Titel: Ueber die Anwendung der Knochengallerte als Nahrungsmittel. Von Hrn. D'Arcet.
Fundstelle: Band 43, Jahrgang 1832, Nr. XCIII., S. 388
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XCIII. Ueber die Anwendung der Knochengallerte als Nahrungsmittel. Von Hrn. D'Arcet.Wir haben in unserem Journale unseren Lesern bisher so ziemlich Alles mitgetheilt, was fuͤr und wider die D'Arcet'sche Knochengallerte als Nahrungsmittel gesagt wurde, und koͤnnen daher auch diesen neuen Aufsaz, der einige wichtige Thatsachen enthaͤlt, nicht mit Stillschweigen uͤbergehen. Man scheint nun gegenwaͤrtig auch in Frankreich zu fuͤhlen, daß Gallertsuppe keine Fleischbruͤhe, und Gallerte kein Fleisch ist, wie im Polyt. Journale Bd. XXXIII. S. 222 in den Noten auseinandergesezt ist. Wir bitten unsere Leser diese Noten wiederholt zum Vergleiche mit diesem Aufsaze zu lesen, und bemerken nur noch, daß Hrn. D'Arcet's Ernaͤhrungsmethode wahrscheinlich vorzuͤglich deßwegen bald in Verfall kommen wird, weil die Erfinder und Foͤrderer derselben so sehr fuͤr ihre Idee eingenommen sind, daß sie dieselbe uͤberall in Anwendung bringen wollen, ohne zu bedenken, daß sie an einem Orte oder in einem Falle gut, in einem anderen hingegen sehr schlecht seyn kann und muß. A. d. Ueb. Aus dem Bulletin des Sciences technologiques. Maͤrz 1831, S. 199. Vorgetragen in der Sizung der Akademie vom 12. September 1831. D'Arcet, uͤber Knochengallerte als Nahrungsmittel. Da ich ein Mitglied jener Commission war, die von der Akademie ernannt wurde, um die wichtige Frage uͤber den Gebrauch der Knochengallerte als Nahrungsmittel zu untersuchen, so schien es mir nicht geeignet oder schiklich, fuͤr mich allein auf die erste Abhandlung, die Hr. Donné der Akademie vortrug, zu antworten, obwohl ich dieß mit Sicherheit und Erfolg haͤtte thun koͤnnen. Die zweite Abhandlung des Hrn. Donné, die am 29. August 1831 der Akademie vorgelesen worden, und der die Journale eine viel zu große Aufmerksamkeit schenkten, uͤberzeugte mich jedoch, daß ich nicht laͤnger in der zweideutigen Stellung bleiben duͤrfe, in welche ich versezt wurde. Ich trennte mich daher von meinen Collegen, um mit ihrer Beistimmung eine Sache vertheidigen zu koͤnnen, die mir fuͤr das Wohl der Armen von groͤßter Nuͤzlichkeit zu seyn scheint, und die vielleicht leiden duͤrfte, wenn man die dagegen erhobenen Zweifel und Vorurtheile sich so lang anhaͤufen ließe, bis die Untersuchungs-Commission ihre Arbeiten vollendet hat. Die erste Abhandlung des Hrn. Donné enthaͤlt zwei Reihen von Thatsachen. Er hat naͤmlich den Gebrauch der Gallerte an sich selbst und an zwei Hunden versucht; scheint jedoch bei diesen Versuchen sich keine genaue Rechenschaft von den troknen Nahrungsmitteln gegeben zu haben, die er dabei anwendete. Ueberdieß versaͤumte er es ganz, den vortheilhaften Einfluß zu beruͤksichtigen, welchen bei solchen Versuchen der Gebrauch des Salzes und die Vermehrung der Dosis der festen Nahrungsmittel haben muͤssen. Folgende Berechnungen werden, wie mir scheint, diese meine Behauptungen rechtfertigen. Wenn man alle die Nahrungsmittel, die Hr. Donné waͤhrend der 5 Tage, waͤhrend welcher er sich mit Knochengallerte und Brot naͤhrte, zu sich nahm, auf den troknen Zustand reducirt, so wird man finden, daß er innerhalb dieser Zeit 275,625 Grammen troknes Brot und 184 Gr. trokne Gallerte verzehrt hat. Verfaͤhrt man auf dieselbe Weise mit jenen Nahrungsmitteln, welche Hr. Donné waͤhrend der 5 Tage genoß, die er sich nach der gewoͤhnlichen Lebensweise naͤhrte, so