Titel: Mittheilungen aus Dr. Ure's neuestem Werke über die Baumwollenmanufacturen.
Fundstelle: Band 63, Jahrgang 1837, Nr. XXIII., S. 123
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XXIII. Mittheilungen aus Dr. Ure's neuestem Werke uͤber die Baumwollenmanufacturen. Ure, uͤber die Baumwollenmanufacturen. In Kurzem folgten sich zwei sehr schaͤzbare Werke uͤber die brittische Baumwollenmanufactur; die Geschichte derselben von Edw. Baines (die ins Deutsche uͤbertragen vor wenigen Monaten in der I. G. Cotta'schen Buchhandlung erschien), und nun die vor Jahren schon angekuͤndigte Darstellung dieses merkwuͤrdigen Industriezweiges von dem Verfasser der „ Philosophy of Manufacture“ unter dem Titel: the Cotton Manufacture of Gr. Britain systematically investigated by Andr. Ure, Lond. 1836 in 2 Octavbaͤnden mit eingedrukten Holzschnitten. Die Schrift von Ure geht im zweiten Bande weit mehr ins Technische ein, als die von Baines, und dieser laͤßt daher auszugsweise wenigstens eine baldige Uebersezung wuͤnschen; der erste hingegen, der fast ausschließlich historischen und statistischen Inhalts ist, duͤrfte dem Besizer von Baines wenig Neues darbieten. Nicht wenige interessante Bemerkungen und Angaben finden sich inzwischen in dem Schlußcapitel, so wie in der langen Einleitung, worin der Verfasser, der im verflossenen Jahre noch Frankreich und Belgien bereiste, unverholen seine Ansichten uͤber den comparativen Zustand dieser Industrie außerhalb England an den Tag legt. Wir glauben daher, daß einige Mittheilungen den Lesern des Polytechn. Journals angenehm seyn werden. Auch in England verkennt man zwar seit manchen Jahren nicht, daß die auswaͤrtige Baumwollenfabrication bedeutende Fortschritte macht; man scheint sich jedoch das Wort gegeben zu haben, alle Besorgnisse einer ernsten Concurrenz zerstreuen zu muͤssen; und auch Baines sucht darzuthun, daß die brittische Superioritaͤt auf einem unerschuͤtterlichen Grunde ruhe. Anders urtheilt Ure. Nach ihm ist die Mitbewerbung nicht nur moͤglich, sondern mitunter bereits vorhanden. Noch immer erweitert und vervollkommnet sich die englische Industrie, weit rascher aber die fremde. Dermalen verarbeitet der Continent (nebst den Vereinigten Staaten) uͤber 750,000 Ballen Baumwolle, oder nur um ¼ weniger als Britannien. Vor 20 Jahren habe die Schweiz noch fast alles Garn von der Hand gesponnen (?), jezt produciren die schweiz. Spinnereien schon ihren ganzen betraͤchtlichen Bedarf an Garnen bis Nr. 60; und verbrauchen uͤber 56,000 Ballen. Nr. 40 spinnt man daselbst um 20 Proc. wohlfeiler als in Manchester. Alle Kostenelemente außer dem Zinsfuß und der Fracht sind viel geringer. Leztere betraͤgt per Pfd. von Triest 1 D. (engl.) und vom Havre 1¼ D. Spinner verdienen woͤchentlich 8–10 Sch., Kinder 3 Sch., Weber 4 Sch. (daher Kraftstuͤhle nicht bestehen koͤnnen?) Viele Staaten verbrauchen noch große Quantitaͤten engl. Fabricate, besonders Garn. Die Lausitz uͤber 12 Mill. Pfd. Garn (und Zittau allein 5–6 Mill.), Elberfeld an 15 Mill., Rußland uͤber 20 Mill. Die Spinnereien vermehren sich aber zusehends; in mehreren Laͤndern, in Rheinpreußen — besonders aber in Italien, ist der Arbeitslohn noch weit niedriger als in der Schweiz. In Neapel (das noch circa 2 Mill. Pfd. Garn bezieht) sind kuͤrzlich mehrere Spinnereien nach dem neuesten System errichtet worden, und der Lohn der Maͤnner ist nur 6 Sch., der Weiber nur 2–3 Sch. Nur in gewissen, besonders feineren Artikeln, behauptet England eine Ueberlegenheit. Die auslaͤndische Fabrication greift aber immer mehr um sich. Ure gibt nicht