Titel: Ueber die flüchtige Flüssigkeit, welche man bei der trokenen Destillation des Kautschuks erhält; von Dr. William Gregory.
Fundstelle: Band 63, Jahrgang 1837, Nr. XXVIII., S. 144
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XXVIII. Ueber die fluͤchtige Fluͤssigkeit, welche man bei der trokenen Destillation des Kautschuks erhaͤlt; von Dr. William Gregory. Aus dem London and Edinburgh philosophical Magazine, November 1836, S. 321. Gregory, uͤber die fluͤchtige Fluͤssigkeit. Vor einigen Jahren erhielt Hr. Enderby in London ein Patent auf die Bereitung einer fluͤchtigen und entzuͤndbaren Fluͤssigkeit vermittelst der Destillation des Kautschuks.Polytechnisches Journal Bd. LVI. S. 288. Diese Fluͤssigkeit besizt sehr merkwuͤrdige Eigenschaften. So wie sie Hr. Enderby bereitet, ist sie farblos, sehr fluͤssig, geschmaklos und besizt einen eigenthuͤmlichen aͤtherartigen Geruch. Ihr specifisches Gewicht ist ‗ 0,680 und sie kocht bei einer Temperatur unter 30° R.; da noch keine Untersuchung dieser merkwuͤrdigen Substanz bekannt gemacht worden ist, so will ich die Resultate einiger Versuche mittheilen, welche ich damit anstellte. Da Hr. Enderby sein Oehl bloß durch Rectification reinigt, so suchte ich diesen Proceß so weit als moͤglich zu treiben, um die weniger fluͤchtigen Substanzen, welche allenfalls noch vorhanden seyn moͤchten, davon zu trennen. Durch mehrmals wiederholte Rectificationen, welche bei 21 bis 26° R. vorgenommen wurden, also ohne daß die Fluͤssigkeit ins Kochen kam, erhielt ich zulezt eine Fluͤssigkeit von 0,666 spec. Gewicht bei 12°, 44 R. Die neue Fluͤssigkeit war jedoch keineswegs Reichenbach's Eupion, welches ihr im spec. Gew. sehr nahe kommt; denn sie kocht bei ungefaͤhr 26° R. und wird durch concentrirte Schwefelsaͤure augenbliklich zersezt, waͤhrend das Eupion bei 34°, 67 R. kocht und der Einwirkung dieser Saͤure widersteht. Der Siedepunkt des neuen Oehls ist nicht constant. Das von 0,670 spec. Gew. Faͤngt bei 28° R. zu kochen an; die Temperatur erhoͤht sich aber bald und erreicht gegen das Ende der Destillation 6l° R. Wir koͤnnen es folglich nicht als eine ungemischte Verbindung betrachten. Ich nahm im verflossenen Jahre etwas von dieser Fluͤssigkeit mit mir nach Gießen, um es unter Aufsicht von Prof. Liebig zu analysiren. Obgleich ich aber von der Analyse einer offenbar von Beimischung nicht freien Substanz kein sehr genuͤgendes Resultat erwarten konnte, so ergab sich doch zu meiner Verwunderung, daß sie in ihrer Zusammensezung mit dem oͤhlbildenden Kohlenwasserstoffgas uͤbereinstimmt. Ich untersuchte nun die Wirkung der Schwefelsaͤure auf die neue Fluͤssigkeit. Wenn man ihr diese Saͤure in großer Menge zusezt, so wird ein Theil des Oehls augenbliklich zersezt, waͤhrend der Rest durch die entbundene Hize mit Hinterlassung einer schwarzen halbfluͤssigen Masse verfluͤchtigt wird. Wenn man aber das Oehl in einer langen Roͤhre allmaͤhlich mit der Saͤure versezt und sie vor jedem neuen Zusaz mit dem Daumen verschließt und abkuͤhlt, so erhaͤlt man eine farblose Fluͤssigkeit, die auf der Oberflaͤche der oben erwaͤhnten schwarzen Masse schwimmt. Sobald auf Zusaz neuer Saͤure keine Erhizung mehr eintritt, kann die Fluͤssigkeit decantirt, mit Kaliloͤsung gewaschen und uͤber Chlorcalcium rectificirt werden. Diese Fluͤssigkeit unterscheidet sich in ihren Eigenschaften auffallend von dem Oehl, welches sie lieferte. Sie hat einen aromatischen, dem Terpenthin aͤhnlichen Geruch und kocht bei ungefaͤhr 181° R.; dessen ungeachtet hat sie wie die urspruͤngliche genau die Zusammensezung des oͤhlerzeugenden Gases. Prof. Liebig hat in den Annalen der Pharmacie, Okt. 1835 auf die merkwuͤrdige Veraͤnderung des Kaͤutschukoͤhls durch Schwefelsaͤure aufmerksam gemacht und die Vermuthung aufgestellt, daß diese Veraͤnderung in der