Titel: Ueber den Einfluß des Wassers bei einigen chemischen Reactionen. Von Kuhlmann.
Fundstelle: Band 70, Jahrgang 1838, Nr. LXXXI., S. 367
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LXXXI. Ueber den Einfluß des Wassers bei einigen chemischen Reactionen. Von Kuhlmann. Aus den Annales de Chimie, Bd. LXVII. S. 209 Kuhlmann, uͤber den Einfluß des Wassers etc. Der Einfluß, welchen die Gegenwart des Wassers bei einigen chemischen Reactionen ausuͤbt, ist schon der Gegenstand mehrerer wichtigen Beobachtungen gewesen. Proust beobachtete, daß Salpetersaͤure von 1,48 spec. Gewicht das Zinn nicht angreift, und daß, durch Hinzufuͤgung von wenig Wasser, diese Saͤure auf das kraͤftigste einwirkt. Kuͤrzlich stellte Hr. Pelouze unter anderen folgende Thatsachen fest: 1) daß Essigsaͤure von 1,063 spec. Gew. kohlensauren Baryt nicht zersezt; 2) daß die kohlensauren Salze des Kalis, Natrons, Bleies, Zinks, Strontians, Baryts und der Bittererde durch krystallisirbare Essigsaͤure zersezt werden, daß aber die Einwirkung durch Hinzufuͤgung von Wasser viel kraͤftiger wird und daß die Wirkung auf die kohlensauren Salze gleich Null ist, wenn man die Saͤure in absolutem Alkohol aufloͤst, endlich daß wasserfreier Alkohol, Schwefelaͤther, Essigaͤther die Eigenschaften, selbst der staͤrksten Saͤuren, vollkommen verdeken; ihre Aufloͤsungen roͤthen nicht einmal Lakmuspapier, und uͤben keine Einwirkung auf eine große Anzahl kohlensaurer Salze aus. Die rationelle Erklaͤrung, sagt Hr. Pelouze, einer so bizarren Thatsache (der Vernichtung des Einflusses der mit Alkohol gemischten Essigsaͤure auf das kohlensaure Kali) scheint mir nicht leicht aufzufinden. Man kann hier nicht annehmen, daß die Unloͤslichkeit der Bildung des Kalis entgegenstehe, da dieses Salz nicht allein in Alkohol, sondern auch in einem Gemisch von Essigsaͤure und Alkohol loͤslich ist. Diesen Beobachtungen schließen sich noch andere von Braconnot an; sie beziehen sich namentlich auf die Salpetersaͤure. Diese Saͤure wirkt, concentrirt und kochend, nicht im mindesten auf Stuͤke von weißem Marmor oder auf gepulverten kohlensauren Baryt. Diese Wirkungslosigkeit wird von ihm der Unloͤslichkeit des salpetersauren Baryts und Kalkes in concentrirter Salpetersaͤure und der Verwandtschaft zugeschrieben, welche die Kohlensaͤure in ihren Verbindungen zuruͤkhaͤlt. Hr. Braconnot weist ferner auf eine buͤndig erscheinende Weise nach, daß, wenn weder Zinn, noch Eisen, noch Silber, noch Blei durch concentrirte Salpetersaͤure angegriffen werden, dieß daher kommt, daß die salpetersauren Salze dieser Metalle in diesen Saͤuren unloͤslich sind. Der naͤmlichen Ursache sucht er die durch Hrn. Pelouze erhaltenen Resultate zuzuschreiben. Ich theile hier einige neue Thatsachen mit, welche die Erklaͤrung des Hrn. Braconnot fuͤr einige Faͤlle vollkommen zulassen, aber wie ich glaube, beweisen werden, daß diese Erklaͤrung nicht generalisirt werden kann, und daß andere Ursachen als die angefuͤhrten die Einwirkung der Saͤuren auf die Basen oder deren kohlensaure Salze verhindern. Eine der merkwuͤrdigsten chemischen Reactionen ist die, welche