Titel: Ueber die Milchsäure; von den HH. J. Gay-Lussac und J. Pelouze.
Fundstelle: Band 50, Jahrgang 1833, Nr. XXIX., S. 113
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XXIX. Ueber die Milchsaͤure; von den HH. J. Gay-Lussac und J. Pelouze. Aus den Annales de Chimie et de Physique. April 1833, S. 410. Ueber die Milchsaͤure. Die wichtigsten Arbeiten, welche uͤber die Milchsaͤure seit dem Jahre 1780 erschienen, wo dieselbe von Scheele entdekt wurde, verdankt man den HH. Braconnot und Berzelius. Unter dem Namen Acide nancéique beschrieb Hr. Braconnot eine Saͤure, die er aus dem sauer gewordenen Reißwasser oder Runkelruͤbensaft erhielt; er verband sie mit einer großen Anzahl von Lasen, und da die Salze, welche er erhielt, ihm nicht dieselben Eigenschaften zu besizen schienen, wie diejenigen, welche Scheele den milchsauren zuschreibt, so vermuthete er keineswegs, daß die Milchsaͤure mit seiner Acide nancéique identisch sey, was erst spaͤter erkannt wurde. Da Bouillon-Lagrange und L. Gmelin behaupteten, daß die Milchsaͤure nichts Anderes als eine unreine Essigsaͤure sey, so nahm Berzelius diesen Gegenstand, womit er sich schon viel fruͤher beschaͤftigt hatte, neuerdings auf, mit der Ansicht, daß die Milchsaͤure wohl eine analoge Verbindung wie die Schwefelweinsaͤure seyn koͤnnte, worin die Essigsaͤure mit einer organischen Substanz verbunden waͤre, welche dieselbe Rolle wie das oͤhlbildende Gas in den schwefelweinsauren Salzen spielen wuͤrde. Er stellte nach dieser Hypothese mehrere Versuche an; da er aber kein essigsaures Ammoniak erhalten konnte, indem er die Milchsaͤure der gleichzeitigen Wirkung der Waͤrme und des Ammoniakgases aussezte, so mußte er seine fruͤhere Ansicht modificiren, und ohne etwas Bestimmtes uͤber die Natur der Milchsaͤure zu folgern, schließt Hr. Berzelius den Aufsaz uͤber diese Saͤure im 7. Bd. seines Lehrbuchs der Chemie folgender Maßen: „Man kann annehmen, daß die milchsauren Salze noch nicht im reinen Zustande bekannt sind. Die Chemiker, welche sich in Zukunft mit diesem Gegenstande beschaͤftigen, muͤssen ihre Aufmerksamkeit hauptsaͤchlich darauf richten, ob das, was Milchsaͤure genannt worden ist, ein Gemenge von zwei Saͤuren sey, die einander aͤhnlich sind, aber doch verschiedenartige Salze geben.“ Da wir wohl wußten, daß die Reinigung gewisser organischer Substanzen hauptsaͤchlich deßwegen so schwierig ist, weil man sie nur in geringer Menge zu Gebot hat, so suchten wir uns zu unseren Versuchen uͤber die Milchsaͤure vor Allem eine so große Menge von dieser Saͤure zu verschaffen, daß wir sie mannigfaltigen Reinigungsmethoden und Analysen unterziehen konnten. Wir nahmen mehrere hundert Liter Runkelruͤbensaft in Arbeit, und verfuhren folgender Maßen: Der Runkelruͤbensaft wurde in einem Zimmer, dessen Temperatur bestaͤndig zwischen 25 und 30° C. (20 bis 24° R.) unterhalten war, sich selbst uͤberlassen. Nach einigen Tagen stellte sich die geraͤuschvolle Bewegung, welche unter dem Namen klebrige Gaͤhrung bekannt ist, in der ganzen Masse ein; Wasserstoffgas mit Kohlenwasserstoffgas gemischt, entwikelte sich in großer Menge. Nachdem das Liquidum wieder seinen anfaͤnglichen fluͤssigen Zustand angenommen hat, und die Waͤhrung beendigt ist, was gewoͤhnlich nach ungefaͤhr zwei Monaten der Fall ist, dampft man bis zur Syrupsconsistenz ab; man bemerkt dann, daß durch die ganze Masse eine Menge Mannazuker-Krystalle zertheilt sind, welche, wenn sie mit ein wenig kaltem Wasser ausgewaschen und ausgepreßt werden, vollkommen rein