Verwandlung des Oehls in Eupion, welches der Schwefelsaͤure widersteht, bestehen moͤchte. Ich theile diese Ansicht, denn Reichenbach's Eupion kocht bei 34° R., unser Oehl hingegen bei 181° R.; auch ist sein Geruch ganz verschieden. Ich muß bei dieser Gelegenheit jedoch einer merkwuͤrdigen Thatsache erwaͤhnen. Als ich selbst Kautschuk der trokenen Destillation unterwarf, erhielt ich Enderby's Oehl nicht; als ich aber die fluͤchtigeren Producte mit Schwefelsaͤure versezte, erhielt ich eine Substanz, die ich als unreines Eupion erkannte. Daß mir die Darstellung des neuen Oehles nicht gelang, schreibe ich einem Unterschied in der angewandten Temperatur zu. Hr. Heß hat in den Annales de Chimie Bd. LXI. S. 331 auf einige Umstaͤnde aufmerksam gemacht, welche fuͤr unseren Gegenstand sehr interessant sind. Er spricht zuerst von der Analogie des Steinoͤhls mit Reichenbach's Eupion und bemerkt dann, daß als er nach Reichenbach's Methode Eupion aus Oehl bereitete, er eine Fluͤssigkeit von 0,71 spec. Gew. erhielt, welche er durch Behandlung mit Kali zulezt bis auf 0,648 spec. Gew. herabbrachte und die bei 16 bis 34° R. kochte. Diese Fluͤssigkeit hatte die Zusammensezung des oͤhlerzeugenden Gases und enthielt, wie er sagt, nur sehr wenig Eupion, welches durch Schwefelsaͤure abgeschieden werden konnte. Nun machen es meine oben erwaͤhnten Versuche außerordentlich wahrscheinlich, daß die Fluͤssigkeit des Hrn. Heß mit derjenigen Enderby's identisch ist und daß das Oehl, welches durch Schwefelsaͤure von ihr abgeschieden wurde, nicht Eupion, sondern das zweite von mir analysirte Oehl ist. Hr. Heß hat gezeigt, daß das reine Steinoͤhl dieselbe Zusammensezung wie das oͤhlerzeugende Gas hat; und da es dem Eupion sehr analog ist, so vermuthet er, daß lezteres ebenfalls in seiner Zusammensezung damit uͤbereinstimmt. Er theilt dann die sehr zahlreichen Verbindungen, welche wie das oͤhlerzeugende Gas beilaͤufig 85,7 Proc. Kohlenstoff und 14,3 Proc. Wasserstoff enthalten, in zwei Reihen. Die eine, in welche das Paraffin, Eupion und oͤhlerzeugende Gas gehoͤren, nennt er die passive, weil sie nicht auf Schwefelsaͤure wirken; die andere, in welche Faraday's vierfacher Kohlenwasserstoff und das von ihm selbst erhaltene Oehl, so wie auch Enderby's Oehl (wenn die lezteren zwei nicht identisch sind) gehoͤren, nennt er die active, weil sie stark auf Schwefelsaͤure wirken. Ich habe seiner Ansichten hier erwaͤhnt, um die Aufmerksamkeit auf die merkwuͤrdige durch meine Versuche hergestellte Thatsache zu lenken, daß Enderby's Oehl, welches in eine dieser Classen gehoͤrt, durch Schwefelsaͤure wenigstens zum Theil in eine Fluͤssigkeit verwandelt wird, die in die andere Reihe gehoͤrt und dieselbe Zusammensezung hat. Ein anderer bemerkenswerther Umstand ist die Thatsache, daß mehrere der in Rede stehenden Fluͤssigkeiten bei der Analyse dieselbe Zusammenfezung ergeben, selbst wenn sie in der Dichtigkeit und Fluͤchtigkeit von einander verschieden sind. Bekanntlich ist dasselbe bei dem Terpenthin- und Citronenoͤhl der Fall, so daß es eine zahllose Menge polymerischer Verbindungen von Kohlenstoff und Wasserstoff zu geben scheint. Als Enderby's Fluͤssigkeit bekannt wurde, behauptete man, daß sie ein vortreffliches Aufloͤsungsmittel des Kautschuks sey, was sie bei ihrer großen Fluͤchtigkeit ungemein schaͤzbar gemacht haben wuͤrde. Ich muß jedoch bemerken, daß mir noch kein Muster davon vorgekommen ist, womit ich unter irgend welchen Umstaͤnden Kautschuk aufloͤsen konnte. Zwei Personen sagten mir, daß es ihnen gelungen sey den Kautschuk damit aufzuloͤsen, als sie aber den Versuch mit derselben Fluͤssigkeit wiederholen sollten, mißlang er beiden. Wenn diese Fluͤssigkeit also wirklich ein Aufloͤsungsmittel fuͤr den Kautschuk ist, so muß sie es unter Umstaͤnden seyn, womit ich nicht bekannt bin.