Titel: Ueber Elektromagnetismus als Triebkraft. Von I. P. Wagner, Vicedirector des Frankfurter Gewerbvereins.
Fundstelle: Band 80, Jahrgang 1841, Nr. XCI., S. 372
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XCI. Ueber Elektromagnetismus als Triebkraft. Von I. P. Wagner, Vicedirector des Frankfurter Gewerbvereins. Ein in den Versammlungen der Gewerbtreibenden gehaltener Vortrag; aus dem Frankfurter Gewerbfreund 1841, Nr. 23. Wagner, uͤber Elektromagnetismus als Triebkraft. Bevor ich Sie, meine Herren, mit der Anwendung des Elektromagnetismus als Triebkraft bekannt mache, halte ich es für nöthig, einige Erläuterungen in Bezug auf Galvanismus, als den eigentlichen Vorläufer des Elektromagnetismus, voranzuschiken, ohne jedoch eine specielle Erklärung jener wunderbaren Naturkraft hier versuchen zu wollen. Galvanismus nennt man diejenige Elektricität, welche erregt wird, wenn zwei ungleichartige Metalle, z.B. Zink und Kupfer, in mit Schwefelsäure angesäuertes Wasser eingetaucht und mit einander in Berührung gebracht werden; deßhalb nennt man sie auch wohl Contact-Elektricität (Berührungs-Elektricität), oder auch Voltaismus, weil Volta zuerst nachwies, daß sie nicht thierischen Ursprungs sey (zu welcher Annahme Galvani sich berechtigt glaubte, indem er sie unter Mitwirkung des thierischen Organismus entdekt hatte), sondern heterogene Metalle ihre wirklichen Erreger seyen. Ein solches Plattenpaar von Kupfer und Zink nennt man daher auch ein Volta'sches Element oder einen Elektromotor (Elektricitätserreger). Wird nun ein solches Volta'sches Element oder ein einfaches Plattenpaar in gesäuertes Wasser eingesenkt, so ist zur Erregung der Elektricität nicht erforderlich, daß die zwei Platten des Elementes sich innerhalb der Flüssigkeit unmittelbar berühren, sondern der Contact oder die Verbindung der zwei Platten kann auch außerhalb der Flüssigkeit durch einen längern oder kürzern Draht aus irgend einem beliebigen Metalle hergestellt werden. Ist eine solche Verbindung, z.B. durch einen Kupferdrath, dessen eines Ende die Kupferplatte und dessen anderes Ende die Zinkplatte berührt, hergestellt, so dient dieser Draht der sich entwikelnden Elektricität zum Leiter, weßhalb derselbe auch Leitungs- oder Schließungsdraht genannt wird. Bringt man über, unter oder seitlich von einem in der Richtung von Norden nach Süden horizontal ausgespannten Leitungsdraht eine an einem feinen Coconfaden aufgehängte Magnetnadel, so wird diese aus ihrer ursprünglichen Richtung, nach bestimmten Gesezen, und zwar je nachdem der elektrische Strom stark oder schwach ist, mehr oder weniger abgelenkt. Dieses höchst merkwürdige Verhalten einer Magnetnadel zu einem elektrischen Schließungsdrahte entdekte der dänische Naturforscher H. C. Oersted im Jahre 1820 und ward dadurch zugleich der Gründer eines ganz neuen Zweiges der Naturwissenschaft – des Elektromagnetismus. Windet man nun einen Schließungsdraht von der vorhin bezeichneten Art, jedoch in Form einer Schraubenspirale, so zwar, daß die einzelnen Windungen derselben einander nicht berühren, und schiebt dann, sobald ein elektrischer Strom sie durchkreist, in dieselbe einen mit Papier, Seidenband, oder sonst einem die Elektricität nicht leitenden Stoff überzogenen Eisenstab, so wird dieser augenbliklich magnetisch, und man nennt diesen Stab dann, in Folge dieser neuen Eigenschaft, einen – Elektromagnet. Wird aber jener Schließungsdraht an irgend einer Stelle durchschnitten oder in seiner Leitung unterbrochen, so