Titel: Ueber Bleichsalze; von M. Detmer Esq.
Fundstelle: Band 81, Jahrgang 1841, Nr. XXXVI., S. 126
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XXXVI. Ueber Bleichsalze; von M. Detmer Esq. Aus dem Philosophical Magazine, Jun. 1841, S. 422. Detmer, über Bleichsalze. Vor Kurzem wurde eine Abhandlung des Hrn. Millon Polyt. Journal Bd. LXXVII. S. 425. über die Bleichsalze des Chlors veröffentlicht, worin eine neue Ansicht über deren Zusammensezung entwikelt wird. Vorher betrachtete man sie allgemein als Verbindungen oder Gemenge eines Metallchlorids und eines unterchlorigsauren Metalls; das Bleichpulver z.B. oder den Chlorkalk als aus Chlorcalcium und unterchlorigsaurem Kalk in gleichen Aequivalenten bestehend, und die Säure des lezteren Salzes ein Atom Sauerstoff und ein Atom Chlor enthaltend. Man stellte sich nämlich die Reaction des Chlors auf den Kalk folgendermaßen vor: 2 Atome Kalk nehmen 2 Atome Chlor auf, aber nur 1 Atom des Kalks wird dabei zersezt, dessen Calcium und Sauerstoff sich jedes für sich mit 1 Atom Chlor verbinden und Chlorcalcium und unterchlorige Säure bilden; leztere verbindet sich mit dem zweiten Atome des Kalks. Von der Zusammensezung der Chlorchrom- und der Chlorschwefelsäure ausgehend, welche von Walter und Regnault als Chromsäure und Schwefelsäure betrachtet werden, worin das dritte Aequivalent Sauerstoff durch Chlor ersezt ist (CrO₂ + Cl und SO₂ + Cl), nimmt Millon an, daß die bleichenden Chlorverbindungen in derselben Beziehung zu den Peroxyden ihrer Metalle stehen. Das Peroxyd des Calciums ist CaO₂ oder CaO + O, folglich das Bleichpulver CaO + Cl, oder ein Peroxyd des Calciums mit Chlor an der Stelle des zweiten Atoms Sauerstoff. Zur Unterstüzung dieser Ansicht führt Millon von ihm selbst angestellte Beobachtungen über die Zusammensezung der bleichenden Verbindungen des Chlors mit mehreren Metalloxyden an, z.B. den Oxyden des Bleies, dem Eisenoxydul, dem Kali, Natron und Kalk, in welchen das Verhältniß des Chlors zwar verschieden, jedoch dem Mehrbetrage des Sauerstoffs über ein Aequivalent in den Peroxyden derselben Metalle entsprechend befunden wurde. Namentlich fand man, daß das Kali zwei Aequivalente Chlor, das Natron aber nur eines absorbire, weil das Peroxyd des Kaliums KO + 2O, das Natrium-Peroxyd aber nur NaO + O ist. Die Absicht des Verfassers war nun, hauptsächlich die Richtigkeit dieser lezteren Behauptung zu erforschen. In eine Lösung kohlensauren Natrons wurde so lange fort Chlorgas geleitet, bis sie eine gelbe Farbe annahm und keine Spur Kohlensäure mehr enthielt. Sie wurde dann mit Luft stark geschüttelt, wodurch der Ueberschuß an freiem Chlor entwich. Bei der daraus folgenden Analyse wurde ein Theil davon mit einigen Tropfen Ammoniak behandelt und das Chlor dann mit salpetersaurem Silber gefällt; ein anderer Antheil wurde zur Trokne abgedampft, um das Natrium als Chlornatrium zu erhalten. Bei vier Versuchen enthielten die mit Chlor beladenen Flüssigkeiten Chlor und Natrium in folgenden Verhältnissen, nämlich in 100 Theilen: Natrium         47,88 45,26 46,81 44,76 Chlor 52,12 54,74 53,19 55,24 während, wenn das bleichende Chlornatron 1 Aequiv. Chlor und 1 Aequiv. Natron enthielte, seine Zusammensezung seyn müßte: 1 Aeq. Natrium1   –     Chlor 46,9153,09 100,00. Obige Resultate stimmen aber so genau, als man es nur erwarten konnte, mit der Theorie überein. Es kann daher kein Zweifel obwalten, daß das Chlornatron 1 Atom Chlor auf 1 Atom Natron enthält. Dieß ist das von der Theorie Millon's geforderte Resultat, indem das Natriumperoxyd nach ihm 1 Aeq. Sauerstoff und 1 Aeq. Natron enthält; es ist aber eben so übereinstimmend mit Balard's Theorie, daß das Salz eine Verbindung gleicher Aequivalente Chlornatrium und unterchlorigsauren Natrons sey. Um zu bestimmen, welche Quantität Chlor von Wasser aufgenommen wird, wurde fünf Stunden lang ein Strom des Gases in Wasser von 12° R. geleitet. 