Titel: Ueber die Rigen oder russischen Getreide-Trokenhäuser; vom Regierungsrath Albrecht in Wiesbaden.
Autor: Albrecht
Fundstelle: Band 78, Jahrgang 1840, Nr. XIX., S. 93
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XIX. Ueber die Rigen oder russischen Getreide-Trokenhaͤuser; vom Regierungsrath Albrecht in Wiesbaden. Mit Abbildungen auf Tab. II. Albrecht, uͤber die Rigen oder russischen Getreide-Trokenhaͤuser. Rigen heißen jene eigenthümlichen Darranstalten, deren man sich in den russischen Ostseeprovinzen, namentlich in Kurland und Livland, seit den ältesten Zeiten zum Troknen des Getreides im Stroh bedient. Innerhalb der Gränzen dieser Provinzen sind sie ganz allgemein verbreitet; der arme Freigelassene, wie der reichste Gutsbesizer hat seine Rige und glaubt ohne dieselbe sein Getreide nicht dreschen zu können; man sieht sie daher von äußerst verschiedenem Umfang und von sehr verschiedenen Materialien aufgeführt. Die wesentliche Bedingung ist nur, daß die Mauern und Deken dicht sind und die Wärme nicht entweichen lassen. Die meisten, welche ich zu sehen Gelegenheit hatte, waren aus unbehauenen Feldsteinen, nämlich: Granit, Sienit, Gneus und Glimmerschieferblöken von 2–6 Kubikfuß Umfang, wie sie sich häufig auf den Feldern zerstreut finden und unbehauen mit vielem Geschik und großer Sorgfalt in die 2 bis 2 1/2 Fuß diken Mauern eingefügt und durch kleinere Steine und Mörtel festgehalten werden; andere Mauern sind von Stroh und Lehm aufgeführt – sogenannte Wellerwände, und in der neueren Zeit hat man auch angefangen, gestampfte Erde, sogenannte Piseemauern, oder auch Ziegeln von gepreßtem Lehm anzuwenden. An den beiden leztern wird jedoch getadelt, daß sie bei der großen Wärme zu leicht Risse bekommen und einen Theil der Hize entweichen lassen. Die Deke ist gestikt und gewikelt und oberhalb mit einer 2 bis 3 Zoll diken Lehmschichte bedekt; auch hat man die Deken zwekmäßig gefunden, welche schon Gyllii in seinem Handbuch der ländlichen Baukunst unter dem Namen gestrekte Windelböden beschrieben hat. Der Fußboden ist gestampft, wie unsere Dreschtenne und muß beständig rein erhalten werden, um das beim Aufsteken und Abnehmen in Menge ausfallende Getreide wieder aufnehmen zu können. Jede Rige hat auf einer Höhe von 7 bis 8 Fuß drei oder vier Durchzüge, wovon zwei an den Mauern anliegen (wenn nicht, was zwekmäßiger ist, die Mauer zu diesem Behuf eine Bank hat), und einer oder zwei sich durch die Mitte des Raumes hinziehen. Auf diesen Durchzügen liegen bewegliche Hölzer, welche die Breite der Rige zur Länge und 4 bis 6 Zoll Durchmesser haben. Diese bilden das Gerüste, auf welches das Getreide, wie weiter unten beschrieben werden soll, zum Troknen aufgelegt oder aufgestellt wird. An der nördlichen und an der südlichen Wand sind unmittelbar unter diesen Gerüsten zwei bis drei Fensteröffnungen angebracht, welche die Bestimmung haben, den Rauch und den aus dem Getreide sich entwikelnden Qualm abziehen zu lassen. Das Wesentlichste ist der Ofen, der sich in der einen Eke der Rige einige Fuß tief in die Erde versenkt befindet und genau die Einrichtung hat, wie man sie aus den Heizungsanstalten in den russischen Dampfbädern kennt. Der Herd dieses Ofen ist nämlich mit vier, fünf oder sechs hintereinanderstehenden, aus Baksteinen aufgeführten Bögen überwölbt, wovon immer der folgende Bogen um einen Stein Dike höher, als der vor ihm befindliche ist. Diese Bögen sind in einigen Oefen 2 bis 3 Zoll von einander entfernt und bilden einen treppenförmig ansteigenden Rost; in andern sind sie nicht getrennt, haben aber auf jeder Seite des Herdes zwei bis drei Oeffnungen und in beiden Fällen ist der lezte Bogen 6 bis 8 Zoll von der hintern Ringmauer des Ofens entfernt. Der Raum über den Bögen ist gegen 3 Fuß hoch mit Feldsteinen von verschiedener Größe angefüllt, von denen die größten unten und die kleineren oben hin zu liegen kommen. Man nimmt am liebsten Granit- und Gneusstüke und findet nöthig, sie alle zwei oder drei Jahre zu erneuern, weil