Titel: Ueber die Bereitung der Essigsäure; von Hrn. Melsens.
Fundstelle: Band 94, Jahrgang 1844, Nr. LXIX., S. 316
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LXIX. Ueber die Bereitung der Essigsäure; von Hrn. Melsens. Aus den Comptes rendus, Sept. 1844, Nr. 13. Melsens, über die Bereitung der Essigsäure. Nach Dr. Thomson (Liebig's organische Chemie Bd. I S. 752) erhält man saures essigsaures Kali, welches 6 Atome Krystallwasser enthält, wenn eine Auflösung von gleichen Aequivalenten essigsaurem Kali und Essigsäure im luftleeren Raum über Schwefelsäure verdampfen gelassen wird. Nach Detmer (Philosophical Magazine, Jun. 1841) bildet sich auch saures essigsaures Kali, wenn man einen Strom Chlorgas in die Lösung des neutralen essigsauren Salzes streichen läßt. Im Jahr 1839 kam mir ein saures essigsaures Salz vor, welches ich analysirte und anders zusammengesezt fand als Thomson angibt. Ich unterließ es, das Salz des englischen Chemikers darzustellen, als ich bei der Bestimmung des Kaliums in drei oder vier aufeinanderfolgenden Krystallisationen immer ungefähr 25 Procent desselben erhielt, während ein Salz mit 6 Atomen Wasser weniger als 20 enthalten müßte. Das doppelt-essigsaure Kali (Biacetat), welches ich durch Uebersättigung des essigsauren Kali's mit destillirter Essigsäure, Abdampfen und Krystallisiren erhalte, scheint mir aus mehr als einem Gesichtspunkt die Aufmerksamkeit der Chemiker zu verdienen. Es hat, je nach der Concentration, dem Grad der Säuerung und der Temperatur, bei welcher es sich absezt, ein verschiedenes Ansehen. Man erhält es in prismatischen Nadeln oder Blättchen, welche zwischen Papier getroknet, perlmutterartig aussehen. Läßt man es langsam krystallisiren, so sezt es sich in Gestalt langer, flachgedrükter Prismen ab, welche dem geraden rechtwinkligen prismatischen System anzugehören scheinen. Die Krystalle sind sehr biegsam, lassen sich zusammenrollen und in allen Richtungen spalten. Der Luft ausgesezt, zerfließen sie. Doch deliquesciren sie viel weniger als die Krystalle des neutralen essigsauren Salzes oder des scharfgetrokneten neutralen Salzes. Wasserfreier Alkohol löst sie in der Wärme leichter auf als in der Kälte; eine concentrirte Lösung derselben erstarrt beim Erkalten beinahe in Masse. Erhizt man eine Auflösung dieses Salzes in Alkohol, so sind die Alkoholdämpfe sauer. Wurde es in einer Atmosphäre trokner Luft getroknet, so kann man es im luftleeren Raum auf 120° C. erhizen und es verliert dabei nur 2–3 Tausendstel an Gewicht. Bei ungefähr 148° C. schmilzt es und verliert Spuren von Säure, ohne Zweifel durch die Dazwischenkunft des hygrometrischen Wassers der Luft; beim Erkalten erstarrt es in Masse. Erst gegen 200° C. kommt es ins Sieden; in dem Maaße aber, als es krystallisirbare Essigsäure verliert, erhöht sich sein Siedepunkt bis auf 300° C., bei welcher Temperatur ungefähr das in der Retorte zurükbleibende neutrale essigsaure Salz schmilzt und sich zersezt. Die mit diesem Salze angestellte Analyse gab folgende Resultate: Berechnet C⁸   48,00   30,3 Kohlenstoff H⁷     7,00     4,4 Wasserstoff Kl   39,25   24,8 Kalium O⁸   64,00   40,5 Sauerstoff ––––––––––––––– 158,25 100,0 Die Darstellung chemisch reiner Essigsäure aus diesem Salze wird in den Laboratorien dem alten Verfahren gewiß vorgezogen werden; man erhält daraus so viel Essigsäure, als dem Dritttheil vom Gewicht des angewandten sauren essigsauren Kali's entspricht. Diese Bereitungsweise der Essigsäure könnte mit einigen die Darstellung des Biacetats überflüssig machenden Abänderungen in der Technik eingeführt werden. Wenn man nämlich einen Ueberschuß nicht zu sehr verdünnter Essigsäure über neutralem essigsaurem Kali der Destillation unterwirft, fixirt sich ein Antheil der Säure an dem Kali, während die übrige, wässeriger geworden, bei der Destillation übergeht. Fährt man aber zu erhizen fort, so bereichert sich die überdestillirende Säure neuerdings, und zulezt erhält man reine krystallisirbare Säure, wenn man die Vorsicht gebraucht, die Temperatur nicht über 300° C. zu steigern, bei welcher die überdestillirende Säure zuerst eine schwach rosenrothe Färbung anzunehmen beginnt, später aber brandig und nach Aceton riecht, was jedoch sehr leicht zu vermeiden ist. So gewonnene Säure, welche ich durch eine bloße Destillation reinigte, deren erste und lezte Producte ich beseitigte, entsprach bei der Analyse ziemlich der Formel der Essigsäure mit 1 Atom Wasser. Die Industrie wird diese Thatsachen sicherlich dereinst benuzen. In einer Holzsäurefabrik z.B., welche die Säure von verschiedenen Concentrationsgraden verkauft, könnte ein zur Destillation der Essigsäure über essigsaures Kali zusammengestellter Apparat sie liefern, ohne daß lezteres Salz je zerstört würde. Mittelst gehörig erforschter und dem Bedürfniß entsprechender Mengen von verdünnter Säure und essigsaurem Kali würde man verschiedene Essigsäure-Hydrate und ungefähr 1/5 (38 Procent) vom Gewicht des angewandten neutralen essigsauren Kali's an krystallisirbarer Säure erhalten. Wahrscheinlich würde der Verbrauch von Essigsäure mit 1 Atom Wasser sehr zunehmen, wenn sie unter ihrem gegenwärtigen Preis geliefert würde. Sie bietet ein schäzbares Auflösungsmittel dar, wo Harze von Wachs und Fettsubstanzen zu trennen sind. Es gibt jedoch eine Gränze der Verdünnung für die Säure, von welcher man bei einer Fabrication dieser Art auszugehen hätte; sie beruht auf folgendem Versuch. Wenn man in saures essigsaures Kali einen Strom Wasserdampf streichen läßt, so wird die Essigsäure, welche aus dem neutralen essigsauren Kali das Wasser verdrängt, ihrerseits wieder vom Wasser ausgetrieben, wenn lezteres in Ueberschuß vorhanden ist.