zu, daß der engl. Arbeiter durchaus geschikter sey und mehr leiste; und eben so nicht, daß die engl. Maschinen aller Art besser und productiver seyen. Zudem sey der Auslaͤnder nicht durch eine Fabrikbill beschraͤnkt; man arbeite woͤchentlich oft uͤber 80 St. (nicht 69 wie in England) in Rheinpreußen, sogar bisweilen bis 90! (Eine Freiheit, die uͤbrigens, besonders wo kleine Kinder gebraucht werden duͤrfen, keineswegs zu billigen ist.) Auch Ure redet dem franzoͤsischen Prohibitivsysteme natuͤrlich nicht das Wort; so viel sey jedoch gewiß, daß die Baumwollenindustrie (sey es nun Troz oder in Folge dieses Systems) in den lezten Jahren erstaunenswerthe Fortschritte gemacht hat; und obschon Bowring behauptet, dieses verderbliche System koste Frankreich schon uͤber 5000 Mill. Fr. Fracht, so habe er sich uͤberzeugt, daß die Beibehaltung auch seit der Enquête von der großen Mehrzahl gewuͤnscht (oder fuͤr nothwendig erachtet) wird. Der Verfasser lernte vornehmlich die Fabriken des Elsasses kennen; heben wir einige Notizen aus. Die Spinnerei von N. Schlumberger hat 54,000 Mulespindeln, wovon 24,000 Nro. 118–200 (engl.) spinnen. Die Stuͤhle haben 396 Spindeln. Ein Auszug von 56″ geschieht (beim Spinnen von Nr. 140) genau in 52 Secunden, und ohne daß merklich Faͤden rissen, und 1 Spinner mit 3 Gehuͤlfen fuͤhrt 2 Stuͤhle. Alles beweist die groͤßte Trefflichkeit aller dieser (selbstverfertigten) Maschinen, so wie die Geschiklichkeit der Arbeiter. Die Flyrovings (mit 200 Spulen) scheinen mehr zu leisten als irgendwo, und die eisernen Zugwalzen so wie die Spindeln an Guͤte und Schoͤnheit noch die englischen zu uͤbertreffen. Aehnliche Resultate fand er bei Koͤchlin, Dollfuß u. A. Ueberall ist in den Carderien das (so vorzuͤgliche) Couloirsystem eingefuͤhrt, waͤhrend man in England noch die Cardings in Blechkannen fallen laͤßt. Die Flyrovings von Andr. Koͤchlin (mit 120 Spindeln) liefern in 12 Stunden 32–35 Pfd. von Nr. 10.– Bei Dollfuß Mieg, wie anderwaͤrts, fuͤhrt jeder Spinner 2 Mules.Vergl. meine Bemerkungen gegen Cowell im Polyt. Journal Bd.LV. G. 280 ff. Ein Auszug von 56″ (bei Nr. 90) geschah regelmaͤßig in 54 Secunden, beim Spinnen von Nr. 36 in 25 Secunden. — In Naͤgeli's auf 80,000 Spindeln bereicherten Spinnerei fuͤhrt 1 Spinner 2 Stuͤhle von 396 Spindeln, und 3 Zuͤge haben in 76 Secunden Statt (bei Nr. 35). Besonders merkwuͤrdig ist das Etablissement in Wesserlingen; die Spinnstuͤhle haben nur 180–240 Spindeln, und jeder wird einzeln, aber von einem Maͤdchen gefuͤhrt. Die Spindel lieferte jaͤhrlich circa 30 Pfd. (Nr. 40.) Die Arbeitszeit betraͤgt 14½ Stunde (!) und eine Spinnerin verdient taͤglich etwa 1½ Fr. — Die Fabrik hat 150 Powerlooms, und beschaͤftigt noch 1650 Handstuͤhle; sie producirt an 70,000 Stuͤk zu 33 Ellen (42½ Yards). Die Zahl der Arbeiter in der Spinnerei, Weberei und Kattundrukerei betraͤgt 3176; und die Elementarkraft (8 Wasserraͤder und 5 Dampfmaschinen) an 300 Pferdekraͤfte. Die Powerlooms machen nur 96–100 Schlaͤge per Minute statt 120 wie in England. Da die Arbeitszeit aber 14½ (statt 11½) ist, so leisten sie doch noch etwas mehr als hier. — So sehr indessen der Verfasser die Fortschritte der elsassischen Industrie heraushebt, so verschweigt derselbe doch nicht ihre Schattenseite, den oͤkonomischen und sittlichen hoͤchst betruͤbenden Zustand der Arbeiter.Naͤchstens wird wohl Hr.Villermè, der mehrmals Frankreich bereist hat, bloß um die Lage der Fabrikarbeiter zu studiren, diesen Gegenstand mit Nachdruk zur Sprache bringen. Vor Allem scheint ihm ein Verbot gegen die allzu anhaltende