bei Beruͤhrung der Schwefelsaͤure mit dem Baryt eintritt. Man weiß, daß die Verbindung bisweilen mit solcher Waͤrmeentwikelung geschieht, daß die Masse des Baryts gluͤhend wird und daß ein Theil der Schwefelsaͤure dampffoͤrmig entweicht. Ich bemerkte bei dieser Gelegenheit Eigenthuͤmlichkeiten, welche mir von wissenschaftlichem Interesse zu seyn scheinen. A. – Ein Stuͤk Baryt, mit rauchender Schwefelsaͤure in der Kaͤlte zusammengebracht, bewirkt sogleich eine sehr lebhafte Reaction. Diese Wirkung ist noch viel maͤchtiger, wenn man wasserfreie, ungefaͤhr bei 25° C. geschmolzene Schwefelsaͤure anwendet. B. – Ein frisch gegluͤhtes Stuͤk Baryt, mit Schwefelsaͤurehydrat in Beruͤhrung gebracht, das nur ein Atom Wasser enthaͤlt (von 1,848 spec. Gew.) wird nicht veraͤndert; es erscheint kein Anzeichen einer Verbindung. Nach einigen Momenten der Beruͤhrung tritt sogleich die Wirkung ein, wenn man das Gemenge der feuchten Luft aussezt. Sie kann auch hervorgerufen werden, wenn man den mit Schwefelsaͤure benezten Baryt an einem einzigen Punkte mit einem heißen Eisen oder einem mit Wasser befeuchteten Glasstaͤbchen beruͤhrt. C. – Bringt man ein Stuͤk Baryt in der Kaͤlte mit wasserhaltiger Schwefelsaͤure von 1,848 spec. Gew., der man vorher ein wenig Wasser zugesezt hatte, zusammen, so tritt augenbliklich ein Ergluͤhen ein. Die Wirkung ist eben so schnell, wenn man verduͤnnte Saͤure anwendet, aber Ergluͤhen findet nicht mehr Statt. D. – Schwefelsaͤure von 1,848 spec. Gew., die auf frisch gegluͤhten Baryt in der Kaͤlte ohne Wirkung ist, wirkt kraͤftig auf Baryt ein, der aus der Luft Feuchtigkeit angezogen hat. E. – Schwefelsaͤurehydrat, hinlaͤnglich verduͤnnt, um sogleich auf den Baryt zu wirken, hat in der Kaͤlte keinen Einfluß mehr, wenn es mit absolutem Alkohol, Aether oder Holzgeist vermischt ist. Aus diesen abweichenden Resultaten muß man schließen, daß in der Schwefelsaͤure mit einem Atom Wasser, dieses nur schwer aus seiner Verbindung ausgetrieben werden kann; es neutralisirt gewissermaßen die Eigenschaften der Saͤure; denn selbst bei Gegenwart einer so maͤchtigen Basis, wie der Baryt ist, wirkt die Saͤure nur mit Huͤlfe einer hoͤheren Temperatur. Es wird sehr wichtig, genau die Dichtigkeit der Schwefelsaͤure zu bestimmen, wenn man bei chemischen Reactionen dieselbe anwendet; denn die obigen Versuche zeigen, daß sie sich mit Energie mit dem Baryt verbindet, wenn man sie damit bei gewoͤhnlicher Temperatur wasserfrei, rauchend oder endlich von geringerer Dichtigkeit als 1,848 in Beruͤhrung sezt; daß sie aber aufhoͤrt, darauf einzuwirken, wenn sie genau ein spec. Gew. von 1,848 besizt. Wenn die wasserfreie oder rauchende Schwefelsaͤure sich mit dem Baryt nicht mit so großer Energie verbaͤnde, koͤnnte man, um die Nothwendigkeit, die Saͤure von 1,848 spec. Gew. zu verduͤnnen, zu rechtfertigen, annehmen, daß die Bildung des schwefelsauren Baryts nur unter dem Umstande Statt finden koͤnnte, daß die Bildung von Barythydrat voranginge, und zwar auf Kosten eines Theils des von der Schwefelsaͤure schwach zuruͤkgehaltenen Wassers; aber die angefuͤhrten Thatsachen lassen diese