Titel: Ueber einige Streitpunkte hinsichtlich der Theorie der Dampfmaschinen; von Hrn. de Pambour.
Fundstelle: Band 98, Jahrgang 1845, Nr. XCIII., S. 337
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XCIII. Ueber einige Streitpunkte hinsichtlich der Theorie der Dampfmaschinen; von Hrn. de Pambour. Aus den Comptes rendus, Jul. 1845, Nr. 1. Pambour, über einige Streitpunkte hinsichtlich der Theorie der Dampfmaschinen. In der Sizung vom 19. Mai übergab ein Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften ein Exemplar der praktischen Untersuchungen über Locomotiven von Gouin und Lechatellier, und bemerkte dabei, aus diesen Versuchen gehe hervor, daß bei Locomotiven, wenn die Oeffnung des Regulators 1/20 bis 1/25 vom Querschnitt des Cylinders betrage, bei gewissen erwähnten Geschwindigkeiten der Unterschied zwischen dem Dampfdruk im Kessel und dem Dampfdruk im Cylinder 6–10 Proc. nicht übersteige. Da in diesem Artikel (polytechnisches Journal Bd. XCVII S. 1) mein Name citirt ist, so erlaube ich mir einige Betrachtungen an diesen Gegenstand anzuknüpfen. Ich habe keineswegs gegen das fragliche Resultat einen Einwurf zu machen, sondern nur gegen die Consequenzen, die man daraus ableiten könnte. Will man daraus den Schluß ziehen, daß beide Pressionen beinahe einander gleich werden können, so bin ich vollständig damit einverstanden; denn ich habe in der zweiten Auflage meiner Theorie der Dampfmaschinen im ersten Capitel gezeigt, daß man durch verschiedene Mittel diese Gleichheit der Dampfspannungen nach Belieben herstellen kann, und ich habe mich selbst derselben bedient, um den Werth der Reibung bestimmen zu können. Wollte man aber schließen, daß diese beinahe stattfindende Gleichheit des Dampfdruks bei Dampfmaschinen ein normaler und permanenter Zustand sey, welcher ihren Effect nach dem Dampfdruk im Dampfkessel zu berechnen gestattete, so wäre man, glaube ich, in einem Irrthum befangen; und dieß ist der Punkt, an den ich noch einige Betrachtungen knüpfen will. Ich habe bekanntlich der Akademie eine Reihe von Versuchen mitgetheilt, die sich auf Dampfmaschinen des Cornwall'schen Systems und zwar auf Hochdrukmaschinen, auf Maschinen nach Evans System und auf Locomotive beziehen.Polytechnisches Journal Bd. LXVII S. 391,. Bd. LXXI S. 479, Bd. LXXIV S. 393, Bd. LXXV S. 163, Bd. LXXVI S. 244 und 401, Bd. LXXVII S. 1, Bd. LXXXI S. 1, Bd. LXXXV S. 401, Bd. LXXXVII S. 401, Bd. LXXXIX S. 241 und Bd. XCI S. 254. Aus diesen Versuchen geht hervor, daß der Druk im Dampfkessel und der Druk im Cylinder in einigen Fällen sich gleich zeigten, daß aber in andern Fällen bei normaler und regelmäßiger Arbeit derselben Maschinen das Verhältniß zwischen beiden Pressionen jeden Werth, z. B. 0,80; 0,76; 0,68; 0,55; 044; 0,35 annahm. Die Versuche, um die es sich hier handelt, bieten ähnliche Resultate dar. Wenn sie in gewissen Fällen beide Pressionen als beinahe gleich darstellen, so zeigen sie dieselben in andern Fällen bedeutend verschieden. So ergeben diese Versuche, daß für gewisse Oeffnungen der Regulatorklappe bei der in Untersuchung befindlichen Maschine das Verhältniß beider absoluten Pressionen wie folgende Zahlen wechselte. Oeffnung 54 Quadratcent., oder 1/20 vom Cyl. Querschnitt; Verhaͤltniß 0,91 27 1/40 0,85 22 1/50 0,73 16 1/70 0,67 darunter 0,61 bis 0,36 Es finden demnach schon den Oeffnungen der Regulatorklappen zufolge sehr große Unterschiede zwischen den Dampfspannungen im Cylinder und im Dampfkessel statt, und es ist zu bemerken, daß die daraus hervorgehenden reellen Unterschiede für die Theorie der Maschinen noch größer ausfallen; denn da bei Maschinen