ergibt sich, daß er innerhalb derselben Zeit 78 Gr. troknes Fleischbruͤh-Extract, 55 Gr. getroknetes Fleisch und 831,25 Gr. troknes Brot verzehrte. Er hat mithin in den ersten 5 Tagen 459 Gr. trokne Nahrungsmittel, in den zweiten hingegen 964,25 Gr. zu sich genommen. Hieraus erhellt, daß Hr. Donné, als er sich mit Gallerte naͤhrte, nicht halb so viel Nahrungsstoffe zu sich nahm, als er verzehrte, wenn er sich mit gewoͤhnlicher Fleischbruͤhe, Fleisch und Brot naͤhrte. Man wird aber uͤberdieß finden, daß er bei dem Genusse der Gallerte 40 Theile aufgeloͤste, gegen 60 Theile feste Nahrungsmittel zu sich nahm, waͤhrend er bei seiner gewoͤhnlichen Kost nur 8 Theile aufgeloͤste und 92 Theile unaufgeloͤste Nahrungsstoffe verzehrte. Beweisen diese Berechnungen und Zahlen nicht offenbar, daß die Versuche, von denen die Rede ist, nicht vergleichsweise gemacht wurden; daß sie vielmehr auf eine Weise angestellt wurden, die der Anwendung der Gallerte nothwendig nachtheilig seyn mußte, und daß sie daher die Schluͤsse, die Hr. Donné daraus zog, und der Akademie vorlegte, nicht bestaͤtigen, und sie noch viel weniger als unbezweifelbare Wahrheit darstellen? Was die Versuche betrifft, die Hr. Donné mit den beiden Hunden anstellte, so will ich dieselben hier nicht weiter eroͤrtern, weil wir in dieser Hinsicht Resultate besizen, die einander ganz entgegengesezt sind, und weil es bekannt ist, daß Hunde, die an eine gute Nahrung gewohnt sind, oft mehrere Tage lieber gar keine Nahrung zu sich nehmen, als eine solche, die ihnen weniger angenehm ist. In seiner zweiten Abhandlung spricht Hr. Donné nicht mehr weiter von Versuchen, die er anstellte; sondern fuͤhrt zur Bestaͤtigung seiner ersten Abhandlung nur eine Stelle aus einem Briefe des Hrn. Desjobert, eines ausgezeichneten Landwirthes, an, welcher sich mit großem Eifer mit der Anwendung der Gallerte zur Nahrung der Thiere beschaͤftigt. Aus diesem Briefe geht hervor, daß von 6 Kaͤlbern, welche mit Gallerte genaͤhrt wurden, drei in wenigen Tagen starben, und die drei uͤbrigen sich sehr schlecht bei dieser Kost befanden. Ich koͤnnte hiegegen sagen, daß es vorauszusehen war, daß man bei den Pflanzen fressenden Thieren die am wenigsten guͤnstigen Resultate erhalten wuͤrde; allein ich will auch hier die Sache genauer eroͤrtern. Hr. Desjobert hat die Kaͤlber vergleichsweise des Tags mit 18 Liter Milch und 18 Liter Gallerteaufloͤsung genaͤhrt: er hat also einem Kalbe, welches er mit Milch naͤhrte, in 24 Stunden: 162 Grammen Butter, 630 troknen Kaͤsestoff, 720 Milchzuker, 180 salzige Substanzen und Extractivstoff gegeben, was zusammen 1700 Grammen trokner Nahrungsmittel ausmachte. Jenen Kaͤlbern, die er mit Gallerteaufloͤsung fuͤtterte, gab er hingegen bloß 360 Grammen troknen Nahrungsstoffes, oder 4 bis 5 Mal weniger, als bei der Nahrung mit Milch. Dabei muß aber noch beruͤksichtigt werden, daß das Kalb bei der Milchnahrung, indem die Milch, so wie sie in den Magen gelangt, gerinnt, wirklich 792 Grammen fester Nahrung und 908 Grammen trokner, in Aufloͤsung befindlicher Nahrung erhielt; waͤhrend das Kalb, welches mit Knochengallerte gefuͤttert wurde, gar keine feste Nahrung erhielt, und auch nur 360 Grammen trokner, in 18 Liter Wasser aufgeloͤster Gallerte zu sich nahm. Beweist die Vergleichung dieser beiden Zahlen nicht, daß die Versuche des Hrn. Desjobert auf einer schlechten Basis beruhen, und koͤnnen daher dessen Resultate gegen uns zeugen? Wir sind uͤberzeugt, daß Hr. Desjobert dieß selbst fuͤhlen wird, und glauben dieß um so mehr, als er uns in Bezug auf den Gebrauch, den Hr. Donné von seinem Briefe machte, schrieb: „es wuͤrde mir Leid thun, wenn man aus dem, was ich that, einen Schluß ziehen moͤchte, den ich selbst nicht hineinlegen wollte.