sind; die Masse enthaͤlt außerdem einen Zuker, welcher alle Eigenschaften des Traubenzukers besizt.Es scheint, daß sich bei der Gaͤhrung des Runkelruͤbensaftes der Rohzuker zuerst in Traubenzuker, und lezterer dann in Mannazuker verwandelt, denn die Menge dieses lezteren steht immer im Verhaͤltnisse mit der Dauer der Gaͤhrung, so daß man zulezt nur noch Mannazuker ohne Traubenzuker erhaͤlt.A. d. O. Man behandelt die abgedampfte Masse mit Alkohol, welcher die Milchsaͤure aufloͤst, und viele Substanzen niederfallen laͤßt, die wir nicht untersucht haben; das geistige Extract wird wieder in Wasser aufgenommen, wobei neuerdings ein Saz bleibt; die Fluͤssigkeit saͤttigt man dann mit kohlensaurem Zink, wobei man einen noch reichlicheren Niederschlag als zuvor erhaͤlt. Nach dem Eindampfen krystallisirt das milchsaure Zink; man sammelt es und erhizt es mit Wasser, dem man thierische Kohle zusezt, welche vorher mit Salzsaͤure ausgesuͤßt wurde; man filtrirt kochend, und das milchsaure Zink scheidet sich in vollkommen weißen Krystallen ab; diese wascht man noch mit kochendem Alkohol, worin sie unaufloͤslich sind. Wenn man sie dann mit Baryt und hierauf mit Schwefelsaͤure behandelt, erhaͤlt man daraus die Milchsaͤure, welche man im luftleeren Raume eindampft. Sie wird zulezt mit Schwefelaͤther geschuͤttelt, welcher sie aufloͤst, und wodurch einige Spuren einer floͤkigen Substanz davon abgesondert werden. Die so erhaltene Saͤure ist ganz farblos; wenn sie es nicht ist, was nur dann eintritt, wenn man die lezten Krystallisationen des milchsauren Zinks in Arbeit genommen hat, so verwandelt man sie in milchsauren Kalk, den man mit Wasser und gereinigter thierischer Kohle kocht. Das krystallisirte Salz, welches man erhaͤlt, wird dann mit kochendem Alkohol behandelt, der es aufloͤst; man nimmt es dann wieder in Wasser auf, und zersezt es mit Kleesaͤure. In lezterem Falle ist es immer weiß und rein, wovon man sich leicht uͤberzeugen kann, wenn man es mit direct bereiteter sublimirter Milchsaͤure vergleicht. Eine große Menge Milch, die lange Zeit der Gaͤhrung uͤberlassen und auf dieselbe Art behandelt wurde, lieferte uns eine Saͤure und Salze, welche nach unseren Analysen und ihren Gesammteigenschaften von der vorhergehenden und ihren Verbindungen gar nicht verschieden sind. Hr. Corriol hat neulich gefunden, daß eine waͤsserige Infusion von Kraͤhenaugen, nachdem sie einige Tage lang gegohren hat, milchsauren Kalk absezt, der nur mit Wasser und hierauf mit Alkohol behandelt zu werden braucht, um vollkommen weiß zu werden. Dieses Salz, wovon uns Hr. Corriol eine große Menge uͤberließ, betraͤgt nach seinen Versuchen 2 bis 3 Procent vom Gewichte der Kraͤhenaugen. Derselbe Chemiker fand darin auch milchsaure Bittererde. Wir haben diese beiden Salze sehr leicht reinigen koͤnnen, und sie lieferten uns eine Saͤure, welche mit der aus Runkelruͤben, Reiß und Milch dargestellten Milchsaͤure in jeder Hinsicht identisch ist. In reinem Zustande, und nachdem sie im luftleeren Raume so lange abgedampft wurde, bis sie darin kein Wasser mehr verliert, bildet die Milchsaͤure eine ganz farblose Fluͤssigkeit von syrupartiger Consistenz, deren Dichtigkeit bei 20°,5 C. gleich 1,215 ist. Sie ist geruchlos, ihr Geschmak außerordentlich sauer, und in dieser Hinsicht mit dem der staͤrksten Pflanzensaͤuren vergleichbar. In Beruͤhrung mit der Luft zieht sie daraus Feuchtigkeiten an; Wasser und Alkohol loͤsen sie in allen Verhaͤltnissen auf; Schwefelaͤther loͤst sie auch auf, aber in geringerer