Titel: Ueber eine sogenannte hydrodynamische Eisenbahn. Von Hrn. Jas. Herron, Civilingenieur in Richmond in den Vereinigten Staaten.
Fundstelle: Band 58, Jahrgang 1835, Nr. XXVI., S. 198
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XXVI. Ueber eine sogenannte hydrodynamische Eisenbahn. Von Hrn. Jas. Herron, Civilingenieur in Richmond in den Vereinigten StaatenEin dem hier gemachten Vorschlage sehr aͤhnlicher Plan wurde vor mehreren Jahren von einem Hrn. Scott der Highland Society von Schottland vorgelegt; und wir muͤssen uns sehr wundern, daß derselbe die ganze Zeit her nicht mehr Aufmerksamkeit erregte. A. d. Mech. Mag. – Wahrscheinlich findet sich der Vorschlag des Herrn Scott in den Abhandlungen der Highland Society; uns wurde er nicht bekannt, sondern wir erinnern uns nur der Scott'schen Eisenbahn, die wir Band XVI. S. 310 des Polytechnischen Journales aus ebendiesen Abhandlungen mittheilten.A. d. R.. Aus dem Richmond Compiler im Mechanics' Magazine, No. 626. Herron's sogenannte hydrodynamische Eisenbahn. Ich dachte schon laͤngst bei mir, ob denn bei der gewoͤhnlichen Anwendung des Wassers an den Canalschleusen nicht eine betraͤchtliche Menge Kraft unzwekmaͤßig verbraucht wird; so z.B. an einem Canale, welcher sich in dem Theile eines großen Flusses mit einem bedeutenden Falle des Flußbettes befindet. Ich fuͤhre als Beispiel nur den Fluß James an, der von Covington bis zum Fluthwasser einen Fall von 4,74 Fuß in der englischen Meile hat, und bei welchem im Durchschnitte alle zwei Meilen eine Schleuse nothwendig waͤre. Da ich durch naͤhere Pruͤfung dieses Gegenstandes fand, daß die Wasserkraft des Flusses an und fuͤr sich schon zum Transporte einer groͤßeren Tonnenzahl hinreichen wuͤrde, als zum Transporte auf dem groͤßten Canale erforderlich waͤre, und zwar selbst mit der erstaunlichen, den Eisenbahnen eigenthuͤmlichen Geschwindigkeit, so will ich diese neue Lehre so kurz als moͤglich zur Kenntniß des Publicums bringen. Die Schleusen des Chesapeake- und Ohio-Canales sind 100 Fuß lang, 15 Fuß breit, und, wenn wir eine der bewaͤhrtesten Steigungen als Norm annehmen, 8 Fuß hoch; das Prisma der Steigung (lift) enthaͤlt also 12,000 Kubikfuß Wasser, welche 750,000 Pfund wiegen. So oft nun die Schleuse geleert wird, wird diese Quantitaͤt Wasser von einem hoͤheren auf ein niedrigeres Niveau gebracht; und da, wie ich hoͤrte, bei gleichzeitigem Oeffnen aller Thore die Schleuse in etwas wehr dann zwei Minuten gefuͤllt oder geleert werden kann (obschon ich der Sicherheit wegen drei Minuten annehmen will), so gestaltet sich dieses Wasser zu einer Kraft, die, wenn sie auf ein gehoͤrig gebautes Brustrad (breast-wheel) oder bei groͤßerem Falle des Wassers auch auf ein oberschlaͤchtiges Rad (pitchback) wirken wuͤrde, zu 4/5 ihres Betrages zum Betriebe irgend einer Maschinerie dienen koͤnnte. Gesezt z.B. man wendete diese Kraft auf eine endlose Kette an, die nach dem stationaͤren Eisenbahnsysteme laͤngs einer Eisenbahn uͤber Rollen liefe, so ergaͤbe sich hieraus eine durch Wasserkraft betriebene Eisenbahn, gegen die sich keineswegs jene Einwendungen machen ließen, die man gegen die stationaͤren Dampfmaschinen geltend macht. Wenn die Stationen 2 1/2 Meilen weit von einander entfernt sind, so wird nach Tredgold der zwanzigste Theil der Kraft zur Bewegung der Ketten erfordert; ich will jedoch annehmen, daß der zehnte Theil der Kraft zur Erreichung dieses Zwekes an Stationen von zwei Meilen noͤthig ist, indem die Kette nur eine Meile weit in Bewegung gesezt wird. Man erhaͤlt demnach