“ Wir koͤnnen nicht begreifen, wie man den Versuchen, Pflanzen fressende Thiere mit animalischer Kost zu naͤhren, eine groͤßere Wichtigkeit, als jene der Curiositaͤt geben kann, da sie hoͤchstens in physiologischer Hinsicht von Nuzen seyn koͤnnen, und in dieser Beziehung schon laͤngst gemacht sind. Handelt es sich aber darum, ein Hausthier zu naͤhren und zu maͤsten, so soll man ihm das zu fressen geben, was seiner Natur am meisten zusagt. Je mehr die ihm gereichte Nahrung von seiner natuͤrlichen abweichen wird, um so schlechter wird sie ihm bekommen, und um so mehr wird man seinen Zwek verfehlen. Wir haben uns selbst ein Mal mit dergleichen Versuchen abgegeben, und unter anderen ein Schaf mit vieler Muͤhe an Fleischsuppe und Fleisch und Bier gewoͤhnt, konnten jedoch gar keinen Nuzen hierin sehen. – Aus den Daten, die Hr. D'Arcet anfuͤhrt, geht wohl hervor, daß die Kaͤlber bei der Knochengallerte weit weniger festen Nahrungsstoff erhielten, als bei der Milchdiaͤt; allein Hr. D'Arcet haͤtte doch auch sagen sollen, welche Quantitaͤt Knochengallerte er fuͤr ein Aequivalent fuͤr eine bestimmte Menge Milch haͤlt, damit man hiernach haͤtte berechnen koͤnnen, ob bei der Fuͤtterung mit Gallerte auch nur eine Ersparung moͤglich ist. Es scheint uns, daß es bei den Kaͤlbern ebenso gehen wird, wie bei dem Pferde, von welchem Hr. Dr. Lebreton weiter unten spricht; d.h. daß man die Ernaͤhrung mit Gallerte zwar durchsezen kann, daß man aber dabei in Gefahr geraͤth an den Bettelstab zu gerathen. A. d. Ueb. Aus diesen Aufklaͤrungen scheint mir hinreichend zu erhellen, daß die beiden Abhandlungen, welche Hr. Donné der Akademie vorlegte, durchaus keine Thatsache enthalten, die das entkraͤften koͤnnten, was seit 1666 uͤber die Anwendung der Knochengallerte als Nahrungsmittel Vortheilhaftes geschrieben worden. Ueberdieß wird man nicht vergessen, daß im Hôtel-Dieu und im Spitale Saint-Louis innerhalb zwei Jahren bereits mehr, als eine Million Portionen Gallerteaufloͤsung verzehrt, und daß bereits viele guͤnstige Berichte uͤber diese Ernaͤhrungsweise bekannt gemacht wurden, denen ich noch folgende zwei Documente beifuͤgen will. Schreiben des Aufsehers im Hospital Saint-Louis an den Administrator, Hrn. Jourdan. „Die Aufloͤsung der Knochengallerte hat, wie ich Sie schon oͤfter zu versichern die Ehre hatte, eine wesentliche Verbesserung in der Ernaͤhrung der Kranken des Hospitals Saint-Louis bewirkt. Sowohl die Kranken, als das Dienstpersonal befinden sich bei der, mit dieser Aufloͤsung bereiteten Suppe sehr gut; sie haben durchaus keinen Ekel gegen dieselbe, und klagen auch nie uͤber eine zu große oder zu geringe Menge Salzes in derselben, was doch sonst so haͤufig der Fall ist.Die Zufriedenheit der Kranken und des Personales mit der Gallertsuppe duͤrfte wohl nicht in dieser allein, sondern zum Theil oder vorzuͤglich darin zu suchen seyn, daß, wie aus den Berichten der Aerzte im Hôtel Dieu erhellte, in Folge der Gallertsuppen-Anstalt die Quantitaͤt Fleisches vermehrt werden konnte, welches die einzelnen Individuen erhielten. Jedermann laͤßt sich gern auf der einen Seite einen Abzug gefallen, wenn man ihm auf der anderen etwas Besseres reicht. A. d. Ueb. Der Apparat unserer Anstalt arbeitet immer sehr gut: alle Tage werden gegen 6 Uhr Abends beilaͤufig 400 Liter