Menge. Wenn man sie mit concentrirter Salpetersaͤure kocht, wird sie zersezt und in Kleesaͤure verwandelt. Gießt man zwei Tropfen Milchsaͤure in hundert Grammen kochende Milch, so gerinnt dieselbe dadurch auf der Stelle; eine bei Weitem groͤßere Menge dieser Saͤure veraͤndert aber die Milch in der Kaͤlte nicht. Sie hat auch die Eigenschaft, das Eiweiß sehr leicht zum Gerinnen zu bringen. Den phosphorsauren Kalk der Knochen loͤst sie rasch auf.39) Hr. Berzelius aͤußerte die Meinung, daß der phosphorsaure Kalk in der Milch durch die Milchsaͤure in Aufloͤsung erhalten wird, was mit obigem Versuche uͤbereinstimmt.A. d. O. Mit einer Aufloͤsung von essigsaurem Kali gekocht, vertreibt sie daraus die Essigsaͤure. Gießt man sie in der Kaͤlte in eine concentrirte Aufloͤsung von essigsaurer Bittererde, so bewirkt sie darin nach einigen Augenbliken einen weißen und koͤrnigen Niederschlag von milchsaurer Bittererde und die Fluͤssigkeit riecht stark nach Essig. Diese Eigenschaft ist wichtig. Sie gibt auch einen Niederschlag von milchsaurem Zink, wenn man sie in eine concentrirte Aufloͤsung von essigsaurem Zink gießt. Andererseits wird das milchsaure Silber durch essigsaures Kali zersezt und essigsaures Silber sezt sich in reichlicher Menge ab. Die Milchsaͤure truͤbt das Kalk-, Baryt- und Strontianwasser nicht. Unter allen ihren Eigenschaften ist die merkwuͤrdigste, welche allein hinreichen wuͤrde, sie zu erkennen, ihr Verhalten bei der Sublimation. Erhizt man die syrupartige Milchsaͤure allmaͤhlich und vorsichtig, so wird sie zuerst duͤnnfluͤssiger, faͤrbt sich bald darauf und liefert außer entzuͤndbaren Gasarten, Essig und einem kohligen Ruͤkstand, eine große Menge einer weißen, festen Substanz, deren Geschmak zugleich sauer und bitter ist. Preßt man diese Substanz zwischen weißem Filtrirpapier aus und befreit sie so mechanisch von einem sie begleitenden Riechstoffe, so loͤst sie sich in sehr starkem Verhaͤltnisse in kochendem Alkohol auf, woraus sie beim Erkalten in glaͤnzendweißen rhomboidalen Tafeln niederfallt; diese Krystalle sind ganz geruchlos; ihr Geschmak ist sauer, aber ohne Vergleich schwacher als derjenige der fluͤssigen Milchsaͤure, was ohne Zweifel von ihrer geringen Aufloͤslichkeit herruͤhrt. Sie schmelzen gegen 107° C. und die so entstehende Fluͤssigkeit kocht erst bei 250°, weiße und stechende Daͤmpfe verbreitend; wenn sie mit einem kalten Koͤrper in Beruͤhrung kommen, verdichten sie sich darauf in Krystallen, die denjenigen aͤhnlich sind, welche sie erzeugten. Diese Daͤmpfe sind entzuͤndbar und brennen mit einer rein blauen Flamme. Wenn die Operation sorgfaͤltig geleitet wird, so bemerkt man in dem Gefaͤße, worin die Krystalle sublimirt wurden, keinen Ruͤkstand; alle Saͤure geht unveraͤndert uͤber. Wenn man diese Krystalle oͤfters schmilzt und sublimirt, so verlieren sie nicht die geringste Menge Wasser. Es ist wahrhaft merkwuͤrdig, welche große Neigung zu krystallisiren die sublimirte Milchsaͤure hat. Schmilzt man sie z.B. in einer Glasroͤhre, so mag man dieselbe noch so sehr schuͤtteln, um die regelmaͤßige Krystallisation zu stoͤren, die Saͤure bildet doch wieder vollkommene Krystalle. Wenn man diese Krystalle mit Wasser in Beruͤhrung bringt, so loͤsen sie sich darin nur sehr langsam auf und wir versuchten vergebens dieselben neuerdings aus ihrer Aufloͤsung zu erhalten, indem wir sie im leeren Raume eindampften. Die Fluͤssigkeit blieb klar und verdikte sich allmaͤhlich, bis sie ganz das Aussehen der auf nassem Wege dargestellten concentrirten Milchsaͤure hatte. Wir vermuthen daher, daß der verschiedenartige Zustand dieser beiden Saͤuren chemisch gebundenem Wasser zugeschrieben werden muß, und um uns davon zu uͤberzeugen, analysirten wir sowohl die fluͤssige als die krystallisirte Saͤure, wobei wir folgende Resultate erhielten: Die fluͤssige Saͤure gab:       I.      