als 4/5 von 750,000 Pfd. (indem 1/5 bei der Anwendung auf die Wasserraͤder verloren geht) 600,000 Pfd., die, indem sie 8 Fuß in drei Minuten fallen, 1818 Pfund gleichkommen, welche innerhalb derselben Zeit um eine halbe Meile gehoben werden: eine Leistung, wonach 10 Meilen auf die Stunde kaͤmen. Zieht man jedoch hievon 1/10 als jenen Theil ab, der zum Behufe der Bewegung der Kette verloren geht, so bleiben 1637 Pfd.; und da 10 Pfd. selbst mit dem gewoͤhnlichsten Eisenbahnwagen hinreichen, um eine Tonne Last fortzuschaffen, so folgt hieraus, daß obige Kraft im Stande seyn wird, 163,7 Tonnen eine halbe Meile weit zu bewegen, waͤhrend ein Boot durch die Schleuse des Canales geht. Oder es werden in derselben Zeit 81,8 Tonnen durch eine Meile bewegt werden: was ungefaͤhr eine Geschwindigkeit von 20 engl. Meilen in der Stunde gibt. Da jedoch das Maximum der Geschwindigkeit des Transportes auf Canaͤlen 2 1/2 engl. Meilen in der Stunde betraͤgt, und da sich die Masse umgekehrt wie die Geschwindigkeit verhaͤlt, so werden bei dieser Geschwindigkeit 654 Tonnen fortgeschafft werden koͤnnen. Das hiebei benuzte Wasser haͤtte eine Geschwindigkeit von 66,6 Fuß per Secunde. Der Fluß James liefert zu Covington selbst bei trokener Witterung eine drei Mal groͤßere Quantitaͤt Wasser, als die zulezt angegebene; denn nach den von dem Ingenieur Crozet angestellten Versuchen liefert er im Durchschnitte in jeder Secunde 177,6 Kubikfuß; oder 10,656 Fuß per Minute, und zwar mit einem Falle, der bis Pattonsburgh hinab 7,11 Fuß per Meile betraͤgt. Obschon der Fall weiter stromabwaͤrts bis auf 3 1/2 Fuß per Meile abnimmt, so wird dieß doch dadurch mehr als ausgeglichen, daß die Wassermenge dann um das Sechsfache groͤßer ist. Die Kraft wird uͤberdieß um so mehr erhoͤht werden, als der groͤßere Verkehr stromabwaͤrts Statt findet. Dieß jedoch gar nicht in Anschlag gebracht, und selbst wenn man die Decimalen an dem Falle per Meile weglaͤßt, und das Minimum der Quantitaͤt annimmt, ergeben sich 10,656 Kubikfuß Wasser, welche 666,000 Pfd. wiegen, und welche, indem sie in einer Minute um 7 Fuß fallen, so viel ausmachen, als 4,662,000 Pfund die durch einen Fuß fallen. Zieht man hievon 1/5 als den bei der Anwendung dieser Kraft sich ergebenden Verlust ab, so bleiben noch 3,729,600 Pfd. Da aber die Last, welche fortgeschafft werden kann, von der Geschwindigkeit, die man ihr geben will, abhaͤngt, so wird man, wenn man diese Geschwindigkeit zu 10 Meilen per Stunde annimmt, – was 880 Fuß per Minute betraͤgt, – durch Theilung obiger 3,729,600 Pfd. durch 880 als Quotienten 4238 Pfd., die sich mit einer Geschwindigkeit von 10 Meilen in der Stunde bewegen, erhalten. Zieht man hievon den zehnten Theil, als den Verlust fuͤr Bewegung der Kette ab, und theilt man den Rest wegen der Reibung der Wagen per Tonne durch 10, so bleiben noch 381,5 Tonnen, welche mir der großen Geschwindigkeit von 10 engl. Meilen in der Zeitstunde fortgeschafft werden! Da nun aber jede Meile wieder ihre eigene Triebkraft liefert, so folgt hieraus, daß diese Kraft im Stande ist auf jeder Meile der ganzen Linie dieselbe Last in derselben Zeit in Bewegung zu erhalten; so daß sich hienach, indem die Entfernung von Richmond bis Covington 257 1/2 Meilen betraͤgt, die ungeheuere Summe von 93,236 Tonnen ergibt: was so viel ist, als wenn stuͤndlich 3815 Tonnen in Verkehr erhalten wuͤrden! Ich habe hiemit gezeigt, welche große Kraft auf diese Weise erzielt werden koͤnnte, – eine Kraft, die sich erst gehoͤrig ermessen laͤßt, wenn man bedenkt, daß sie in 17 Stunden