verschwindet auch ebenso schnell wieder der Magnetismus im weichen Eisen; er erscheint aber augenbliklich wieder, sobald die Verbindung oder Vereinigung des Leitungsdrahtes hergestellt wird. Dieses sind die Elemente, welche ich im Jahre 1835 bei der neuen Gestaltung des physikalischen Vereins dahier als Mitglied desselben kennen lernte, und deren Studium ich mich seitdem unablässig hingab. Die in magisches Dunkel eingehüllten elektromagnetischen Erscheinungen sind so geheimnißvoll, daß, sobald man versucht, tiefer in sie einzudringen, man mit einem wahren Zauber umstrikt wird, aus dessen Kreis man nicht leicht mehr heraustreten kann. Schon im Jahre 1836 verfertigte ich einen elektromagnetischen Rotationsapparat, welchen Hr. Dr. Neeff bei der Jahresfeier der Senckenberg'schen naturforschenden Gesellschaft öffentlich vorzeigte und welchen ich auch heute wegen der Einfachheit seiner Construction zur Erläuterung der Anwendung des Elektromagnetismus als Triebkraft in Thätigkeit sezen werde. Bei der Leichtigkeit, mit welcher solche Apparate hergestellt werden können, konnte es nicht fehlen, daß man allenthalben Oersted's Entdekung benuzte, dergleichen physikalische Apparate im größern oder kleinern Maaßstabe zu construiren, ja, daß Viele sogar sich veranlaßt sahen, diese wunderbare Kraft im Großen zu versuchen. Angeborenes Mißtrauen, oder wie ich sonst dieses eigene Gefühl nennen soll, das sich meiner bei neuen Erscheinungen, von denen ich mir noch keine genügende Rechenschaft zu geben vermag, bemeistert, hielt mich eines Theils von einem ähnlichen Unternehmen, wofür ich leicht würde Theilnehmer gefunden haben, ab, andererseits aber noch mehr als dieses der Umstand, daß zwei Hindernisse obwalteten, von denen ich überzeugt war, daß sie sich der Anwendung des Elektromagnetismus als Triebkraft im Großen direct entgegen sezen. Diese zwei Hindernisse bestehen nämlich, wie allen Physikern bekannt, in der schnellen Wirkungsabnahme des Elektromotors, und in der zerstörenden Wirkung des von Faraday entdekten magnetelektrischen Funkens, welcher jedesmal bei der Unterbrechung des elektrischen Stromes, die aber durchaus nicht zu umgehen ist, entsteht. Diese Hindernisse zu beseitigen, hielt ich daher für ganz unerläßlich, fühlte aber nichtsdestoweniger auch, wie schwierig eine solche Aufgabe sey, insofern sich nämlich die Ursache der Wirkungsabnahme des Elektromotors sowohl, wie die des Entstehens des magnetelektrischen Funkens jeder sinnlichen Wahrnehmung gänzlich entzieht und sich nur durch die umfassendste Schlußfolgerung, welche überdieß erst noch durch eine Reihe dazu ausgedachter Versuche auf ihre Richtigkeit geprüft werden muß, entdeken läßt. Man kann hiezu einer auf die Wissenschaft sich gründenden Fundamentalansicht nicht wohl entbehren, und doch ist eine solche nicht selten die Klippe, woran man scheitert, wenn man sie nicht zuvor an den Erscheinungen selbst sorgfältig geprüft hat, oder gar darauf ausgeht, nach einer vorgefaßten Ansicht alle Erscheinungen erklären zu wollen. Einheit ist der Grundbegriff aller Kräfte, und von ihm darf man sich nie weiter entfernen, als absolut nöthig ist. Der Befolgung dieses Grundsazes bei meinen wissenschaftlichen Forschungen verdanke ich den endlichen Sieg über die vorhin angeführten Hindernisse. War nun aber auch durch diesen Sieg die Anwendung des Elektromagnetismus als Triebkraft möglich gemacht, so war doch noch eine weitere Aufgabe zu lösen, nämlich die Art und Weise, wie dieß wohl am