Erklaͤrung nicht zu. Bei Anwendung einer Saͤure von 1,848 spec. Gew. wird die Reaction durch die Waͤrme eben so wie durch Hinzufuͤgung von Wasser hervorgebracht, und in dem lezteren Falle bewirkt das Wasser ohne Zweifel nur die Entwikelung der nothwendigen Waͤrme. Dieser Entwikelung koͤnnen verschiedene Ursachen zum Grunde liegen; in dem Versuche C kann sie der Verbindung eines Antheils Wasser der schwachen Saͤure mit dem Baryt, oder der Bildung von Barythydrat zugeschrieben werden, und in dem Versuche D ist es das schon gebildete Barythydrat, welches, der Verbindung guͤnstiger, augenbliklich die Bildung des schwefelsauren Baryts durch seine Beruͤhrung mit Schwefelsaͤure von 1,848 spec. Gew. hervorruft. Die von Hrn. Braconnot gegebenen Erklaͤrungen der Wirkungslosigkeit der Saͤuren auf die Metalle, Basen und kohlensauren Salze unter gewissen Umstaͤnden lassen sich auf die Resultate der mitgetheilten Versuche nicht anwenden; sie reichen ebenfalls nicht aus, um die von Proust beobachtete Erscheinung zu erklaͤren, naͤmlich bei der Einwirkung der Salpetersaͤure auf das Zinn, welche die Bildung einer unloͤslichen Verbindung (Zinnsaͤure) nicht bewirkt, selbst wenn die Saͤure die Concentration besizt, welche einer kraͤftigen Einwirkung am guͤnstigsten ist. Ich glaube, daß bei allen von Proust, Pelouze und Braconnot angegebenen Reactionen die Stabilitaͤt der Verbindungen der Saͤuren mit dem Wasser, wenn diese Verbindungen nach dem angegebenen Atomenverhaͤltnisse Statt finden, von großem Einfluß ist, und daß das Gemisch des Alkohols oder des Aethers mit den Saͤuren nicht allein eine Fluͤssigkeit hervorbringt, in der das Product, welches bei Einwirkung der Saͤuren auf die kohlensauren Salze entstehen koͤnnte, unloͤslich ist, sondern vielmehr noch jede Einwirkung hindert aufzutreten, indem sie den Saͤuren die Antheile von Wasser entzieht, welche nicht in einem festen Verhaͤltnisse mit denselben verbunden sind. Der Versuch E dient dieser Ansicht zur Stuͤze. Bei der Beruͤhrung der Salpetersaͤure und der Metalle dient ohne Zweifel auch die Gegenwart einer geringen Menge nicht verbundenen Wassers oft dazu, die Reaction zu erleichtern. Das Ammoniak, dessen Entstehung ich bei dem Eisen, dem Zink, dem Cadmium wie bei Zinn bestaͤtigt habe, macht dieß annehmlich; aber dieser Einfluß ist nicht leicht anzunehmen bei dem Blei, Kupfer und Silber. In dem Laufe dieser Versuche fand ich, daß die Einwirkung der Salpetersaͤure auf die Metalle immer von der Bildung einer mehr oder minder betraͤchtlichen Menge von Ammoniak begleitet wird, je nachdem die Metalle die Eigenschaft besizen, das Wasser mit mehr oder weniger Leichtigkeit zu zerlegen. Die Metalle, welche das Wasser nicht zerlegen, geben auch keine Spur von Ammoniak. Bei Kalium und Natrium indessen erhielt ich keine Spur von salpetersaurem Ammoniak, was ich der hohen Temperatur zuschreibe, welche sich erzeugt und bei der das salpetersaure Ammoniak nicht bestehen kann. Diese Versuche mit den Alkalimetallen sind nicht gefahrlos, der heftigen Explosionen wegen, welche im Moment der Beruͤhrung des Metalls mit der Saͤure entstehen.