Titel: Beleuchtung des Zier'schen Geheimnisses in der Runkelrübenzuker-Fabrication.
Fundstelle: Band 64, Jahrgang 1837, Nr. XV., S. 65
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XV. Beleuchtung des Zier'schen Geheimnisses in der Runkelruͤbenzuker-Fabrication.Aus dem Wochenblatt fuͤr Hauswirthschaft, Gewerbe und Handel. Beleuchtung des Zier'schen Geheimnisses etc. Jeder, der sich fuͤr Runkelruͤbenzuker-Fabriken auch nur einiger Maßen interessirt, wird noch in gutem Gedaͤchtniß haben, welche riesenhaften Vortheile man sich im Laufe des lezten Jahres von einer angeblich ganz neuen Erfindung versprach, welche die HH. Zier und Hanewald in Quedlinburg gemacht haben wollten. In dem von Hrn. Arnoldi in Gotha daruͤber ausgegebenen und durch ganz Deutschland verbreiteten Programm heißt es von dieser unschaͤzbaren Erfindung des Dr. Zier in Zerbst,“ daß dieselbe der urspruͤnglichen Erfindung Markgrafs ihre hoͤchste Vollendung gebe, den Erfinder aber zu einem der groͤßten Wohlthaͤter Deutschlands mache. Diese Erfindung verwandle das kostspielige, oft zeitraubende und schwankende Verfahren der bestehenden Fabriken in das wohlfeilste, einfachste, schnellste und sicherste; es lasse alle bekannten Methoden weit hinter sich zuruͤk, es sey eigenthuͤmlich und mache Deutschland unabhaͤngig von den Laͤndern, die es bisher mit Zuker versahen. Namentlich wird sodann in dem genannten Circular zugesichert, daß man durch dieses Verfahren von 100 Pfd. gereinigten Ruͤben 9 bis 10 Pfd. festen Zuker erhalte, daß der Gewinn ein unter allen Conjuncturen sicherer sey und daß die Arbeiten unter mechanische Lohnarbeiter vertheilt und bei einiger Aufsicht von diesen ohne Gefahr verrichtet werden koͤnnen. Fuͤr die Mittheilung des Geheimnisses wurden 100 Friedrichsd'or verlangt, und Jeder mußte sich zur strengsten Bewahrung desselben bei einer Geldbuße von 1000 Thalern verbindlich machen. Die alles Maaß uͤberschreitenden Anpreisungen thaten ihre Wirkung; ja selbst die Groͤße der Forderung trug das Ihrige dazu bei, denn sie brachte manche zu dem Schluß, daß bei solcher Hoͤhe der Forderung doch nothwendig Etwas an der Sache seyn muͤsse. Genug, es fanden sich uͤber 100 Personen ein, welche, ohne eine weitere Versicherung zu haben, daß die geruͤhmten Vortheile der Zier'schen Methode sich bewaͤhrt finden werden, und ohne sich irgend einen Regreß fuͤr den moͤglichen Fall einer Taͤuschung oder eines Betrugs vorzubehalten, die Summe von 100 Friedrichsd'or fuͤr das Zier'sche Geheimniß erlegten. Jedem wurde sofort nach geleisteter Zahlung eine fingersdike, angeblich von Taubstummen als Manuscript gedrukte Anleitung zur Ausuͤbung des neuen Verfahrens uͤbergeben, und zugleich wurde Allen frei gestellt, sich persoͤnlich zur bestimmten Zeit beim Beginn der Fabrication in Quedlinburg einzufinden, wo ihnen das ganze Verfahren in der dortigen Fabrik von Hrn. Dr. Zier praktisch erlaͤutert werden sollte. Waͤhrend nun bis zu dem Zeitpunkt dieses Congresses in Quedlinburg, bei welchem sich gegen 50 Kaͤufer des Geheimnisses persoͤnlich einfanden, alle Zeitungen und Zeitschriften voll waren von der neuen Entdekung und den wichtigen Folgen, die sie nicht nur fuͤr alle bestehenden Fabriken, sondern auch fuͤr die Landwirthschaft und den Handel uͤberhaupt haben muͤsse, ist von diesem