Arbeit der Kinder dringend. Auch er fand uͤbrigens keineswegs die Arbeiter in Baumwollspinnereien besonders elend. Im Elsaß sind nur die vielen fremden Arbeiter oft in graͤßlicher Duͤrftigkeit. Viel demoralisirter als da sand er aber die Arbeiter in Lille. In Rouen fand Ure ebenfalls Maschinenfabriken, die so gute Werkzeuge liefern sollen, als irgend eine englische. Sehr bluͤhend nennt er die Industrie in Lille. — In Gent bewundert er besonders die Weberei von Hrn. Claes-Decocq; keine in England sey so prachtvoll. In zwei 275' langen Saͤlen stehen 600 Powerlooms von trefflicher Construction, die 14 Stunden taͤglich thaͤtig sind und 110 Schuͤsse per Minute vollziehen. Jede der 32 Schlichtmaschinen schlichtet per Woche 4 bis 5000 Ellen. (100 à 76½ Y.) Das Ganze sezt eine Woolf'sche Dampfmaschine von 40 Pferdekraͤften in Bewegung. — In seiner Spinnerei hat jede Mule nur 240 Spindeln und einen eigenen Spinner; es werden aber 4 Auszuͤge per Minute vollzogen, und zuweilen an 240 Pfd. (Nr. 30) in einer Woche producirt. Auch mehrere vortreffliche Maschinenfabriken hat Gent, wovon eine neulich den Flyroving so vervollkommnete, daß er an 770 Pfd. liefert. Vor Allem wird aber die Concurrenz der Vereinigten Staaten von Jahr zu Jahr gefaͤhrlicher. Nach amtlichen Verichten von 1831 besaßen 12 Staaten schon an 800 Muͤhlen mit 5/4 Mill. Spindeln, 33,500 Stuͤhle und 58,000 Arbeiter, die 68 Mill. Pfo. Garn und 230 Mill. Yards Zeuge producirten. Bis jezt liefert die Union freilich nur groͤbere Stoffe, zumal Haustuͤcher (domestics). Eine Menge Umstaͤnde geben ihr hierin aber entschiedene Vorzuͤge. — Die Fracht der Baumwolle ist wohlfeiler, und der Fabrikant zahlt weder Abgabe (in England 5/16 Proc.) noch Commissionskosten; dadurch allein kommt der Urstoff um 12–14 Proc. billiger zu stehen. Die Triebkraft ist Wasser, und darum vier Mal wohlfeiler als in England. Eben so sind alle Lebensbeduͤrfnisse, so wie die Schlichte viel wohlfeiler. Auch dort endlich arbeitet man laͤnger. — Unglaublich fast ist die Zunahme der Fabrication. Lowell, unlaͤngst noch ein Weiler, hat jezt uͤber 100,000 Spindeln im Gange, und webt jaͤhrlich an 36 Mill. Yards Tuͤcher. Bereits fuͤhrt die Union gewisse Artikel in Menge aus, und es ist fast unmoͤglich darin die Concurrenz zu bestehen. Auf vielen Maͤrkten wird England schon verdraͤngt. Nach Morrison (in Canton) fuͤhrte im Jahre 1834 die Union 160,000 Stuͤk Baumwollzeuge in China ein, und England nur 76,000! Aus Ure's Einleitung fuͤhren wir endlich noch 2 Notizen an. Von 151 Spinnereien in Lancashire spinnen nur 6 oder 7 uͤber Nr. 150. Die von Houldsworth hat es aber so weit gebracht, da sie neulich (und zu wirklichem Gebrauch fuͤr franzoͤsische Fabriken) Garn von 450 Yards aufs Pfund erzeugte, von dem also ein Pfd. fast von London bis Paris reichte. Dieses Garn ist aus der feinsten Georgia gesponnen, und nur 1/300″ dik. Nach Richmann, der die Populationstabellen von 1831 bearbeitete, ergab sich, daß die Sterblichkeit beim weiblichen Geschlecht von 10–20 Jahren in nichtfabricirenden Grafschaften 1/133 betraͤgt, in York- und Lancashire hingegen nur 1/172. In dem lezten Capitel des ersten Bandes macht uns der Verfasser mit der Einrichtung einer der neuesten englischen Factoreien (der von Orrell bei Stockport) bekannt. Diese nach Fairbairns Plan ausgefuͤhrte Anstalt enthaͤlt in einem 6stoͤkigen Gebaͤude 56 Handmules mit 24,928 Spindeln, 19 Selfactors mit 7984 Sp., 78 Drosselstuͤhle mit 12,948 Sp., und uͤberdieß 1100 Powerlooms. Gewoͤhnlich rechnet man auf 1 Dampfpferdekraft 10 Powerlooms (mit Zubehoͤr), 