Gallerteaufloͤsung in die Kuͤche gebracht, wovon ein Theil um 3 Uhr in der Nacht zur Morgensuppe, und der uͤbrige Theil fuͤr den großen Kessel zum Mittagmahle um 4 Uhr verwendet wird. Man hat kein Beispiel, daß die, innerhalb 24 Stunden im Spitale verwendete, Gallerte auch nur ein einziges Mal verdorben sey, und daß man dieselbe haͤtte wegschuͤtten muͤssen. Ein einziges Mal bewahrte man sie bei großer HizeDieß geschah in den drei glorreichen Julius-Tagen, waͤhrend welchen die Verwundeten großen Theils in das Hospital Saint-Louis gebracht wurden. A. d. O. ohne gehoͤrige Vorsicht 3 Tage lang auf, und da verdarb sie natuͤrlich. Spaͤter ist dieß, so viel ich weiß, im Laufe eines ganzen Jahres nicht wieder geschehen. Unsere Aufloͤsung ist ziemlich klar; auch bemerkt man auf der Oberflaͤche des Gefaͤßes nicht jenen weißen Schaum, uͤber den man sich an mehreren Orten beklagte. Vielleicht ruͤhrt dieß von der Bereitungsart her. Es ist moͤglich, daß diese meine Ansicht mit jener Anderer nicht ganz uͤbereinstimmt; doch kann ich Sie versichern, daß sie nur das Resultat dessen ist, was sich taͤglich vor meinen Augen zutraͤgt.“ Schreiben des Hrn. Drs. Lebreton an Hrn. D'Arcet. „Ich habe nach den Aufklaͤrungen, die Sie mir gaben, zwei Pferde mehrere Monate lang mit Erdaͤpfeln, Strohhaͤkerling und Gallerte gefuͤttert. Beide Thiere befanden sich hiebei sehr gut, und das eine, welches sonst beim Laufen in die Eisen haute, verlor sogar bei dieser Nahrung nach einiger Zeit diesen Fehler, woraus ich schließe, daß dasselbe an Kraft zugenommen hatte. Da ich aber meine Gallerte bei Hrn. Appert nahm, wo sie mich natuͤrlich sehr theuer zu stehen kam, so mußte ich zu meinem großen Bedauern auf die Fortsezung meines Versuches Verzicht leisten. Wenn Sie mir die Gallerte um einen solchen Preis zu liefern im Stande sind, daß ich nicht zu viel dabei verliere, so bin ich bereit die Versuche wieder zu beginnen, da ich an deren Gelingen gar nicht zweifle.“ Ich muß nur noch bemerken, daß die Resultate, die man im Hospital Saint-Louis erhielt, um so befriedigender sind, da sie im Großen, und vom 9. Octbr. 1829 an durch 704 Tage ununterbrochen gemacht wurden. Waͤhrend dieser Zeit wurden nicht weniger als 633,600 Portionen Gallerteaufloͤsung in die Kuͤche dieses Spitales geliefert. Ich koͤnnte noch mehrere achtungswerthe Auctoritaͤten zur Bekraͤftigung meiner Angaben anfuͤhren, und auch mit Vortheil jene Einwuͤrfe widerlegen, die im Hôtel-Dieu gemacht wurden, da dieselben nur einem Mangel an Genauigkeit und sorgfaͤltiger Aufsicht bei der Leitung des Apparates zuzuschreiben sind, welcher leztere dessen ungeachtet bereits 500,000 Portionen Knochengallerte lieferte. Ich glaube jedoch bereits genug gesagt zu haben, um die Frage wenigstens wieder auf jenen Punkt zu stellen, der ihr eine weitere Wuͤrdigung und Untersuchung verbuͤrgt. Ich bin weit entfernt jene Angaben, die meiner Sache entgegen sind, ohne Untersuchung verwerfen zu wollen, und habe Hrn. Donné, dessen Abhandlungen der Publicitaͤt uͤbergeben wurden, bloß deßwegen widerlegt, um den Aufschwung, dessen sich die Anwendung der Knochengallerte als Nahrungsmittel erfreut, nicht zu schwaͤchen. Ich fuͤhlte mich um so mehr hiezu verpflichtet, als die Commission, die von der Akademie mit der Untersuchung meiner Vorschlaͤge beauftragt wurde, ihre Arbeiten vor dem Winter nicht beendigen kann, und als wahrscheinlich gerade waͤhrend dieses Winters der aͤrmeren Classe aus meiner Ernaͤhrungsmethode große und unberechenbare Vortheile erwachsen duͤrften.