben, daß es unmoͤglich ist, nach dem Spectrum zu sehen, ohne daß man diese Linien nicht sehen muͤßte.“ „Ich sah, wie man mich's lehrte, und sah sie nicht. Ich untersuchte, wie ich sie endlich sehen koͤnnte, und fand dann Alles erfuͤllt, was Hr. Herschel vorhergesagt hat. S. 209–211.