vortheilhaftesten möchte in Stand zu sezen seyn. Hiezu mußten die Geseze des Elektromagnetismus direct erforscht werden, wozu sich aber die bisher bekannten Meßapparate nicht wohl eigneten. Wenn ich nun nach vierjährigem rastlosem Streben und mit nicht unbedeutenden Opfern mancherlei Art den Standpunkt endlich erreicht habe, von wo aus ich mit fester Zuversicht die Ueberzeugung aussprechen kann, daß nunmehr für die Industrie eine neue Triebkraft errungen ist, so betrachte ich meine wissenschaftliche Aufgabe für gelöst und steht in dieser Beziehung gewiß kein Gewinn mehr für. mich zu hoffen. Die Erbauung elektromagnetischer Maschinen, nach den unter Beistand der Wissenschaft erforschten Gesezen, ist jezt eine weitere Aufgabe; sie zu lösen, ist Sache der Industrie. Die Industrie handelt aber nach anderen Principien als die Wissenschaft. Diese scheut keine Opfer um ihrer selbst willen, jene dagegen hält sie nur dann für gerechtfertigt, wenn zugleich ein pekuniärer Gewinn daraus hervorgeht; weßhalb denn wohl vor allem die Frage entsteht: welche Vortheile können überhaupt der Industrie, mit besonderer Rüksicht auf Deutschland, aus der Anwendung des Elektromagnetismus als Triebkraft erwachsen? Vergleichen wir zunächst Deutschlands Industrie mit jener Englands, so muß es uns auffallen, wie England hauptsächlich bei solchen Erzeugnissen eine Ueberlegenheit geltend macht, wobei die Wärme, sey es direct oder indirect, mitwirkt; direct, bei Herstellung der Metalle aus ihren Erzen, z.B. des Eisens und dessen Verarbeitung, bei Raffinirung des Stahls u.s.w.; indirect, bei der Anwendung des Wasserdampfs als Triebkraft. Diese Ueberlegenheit verdankt England einzig und allein seinem ungeheuren Reichthume an Steinkohlen, den es sehr gut zu benuzen versteht. Gegen die Ueberlegenheit, welche sich auf directe Mitwirkung der Wärme stüzt, wird Deutschland so lange Vergeblich ankämpfen, als es nicht im Stande ist, dieselbe eben so billig herzustellen; es wird aber um so weniger jemals hiezu gelangen, je mehr der Aufwand an Brennmaterial zunimmt, wie dieß durch die sich stets mehrenden Dampfmaschinen nothwendig geschehen muß. Gegen die Ueberlegenheit Englands, durch indirecte Mitwirkung der Wärme im Wasserdampfe als Triebkraft, bietet aber der Elektromagnetismus nicht nur ein Mittel, ihr entgegen zu wirken, sondern sie sogar zu überflügeln. Denn was zur Erzeugung der neuen Triebkraft erforderlich ist, damit hat die Natur gerade Deutschland am meisten versorgt; in Preußen allein wird jährlich mehr Zink gewonnen, als in England während fünf Jahren. Die elektromagnetische Triebkraft gewährt aber auch der deutschen Industrie, welche noch nicht in einzelne, mit enormen Capitalien ausgestattete Fabrikanlagen eingeengt ist, sondern im bürgerlichen Wohlstande ihre Pflege findet, noch den Vortheil, daß ihre Mitwirkung überall, von dem kleinsten Kraftbedarf an, mit gleichem Nuzen angewandt werden kann. Directe und überall geltende Vortheile der elektromagnetischen Triebkraft sind nun noch folgende: 1) Die elektromagnetische Kraft ist durchaus gefahrlos, da sie sich nicht anhäuft, und überhaupt nur dann erzeugt wird, wenn die galvanische Kette geschlossen oder der Elektromotor in Thätigkeit gesezt wird. 2) Es entwikelt der von mir eigenthümlich construirte Elektromotor keine der Gesundheit nachtheiligen oder feuergefährlichen Gase, weßhalb jeder Raum zu seiner Aufstellung benuzt werden kann, ohne daß eine besondere Einrichtung getroffen werden mußte. 