ohne Condensation die Berechnung von dem effectiven Dampfdruk d. h. von dem Reste des absoluten Druks, nach Abzug des auf dem Kolben lastenden atmosphärischen Druks ausgeht, so folgt, daß bei einer solchen Maschine, welche z. B. mit einem absoluten Druk von 5,5 Atmosphären arbeitete, die oben aufgestellten Verhältnisse hinsichtlich der effectiven Pressionen nachfolgende Differenzen zum Vorschein bringen würden; und diese würden noch größer ausfallen, wenn die Maschine mit 4 anstatt mit 5,5 Atmosphären arbeitete. Oeffnung 54 Quadratcent. Verhaͤltniß 0,89 27 0,80 22 0,66 16 0,60 darunter 0,52 bis 0,22 Nun weiß man, daß die Locomotivführer während der Fahrt die Oeffnung des Regulators je nach der Belastung der Maschine und dem Gefälle der Bahn fortwährend ändern; man weiß ferner, daß auch bei stationären Dampfmaschinen die Oeffnung des Drosselventils nicht nur von dem Maschinisten je nach der zu leistenden Arbeit, sondern überdieß auch noch durch das Spiel des Centrifugalregulators geändert wird. Es kann daher nur ganz zufällig seyn, daß man sagen kann, der Regulator oder das Drosselventil sey ganz offen, oder bis zu einem bestimmten Grad geöffnet. Ueberdieß gibt es Maschinen, bei denen die Dampfwege nur 1/50 bis 1/100 vom Querschnitt des Cylinders betragen. Es kann daher der Fall eintreten, daß bei ganz gewöhnlicher Arbeit der Maschinen die Dampfspannungen in dem Kessel und dem Cylinder bald in dem Verhältnisse 0,91, bald in dem Verhältnisse 0,73 oder 0,67 oder in irgend einem andern Verhältnisse zu einander stehen; so daß, wenn man die Berechnung des Effects unter Annahme des ersten Verhältnisses macht, und dieses das dritte ist, auf das man in dem fraglichen Falle stößt, man sich um die Hälfte verrechnen wird. Es geht hieraus hervor, daß man bei der Berechnung des theoretischen Effects der Maschine gleich am Anfang einen Fehler begeht. Der Coefficient, dessen man sich nachher bedient, um den theoretischen Effect dem reellen näher zu bringen, hat nicht den Zwek, von dem Verluste an lebendiger Kraft durch die Dampfleitungen, Dampfwirbel u. s. w. Rechenschaft zu geben, wie man in dieser Theorie darlegt, sondern nur, denjenigen Fehler so viel wie möglich zu corrigiren, welchen man selbst in die Rechnung eingeführt hat. Da ferner das Verhältniß beider Spannungen nicht nur mit der Oeffnung der Dampfwege und der Geschwindigkeit oder Belastung des Kolbens, sondern auch mit der Spannung im Dampfkessel, der Verdampfung und dem Gegendruk an den Austrittöffnungen sich ändert, so müßte man, um den in Rede stehenden Fehler zu corrigiren, nicht einen constanten Coefficienten zu Hülfe nehmen, sondern so viele Coefficienten als es Maschinen gibt, und wiederum so viele Coefficienten, als bei jeder dieser Maschinen Belastungen, Geschwindigkeiten, Verdampfungen, Dampfspannungen und Dampfwege möglich sind. Um aber deutlich darzulegen, daß die Coefficienten, welche man bei dieser Berechnung anzuwenden genöthigt ist, nur dazu dienen, den Fehler, welchen man selbst in dieselbe eingeführt hat, zu corrigiren, und daß die Verluste an lebendiger Kraft, welche man durch diese Coefficienten repräsentirt glaubt, nicht existiren, nehmen wir eine unter dem günstigsten Umstände obiger Versuche angeordnete Hochdrukmaschine an, bei der z. B. die Dampfwege hinreichend reducirt sind, und bei welcher der absolute Dampfdruk in dem Cylinder nur 2 Atmosphären, während er in dem Dampfkessel 4 Atmosphären beträgt. Wir nehmen ferner an, die Maschine arbeite unter solchen Umständen ständen regelmäßig mit 60 Kolbenhuben per Minute. Um den Effect dieser Maschine nach der gewöhnlichen Theorie zu