eine groͤßere Tonnenzahl bewegen koͤnnte, als im ganzen, mit dem September 1833 abgelaufenen Jahre auf der Baltimore- und Ohio-Eisenbahn fortgeschafft wurde. Es bleibt mir daher nach diesen Praͤmissen nur mehr der Beweis zu fuͤhren uͤbrig, daß diese Kraft mit maͤßigen Kosten wirklich in Anwendung gebracht werden koͤnnte. Die Kosten der Errichtung der Bauten zu diesem hydrodynamischen Transporte haͤngen von deren Maaßstab oder Groͤße, von der groͤßeren oder geringeren Dauerhaftigkeit der dazu verwendeten Materialien, und auch von dem Grade der Ausdehnung ab, in welchem die Triebkraft benuzt werden soll. In lezterer Hinsicht ist jedoch wohl zu beruͤksichtigen, daß man die Kraft so wohlfeil und in so großem Ueberschusse erhaͤlt, daß das kostspielige Nivelliren großen Theils entbehrlich wird. Diese Anwendung einer fixen Kraft auf eine undulirende Oberflaͤche von jedem Grade der Steigung macht diese Art von Transportmethode auch ganz vorzuͤglich fuͤr gebirgige Gegenden geeignet; man kann mit deren Huͤlfe leicht die Kruͤmmungen der Fluͤsse durchschneiden, und auf diese Weise die Distanz bedeutend vermindern, waͤhrend ein Canal oder auch eine gewoͤhnliche Eisenbahn um diese Kruͤmmungen herum gefuͤhrt werden muͤßte. Ein anderer großer Vortheil, der sich aus der Anwendung dieser wohlfeilen Kraft ergaͤbe, waͤre der, daß man statt der eisernen Schienen eine breite Bahn aus Granitbloͤken bauen koͤnnte, wie sie z.B. von London an die West India Docks gefuͤhrt ist. Eine solche Granitbahn wuͤrde zwar bei der ersten Anlage hoͤher zu stehen kommen; allein wegen ihrer groͤßeren Dauerhaftigkeit duͤrften diese Mehrkosten wohl bald ausgeglichen werden. Der hauptsaͤchlichste Vortheil einer solchen Granitbahn waͤre jedoch, daß Jedermann seinen eigenen Wagen mit Pferden bis auf die Bahn schaffen, und ihn dann auf dieser mit Zuruͤklassung seiner Pferde zu Markte foͤrdern lassen koͤnnte; und zwar mit einer Geschwindigkeit von 10 oder 20 Meilen in der Zeitstunde. Eine solche Unternehmung traͤfe dann auch nicht der widerliche Vorwurf des Monopoles, den man gegen die Eisenbahnen vorbringen hoͤrt. Um jedoch einen Kostenuͤberschlag machen zu koͤnnen, muß man annehmen, daß die Bauten fuͤr irgend einen bestimmten Verkehr hergestellt werden sollen. Ich will daher annehmen, daß stuͤndlich 100 Tonnen auf ein Mal geliefert, oder 50 Tonnen mit einer Geschwindigkeit von 10 engl. Meilen in der Zeitstunde fortgeschafft werden sollen. Zu diesem Behufe muͤßte nun alle 4 Meilen ein Damm aufgefuͤhrt werden, der, auf die solideste Weise aus Steinbloͤken gebaut, 10,000 Dollars kosten wuͤrde. Die Breite des Flusses betraͤgt bis zu dem Blue Ridge im Durchschnitte 699 Fuß, uͤber demselben im Durchschnitte nur 275 Fuß. Fuͤr Wasserraͤder von dem besten Baue und der groͤßten Dauerhaftigkeit rechne ich 3000 Dollars. Dieß gaͤbe also fuͤr 4 Meilen 13,000 Dollars, und mithin wuͤrde die Triebkraft per Meile auf 3250 Dollars zu stehen kommen. Hienach ergaͤbe sich folgender Kostenanschlag: Triebkraft oder Kosten der Daͤmme per Meile   3,250 D. Taue, eine doppelte Linie per Meile   1,800  – Seilleitungsrollen      850  – Eine breite, doppelte Granit- oder MarmorbahnHoͤlzerne oder eiserne Bahnen, wie z.B. jene an der Petersburg Eisenbahn, koͤnnten doppelt gelegt fuͤr 6000 Dollars per Meile hergestellt werden. Auch diese wuͤrden hier weit laͤnger dauern, als bei der Anwendung von Dampfwagen. A. d. O.   8,000  – Abgrabungen und Bruͤkenbau per Meile   2,000  – –––––––– 15,900 D. Rechnet man hiezu noch 10 Proc. fuͤr Direction und Aufsicht   