II. Kohlenstoff =   41,00   40,89 Wasserstoff =     7,11     6,79 Sauerstoff =   51,89   52,33 –––––– –––––– 100,00 100,00 In Mischungsgewichten: Fluͤssige Saͤure. 6,138 M. G. Kohlenstoff6,330 M. G. Wasserstoff6,000 M. G. Sauerstoff     6 C.     6 H.    6 O. Sublimirte Saͤure.       I.      II.      III. Kohlenstoff =   49,31   49,63   50,51 Wasserstoff =     5,53     5,54     5,73 Sauerstoff =   45,16   44,78   43,76 In Mischungsgewichten erhaͤlt man nach diesen Zahlen ziemlich nahe: Krystallisirte Saͤure. 6 M. G. Kohlenstoff4 M. G. Wasserstoff4 M. G. Sauerstoff       C6⁶       H4⁴      O4⁴ Nach diesen Analysen unterscheiden sich die beiden Saͤuren nur durch zwei M. G. Wasser von einander, welche die fluͤssige Saͤure mehr enthaͤlt, was außerdem folgende Versuche bestaͤtigen: Bringt man die sublimirte Saͤure mit Wasser in Beruͤhrung, so loͤst sie sich anfangs in sehr geringem Verhaͤltnisse darin auf, bei fortgeseztem Sieden erhaͤlt aber die Fluͤssigkeit bald eine syrupartige Consistenz und zugleich wird ihre Saͤuerlichkeit, die anfangs fast Null war, unertraͤglich. Im luftleeren Raume abgedampft, hinterlaͤßt sie eine fluͤssige Saͤure, die in jeder Hinsicht derjenigen aͤhnlich ist, welche man aus dem milchsauren Kalk durch Kleesaͤure erhaͤlt. Dieselbe Umaͤnderung, aber viel langsamer, findet auch Statt, wenn man die sublimirte Saͤure an der freien Luft laͤßt. Durch diese Versuche erklaͤrt sich eine andere Thatsache, die wir fruͤher beobachtet hatten, daß naͤmlich die Milchsaͤure, welche vermittelst Kleesaͤure aus der Verbindung der krystallisirbaren Milchsaͤure mit Kalk dargestellt wurde, immer fluͤssig und identisch mit der Saͤure bleibt, welche die mit der unkrystallisirbaren Saͤure bereiteten milchsauren Salze liefern. Indem wir diese beiden Saͤuren mit denselben Basen verbanden, erhielten wir stets die naͤmlichen Salze von ganz gleicher Krystallform und Zusammensezung. Wir begnuͤgten uns nicht diese Salze mit Saͤuren zu bereiten, die bloß aus einer und derselben Substanz dargestellt waren, sondern nahmen sowohl solche aus Kraͤhenaugen, als auch aus sauer gewordener Milch, gegohrenem Runkelruͤbensaft und sauergewordenem Staͤrkewasser. 0,755 milchsaures Zink, bei 120° C. getroknet, hinterließen 0,250 Zinkoxyd. 1,253 milchsaures Kupfer, bei derselben Temperatur getroknet hinterließen 0,410 Kupferoxyd. 0,680 milchsaures Silber, bei 80° getroknet, hinterließen 0,368 metallisches Silber. Hieraus erhaͤlt man fuͤr das Mischungsgewicht der Milchsaͤure im Mittel 1019,7. Andererseits hinterließen 1,072 milchsaures Kupfer, das mit sublimirter Milchsaͤure bereitet war, 0,250 Kupferoxyd, wodurch sich die Zahl 1022,0 fuͤr das Mischungsgewicht ergibt. I. 0,807 milchsaures Zink, 0,540 Milchsaͤure entsprechend, lieferten 0,872 Kohlensaͤure und 0,310 Wasser. II. 1,425 milchsaures Zink, mit sublimirter Saͤure bereitet, und 0,954 Milchsaͤure entsprechend, gaben 1,570 Kohlensaͤure und 0,544 Wasser. III. 1,478 trokenes milchsaures Kupfer, 0,992 Milchsaͤure entsprechend, lieferten 1,615 Kohlensaͤure und 0,559 Wasser. IV. 0,987 trokener milchsaurer Kalk, 0,731 Milchsaͤure entsprechend, lieferten 1,070 Kohlensaͤure und 0,420 Wasser. Hierdurch erhaͤlt man:        I.      