berechnen, wird man die Geschwindigkeit des Kolbens mit dem Druk in dem Dampfkessel und mit der Kolbenfläche multipliciren, wodurch man ein Resultat erhält, das man als den Ausdruk des Totaleffects des aus dem Dampfkessel kommenden Dampfs betrachten wird, so daß man nur den auf den Kolben ausgeübten atmosphärischen Gegendruk abzuziehen braucht, um das zu erhalten, was man den theoretischen Effect der Maschine nennt. Findet man alsdann, daß der wirkliche Effect der Maschine nur die Hälfte des berechneten ist, so schreibt man dieses den Verlusten an lebendiger Kraft zu und sagt, leztere seyen der Hälfte des Effects äquivalent, den die Maschine eigentlich hätte leisten sollen. Es wird aber leicht seyn zu beweisen, daß dieses ein Irrthum ist. Wir haben angenommen, die Maschine arbeite mit 60 Kolbenhuben per Minute, und der Dampfdruk im Cylinder betrage 2 Atmosphären. Demnach beläuft sich der durch den Dampfkessel per Minute gelieferte Dampf auf 60 volle Cylinder von einem Druk von 2 Atmosphären. Wir haben aber auch gesehen, daß derselbe Dampf in dem Dampfkessel und vor seinem Einströmen in den Cylinder einen Druk von 4 anstatt von 2 Atmosphären äußerte und nach dem Mariotte'schen Gesez, an das wir uns der größeren Einfachheit wegen halten, mußte der Dampf bei seinem Uebergang von dem Druk von 4 Atmosphären zu dem von 2 Atmosphären sein Volumen im umgekehrten Verhältnisse der Pressionen vermehren. Während also dieser Dampf in dem Dampfkessel war, betrug sein Totalvolumen nur 30 volle Cylinder; würde er daher unter diesem Druk wirken, so könnte er den Cylinder anstatt 60mal nur 30mal füllen. Berechnet man also den Effect des Dampfs unter der Annahme, daß er mit derselben Spannung wie im Dampfkessel wirke, so muß man auch für den Kolben eine dieser Spannung entsprechende Geschwindigkeit von 30 Huben per Minute und nicht eine solche von 60 Huben annehmen, welche nur zu der reducirten Spannung von 2 Atmosphären paßt, d. h. welche in dem Cylinder in der Wirklichkeit nicht stattfinden kann, so lange der Druk von 4 Atmosphären in dem Cylinder nicht existirt. Mit andern Worten, um den von dem Dampf hervorgebrachten Effect zu erhalten, muß man entweder den Druk in dem Cylinder mit der entsprechenden und beobachteten Geschwindigkeit des Kolbens multipliciren, oder, was auf dasselbe Resultat führt, den Druk in dem Dampfkessel, welcher doppelt so groß als jener ist, nehmen, aber denselben mit der correspondirenden Geschwindigkeit multipliciren, womit sich der Kolben bewegen könnte, und welche nur halb so groß wie obige ist. Eine solche Berechnung liefert ein doppelt so wahrscheinliches Resultat. Und diesen Unterschied schreibt man den Verlusten an lebendiger Kraft durch die engen Dampfwege zu, anstatt sein Augenmerk auf den Umstand zu richten daß, wenn die Verdampfung im Dampfkessel 60 Cylinder voll Dampf mit dem im Cylinder stattfindenden Druk liefert, sie nicht dasselbe Dampfquantum von dem Druk im Dampfkessel liefern kann, der im vorliegenden Fall viel größer ist. Wäre die Erklärung, welche man vom Coefficienten gibt, genau, so wäre die Verminderung des Dampfdruks in dem Cylinder ein eben so großer Arbeitsverlust. Aber Jedermann weiß, daß mit der Verminderung des Dampfdruks eine proportionale Vermehrung des Dampfvolumens verbunden ist. Verliert der Dampf bei seinem Uebergang aus dem Dampfkessel in den Cylinder an Druk, so nimmt er auch ein um so größeres Volumen ein, d. h. ein Volumen, welches in derselben Zeit eine um eben so viel größere Anzahl dampferfüllter Cylinder oder Kolbenhube liefert. Demgemäß wird die Verminderung des Dampfdruks durch eine in demselben