Titel: Ansichten des Hrn. R. Armstrong über die Explosionen der Dampfkessel.
Fundstelle: Band 69, Jahrgang 1838, Nr. I., S. 1
Download: XML
I. Ansichten des Hrn. R. Armstrong uͤber die Explosionen der Dampfkessel. Aus einem unter dem Titel: Practical Essay on Steam Engine BoilersR. Armstrong erschienenen Werke des Verfassers. Armstrong, uͤber die Explosionen der Dampfkessel. Die in neuerer Zeit eingerissene Wuth, große und ungeheure Schornsteine in den Fabriken aufzufuͤhren, ist genuͤgend bekannt. Gewoͤhnlich sind sie weit groͤßer, als fuͤr den ersten Bedarf der Fabrik noͤthig ist, so daß stets ein uͤbermaͤßiger Zug Statt findet: ein Zug, von dem man, indem man das Hauptregister weit oͤffnet, in beliebigem Grade und selbst zur Erzeugung einer desjenigen eines Geblaͤsofens gleichkommenden Hize Nuzen ziehen kann. Da, wo man diesem uͤbermaͤßigen Zuge leicht eine Nuzanwendung geben kann, hat der Heizer wenig mehr zu thun, als die Register oder Schieber zu oͤffnen, um den Dampf in der Haͤlfte der sonst dazu erforderlichen Zeit aufzubringen. Der Kessel mag unrein seyn oder zu viel Wasser enthalten, so erwaͤchst unter den gewoͤhnlichen Umstaͤnden eine und dieselbe Folge daraus; d.h. man braucht laͤngere Zeit zum Aufbringen des Dampfes, und der Heizer hat also nothwendig fruͤher bei der Hand zu seyn. Die Anwesenheit des Heizers wird aber selten zu einer bestimmten Zeit gefordert; sondern er darf keinen Vorwurf erwarten, wenn er Mittel findet, die Maschine in der festgesezten Minute in Gang zu sezen. Jedes Mittel, wodurch er die Nothwendigkeit seiner Anwesenheit laͤnger hinausschieben kann, ist ihm daher in der Regel erwuͤnscht; und dieses Mittel bietet ihm ein guter starker Luftzug. Ungluͤklicher Weise trifft hier das Interesse des Fabrikanten mit jenem des Heizers zusammen, indem es hergestellt ist, daß ein starker Zug der Ersparniß an Brennmaterial sehr guͤnstig ist: ja es ist erwiesen, daß durch einen solchen die zum Aufbringen des Dampfes noͤthige Zeit von einer Stunde bis auf 20 und 25 Minuten reducirt wurde, und daß die Ersparniß an Steinkohlen, wenn sie auch nicht dasselbe Verhaͤltniß einhielt, doch immer sehr bedeutend war. Unter solchen Umstaͤnden unterliegt es wohl kaum einem Zweifel, daß ein TheilTil des Kesselbodens zuweilen beinahe zum Rothgluͤhen kommt; und obschon sich dieß nicht wohl damit vertraͤgt, daß der Kesselboden zu gleicher Zeit mit Wasser bedekt ist, so war ich doch durch den selbst genommenen Augenschein und durch verschiedene Gruͤnde gezwungen, diese Annahme zuzulassen. Ich hoͤrte diese Behauptung oͤfter von verstaͤndigen Maschinisten aufstellen, und wurde selbst mehrere Male herbeigeholt, um mich davon zu uͤberzeugen, obwohl ich selbst dann noch geneigt war, das Ganze fuͤr einen Irrthum zu halten, der durch die Schwierigkeit, womit man sich in diesem Falle Gewißheit verschaffen kann, allerdings leicht bedingt seyn konnte. In einem Falle jedoch sah ich die Nietenkoͤpfe nahe am dunkeln Rothgluͤhen; ich uͤberzeugte mich sogleich von der Hoͤhe des Wasserstandes, und als ich unmittelbar darauf an den Ofen zuruͤkkehrte, blieb mir kein Zweifel mehr uͤbrig, indem ich unmittelbar uͤber der Mitte des Feuers eine der Kesselplatten in einem kreisrunden Raͤume von 6–8 Zoll im Durchmesser in Gestalt eines Kugelsegmentes von beilaͤufig 2 Zoll Tiefe ausgebaucht erblikte. Einer weiteren Zunahme dieser Ausbauchung und allen den uͤblen Folgen, die daraus haͤtten erwachsen koͤnnen, wurde durch das ploͤzliche Oeffnen des Ofenthuͤrchens vorgebeugt. Der Kessel war ein Cylinder von beinahe 6 Fuß im Durchmesser; der Druk betrug gegen 9 bis 10 Pfd. auf den Quadratzoll, und das Ereigniß fand einige Minuten, bevor die Maschine zu arbeiten anfing, in einem Momente Statt, wo der Dampf eben Kraft genug hatte, das Sicherheitsventil aufzuheben. Einige Tage spaͤter dehnte sich die Ausbauchung bis zu einer Halbkugel von 3 bis 4 Zoll in der Tiefe aus, wo sie zum Bersten kam, ohne daß daraus ein anderer Nachthell, als das Ausloͤschen des Feuers erwachsen waͤre. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Kesselboden sich zuweilen der Rothgluͤhhize annaͤhern, gewinnt noch bei der Untersuchung der Kesselplatten, welche eine Ausbauchung der beschriebenen Art erlitten haben; denn sie bekommen eine eigene Farbe, welche, wie die Kesselfabrikanten wohl wissen, nur jenen Theilen eigen ist, welche die zum Rothgluͤhen gelangten umgeben. Wenn ein Kessel in den angedeuteten Zustand gerathen ist, so laͤßt sich die Gefahr nur dadurch beseitigen, daß man das Feuer alsogleich durch Oeffnen der Feuerthuͤren maͤßigt. Dieß geschieht aber selten, sondern der Heizer haͤlt den Kessel gewoͤhnlich fuͤr leer, weßhalb er, wenn er Gelegenheit hat, Wasser zustroͤmen laͤßt, wo dann der Kessel meistens augenbliklich zum Bersten kommt. Man kann annehmen, daß der Druk des im Momente der Explosion ploͤzlich erzeugten Dampfes mit dem Flaͤchenraume des entstandenen Loches in Verhaͤltniß steht; und da der wirkliche, im Augenblike nach dem Entstehen des Loches ausgeuͤbte Druk dem fruͤheren Druke in diesen Flaͤchenraum getheilt oder damit multiplicirt gleich seyn muß, so kann man annehmen, daß das Quadrat des Flaͤchenraumes oder die vierte Potenz des Durchmessers des Loches die ausgeuͤbte Gewalt ziemlich approximativ repraͤsentirt; und daß die Reaction dieser Gewalt den Kessel in einer dem Loche entgegengesezten Richtung schleudert. Hieraus ergibt sich ein Grund, weßhalb ein verhaͤltnismaͤßig kleines koch im Vergleiche mit einem Loche von 6 bis 8 Mal so großem Durchmesser eine sehr geringe Wirkung hervorbringt. Denn wenn man die Explosionskraft 1 nennt, so wird die Kraft in jedem anderen Falle, in welchen, ein Loch von zwei Mal groͤßerem Durchmesser erzeugt wird, durch 2⁴ = 16 repraͤsentirt; bei 3 Mal groͤßerem Durchmesser wird sie seyn = 3⁴ =     81 bei 4 4⁴ =   256 bei 6 6⁴ = 1296 bei 8 8⁴ = 4096 Mehrere von denen, welche die mit den Explosionen verbundenen Umstaͤnde aufmerksam verfolgten, zweifelten daran, daß Dampf so ploͤzlich erzeugt werden koͤnnte, wie es meiner Erklaͤrung gemaͤß noͤthig seyn muͤßte. Dieß laͤßt sich jedoch nur durch einen direkten Versuch erweisen, und ein solcher ward bisher in Europa noch nicht angestellt. Bisher werfen nur die in Amerika vorgenommenen Untersuchungen einiges Licht auf diesen Gegenstand, so daß es hoͤchst wuͤnschenswerth ist, daß diese Versuche in großem Maaßstabe wiederholt werden moͤchten, obschon sie mit Kosten und auch mit einiger Gefahr verbunden sind. Bei einem dieser Versuche ward absichtlich in einen Kessel, dessen Boden rothgluͤhend gemacht worden war, Wasser getrieben; der Dampf wurde dadurch in einer Minute von einer auf 12 Atmosphaͤren, wobei 180 Pfd. auf den Quadratzoll kamen, gesteigert, so daß mit Heftigkeit eine Explosion eintrat. Der amerikanische Bericht sagt uͤberdieß, daß wegen der Heftigkeit der Wirkung nicht so viel Wasser in den Kessel getrieben worden ist, als noͤthig gewesen waͤre, um das Metall bis auf den Punkt, auf welchem die Verdampfung am staͤrksten ist, abzukuͤhlen; und daß, wenn dieß der Fall gewesen waͤre, der Druk bei der Explosion gegen 40 Atmosphaͤren erreicht haben wuͤrde. Dieser Versuch liefert einen Beweis fuͤr die Nuzlosigkeit der Sicherheitsventile gegen ploͤzliche Explosionen. Ja das Sicherheitsventil ist an dem in den Fabriken gebraͤuchlichen Kessel mit niederem Druke und mit der gewoͤhnlichen Speisungsroͤhre ein ganz unnoͤthiges Anhaͤngsel; besonders wenn man die Schwimmerstange, anstatt sie durch eine Stopfbuͤchse zu fuͤhren, durch eine offene Roͤhre, welche mit dem Speisungsbehaͤlter gleiche Hoͤhe hat, laufen laͤßt. Dieser wohlbekannte Speisungsapparat ist ein unfehlbares Mittel gegen das allmaͤhliche Steigen des Dampfdrukes sowohl als gegen das zu liefe Fallen des Wassers, welches leztere das Gefaͤhrlichere und nicht selten die Ursache der Explosion ist.