Augenblik an das tiefste Stillschweigen eingetreten! Es waͤre diese tiefe Ruhe auf solchen Laͤrm hin unerklaͤrlich, wenn man nicht in Erwaͤgung ziehen wollte, daß von diesem Zeitpunkt an gerade die Ablenkung der oͤffentlichen Aufmerksamkeit von der Sache im Interesse derer lag, welche bis dahin moͤglichste Verbreitung und Anpreisung der großen Entdekung durch zahllose Zeitungsartikel wuͤnschen mußten. Dagegen halten wir es im Interesse der Sache fuͤr Pflicht, dieses Stillschweigen zu brechen, und uns offen und ohne Ruͤkhalt uͤber eine in der Geschichte der deutschen Industrie wohl unerhoͤrte Illusion auszusprechen. Auch duͤrfen wir wohl den Vorwurf der Voreiligkeit nicht fuͤrchten, da viele der neu eingerichteten Fabriken fuͤr diesen Winter bereits ihre Arbeiten beendigt haben, und auch bei den uͤbrigen das Ende nahe bevorsteht, ein festes Urtheil uͤber den Werth und die Leistungen der Zier'schen Methode jezt also wohl moͤglich ist. Nach allen Nachrichten, die uns von vielen Seiten her zugekommen sind, unterliegt es jezt keinem Zweifel mehr, daß das Zier'sche Verfahren durchaus nichts Neues enthaͤlt, und daß folglich Alle, die das Geheimniß gekauft haben, schon in so fern 100 Friedrichsd'or umsonst ausgegeben haben, als sie Alles, was ihnen um diesen hohen Preis mitgetheilt wurde, viel wohlfeiler in laͤngst gedrukten Buͤchern haͤtten finden koͤnnen. Indem wir hiemit das Neue und Eigentuͤmliche des Zier'schen Verfahrens durchaus laͤugnen und dieses Urtheil zu begruͤnden im Begriffe stehen, muͤssen wir jedoch zur Vermeidung von Mißverstaͤndnissen bemerken, daß unserer Ansicht nach bei Beantwortung einer solchen Frage immer nur von den wesentlichen Theilen einer Methode, d.h. solchen, die auf das Endresultat einen entschiedenen Einfluß haben, die Rede seyn kann. Denn wollte man uͤberall jede auch ganz unwesentliche Abaͤnderung als neue Erfindung gelten lassen, so wuͤrde man in der That so viele Fabricationsmethoden erhalten, als Fabriken vorhanden sind, da wohl in jeder Fabrik dieß oder jenes auf eine etwas andere Art angeordnet ist oder betrieben wird, ohne daß man sich deßhalb der Anwendung eines neuen und eigenthuͤmlichen Verfahrens ruͤhmt. Eben so wenig koͤnnen wir es fuͤr eine neue Erfindung gelten lassen, wenn Jemand aus den verschiedenen bekannten Verfahrungsarten so auswaͤhlt, daß er z.B. beim Zerreiben der Ruͤben dem A, beim Auspressen dem B, beim Scheiden dem C, beim Klaͤren des Saftes dem D folgt. Denn auch dieses Auswaͤhlen ist etwas sehr Gewoͤhnliches, und es gehoͤrt zu solcher Entdekung, wenn wir zunaͤchst noch von den etwaigen Vorzuͤgen einer solchen zusammengesezten Wirthschaft absehen, in der That wenig Scharfsinn. Dadurch, daß Hr. Dr. Zier in seiner den Kaͤufern mitgetheilten Anleitung, welche die ganze Ruͤbenzukerbereitung von A bis Z umfaßt, nirgends herausgehoben hat, welche Punkte er dabei als seine Erfindung in Anspruch nimmt, auch bei dem Congreß in Quedlinburg es bestimmt verweigert hat, zu erklaͤren, worin sein Geheimniß eigentlich bestehe, sind wir genoͤthigt, selbst diejenigen Punkte herauszuheben, in welchen sein Verfahren von dem derzeit in den meisten Fabriken uͤblichen abweicht, und welchen man also etwa das Praͤdicat der Neuheit und Eigenthuͤmlichkeit beilegen zu muͤssen glauben koͤnnte. Wir heben in