Titel: Ueber photogenische Kalotyp-Zeichnungen; von H. F. Talbot Esq.
Fundstelle: Band 81, Jahrgang 1841, Nr. XC., S. 356
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XC. Ueber photogenische Kalotyp-Zeichnungen; von H. F. Talbot Esq. Aus dem Philosophical Magazine. Jul. 1841, S. 88. Talbot, über photogenische Kalotyp-Zeichnungen. Es sind nun zwei Jahre, daß ich einen Bericht über photogenische Zeichnungen bekannt machte.Polyt. Journal Bd. LXXI. S. 468 u. Bd. LXXII. S. 224. Seitdem habe ich mir viele Mühe gegeben und zahlreiche Versuche in der Hoffnung angestellt, diese Kunst besser auszubilden und nüzlicher zu machen; wirklich habe ich auch viele Verbesserungen ausgemittelt. Ich will mich aber hier auf einen einzigen Gegenstand beschränken, nämlich auf meine Entdekung eines chemischen Processes, durch den das Papier weit empfindlicher gegen das Licht gemacht wird, als durch irgend ein bisher bekanntes Mittel. Es läßt sich nicht genau bestimmen, wie weit sich diese Zunahme der Empfindlichkeit erstrekt; so viel ist aber gewiß, daß man nun ein weit besseres Bild in einer Minute erhalten kann, als durch das frühere Verfahren in einer Stunde. Diese Zunahme an Schnelligkeit ist auch mit einer größern Schärfe und Deutlichkeit der Umrisse der Gegenstände verbunden, eine eben so angenehme und vortheilhafte, als schwer zu erklärende Wirkung. Die kürzeste Zeit, in welcher es mir schon gelang, ein Bild in der Camera obscura zu erhalten, war acht Secunden, doch kann ich dieß nicht als Gränze angeben, welche nur durch noch sorgfältigere und zahlreiche Versuche ermittelt werden kann. Die Erzeugung des Bildes ist von einigen ganz außerordentlichen Umständen begleitet, welche ich in einem spätern Schreiben berühren werde. Diese Erscheinungen sind sehr merkwürdig, und ich habe von etwas derartigem in keinem chemischen Werke eine Erwähnung gefunden. Das Bild muß, wenn es sich erzeugt hat, natürlich fixirt werden, indem sonst das Verfahren unvollkommen wäre. Man könnte a priori allerdings glauben, daß dieses Fixiren bei der Empfindlichkeit des Papiers sehr schwer seyn müsse. Glüklicherweise bestätigt jedoch die Wirklichkeit diese Folgerung nicht, indem diese neuen Photographien leichter und vollkommener fixirt werden, als die frühern. Von den fixirten Bildern können dann eine Menge Copien gemacht werden. Ich glaube, daß diese Kunst nun einen Punkt erreicht hat, wo sie überaus nüzlich werden kann. Wie viele Reisende können beinahe gar nichts zeichnen und versuchen es entweder gar nicht, oder bringen rohe, unverständliche Skizzen nach Hause. Jezt können sie ihr Portefeuille, ohne viel Zeit und Mühe darauf zu verwenden, mit genauen Ansichten füllen; sogar der vollendete Künstler wird manchmal dieses Mittel zu Hülfe nehmen, wenn er schnell ein Gebäude oder eine Landschaft aufnehmen will, oder die Menge der kleinen Details ihn ermüdet. Eine der wichtigsten Anwendungen, welche allgemeines Interesse finden muß, ist das Porträtiren. Ich versuchte dieß lezten Oktober, wo es mir sogleich gelang. Eine halbe Minute war im Sonnenschein hinreichend, und vier bis fünf Minuten, wenn die Person sich im Schatten, jedoch in freier Luft, befand. Nachdem einige Porträts gemacht waren, wodurch hinlänglich gezeigt war, daß dieß keine Schwierigkeiten habe, wurden die Versuche auf eine günstigere Jahreszeit verschoben. Da es nun mehrere photographische Verfahren gibt, die sich wesentlich von einander unterscheiden, so finde ich es sehr nothwendig, sie durch verschiedene Namen zu bezeichnen, wie dieß auch bei den verschiedenen Arten der Malerei und der Gravirkunst geschieht. Photographien auf Silberplatten erhielten den