II.     III.     IV. Kohlenstoff =   44,64   45,50   45,05   44,59 Wasserstoff =     6,36     6,32     6,25     6,38 Sauerstoff =   49,00   48,18   48,70   49,03 Die Formel 6C + 5H + 5O gibt die Zahl 1021 fuͤr das Mischungsgewicht der Saͤure, und diese entfernt sich wenig von der Zahl 1019,7, welche uns die Analyse lieferte. Die theoretische Zusammensezung nach Procenten waͤre: Kohlenstoff = 44,90 Wasserstoff =   6,11 Sauerstoff = 48,99 Diese Zahlen kommen einander so nahe, als man es von der Analyse nur erwarten darf, so daß kein Zweifel obwalten kann, daß die Milchsaͤure in den ausgetrokneten Salzen aus 6 Mischungsgewichten Kohlenstoff, 5 Wasserstoff und 5 Sauerstoff besteht, oder vielmehr aus CHO⁴ + HO. Hiernach verliert die fluͤssige Milchsaͤure Ein Atom Wasser, indem sie sich mit den Basen verbindet, waͤhrend die sublimirte Saͤure ein solches aufnimmt, um ihre Salze zu bilden. Es war uns nicht moͤglich ein milchsaures Salz so weit auszutroknen, daß es nur eine Verbindung der concreten Saͤure mit der Basis gewesen waͤre; diese Salze halten ein Mischungsgewicht Wasser hartnaͤkig zuruͤk, und man kann ihnen dasselbe nicht entziehen, ohne sie zu zersezen. Das milchsaure Zink z.B., welches der Einwirkung der Hize am Besten widersteht, verlor auf 245° C. erhizt, nicht mehr Wasser, als es bei 120° verloren hatte; wenn es gegen 250° solches ausgibt, so ist der Grund davon, daß es anfaͤngt sich zu zersezen und schwarz zu werden. Es gelang auch nicht besser, indem man sie lange Zeit im luftleeren Raume ließ; die milchsauren Salze verloren darin nicht mehr Wasser, als in einem durch kochendes Oehl erhizten Behaͤlter. Das Wasser scheint also, zwar nicht zur Existenz der Milchsaͤure selbst (denn die durch Sublimation erhaltene ist wasserfrei), wohl aber zur Bildung der milchsauren Salze unumgaͤnglich noͤthig. Es ist merkwuͤrdig, daß die fluͤchtige Saͤure bei der Sublimation ein Atom Wasser mehr verliert, als ihr durch Saͤttigung entzogen wird. Untersuchung der milchsauren Salze. Milchsaurer Kalk. Er ist ein weißes Salz, das sich in kochendem Wasser sehr leicht aufloͤst, woraus es beim Erkalten großen Theils in sehr kurzen, von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt ausgehenden, weißen Nadeln sich absezt. Oft ist die Krystallisation verworren und gleicht derjenigen des Traubenzukers. Es enthaͤlt 29,5 Procent oder 6 Atome Krystallwasser. Alkohol loͤst es in der Waͤrme in sehr großer Menge auf. Beim Erhizen kommt es zuerst in waͤsserigen, dann in feurigen Fluß, und zersezt sich endlich wie die anderen organischen Salze. Das milch saure Kupfer ist ein sehr schoͤn blaues Salz, und krystallisirt sehr leicht in vierseitigen Prismen. Es verwittert und enthaͤlt drei Atome Krystallwasser. Der Alkohol loͤst es nicht auf. Man kann es darstellen, indem man Milchsaͤure mit Kupferoxydul in Beruͤhrung bringt: es bildet sich dann milchsaures Kupferoxyd, und metallisches Kupfer faͤllt nieder. Das milchsaure Zink ist weiß, in kaltem Wasser wenig aufloͤslich, in kochendem viel aufloͤslicher, und bildet vierseitige schief abgestumpfte Prismen. In Alkohol ist es unaufloͤslich, und enthaͤlt vier Atome Krystallwasser. Die milchsaure Bittererde bildet kleine, weiße, an der Sonne sehr glaͤnzende Krystalle, die schwach verwittern, und beinahe ihr dreißigfaches Gewicht Wasser zur Aufloͤsung erfordern. Man erhaͤlt sie leicht durch doppelte Zersezung. Sie enthaͤlt vier Atome Wasser. Das milchsaure Mangan krystallisirt eben