dieser Beziehung drei Punkte heraus: 1) den reichlichen Gebrauch von Kalt bei der Scheidung (Laͤuterung) mit Ausschluß der Schwefelsaͤure; 2) das Kochenlassen des Saftes nach dem Beisaz des Kalkes; 3) das erste Filtriren des Saftes (Klaͤrung) gleich nach der Laͤuterung ohne vorheriges Abdampfen. Was den ersten Punkt betrifft, so weiß Jeder, daß der Gebrauch des Kalks ohne Anwendung von Schwefelsaͤure bei der Zukerbereitung nichts Neues genannt werden kann, vielmehr gerade das aͤlteste, noch jezt in den Colonien allgemein uͤbliche Verfahren ist. Eben so wenig ist die Anwendung dieser Methode auf die Bereitung des Ruͤbenzukers neu, wie denn namentlich dieses Colonialverfahren in neuester Zeit von vielen franzoͤsischen Fabriken angenommen worden ist, und auch hier in Hohenheim laͤngst bloß Kalk angewendet wird.Vergl. Riecke's Wochenblatt 1834, Nr. 6. Die Quantitaͤt kann aber auf keinen Fall eine neue Erfindung begruͤnden, da fast jeder Zukersieder den Kalk in anderen Verhaͤltnissen zusezt. Das Kochenlassen des Saftes nach der Scheidung ist zwar in neueren Zeiten, so viel wir wissen, wenig mehr angewendet worden, aber neu kann man ein Verfahren doch nicht nennen, das Hermbstaͤdt schon vor 25 Jahren angegeben und umstaͤndlich gelehrt hat.Hermbstaͤdt's Anleitung zur praktisch-oͤkonomischen Fabrication des Zukers aus den Runkelruͤben. Berlin, 1ste Auflage, 1811. 2te Auflage, 1814, S. 37. Auch wird Hr. Dr. Zier nicht wohl sagen koͤnnen, daß ihm dieses Verfahren von Hermbstaͤdt unbekannt geblieben sey, da sich unter den literarischen Huͤlfsmitteln, welche das obengenannte Circulaͤr enthaͤlt, die Hermbstaͤdt'sche Schrift namentlich auch aufgefuͤhrt findet, und uͤberdieß diese Verfahrungsart von da aus in viele spaͤtere Schriften uͤbergegangen ist.Vergl. Erxlebens Versuche uͤber den Anbau der Runkelruͤben und deren Benuzung auf Zuker. Prag 1818, S. 54. Endlich in Beziehung auf den dritten Punkt ist es zwar fruͤher ziemlich allgemein uͤblich gewesen, die Klaͤrung durch Thierkohle erst dann vorzunehmen, wenn der gelaͤuterte Saft bis auf 25° B. und mehr abgedampft war. Seit man aber mit der zwekmaͤßigsten Anwendung des Dumont'schen Filters vertrauter geworden ist, hat dieser Proceß in vielen Fabriken schon mancherlei Abaͤnderungen erlitten, wie man denn namentlich in neueren Zeiten in Frankreich versucht hat, den Saft drei Mal zu filtriren, das erste Mal gleich nach der Laͤuterung, das zweite Mal zu 12° B., das dritte Mal zu 25° B. abgedampft.Vergl. die Runkelruͤbenzuker-Fabrication in Frankreich und ihre neuesten Verbesserungen von Payen. Deutsch von L. Gall 1836, S. 42 und 16. Sehr zu empfehlen. Es hat also hierin Hr. Dr. Zier nichts Neues erfunden, und wir moͤchten selbst die Zwekmaͤßigkeit dieses Verfahrens sehr in Zweifel ziehen, denn es ist klar, daß die Filtrirung des Saftes in diesem Zustande der Verduͤnnung bei ungefaͤhr 3° B., wie er unmittelbar nach der Laͤuterung Statt hat, sehr schnell vorsichgehen muß, wenn nicht eine nachtheilige Umaͤnderung in demselben vorgehen soll, welche nothwendige Beschleunigung aber bei der Fabrication im Großen wohl manche Schwierigkeiten darbieten duͤrfte. Gehen wir nun aber von der Untersuchung uͤber die Neuheit der Methode zur Betrachtung ihrer Leistungen uͤber, so sind, so weit unsere Nachrichten reichen, alle