Namen Daguerréotypien und werden ihn behalten. Die hier in Rede stehende Art von Photographie schlage ich Kalotypie zu nennen vor – eine Benennung, welche man, wenn ihre Producte einmal bekannt seyn werden, auch richtig finden wird. Ich erinnere daran, daß, als die photogenischen Zeichnungen zuerst besprochen wurden, viele Personen sagten, daß dieß die Kunst wahrscheinlich beeinträchtigen werde, indem hier bloß mechanische Arbeit an die Stelle des Talents und der Kunstfertigkeit trete. Ich glaube, daß, fern davon, daß dieß der Fall wäre, in diesem so wie in den meisten andern Dingen Spielraum genug für die Uebung der Kunstfertigkeit und des Urtheilsvermögens vorhanden ist. Man glaubt nicht, welcher Unterschied durch ein längeres oder kürzeres Aussezen dem Lichte, so wie auch durch bloße Abweichungen im Fixirverfahren hervorgebracht wird, durch welches leztere beinahe jeder Ton, kalt oder warm, über das Bild gezogen werden kann, und wie die Wirkung des heitern oder trüben Wetters nach Belieben nachgeahmt werden kann. Alles dieß gehörig zu combiniren und zu ordnen, fällt in das Bereich des Künstlers, und wenn er bei dem Umgange mit diesen Dingen noch nolens volens ein Chemiker und Optiker wird, so glaube ich sicher, daß eine solche Verbindung der Wissenschaft mit der Kunst beiden zur Beförderung gereichen wird. Ich will nun einige weitere Details in Betreff der Erscheinungen bei dem kalotypischen Proceß geben, und damit anfangen zu erzählen, auf welchem Weg ich zu seiner Entdekung kam. Ich prüfte einmal im verflossenen September mehrere Stüke auf verschiedene Weise bereiteten empfindlichen Papiers in der Camera obscura und ließ sie nur sehr kurze Zeit darin, um dann zu beurtheilen, welches das empfindlichste sey. Eines dieser Papiere wurde herausgenommen und bei Kerzenlicht untersucht. Man konnte nur wenig oder gar nichts darauf sehen und ich ließ es auf einem Tische in einem dunkeln Zimmer liegen. Als ich einige Zeit darauf wieder hineinkam, nahm ich dieses Papier wieder in die Hand und war erstaunt, eine deutliche Zeichnung darauf zu sehen. Ich wußte gewiß, daß, als ich es vorher betrachtete, nichts zu sehen war und konnte keinen andern Schluß ziehen, als daß das Bild unerwarteterweise sich durch eine von freien Stüken wirkende Ursache von selbst entwikelte. Glüklicherweise erinnerte ich mich an die besondere Weise, auf welche ich dieses Blatt präparirt hatte und war daher im Stande, den Versuch zu wiederholen. Das Papier zeigte, als es aus der Camera obscura kam, kaum etwas Sichtbares, aber dießmal betrachtete ich es, statt es wegzulegen, fortgesezt beim Kerzenlicht, und hatte bald das Vergnügen, eine Zeichnung erscheinen und alle Details derselben, eines nach dem andern, hervortreten zu sehen. Das Papier war bei diesem Versuche in feuchtem Zustande; da es aber besser ist, wo möglich trokenes Papier zu nehmen, machte ich bald darauf den Versuch mit trokenem, und das Resultat fiel hier noch ausgezeichneter aus. Das trokene Papier schien weit weniger empfindlich zu seyn als das feuchte; denn wenn es nach kurzer Zeit, etwa in einer oder zwei Minuten, aus der Camera obscura genommen wurde, war das Papierblatt vollkommen weiß. Nichtsdestoweniger aber fand ich, daß das Bild sich, wenn gleich unsichtbar, darauf befinde; und durch einen dem vorigen ähnlichen chemischen Proceß erschien es in seiner ganzen Vollkommenheit. Nach mehreren weitern Versuchen, welche zur gehörigen Erklärung dieser Erscheinung nothwendig waren, fand ich es räthlich, das frühere Verfahren, Ansichten mit der Camera obscura aufzunehmen, aufzugeben und das neue dafür aufzunehmen, welches jenes an Schnelligkeit und Kraft so