man bemerkt haben will, daß Steine, die schon zu oft durchglüht und dadurch rissig geworden sind, die Eigenschaft, die Wärme zu behalten, nach und nach verlieren. Erfahrene Rigenaufseher sollen das nach dem Gewicht und Aussehen zu beurtheilen und die noch brauchbaren Steine auszuwählen verstehen. – Ueber den Steinen befindet sich noch eine Wölbung, die sich an die vordere Wand des Ofens über dem sehr großen Schürloch anschließt. Einen Schornstein haben diese Oefen nicht; Rauch und Hize ziehen sich durch die obenerwähnten Oeffnungen nach dem Steinlager hin und von da durch drei kleine Oeffnungen, die über dem Schürloch angebracht sind, in den freien Raum der Rige selbst, der daher zu gewissen Stunden ganz mit Rauch angefüllt ist. Diese Rigen sind keineswegs abgesonderte Gebäude, sondern machen einen Theil der Scheune aus, und befinden sich zwischen dem sogenannten Viertel oder Baaren und der Tenne, damit das Getreide ohne Zeitverlust aus der Scheune in die Rige und aus dieser zugleich – noch warm – auf die Tenne gebracht werden könne. Auf größern Gütern ist die sehr große Tenne in der Mitte und hat zu beiden Seiten eine Rige und hinter denselben die Scheune zum Aufbewahren des Getreides. Fig. 26 stellt die Scheune und Rigen auf dem Gute Alt-Autz des Hrn. Grafen von Medem dar und enthält auch den Grundriß und Aufriß der dortigen Rigenöfen mit beigefügtem rheinländischem Werkmaaß. Alles Getreide wird gemäht und bleibt nie auf Schwaden liegen. Das Wintergetreide wird sogleich mit seinen eigenen nicht gedroschenen Halmen in kleine Garben – deren drei noch keine der unsrigen ausmachen – gebunden und aufgestellt und das Sommmergetreide wird nie gebunden, aber gleich nach dem Mähen in kleine Haufen zusammengerecht, in welchen man die Halmen möglichst lose liegend aufthürmt und sie so besser gegen den nachtheiligen Einfluß der Nässe geschüzt glaubt, als wenn sie flach am Boden liegen. Selbst beim öfteren Wenden dieser Haufen soll man doch nur sehr geringen Körnerverlust zu befürchten haben. Um bei trokenem Erntewetter das Ausfallen der Körner zu verhüten, wird in diesen Gegenden, sowohl das Sommer- als Wintergetreide, niemals in der Hize des Tages, sondern immer nur bei Nacht eingefahren. Die ganze Operation, die in Kurland und Livland mit dem geernteten Getreide vorgenommen wird, ist vom Einlegen in die Rige bis zum Reinigen jedesmal in 22–24 Stunden vollendet und zerfällt in folgende Hauptabtheilungen: a) Einlegen oder Einfielen, b) Erwärmen, c) Schwizen, d) Troknen, e) Ausnehmen, f) Dreschen oder Walzen, g) Absondern des Strohes von den Körnern, h) Reinigen der Körner, wobei zu bemerken ist, daß hier die Arbeiten Tag und Nacht ununterbrochen fortgesezt werden und nur die Arbeiter wechseln. a. Einlegen des Getreides in die Rigen. Zwischen 10 und 12 Uhr in der Nacht wird das Wintergetreide in Garben, das Sommergetreide aber ungebunden in die Rige gebracht und auf den Gerüsten aufgestellt. Das Einlegen fängt an dem dem Ofen entgegengesezten Ende an; ein Mann und vier bis sechs Mädchen stehen auf den früher erwähnten beweglichen Tragehölzern, empfangen das Getreide, das ihnen mit Garben zugereicht wird und legen es zwischen den zwei ersten Hölzern, die 18 Zoll von einander entfernt sind, so auf, daß es bis an die Deke reicht und nicht ganz fest übereinander liegt. Je feuchter das Getreide ist, desto loser muß es gelegt werden. Feucht eingebrachte Garben des Wintergetreides werden daher so aufgestellt, daß immer die dritte Garbe auf den Bändern der zweiten unter ihr stehenden ruht. Ganz troken eingebrachte Garben des Wintergetreides aber werden so aufgelegt, daß von Schichte zu Schichte wechselnd, die Aehren der oberen Garben auf das Doppelende der unteren zu liegen kommen. Sobald das Getreide über einem Paar der Traghölzer aufgestellt ist, wird das nächste Paar in die gehörige Entfernung herangerükt und die Arbeit beginnt von Neuem, und zwar, um mehrere Leute gleichzeitig beschäftigen zu können, immer von dem mittleren Durchzug anfangend, gegen