3) Es erfordert weder der Elektromotor, noch die Maschine während ihrer Thätigkeit einer Beaufsichtigung, da 4) innerhalb einer gewissen Zeit (etwa 12 Stunden) weder Erneuerung der Flüssigkeit, noch Reinigung der Zinkplatten nöthig ist. 5) Der Kostenaufwand für Herstellung des Elektromotors sowohl, wie der elektromagnetischen Maschine ist ungleich geringer als der für eine Dampfmaschine. 6) Die Kosten zur Erzeugung und Unterhaltung der Kraft sind unbeträchtlich, indem bei dem von mir für die Praxis construirten Elektromotor keine unnüze Zinkconsumtion stattfindet. 7) Auch wird während dem Stillstande der Maschine, d.h. bei getrennter galvanischer Kette, das Zink fast gar nicht angegriffen. 8) Der Zinkverbrauch ist um so geringer, je schneller die Maschine sich bewegt; bei der Dampfmaschine ist bekanntlich das Verhältniß des Verbrauchs an Brennmaterial umgekehrt. 9) An der Maschine findet beinahe keine Abnüzung statt, und erwachsen daher auch keine besonderen Kosten für deren Reparatur. 10) Es kann die Zusammensezung und das Auseinandernehmen des Elektromotors von irgend Jemand besorgt werden, weil dabei lediglich nur physische Kraft in Anspruch genommen wird. 11) Die elektromagnetische Kraft erzeugt den höchsten Grad von Geschwindigkeit, weßhalb dieselbe ganz vorzüglich auch zur Anwendung für Locomotive geeignet ist. 12) Es gewährt dieselbe unter allen Triebkräften die größte Elasticität, so daß ein stetiges schnelles Anhalten ohne Stoß, und 13) eine Umkehrung der Bewegung bewirkt werden kann. 14) Bei Anwendung für Locomotive würden diese weit leichter gebaut werden können, indem die elektromagnetische Kraft in directem Verhältniß zur Zinkconsumtion steht; es würden mithin die Kosten für Eisenbahnen geringer seyn. 15) Für die Industrie ist das directe Verhältniß der Kraft zum Consumo besonders wichtig, indem man sich des Elektromagnetismus bei dem kleinsten Kraftbedarf mit gleichem Vortheil bedienen kann, während bei Dampfkraft der Nuzeffect um so größer wird, je mehr dieselbe in eine Maschine zusammengedrängt wird. 16) Entsteht hieraus auch der Vortheil, daß weite Fortpflanzung der Kraft und mithin auch die dazu erforderlichen Einrichtungen ganz entbehrlich werden. 17) Es können an einzelnen Maschinerien nöthigenfalls Reparaturen vorgenommen werden, ohne die anderen in ihrer Thätigkeit zu stören. 18) Es kann die erforderliche Geschwindigkeit gleich direct, ohne mechanische Vermittelung, hergestellt werden. 19) Die elektromagnetische Triebkraft wirkt überaus stetig und sich gleichbleibend, so daß bei gleichem Widerstände auch die Geschwindigkeit dieselbe bleibt. 20) Die Betriebskosten dürften nur noch nominell erscheinen, sobald das Product aus dem Zinkconsumo (das schwefelsaure Zinkoxyd) benuzt wird, um andere Producte, welche in der Industrie vielfältige Anwendung finden und bisher auf mühsame und kostspielige Weise dargestellt wurden, zu fabriciren, wobei das Zink wieder gewonnen wird. Angestellte Versuche berechtigen zu. diesem Ergebniß. Nach der vorangestellten Uebersicht der Vortheile, welche die elektromagnetische Triebkraft der Industrie gewähren wird, glaube ich, daß nach bereits erfolgter Beseitigung der Hindernisse und Schwierigkeiten von Seiten der Wissenschaft, dieselbe nicht länger anstehen darf, mit der Erbauung elektromagnetischer Maschinen zu beginnen, und mit Vergnügen sehe ich meine Schlußfolgerung dadurch gerechtfertigt, daß mir bereits aus mehreren Staaten Anerbietungen gemacht wurden, mich thätig dabei unterstüzen zu wollen.