Titel: Ueber die Weingährung; von Theodor v. Saussure.
Fundstelle: Band 82, Jahrgang 1841, Nr. XVII., S. 65
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XVII. Ueber die Weingaͤhrung; von Theodor v. Saussure. Aus der Bibliothèque universelle de Genève 1841, No. 63 im Journal für praktische Chemie 1841, Nr. 17. v. Saussure, über die Weingährung. Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht angemessen sey, den Einfluß der Luft bei der Weingährung ganz zu verhindern. Die Meinung, welche die Anwesenheit der Luft bei dieser Operation verlangt, kann sich zum Theil auf die Beobachtung von Gay-Lussac stüzen, welcher bemerkte, daß der gegen Luftzutritt geschüzte Most nicht das Vermögen zu gähren besizt. Aber dieses Resultat hat für die gewöhnliche Praxis der Weinfabrikanten keine Wichtigkeit, denn, um es zu beweisen, muß man Trauben unter eine mit Queksilber angefüllte Gloke bringen, von ihnen die anhängende Luft entfernen, indem man durch sie mehreremale Wasserstoffgas durchleitet, endlich den Saft unter dieser Gloke ohne Luftzutritt auspressen. Die Gährung tritt alsdann nicht ein oder wird sehr verzögert, außer wenn einige Blasen von Sauerstoffgas oder von atmosphärischer Luft hineingebracht werden. Ich erhielt fast dasselbe Resultat, denn der Most, welcher nach Gay-Lussac's Verfahren in der Mitte des Oktobers bereitet worden war, fing erst ohne Luftzutritt am Ende des folgenden Aprils zu gähren an. Ich brachte Most, welcher unmittelbar nach dem Keltern der den Tag vorher gelesenen Trauben aus der Kelter genommen worden war, unter einem Recipienten der Luftpumpe in den leeren Raum. Die Flüssigkeit, der die Luft entzogen war, wurde unter eine mit Queksilber angefüllte Gloke, welche auf diesem Metalle stand, gebracht. Nach fünf Tagen hatte dieser Most sein zwölffaches Volumen Kohlensäure erzeugt. Er entwikelte im Ganzen sein 42faches Volumen bei 15° C. und 0,731 Mm. des Barometers. Ich hatte zugleich unter einen mit Queksilber angefüllten Recipienten dieselbe Menge Most mit der Hälfte seines Volumens Sauerstoffgas gebracht. Diese Flüssigkeit hatte beim Gähren nur ihr 40faches Volumen von Kohlensäure erzeugt. Die ersten Wirkungen von dem Zusezen des Sauerstoffgases zum Moste sind die, daß er dunkler wird und einen reichlicheren Absaz gibt. Dieser Zusaz von Sauerstoff beschleunigt gewöhnlich die Gährung. Die vorigen Operationen haben gezeigt, daß die außerordentlich geringe Menge von Sauerstoffgas, die der Most während des Kelterns absorbiren konnte, hinreichend war, um die allergrößte Entwikelung von Kohlensäure oder Alkohol, welche dieser Most hervorbringen konnte, zu bewirken. Noch weitere Mengen von Sauerstoffgas, welche ich bei Versuchen, die ich nicht erwähne, zugesezt habe, waren zum Nachtheile der Weingährung oder der Erzeugung von KohlensäureMan muß bei diesen Angaben bedenken, daß der größte Theil des zum Moste zugesezten Sauerstoffgases sich mit seinem Kohlenstoff verbindet, und daß er so Kohlensäure bildet, welche nicht zu der gehört, die sich durch die Weingährung gebildet hat., die um so viel geringer wurde, als man das Sauerstoffgas in größerer Menge zusezte. Die Anwesenheit dieses lezteren Gases kann in Bezug auf die Oberfläche und Dike der Schicht des Mostes von der Art seyn, daß die Weingährung des lezteren nicht mehr eintreten kann. So konnten 2 Kubikcentimeter Most, welche eine Schicht bildeten, die ungefähr 4 Millimeter Dike und 30 Millimeter im Durchmesser hatte, mit 20 Kubikcentimeter Sauerstoff nicht in Gährung gerathen, während eine ähnliche Schicht ohne Zusezen von Sauerstoffgas eine bedeutende Entwikelung von Kohlensäure bewirkte. Ich brachte 375 Gr. Most, welche aus der Kelter genommen worden waren, in einer mit einem Hahne versehenen Flasche in den luftleeren Raum. Ein gläserner luftleerer Ballon (welcher 44 Liter faßte) wurde auf die vorige Flasche geschraubt. Die Gährung stellte sich so im luftleeren Raume ein. Dieselbe Menge Most wurde in einen mit Luft angefüllten Ballon (von 44 Litern) gebracht, der durch einen Hahn verschlossen war. Während des Verlaufes der Gährung wurde sechsmal vermittelst eines anderen luftleeren Ballons ein Theil der verdorbenen Luft entzogen und durch atmosphärische Luft ersezt. Diese Entziehungen und dieses Ersezen dauerten nur einige Augenblike. Die Gährung erfolgte übrigens im verschlossenen Gefäße bei einer Temperatur von 16° C. Nach Verlauf von vier Wochen wurden die Flüssigkeiten der Destillation unterworfen. Die Menge von Alkohol, die sie gaben, wurde durch das Aräometer von Gay-Lussac bestimmt und betrug bei der im luftleeren Raume vorgenommenen Operation fast viermal o viel als bei der an der Luft angestellten. Diese Mengen verhielen sich zu einander wie 3,8 zu 1. Der zu diesen Versuchen angewandte Most verhielt sich vor der Gährung gegen Reagentien etwas sauer, und diese Säure war durch 0,81 