Titel: Ueber das Harmalin, den Farbstoff der Harmelraute; von Fr. Goebel in Dorpat.
Fundstelle: Band 81, Jahrgang 1841, Nr. LXXIII., S. 305
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LXXIII. Ueber das Harmalin, den Farbstoff der Harmelraute; von Fr. Goebel in Dorpat. Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie. Jun. 1841, S. 363. Goebel, über das Harmalin. Mit dem Namen Harmalin habe ich einen neuen Farbstoff belegt, welchen ich in den Samen von Peganum Harmala (tartarisch: Zyserlik) am 22. December 1837 entdekte. Dieser Farbstoff erscheint in seinem isolirten Zustande in durchscheinenden, ins Bräunlich-gelbe spielenden Krystallen. Die Krystalle sind rhombische Säulen mit ein- und zweigliedrigen Octaëderflächen. Er besizt einen schwach bittern, hinterher etwas zusammenziehenden scharfen Geschmak, färbt den Speichel citrongelb, ist in Wasser und Aether schwer löslich, in Alkohol jedoch leichter löslich und scheidet sich aus einer siedenden gesättigten Lösung in (wasserfreiem) Alkohol nach dem Erkalten krystallinisch ab. Beim Erhizen im Platinlöffel schmilzt derselbe zu einer braunrothen Flüssigkeit, stößt unangenehm riechende weiße Dämpfe aus, entzündet sich endlich und hinterläßt eine glänzende Kohle, die aber bei fortgeseztem Erhizen vollständig verbrennt. In einer pyrochemischen Glasröhre langsam bis zum Schmelzen erhizt, wird er partiell zersezt und es bildet sich ein weißes mehliges Sublimat. Das Harmalin verhält sich basisch, stumpft die Säuren ab und bildet damit gelbgefärbte, größtentheils leichtlösliche, zum Theil krystallisirbare Salze, aus welchen es sich durch Aezalkalien wieder unverändert abscheiden läßt. In den Samen von Peganum Harmala kömmt das Harmalin, an Phosphorsäure gebunden, vor, als phosphorsaures Harmalin. Der wässerige Auszug der Samen verdankt dieser Verbindung seine gelbe Farbe und färbt mit Alaun gebeizte Zeuge schön gelb. Durch Oxydation wird das Harmalin in ein herrliches rothes Pigment verwandelt, das mit essigsaurer oder schwefelsaurer Thonerde gebeizte Seide und Wolle vom tiefsten Ponceau bis zum hellsten Rosenroth färbt. Dieses rothe Pigment habe ich Harmala genannt. Es bildet mit Säuren rothe Salze, ist im Wasser gänzlich unlöslich, in Aether ziemlich leicht löslich, in absolutem Alkohol aber in allen Verhältnissen löslich. Das Harmala ist dasselbe Pigment, das die Farbe und das Farbvermögen des Harmalaroths bedingt, desjenigen Farbmaterials, das ich bereits im Großen darstellte und von welchem vor zwei Jahren in dem Journale des russischen Ministeriums des Innern von mir ein Aufsaz erschien, und von welchem auch in den Journalen von Dingler Polytechn. Journal Bd. LXIX, S. 374. und Erdmann Notizen gegeben wurden. Harmalaroth nannte ich das zur technischen Benuzung, zum Färben von Zeugen zubereitete Pulver der Harmalasamen, in welchen durch chemische Behandlung das ursprünglich vorhandene gelbe Pigment, das phosphorsaure Harmalin, in das rothe Pigment, das phosphorsaure Harmala verwandelt worden ist. Das Harmalaroth besizt eine braunrothe, gepulverter Cochenille nicht unähnliche Farbe und färbt mit essigsaurer oder schwefelsaurer Thonbeize versehene Seide und Wolle, je nach dem Grade der Verdünnung der mit einem Alaunzusaz bereiteten Abkochung, vom dunkeln Ponceau bis zum hellsten Blaßroth. Das Peganum Harmala wächst in den südrussischen Steppen, besonders in der Krim, als ein sehr lästiges Unkraut, schlägt seine Wurzeln oft 2–3 Fuß tief in den Boden, verdrängt durch seinen üppigen Wuchs nuzbare Futtergewächse, während es selbst von keinem Thiere gefressen wird. Der Same dieser werthvollen neuen Färberpflanze kann jährlich zu hunderten von Centnern eingesammelt werden, ohne daß man einen besondern Anbau der Pflanze nöthig hätte, die ich, beiläufig gesagt, in den transwolgaischen Steppen, am nördlichen Ufer des kaspischen Meeres, in der Gegend von Astrachan, in den Steppen des Dons und in denen der Krim häufig verbreitet gefunden habe. Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß das Harmalaroth wegen seiner Reichhaltigkeit an Farbstoff, wegen seiner Wohlfeilheit und wegen der einfachen Art damit zu färben, eine sehr gesuchte Farbe werden wird, denn es steht zu erwarten, daß dieses Pigment durch geeignete Beizen in noch andern Nüancen, als den durch Alaunbeize hervorgerufenen sich wird auf Zeugen befestigen lassen, sobald dasselbe in die Hände praktisch geübter Färber gelangt. Ueber die Benuzung des Harmalaroths zu den Wiener- und Kugellak ähnlichen Fabricaten, so wie zu Schminktafeln, die wegen der Aehnlichkeit mit der natürlichen gesunden Hautröthe, vielleicht dem Carmin in dieser Beziehung vorzuziehen seyn möchten, werde ich später die geeigneten Mittheilungen machen. Die fabrikmäßige Darstellung der Farbe ist von mir bereits erprobt und bewährt gefunden worden, so daß sich mit geringen Kosten bedeutende Massen erzeugen lassen; auch hat bereits auf Veranlassung Sr. Erlaucht des Hrn. Finanzministers Grafen v. Cancrin, der jedem nüzlichen Unternehmen seine Aufmerksamkeit schenkt, das Departement der Manufacturen und des Handels zur weitern Beprüfung von dem Pigmente Notiz genommen, Das Harmalin gewinnt man aus dem gepulverten Harmalasamen durch Präcipitation eines mit durch Essigsäure geschärftem Wasser in der Siedhize bereiteten Auszugs mittelst Aezkalilösung, nachheriges Auswaschen des Präcipitats mit Wasser und Auskochen mit entwässertem Weingeist. Sättigt man die aus der alkoholischen Lösung erhaltenen Harmalinkrystalle mit Essigsäure, digerirt hierauf mit Pflanzenkohle, präcipitirt nochmals mit Aezkali oder hier auch mit Ammoniak und behandelt das getroknete Präcipitat mit Alkohol, so bekömmt man dasselbe vollkommen rein. Dafür, daß ich über die Umwandlung des Harmalins in Harmala hier nichts anführe, erbitte ich mir die gütige Nachsicht der Leser. Ich werde mich später deßhalb rechtfertigen. Die vorstehende Notiz über die neuen Pigmente mußte ich aber vorläufig geben, um mir die Priorität einer bereits vor drei Jahren gemachten Entdekung nicht entgehen zu lassen, da Hr. Adjunct Fritzsche in St. Petersburg, dem meine wissenschaftlichen und technischen Beschäftigungen mit Harmala recht wohl bekannt sind, ebenfalls die Samen der Harmalapflanze – ohne mir davon eine Notiz zu geben – in Untersuchung genommen hat.