1,590  – –––––––– so ergeben sich in Summa per Meile 17,490 D. So groß und unguͤnstig dieser Kostenanschlag auch zu seyn scheint, so sind doch die Gesammtkosten der Triebkraft, mit Einschluß der Daͤmme, der Wasserraͤder, der Seile und Rollen, per Meile weit geringer, als die Schleusen an dem Chesapeake- und Ohio-Canale, an welchem, wie ich von Glaubwuͤrdigen versichert wurde, der Hub von einem Fuß auf 1500 Dollars zu stehen kommt. Ich habe bei obiger Berechnung Seile statt Ketten genommen, weil erstere allgemeiner im Gebrauch sind; die Berechnung geschah jedoch nach dem Preise der neu erfundenen, mit Kautschuk gesaͤttigten Seile, die weit dauerhafter seyn sollen. Wenn die Stationen oder Wasserraͤder in Entfernungen von 4 Meilen von einander angebracht waͤren, so wuͤrde jedes Rad zwei Meilen der Bahn auf ein Mal zu betreiben haben; sollte es jedoch der Verkehr erfordern, so ließe sich durch Errichtung eines Rades mehr an jeder Station eine doppelte oder wahrscheinlich dreifache Tonnenzahl fortschaffen. Folgende Schaͤzung zeigt den Betrag an Kraft, der erforderlich ist, um die viermeiligen Stationen zu betreiben. Reibung und Widerstand von 2 Meilen Seilen oder Tauen   600 Pfd. Gewoͤhnliche Reibung von 50 Tonnen Wagen und Guͤtern,zu 10 Pfd. per Tonne   500  – Zugabe fuͤr außerordentliche, zufaͤllige Schwerkraft, zu20 Pfd. per Tonne 1000  – ––––––– Zugegebene Kraft bei einer Geschwindigkeit von 10 Meilenin der Zeitstunde 2100 Pfd. Diese 2100 Pfd., welche sich in einer Minute durch 880 Fuß bewegen, sind gleich 1,848,000 Pfd., welche sich durch einen Fuß bewegen. Dieß gibt jedoch 154,000 Pfd., die innerhalb derselben Zeit durch 12 Fuß fallen, was dem Gewichte nach 2464 Kub. Fuß Wasser geben wuͤrde. Rechnet man hiezu noch 1/4 fuͤr Verlust bei der Anwendung, so erhaͤlt man 3080 Fuß per Minute, oder etwas mehr als 51 Fuß per Secunde. Ich habe, um einen Begriff von den wahrscheinlichen Kosten in großem Maaßstabe zu geben, isolirte, in regelmaͤßigen Entfernungen von einander angebrachte Daͤmme angenommen; jeder Ingenieur wird jedoch seinen Bau den sich darbietenden Oertlichkeiten anzupassen wissen. So wird er manchmal einem fortlaufenden Canale den Vorzug geben, und an diesem statt der Schleusen Wasserraͤder anbringen, so daß das verbrauchte Wasser in die naͤchst folgende untere Canalstreke abgegeben wird; in anderen Faͤllen hingegen, wo sich das Niveau in großen Streken gleichbleibt, wird er die Einrichtung treffen, daß die Raͤder ihr Wasser in den Fluß entleeren, so daß es bei dem naͤchsten Damme wieder aus diesem entnommen werden koͤnnte. An bereits bestehenden Canaͤlen, wo es viele Schleusen gibt und wo Reichthum an Wasser ist, kann das Ziehen der Boote offenbar mit Huͤlfe ebendieser Mittel bewerkstelligt werden, d.h. man kann laͤngs einer Schleuse ein Wasserrad anbringen, und an der einen Seite des Canales eine Kette, die an der anderen Seite zuruͤkkehren wuͤrde, herablaufen lassen. Da hiebei der Saumpfad am Ufer nicht laͤnger mehr noͤthig seyn wuͤrde, so koͤnnte man statt dessen einen leichten Schienenweg legen, auf welchem die Wagen fuͤr Reisende von derselben Kraft mit irgend einer beliebigen Geschwindigkeit fortgeschafft werden koͤnnten. In vielen Faͤllen, wo eben kein Ueberfluß an Wasser ist, duͤrfte es jedoch besser seyn, statt der Schleusenthore Wasserraͤder anzubringen, den Saumpfad zu erweitern und eine Eisenbahn zu legen. Ich schließe mit der Aufforderung an alle Sachverstaͤndigen, sich mit weiterer Erforschung der hiemit in Anregung gebrachten Sache zu beschaͤftigen.