Gr. Ammoniak neutralisirt worden. Diese saure Beschaffenheit wurde durch die Gährung im luftleeren Raume nicht vermehrt, denn die Menge des zum Sättigen der in dem luftleeren Raume gegohrenen Flüssigkeit angewandten Alkali's betrug nur 0,76 Gr. Dieser Unterschied in der sauren Beschaffenheit ist ohne Zweifel zu gering, als daß man ihn nicht einem Beobachtungsfehler beimessen könnte; er ist aber nicht unmöglich, wenn man mit Döbereiner annimmt, daß der Stikstoff des Ferments unter Erzeugung von Ammoniak verschwindet. Die Säure der in dem Ballon bei Luftzutrit gegohrenen Flüssigkeit wurde durch 4 1/2 Gr. Ammoniak neutralisirt. Diese Resultate zeigen die Wichtigkeit der Luftausschließung bei der geistigen Gährung, obwohl der Most wegen seiner großen Oberfläche in diesem Ballon ohne Zweifel mehr saure Beschaffenheit angenommen hatte, als es bei den gewöhnlichen Verfahrungsarten in den Bottigen der Fall gewesen seyn würde. Die unter den Recipienten über Queksilber erfolgten Gährungen haben mir gezeigt, daß, wenn die Entwikelung von Kohlensäure bereits begonnen hat, sie sehr langsam fortgeht, wenn der Most nur eine Temperatur von 0° hat. Chaptal fand, daß bei den gewöhnlichen Verfahrungsarten in dem Bottige die Temperatur von 15° C. zur Gährung am angemessensten ist, und daß die Operation über dieser Temperatur mit größerer Heftigkeit erfolgt, wobei viel Alkohol verloren geht. Ich brachte in zwei mit Queksilber angefüllte Recipienten dieselben Mengen von Most, welche aus der Kelter genommen worden waren. Der eine wurde an einen Ort gesezt, wo die Temperatur 15° C. betrug, der andere wurde in einen beständig bis zur Temperatur von 30° C. erwärmten Trokenofen gebracht. Die bei dem lezteren eingetretene Gährung erforderte, ehe sie völlig aufhörte, fast dreimal weniger Zeit als die, welche bei 15° erfolgte. Die bei diesen beiden Operationen entwikelten Mengen von Kohlensäure waren nicht merklich verschieden, sie differirten höchstens nur um 1/200. Ich führe diese Resultate an, weil sie mir anzuzeigen scheinen, daß die Gährungen, welche bei einer Temperatur zwischen 15 und 30° C. erfolgen, Producte liefern, welche dieselbe Menge von Alkohol enthalten, wenn man das Verdampfen und den Luftzutritt verhindert. Ich habe behauptet, daß die Anwesenheit von Sauerstoffgas nothwendig ist (wenn man Gay-Lussac's Verfahren anwendet), um die Gährung des Mostes zu bewirken. Döbereiner hat angenommen, daß die Kohlensäure dieselbe Wirkung erzeugt. Meine Resultate widersprechen dieser Behauptung, denn nach dem Verfahren von Gay-Lussac erhaltener Most gohr nicht nur nicht nach 9 Monaten mit der Hälfte seines Volumens Kohlensäure, sondern er widerstand der Gährung auch, als ich zu dieser Zeit Sauerstoffgas zusezte. Kohlensäure, die von Natur oder durch Kunst dem unter Luftzutritt ausgepreßten Moste beigemengt wurde, hindert die Gährung nicht, macht sie aber langsamer. Sie wird beschleunigt, wenn man das Gas entweder durch Schütteln der Flüssigkeit oder durch Verminderung des Luftdruks austreibt. Diese Langsamkeit, welche der zulezt bewirkten Erzeugung von Alkohol nicht schadet und die man bei Anwendung des Apparates der Demoiselle Gervais beobachten kann, darf daher seiner Annahme kein Hinderniß in den Weg legen. Man ist allgemein der Meinung gewesen, daß sein Hauptvortheil darin besteht, daß er die durch die Entwikelung von Kohlensäure in den gewöhnlichen Bottigen mit fortgerissenen Alkoholdämpfe verdichtet. Gay-Lussac hat ohne Zweifel der allgemeinen Anwendung des Verfahrens der Demoiselle Gervais geschadet, indem er nach der Theorie zeigte, daß die Verdichtung der Alkoholdämpfe dabei unbedeutend sey, oder daß sie sich nicht auf den 200sten Theil des durch die Gährung gebildeten Branntweins belaufe. Aber die Erfahrung lieferte uns noch kein Resultat hinsichtlich der durch die Kohlensäure mit fortgerissenen Menge von Alkohol. Ohne Zweifel bietet der Apparat der Demoiselle Gervais, wenn man seine Anwendung bloß darauf beschränkt, während der Gährung die Luft gänzlich auszuschließen, sehr große Vortheile vor den gewöhnlichen Bottigen dar und verdient daher den Beifall, den man ihm anfangs zollte. Ich habe hiebei nur die Erzeugung von Alkohol im Auge, denn man findet, daß nur die Weine, welche eine gewisse Menge von freier Säure enthalten, Bouquet besizen, und bekanntlich sind die Weine, welche am reichsten an Alkohol sind, nicht immer am angenehmsten für den Geschmak. Aber diese Bemerkungen lassen sich hierauf nicht anwenden, denn aus den von Naville-Saladin in seinem Berichte an die Abtheilung für Akerbau in dieser Hinsicht angeführten zahlreichen und wichtigen Resultaten geht die Vorzüglichkeit hervor, welche die durch den Apparat der Demoiselle Gervais erhaltenen Producte in jeder Hinsicht besizen.Ueber den Apparat der Demoiselle Gervais vergleiche man polytechn. Journal Bd. XI. S. 414.A. d. R.