so leicht wie das milchsaure Kupfer, und zwar, nach Hrn. Braconnot, in tetraëdrischen Krystallen. Es ist weiß oder schwach rosenroth, verwittert an der Luft, und enthaͤlt fuͤnf Atome Krystallwasser. Milchsaures Eisenoxydul. Die Milchsaͤure greift die Eisenfeile lebhaft an; es bildet sich unter Entbindung von Wasserstoffsgas milchsaures Eisenoxydul, welches in rein weißen feinen tetraëdrischen Nadeln niederfallt, die ziemlich schwer aufloͤslich sind. In Beruͤhrung mit der Luft hielt sich dieses Salz uͤber einen Monat, ohne seine Farbe zu veraͤndern und ohne sich zu oxydiren; seine Aufloͤsung in Wasser aber kommt schnell auf das Maximum der Oxydation, wie die der anderen Eisenoxydulsalze. Es enthaͤlt 6 Atome Krystallwasser oder 19,2 Procent. Das milchsaure Eisenoxyd ist braun und zerfließend. Das milchsaure Kobalt ist rosenroth und bildet krystallinische Koͤrner, die in Wasser wenig aufloͤslich sind. Es enthaͤlt 3,5 Atome Krystallwasser, und wenn es diese verliert, wird seine Farbe dunkel und sehr schoͤn. Das milchsaure Nikel ist aufloͤslicher als das vorhergehende und von apfelgruͤner Farbe. Es krystallisirt, aber so verworren, daß man die Krystallform nicht erkennen kann. Das milchsaure Chrom ist unkrystallisirbar. Das milchsaure Silber krystallisirt in ganz weißen, sehr feinen und langen Nadeln. Es ist in Wasser sehr aufloͤslich, und veraͤndert sich leicht am Lichte. Das milchsaure Queksilberoxyd krystallisirt auch, aber schwieriger, weil es außerordentlich aufloͤslich ist. Die milchsaure Thonerde krystallisirt, obgleich schwierig; sie ist in Wasser sehr aufloͤslich. Dasselbe gilt von dem milchsauren Kali, Natron und Ammoniak. Milchsaures Blei und milchsaurer Baryt haben ein gummiartiges Aussehen, sind unkrystallisirbar, aber doch nicht zerfließend. Aus unseren Versuchen uͤber die Milchsaͤure geht also klar hervor, daß wir sie in vollkommen reinem Zustande erhalten haben; daß dieselbe, sie mag, wie im fluͤssigen Zustande, zwei Atome Wasser enthalten, oder nicht, was der Fall ist, wenn sie durch Sublimation bereitet wurde, stets identische Salze von bestimmter Zusammensezung gibt, wovon mehrere deutlich krystallisiren, so daß man nach allen diesen Eigenschaften zusammen genommen, nicht mehr zweifeln kann, daß sie eine eigenthuͤmliche Saͤure ist. Daß Scheele, Braconnot und Berzelius bei der Destillation der Milchsaͤure die Erzeugung einer fluͤchtigen krystallisirbaren Saͤure nicht beobachteten, ruͤhrt daher, daß sie einen unreinen Koͤrper anwandten, welchen die Hize gaͤnzlich zersezte und zerstoͤrte. Wenn man naͤmlich die nach den Angaben dieser Chemiker bereitete Milchsaͤure oder eine reine Saͤure, welcher eine geringe Menge einer organischen Substanz, z.B. Eiweiß, zugesezt wurde, destillirt, so erhaͤlt man kein festes Product mehr, sondern es wird Alles zersezt; wir haben oͤfters große Quantitaͤten Milchsaͤure, aus unreinem milchsauren Kalk bereitet, destillirt, ohne jemals die geringste Spur fester Saͤure zu erhalten, waͤhrend die reine Saͤure, sie mag aus Milch oder irgend einer anderen der oben angegebenen Substanzen bereitet seyn, bei der Destillation immer krystallisirte Saͤure liefert.Hr. Liebig, dem wir unsere Resultate mittheilten, schrieb uns, daß er schon fruͤher mir Hrn. Mitscherlich einige Analysen der milchsauren Salze anstellte, und daß die Zahlen, welche er bei der Analyse des milchsauren Zinks erhielt, woraus er die Zusammensezung dieses Salzes und seiner Saͤure ableitete, mit den unserigen vollkommen uͤbereinstimmen.A. d. O.