500 Mulejennyspindeln, 300 Selfactorspindeln, oder 180 bis 200 Drosselspindeln. Neuere genaue Messungen geben jedoch sehr verschiedene Resultate. Nach Peel und Williams erfordern 396 Powerl. mit 16 Schlichtmaschinen eine Kraft von 66 Pferden. Nach Bennet's Beobachtungen absorbirten in Beavers Factorei 500 Powerl. (ohne Schlichtmaschinen) die Kraft von 33 Pferden. In Birlies Factorei kamen auf 1 Pferdekraft (je nach der Construction der Selfactingstuͤhle) 417, 475 und 540 Spindeln! Bei Clarke und Soͤhne kamen auf 1 Pferdekraft nur 11 Powerl. (fuͤr dike Zeuge) ohne Zubehoͤr. Von einer vorzuͤglichen Watt'schen Dampfmaschine von 60 Pferden absorbirten die Maschine selbst nebst den Transmissionen. 14,5  Pfd. die Batteurs etc. 21,55 — 10 Schlichtmaschinen. 10,25 — 12 Selfactors von 360 Spindeln.  6      — 6 Danforth Drosselst. (zu 96 Sp.).  6,20 — In Bradford sezt eine 40pferdige Dampfmaschine von Bolton und Watt 598 Calicowebstuͤhle, 6 Schlichtmaschinen (zu 180 Webstuͤhlen) und eine mechanische Werkstaͤtte in Gang. Nach Bennet's Beobachtungen machen die Wellbaͤume, welche die Kardaͤtschmaschinen treiben, circa 120 Umgaͤnge per Minute, und haben Rollen von 15–17″ Diam. Die Wellbaͤume der Strekwerke und Flyframes machen 160 bis 200 Umgaͤnge mit Rollen von 18–24″; die der Drosselst. 200–240 Umgaͤnge mit Rollen von 18″ die der Mulen 130 Umgaͤnge mit Rollen von 16″. — — Powerlooms 110–120 Umgaͤnge mit Rollen v. 15″. — — Schlichtmaschinen 60 mit Rollen von 14″. Die Baumwollfactoreien werden insgemein mittelst gußeiserner Dampfroͤhren von 7–8″ Diam. geheizr. Man rechnet, daß 1 Kubikfuß Kesselraum wenigstens 2000 Kubikfuß Luft gehoͤrig zu heizen vermag; und wenn man 25 Kubikfuß Wasser zu 1 Pferdekraft annimmt, so wuͤrde ein Dampfkessel fuͤr eine 10pferdige Maschine fuͤr einen Raum von 500,000 Kubikfuß hinreichen. Auf 200 Kubikfuß ist 1 □schuh Roͤhrenflaͤche zu rechnen. Bei diesen Heizungen ist nicht nur zu sorgen, daß die Roͤhren sich ausdehnen und die Luft entweichen koͤnne, sondern noch, daß niemals Dampfwasser darin bleibe, weil dieses, so wie man wieder Dampf einstroͤmen laͤßt, eine gleichfoͤrmige Ausdehnung der Roͤhren hindert, so daß sie leicht zerspringen. — Die Heizung der Trokenkammern mittelst Dampf (in Drukereien) ist fuͤr; die Gesundheit der Arbeiter ohne Vergleich weniger nachtheilig als die durch Oefen. Schließlich noch einige Notizen uͤber die obgedachte Factorei von Orrell. Voͤllig fertig (wie sie es jezt seyn wird) und mit 3 Dampfmaschinen (von 250 Pferdekraͤften) versehen, soll dieselbe in Summa 85,000 Pfd. St. kosten. Bereits sind 2 Dampfmaschinen von 90 Pferden jede im Gange, die beide auf 1 Hauptwellbaum, mit einem Schwungrade wirken, so daß die Bewegung, da die sogenannten todten Punkte sich ausgleichen, ungemein sanft ist. Von den in Manchester gebauten Maschinen kosten: die conischen Willows von Lillie (deren 2) 70 L. das Stuͤk, die Batteurs und Lapmaschinen (deren 5) 70 — — die Karden ohne Garnitur 42 L., und die Garnitur 24 L., die Strekmaschine 37½ L., die Flyrovings 46 Schill. per Grobspule, und 32 per Feinsp. Handmuljennys 4¾ Schill. per Spindel. Die Selfactors 8 L. die Drosselstuͤhle 10½ Schill. per Spule. Von Nr. 36 liefert 1 Spindel in 69 Stunden — auf den Handmuͤhlen 26 Hanks, auf den Selfactors 31½ H. Die Powerlooms machen 120 Schlaͤge per Minute, und geben in 69 Stunden 5¾ Stuͤk. Das Pfund Kettengarn Nr. 36 kommt auf 1 Sch. 6½ Pnc. Der Einschlag auf 1 Sch. 4 Pnc. Die Wolle zum ersten kostet 11 Pnc. Die zum Eintrag 9¾ P. Der jezige Verkaufspreis ist durchschnittlich 1 Sch. 8½ Pnc. B.