Kaͤufer des Zier'schen Geheimnisses daruͤber einig, daß von allen den großen Versprechungen, welche in dem oben angefuͤhrten Circulare enthalten sind, keine in Erfuͤllung gegangen ist. Nicht einer kann sich eines Gewinnes von 9–10 Proc. festen Zukers ruͤhmen, obgleich der heurige Jahrgang als einer der guͤnstigsten fuͤr die Zukerfabrication allgemein anerkannt wird! Wenn Hr. Dr. Zier jezt erklaͤrt, wie er dieß in Quedlinburg wirklich gethan haben soll, er habe darunter nicht 10 Proc. krystallisirten Zuker, sondern 10 Proc. Masse, d.h. Rohzuker und Syrup zusammengenommen, verstanden, und er sey fuͤr die Uebertreibungen der von seiner Methode zu erwartenden Vortheile in Zeitungsartikeln nicht verantwortlich, so uͤberlassen wir es dem Leser, dem wir oben den Inhalt des Arnoldi'schen Circulars kurz mitgetheilt haben, diese Antwort des Hrn. Dr. Zier zu wuͤrdigen.Wenn manche von den neu eingerichteten, nach der Zier'schen Anweisung arbeitenden Fabriken mit den Resultaten ihrer Arbeiten im Allgemeinen zufrieden sind, so ist dieß kein Beweis gegen unsere obige Behauptung; denn wir laͤugnen nicht, daß man nach dem Zier'schen Verfahren eben so gut Zuker fabriciren kann, als nach anderen Methoden, aber wir laͤugnen, daß es alle anderen bisher bekannten Methoden hinter sich zuruͤklaͤßt! Von den vergleichungsweisen Leistungen der Zier'schen Methode muß man also sprechen; aber diese, fuͤr die Beurtheilung doch so noͤthige, Vergleichung ist nicht jeder im Stande anzustellen. So viel wir hoͤren, soll man selbst in der Arnoldi'schen Zukerfabrik bei Gotha das Zier'sche Verfahren bereits verlassen haben! – Wir begnuͤgen uns, unsere Ansicht oͤffentlich dahin auszusprechen, daß wir bei diesen Verhaͤltnissen jeden Kaͤufer des Zier'schen Geheimnisses fuͤr berechtigt halten, die bezahlte Kaufsumme zuruͤkzufordern, und daß wir eben so das gegebene Versprechen der Geheimhaltung des Verfahrens unter diesen Umstaͤnden fuͤr nicht bindend halten koͤnnen. Denn wer mir ein Versprechen abnimmt, das Geheimniß zu bewahren, das er mir anvertrauen will, mir aber sodann statt eines Geheimnisses eine allbekannte Sache ins Ohr sagt, kann sich nicht uͤber Treubruch beklagen, wenn ich das Geheimniß, das nie existirte, nicht geheim halte. Wir machen hierauf deßhalb aufmerksam, weil Manche durch das gegebene Versprechen der Verschwiegenheit sich abhalten lassen koͤnnten, ihr gutes Recht gegen Hrn. Dr. Zier oͤffentlich zu verfolgen.So viel wir erfahren haben, sind bereits mehrere Inhaber des Geheimnisses processirend gegen Hrn. Dr. Zier aufgetreten. Durch diese Geschichte sind viele Gewerbsmaͤnner, außer der verlorenen Kaufsumme, in große Verluste gerathen, da sie zu spaͤt einsahen, wie truͤgerisch die Verheißungen waren, daß sich nach der neuen Methode durch bloße mechanische Arbeiter ohne einen eigenen gelernten Siedmeister fabriciren lasse; ja es sind uns Einzelne genannt worden, die ihr leztes Vermoͤgen dieser Hoffnung zum Opfer brachten! Moͤge das Zier-, Hanewald- und Arnoldi'sche Runkelruͤbenzuker-Fabricationsgeheimniß in der Geschichte des Gewerbfleißes als ewige Warnungstafel dastehen, den maßlosen Anpreisungen von Geheimnißkraͤmern immer nur mit großer Zuruͤkhaltung zu trauen und nie ohne die vollkommenste Garantie ein solches Geheimnis zu laufen! Prof. Riecke.