Verhältniß größere Kolbengeschwindigkeit ausgeglichen; und diese Bemerkung bezieht sich auf die oben erwähnte Maschine, weil wir gesehen haben, daß der Druk von 2 Atmosphären in dem Cylinder, multiplicirt mit der unter diesem Druk stattfindenden Kolbengeschwindigkeit, dasselbe Resultat lieferte, wie der Druk von 4 Atmosphären in dem Dampfkessel mit der correspondirenden Geschwindigkeit multiplicirt. Die Verminderung des Dampfdruks bei seinem Ueberströmen in den Cylinder veranlaßt daselbst keineswegs jene Verluste, welche die Coefficienten-Theorie annimmt. Wir fügen noch die Bemerkung hinzu, daß obiges auf Maschinen ohne Expansion bezügliche Raisonnement auch bei Maschinen mit Expansion seine Anwendung findet. Denken wir uns eine Dampfmaschine dieser Art, bei welcher die Expansion des Dampfs in der Mitte des Kolbenhubs beginnt, und bei der das Maximum des Druks vor der Expansion 2 Atmosphären in dem Cylinder und 4 Atmosphären in dem Dampfkessel beträgt. In diesem Fall wird, wenn man annimmt die Maschine mache 60 Kolbenhube per Minute, vorausgesezt der vor der Expansion gefüllte Cylinder empfange Dampf von 2 Atmosphären Druk, die Dampfproduction im Dampfkessel per Minute in 60 halben Cylindern zu 2 Atmosphären Druk bestehen. Man muß daher, nachdem man den mittleren Druk des bis zum doppelten seines ursprünglichen Volumens sich ausdehnenden Dampfs berechnet hat, den hieraus resultirenden Erfolg 60mal wiederholen, wenn man annimmt der Dampf ströme unter einem Druk von 2 Atmosphären ein, um auf 1 Atmosphäre reducirt zu werden, aber nur 30mal, wenn man annimmt der Dampf ströme unter einem Druk von 4 Atmosphären ein, um sich auf 2 zu reduciren. Man wird demnach in dem einen wie in dem andern Fall noch dasselbe Resultat erhalten. Mithin wird man bei geeigneter Berechnung nie so enorme Verluste an lebendiger Kraft finden, welche in Folge der Anwendung jener Coefficienten die Hälfte des von den Maschinen gelieferten Effects oder gar noch mehr absorbiren würden. Es ist daher ein Irrthum, wenn man glaubt, der Unterschied zwischen dem Dampfdruk im Kessel und dem im Cylinder sey eine Ursache jenes Verlustes; es sey deßwegen wünschenswerth, die Maschinen während ihrer regelmäßigen Arbeit mit gleichem Druk im Dampfkessel und im Cylinder functioniren zu lassen. Man sollte im Gegentheil erkennen, daß dieser Unterschied im Druk eines der sichersten Elemente einer guten Arbeit ist, und daß eine Dampfmaschine, wenn sie gut arbeiten soll, ihr gewöhnliches Tagwerk mit theilweise geschlossenem Drosselventil und einem Ueberschuß an Dampfdruk im Kessel vollbringen muß. Sollte alsdann eine zufällige Zunahme des Widerstands in den Arbeitssälen, welche die Maschine versieht, stattfinden, so wird der Ueberschuß an Druk in dem Dampfkessel dem Dampf gestatten, mit einer hinreichenden Spannung in den Cylinder zu treten, um das fragliche Hinderniß während einer gewissen Zeit zu überwältigen, ohne daß die Bewegung langsamer wird. Es wird hiezu hinreichen, daß der Centrifugalregulator das Drosselventil ein wenig mehr öffnet, wodurch der in dem Kessel enthaltene Reserve-Dampf allmählich in den Cylinder überströmen und den genannten Effect eben so gut hervorbringen kann, wie wenn die Verdampfung um eben so viel vermehrt worden wäre; und dieß wird so lange dauern, bis der reservirte Dampf consumirt ist. Aber diese Vergrößerung der Oeffnung des Drosselventils wäre unmöglich, wenn das leztere schon ganz geöffnet wäre, wie diejenigen wollen, welche denselben Dampfdruk im Kessel und im Cylinder herstellen zu können behaupten, und die Maschine würde in jedem Augenblik langsamer zu gehen geneigt seyn.