100 Gramme Wasser nahmen 0,663 Gr. Chlor auf, oder 200 Kubikzoll Wasser lösten 207 Kubikzoll Gas auf. Das Chlor wurde dadurch bestimmt, daß man es durch Zusaz einiger Tropfen Ammoniak in Salzsäure umwandelte, hierauf die Flüssigkeit mit Salpetersäure etwas ansäuerte, und mit salpetersaurem Silber fällte. Eine Lösung von 2,58 Chlorkalium in 38,96 Wasser fand man weniger Chlor auflösend als reines Wasser; das Verhältniß war 180 zu 257. Als man Chlorgas in eine Lösung von 9,245 Gr. kohlensaurem Kali in 96,495 Gr. Wasser bis zur Sättigung einströmen ließ, verlor die Lösung alle ihre Kohlensäure und nahm 6,631 Gr. Chlor auf. Hier nahm 1 Aeq. Kali = 590 also 656 Chlor auf, was 1 1/2 Aequiv. Chlor, = 663, sehr nahe kömmt. Wenn man aber die in der Flüssigkeit enthaltene Menge freien Chlors abzieht, so findet man, daß sie nur 1,34 Aequiv. Chlor auf 1 Aequiv. Kali enthält. Bei zwei anderen Versuchen, wo die Flüssigkeit mit Luft geschüttelt wurde, nachdem sie mit Chlor gesättigt war, damit der Gasüberschuß entweichen könne, wurden auf 1 Aequiv. Kali 1,44 und 1,43 Aequiv. Chlor gefunden. Das kohlensaure Kali nimmt daher unbezweifelt mehr als ein einfaches Aequiv. Chlor auf. Doch ist die mit dem Kali verbundene Menge Chlor noch weit entfernt von 2 Aequivalenten, der nach Millons Theorie erforderlichen Quantität, da das Kaliumperoxyd 2 Atome Sauerstoff auf 1 Atom Kali, oder KO₃, enthält. Der Schluß, daß das Chlorkali in seiner Constitution dem Peroxyde des Kaliums analog sey, ist daher unzulässig. Es ist nun noch der Grund anzugeben, warum das Kali mehr Chlor aufzunehmen im Stande ist, als zu dessen Umwandlung in Chlorkalium und unterchlorigsaures Kali nöthig ist. Wenn man Chlor durch kohlensaures Kali treten läßt, ist bei der Absorption ein Moment wohl zu bemerken, wo die ganze Flüssigkeit auf einmal eine gelbe Farbe annimmt. Dieß ist der Fall, wenn das, was von dem kohlensauren Kali zurükbleibt, gänzlich in Kalibicarbonat verwandelt ist. Das plözliche Erscheinen der gelben Farbe scheint von einer Reaction der Kohlensäure auf das aufgelöste unterchlorigsaure Kali herzurühren, durch welche unterchlorige Säure in Freiheit gesezt wird und die Flüssigkeit färbt. Bei fortgesezter Behandlung des Kalibicarbonats mit Chlor wird es in ein Gemenge von Chlorkalium, unterchlorigsaurem Kali und freier unterchloriger Säure umgewandelt. Bei der lezten Einwirkung des Chlors wird alles Kalibicarbonat zersezt, die Kohlensäure völlig ausgetrieben und ein Antheil unterchloriger Säure bleibt frei in der Lösung. Diese Bildung von freier unterchloriger Säure findet mit kohlensaurem Natron nicht statt, weil diese Basis zur Kohlensäure eine weit schwächere Verwandtschaft hat, und ein weit weniger beständiges Bicarbonat bildet, als das Kali. Die freie Kohlensäure kann daher nicht auf das unterchlorigsaure Natron einwirken und unterchlorige Säure in Freiheit sezen, wie sie es bei dem unterchlorigsauren Kali thut. Dieselbe Bildung von freier unterchloriger Säure findet in einem noch weit auffallenderen Grade statt, wenn man Chlor durch eine Lösung von essigsaurem Kali streichen läßt; diese Lösung absorbirt bekanntlich eine große Menge Gases und erhält die stark gelbe Farbe, den Geruch und alle anderen Eigenschaften der unterchlorigen Säure. Offenbar wird bei der Einwirkung des Chlors auf das essigsaure Kali Chlorkalium gebildet nebst Kalibiacetat, freier unterchloriger Säure und unterchlorigsaurem Kali. Wenn die starke Absorption des Chlors durch das kohlensaure Kali von der Kohlensäure herrührte, so müßte Aezkali nicht den geringsten Ueberschuß von Chlor absorbiren, sondern diese Eigenschaft sich auf das kohlensaure Salz beschränken. Dem entsprechend wurde auch bei zwei Versuchen die Menge des von Aezkali absorbirten Chlors so genau als möglich gleich einem einzigen Aequivalent gefunden. Bei einem Versuche nämlich wurden von einem Aequiv. = 589,9 Kali 449,1, bei einem anderen 424,8 Chlor aufgenommen, statt 442,6 Chlor. Aezkali löst also nicht mehr Chlor auf als Aeznatron. Es ist demnach kein Grund vorhanden, die alte Theorie zu verlassen, daß nämlich die bleichenden Lösungen des Chlors in Alkalien und alkalischen Erden ein Chlorid (Chlormetall) und ein unterchlorigsaures Salz enthalten, indem diese Bleichverbindungen sicherlich nicht den Metallperoxyden entsprechen, wie unlängst behauptet wurde.