sehr übertrifft. Das Resultat meiner bisherigen Erfahrung mit diesem Kalotyp-Papier ist, daß es sich, wenn es gehörig präparirt ist, drei oder vier Monate hält und jeden Augenblik gebraucht werden kann, und daß es in trokenem Zustande angewandt werden kann, was sehr bequem ist. Die Zeit, in welcher es in der Camera obscura dem Lichte ausgesezt wird, kann nach Umständen eine Viertelsminute und darüber betragen und das Papier erscheint, wie ich oben sagte, ganz weiß, hat aber den Eindruk des Bildes, wiewohl unsichtbar, schon aufgenommen. Es kann, wenn man will, in diesem unsichtbaren Zustand etwa einen Monat lang erhalten, und sobald man wünscht, zu Tage gefördert oder sichtbar gemacht werden. Doch geschieht dieß in der Regel kurz darnach oder wenigstens noch denselben Tag, damit kein störender Zufall dazwischen treten könne (wie etwa der Schein des Tageslichts, welcher auf einmal die ganze Ausführung vernichten würde). Wenn man das Bild sichtbar machen will, so ist dieß in sehr kurzer Zeit, von einer Minute bis in 5 oder 10 Minuten, geschehen, wobei die stärksten Eindrüke am leichtesten und schnellsten erscheinen. Sehr schwache Eindrüke (wie solche erhalten werden, wenn das Papier nur ein paar Secunden in der Camera war, oder wenn die Gegenstände nicht hell genug erleuchtet waren) brauchen längere Zeit bis sie erscheinen; doch dürfen sie nicht zu schnell aufgegeben werden, da viele anfangs Schwierigkeit machen, als wollten sie nicht erscheinen, am Ende aber nichtsdestoweniger sehr schön hervortreten. Der Experimentator hält sich natürlich in einem dunkeln, nur mit Kerzen erleuchteten Zimmer auf. Ich kenne wenig Dinge im Bereich der Wissenschaft, welche mehr in Erstaunen sezen, als das allmähliche Erscheinen des Bildes auf dem weißen Blatte. Der Experimentator soll das Fortschreiten der Entwikelung des Bildes beobachten, bis es in der Stärke seiner Färbung, in der Schärfe seiner Umrisse und überhaupt in der Deutlichkeit nach seiner Meinung die größte Vollkommenheit erreicht hat. Dann hemmt er die weitern Fortschritte durch Ueberziehen mit einer fixirenden Flüssigkeit. Diese wird mit Wasser wieder weggewaschen, das Bild getroknet, und die Operation ist zu Ende. Das Bild ist nun recht stark fixirt, und es können auf gewöhnlichem photogenischem Zeichenpapiere durch Ueberlegen im Sonnenschein zahlreiche Copien davon gemacht werden. Das Originalbild wird durch dieses Aussezen der Sonne nicht leicht verändert oder verdorben; wenn dieß aber geschieht, wie es doch manchmal der Fall ist, kann es in der Regel leicht wieder hergestellt werden. Diese Wiederherstellung, welche ein sehr merkwürdiger Theil des Kalotypprocesses ist, bringt das Bild nicht nur zu seiner früheren Stärke zurük, sondern macht oft neue Details und Ausführlichkeiten in dem Bilde hervortreten, welche vorher bei der ersten Zutageförderung (in Folge der zu frühen Hemmung des Processes) nicht erschienen waren. Diese Details lagen daher die ganze Zeit in einem unsichtbaren Zustande im Papier, ohne (was das Merkwürdigste ist) durch so vieles Aussezen dem Sonnenschein zerstört worden zu seyn. Sie waren durch die fixirende Flüssigkeit geschüzt. Doch Niemand hätte im Voraus oder ohne augenscheinliche Ueberzeugung denken können, daß diese eine so stark schüzende Kraft hätte. Diese wiederbelebende Kraft ist eine unschäzbare Eigenthümlichkeit der Kalotypie, nicht nur, weil man hiedurch in den Stand gesezt ist, so viele Copien zu machen, sondern weil der Künstler dadurch lernt, seine unrichtige Beurtheilung wieder gut zu machen, wenn er beim erstenmale ein Bild durch zu frühes Unterbrechen seiner Entwikelung zu schwach gemacht haben sollte.