die beiden Ringwände hin, so daß beide Partien in einem Augenblik fertig werden und auf einen Zuruf alle bereit sind, auf die neu angelegten Traghölzer überzutreten. So wird fortgefahren, bis alle Traghölzer belegt sind und man in die Nähe des Ofens kommt, um den man zur Sicherung gegen Feuersgefahr einen Raum von 6–8 Fuß Breite frei läßt. b. Erwärmen. Sobald die Rige angefüllt ist, werden alle Oeffnungen geschlossen und der Ofen wird geheizt. Man bedient sich dazu Well- und Prügelholzes, nur weniger Scheiten; meistens Birken, Aspen, Erlen und auch Buchen; man entzündet sogleich ein lebhaftes Feuer und unterhält es bis gegen 9 oder 10 Uhr Morgens, in welchen Stunden die Hize den höchsten Grad erreicht hat, die in den unteren Regionen, 2 bis 3 Fuß über dem Boden, nur 16 bis 20 Grab, auf Manneshöhe 28 Grad, aber auf einer Höhe von 9 bis 10 Fuß, zwischen dem Getreide, 38 Grad Reaumur. c. Schwizen des Getreides. In diesen Stunden fängt das Getreide an zu schwizen. Es wird nicht bloß feucht, nein vollkommen naß, wie mit Wasser übergossen, und die Luftschichte unmittelbar unter dem Getreide ist mit Rauch und Qualm so geschwängert, daß man sich schon nach wenigen Minuten Aufenthalt ganz mit Schweiß bedekt fühlt und um etwas längere Zeit aushalten zu können, den Arbeitern oder Aufsehern nachahmen muß, die niemals in der Rige aufrecht stehen, sondern sich niederkauern oder auf die Erde legen. d. Troknen. Nun nimmt man an, daß die im Stroh und Korn stekende Feuchtigkeit herausgetreten sey und möglichst schnell beseitigt werden müsse. Zu diesem Behuf werden Thüren, Fenster und Zuglöcher geöffnet und nach 1 bis 2 Stunden findet man die Rige von Rauch und Qualm befreit und Stroh und Korn troknet allmählich bei der gelinden Wärme des Ofens, in dem jezt nur noch die verglimmenden Kohlen liegen. Den rechten Zeitpunkt zu treffen, in welchem die Fenster geöffnet werden sollen, ist die wichtigste Aufgabe des Rigenaufsehers und beruht auf genauen Beobachtungen über den Zustand des eingebrachten Getreides und den Grad der Feuchtigkeit, den man während und nach vollendetem Schwizen an ihm wahrnimmt. Geschieht es zu früh, so bleiben noch zu viele wässerige Theile in dem Getreide zurük, als daß es vollkommen troknen könnte, und geschieht es zu spät, so ziehen sich die feuchten Dünste in das Getreide und das Troknen wird ebenfalls verzögert, oder die Körner fangen an zu keimen. Bis gegen 4 Uhr Nachmittags ist das Getreide, wenn es nicht gar zu feucht in die Rige gekommen und kein Fehler vorgefallen ist, vollkommen troken und das Stroh ist so spröde und brüchig geworden, daß es mit jedem Griff der Hand leicht zermalmt werden kann. e. Ausnehmen der Früchte. Bis zu dieser Zeit sind auch die Männer mit dem Reinigen des gestern gedörrten und gedroschenen Getreides fertig geworden und haben die Tenne geräumt; nun beginnt wieder die Arbeit derer, die in der Nacht bis 11 oder 12 Uhr mit dem Einlegen oder Aufstellen des Getreides in der Rige beschäftigt waren. Das Getreide, welches zulezt in die Rige eingestellt wurde, wird nun zuerst herausgenommen. Die Mädchen steigen zuerst auf das Gebälk und werfen es herab, und die Männer schieben es mit Heugabeln durch die Thüre auf die Tenne, wo es sogleich in einen großen Kreis zum Dreschen ausgebreitet wird.Ist die unterste Getreideschichte, in welche sich der Dunst ganz hineinzieht, nicht ganz troken geworden, so bleibt dieses nach der Beurtheilung des Rigenaufsehers in einer Eke der Rige liegen und wird noch einmal auf die Balken aufgestellt. A. d. V. f. Dreschen. Das Dreschen ist natürlich durch das Troknen ungemein erleichtert, und kann daher in viel kürzerer Zeit und auf andere Weise wie bei uns ausgeführt werden. Es werden nämlich die Früchte entweder mit Schienenwalzen oder mit Zapfenwalzen ausgewalzt oder von Pferden ausgetreten, oder in kleinen Bauershaltungen (oder vielmehr auf sogenannten kleinen Dienststellen) auch wohl mit Flegeln ausgedroschen, welche jedoch äußerst klein sind und an einem 3 Fuß langen Strike hängen. Auf großen Tennen, wie z.B. zu Alt-Autz, sind zwei, drei oder vier Walzen zugleich in Bewegung, deren jede von einem der kleinen lithauischen Pferde gezogen und dieses von einem Mädchen oder Kinde geleitet wird. g. Absondern des Strohes von den Körnern. Während des Walzens wird das Getreide von einigen Männern beständig mit hölzernen Gabeln gewendet und von Zeit zu Zeit das Stroh, welches eigentlich nur noch aus Bruchstüken von 1 bis 2 Fuß Länge besteht, mit demselben Werkzeuge auf die Seite gebracht. Dieses Stroh wird in eine Art Kasten geworfen, der bei 4 Fuß Breite, 8 Fuß Länge und 18 Zoll hohe Wände hat; sein Boden aber besteht aus glatt geschnitzten Stäben, die von Mitte zu Mitte gerechnet 1 Zoll von einander entfernt sind. An jeder Seite dieses auf einem Gestell ruhenden Kastens stehen drei oder vier Mädchen, die das Stroh mit den Händen aufschütteln und durcharbeiten, und wenn sie glauben, daß alle Körner und Aehren zwischen den Latten durchgefallen fallen sind, es an der entgegengesezten Seite des Kastens an einem der Ausgänge der Tenne auf Haufen werfen, von wo es sogleich weggefahren wird. Der durchgefallene Kaff oder das Gesitte wird wieder auf die Tenne gebracht, und so oft wie das Stroh abgenommen ist, dieselbe Operation wiederholt, bis zulezt nur noch Körner und ganz kleine Bruchstüke von Stroh, Aehren und Grannen auf der Tenne zurükbleiben. h. Reinigung der Körner. In diesem Zustande bleiben die Körner auf großen Haufen bis zum Anbruch des Tages in der Tenne liegenEs ist nämlich indessen mit der Dunkelheit der Nacht die Zeit herangekommen, wo wieder neues Getreide in die geleerte Rige eingebracht werden muß; die Walzen werden auf die Seite geschafft, die Pferde von den Kindern weggeführt, die Männer und Mädchen sind wieder bis gegen 11 Uhr mit dem Eintragen und Auflegen des Getreides beschäftigt; die Rigenaufseher und ihre Gehülfen, die indessen geruht haben, werden gewekt, das Holz wird herbeigetragen und die Rige aufs Neue geheizt. A. d. V.; sobald der Tag graut, beginnt das Geschäft der Reinigung der Körner. Es geschieht dieses auf dieselbe Weise, die auch ehemals in Deutschland allgemein üblich gewesen, nämlich durch Werfen der Körner in einem Halbkreis, welches, wenn man ganz reine und schwere Frucht zu erhalten wünscht, ein- oder zweimal wiederholt wird. Die den Arbeitern zunächstliegende leichteste Frucht wird auch noch auf einem großen Schwungsieb von den Strohstüken und auf unseren gewöhnlichen Sieben von dem Unkrautsamen gereinigt. Die so behandelten Getreidekörner sind ungefähr auf zwei Drittel ihres Umfangs eingeschrumpft, haben aber nicht eben so viel an Gewicht verloren; ihre Farbe ist etwas dunkler, ihr Aeußeres glänzend geworden; man bemerkt an ihnen einen eigenthümlichen – dem Ruß ähnlichen Geruch – am Brode aber oder anderem Bakwerk ist ein besonderer oder gar widerer Geschmak nicht wahrzunehmen. In der Rige zu Alt-Autz, welche bei 36 Fuß Länge und Breite 15 Fuß Höhe hat, konnten 400 Garben Wintergetreide oder 20 der kleinen lithauischen Wagen voll nicht gebundenem Sommergetreide zu gleicher Zeit getroknet werden. Holz ist nach unserem Maaß etwa ein Drittel Klafter erforderlich. Mit dem Auffielen, Abnehmen, Walzen und dem ersten rohen Reinigen des Getreides sind von Nachmittag 3 oder 4 bis Nachts 11 oder 12 Uhr drei Männer und sechs bis acht Mädchen, und 3 bis 4 Stunden lang zwei Pferde und zwei Kinder beschäftigt. Der Rigenaufseher und sein Gehülfe ist von 11 Uhr in der Nacht bis gegen 3 oder 4 Uhr Morgens in Thätigkeit, dann schläft er einige Stunden, und von 6 oder 7 Uhr an ist er wieder mit einem oder zwei Gehülfen bis Nachmittags 3 oder 4 Uhr mit dem Reinigen des Getreides und abwechselnd mit dem Oeffnen der Zuglöcher in der Rige beschäftigt. Dieß ist das Verfahren, wie es in ganz Kurland und Livland – auf den größten Gütern, wie auf den kleinsten Dienststellen – üblich ist und für ganz unentbehrlich angesehen wird.

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