Titel: Polytopische Uhr; von Benedict Henle.
Autor: Benedict Henle
Fundstelle: Band 101, Jahrgang 1846, Nr. LXXIV., S. 344
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LXXIV. Polytopische Uhr; von Benedict Henle. Henle's polytopische Uhr. Die erste, d.h. die erste mir bekannte Veranlassung und öffentliche Aufforderung zu einer solchen Erfindung erschien in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 13. December 1839 in einer Abhandlung von Hrn. Professor Gruithuisen, welche ich, da sie die Ideen des Hrn. Verfassers selbst enthält und von wesentlichem Einflusse auf die richtige Beurtheilung der meinigen ist, gleich hier – um dem Leser das Aufsuchen jenes Jahrganges zu ersparen – vollständig voranstelle. Geographisch-Chronometrisches. München 9. Dec. Es ist bekannt, daß nur jene Uhren, die unter demselben Meridian sich befinden, in der Zeit genau mit einander übereinstimmen, und daß jene gegen Osten vorzueilen, die gegen Westen zurückzubleiben scheinen. Dieser Unterschied geht so weit daß, während man z.B. in Lissabon noch an der Mittagstafel sitzt, man in St. Petersburg schon im Schauspielhaus sich befindet, und in Philadelphia hat mancher kaum ausgeschlafen. Genauer zu reden: setzen wir, in Paris sey es eben Mittag oder Mitternacht, so zeigt die Uhr in Augsburg 12 Uhr 34' 16'', die in Wien 12 Uhr 56' 10'', die in Ofen 1 Uhr 6' 51'', die auf der grandiosen Sternwarte zu Pulkara bei St. Petersburg 1 Uhr 51' 59'', dagegen die in Madrid 11 Uhr 35' 5'', die in Lissabon 11 Uhr 14' 5'' und die in Philadelphia gar nur 6 Uhr 49' 57''. Schon mehrmal bin ich zu Rathe gezogen worden, ob es nicht möglich sey, eine Uhr zu construiren, welche die Zeit mehrerer Städte zugleich anzeigt; auch habe ich Vorschläge zu ihrer Einrichtung vernommen, wovon sich einer nur auf sehr beschränkte Weise mit Sackuhren ausführen läßt. Allein alle waren zu complicirt. Angenommen, ein Käufer scheue keine Kosten, so wird doch hiebei der Gang jeder Uhr in dem Verhältnisse der Reibung und Eingreifung in verschiedenartigen Functionen gestört. Die Aufgabe ist, ein Uhrwerk zu verfertigen, welches im Gange nicht im mindesten mehr oder weniger gestört wird, mag es auch noch so viele oder wenige Uhren für die verschiedenen Orte treiben, mögen seine Weisungen für Europa oder für die übrigen Welttheile verlangt werden, und mögen dessen Zeiger beliebig verändert und auf andere Orte gerichtet werden wollen. Die von mir ausgedachte, der Mondbewegung analoge Einrichtung ist äußerst einfach, und es bedarf nur Weniges, damit mich der Künstler und jeder gebildete Mensch verstehe. Das Uhrwerk, welches alle übrigen besondern Uhren regulirt, ist eingerichtet wie bei einer astronomischen Uhr, am besten mit einem Quecksilber-Compensationspendul und Echappement libre; nur mit dem Unterschied, daß die Räderbewegung durchaus eine umgekehrte Richtung hat, so daß die Minutenwelle eine gut äquilibrirte, große Scheibe, auf welcher eine beliebige Zahl von kleinen Zifferblättern angebracht ist, in verkehrter Richtung jede Stunde einmal umtreibt. Begreiflich gehen alle Minutenzeiger dann in derselben Zeit und gewöhnlichen Richtung um, wenn jeder an der Achse hinten ein hinlängliches Gewicht hat, wodurch sie genöthiget werden, beim Umdrehen der Zifferblättchen ihre Richtung genau beizubehalten. Jede dieser vielen kleinen Uhren bedarf also nichts weiter, als das genau gezähnte Räderwerk für den Minuten- und Stundenzeiger, welches namentlich aus dem Minutenrad und der Minutenwelle, und aus dem Wechselrad und seinem Getriebe besteht. Da nun das Wechselrad wie es ist um das Minutenrad alle Stunden einmal den ganzen Kreis in verkehrter Richtung beschreibt und zugleich sich um die Achse dreht, so treibt es das Stundenrad in gewöhnlicher Richtung regelmäßig um und alle kleinen Uhren zeigen sofort die Zeit an, auf welche sie einmal gestellt worden sind. Ein einziger Secundenzeiger, dessen Blatt bloß in 60 Secunden getheilt ist, reicht für alle besonderen Uhren aus. Man kann ihn am Rande der großen Scheibe anbringen, wenn dieser 360 Zähne und das Zeigergetriebe 6 Zähne hat. Allein schöner und weniger störend ist es, wenn der Secundenzeiger durch das Normaluhrwerk selbst getrieben wird; zu welchem Zweck die große Scheibe zunächst bei ihrer Achse durch einen Scheibenring von dickem Spiegelglas unterbrochen wird, um des Secundenblatts ansichtig zu werden. Es versteht sich, daß alle Zifferblättchen der einzelnen Uhren Nummern erhalten, mit denen die Namen der Orte bezeichnet sind, deren Zeiten von den Uhren angezeigt werden, wodurch es auch möglich ist, daß sie beliebig gewechselt werden können. So hat das ganze weitläufige Uhrwerk nur einen Regulator und jedes Uehrchen mit zwei Rädern wird von seinem eigenen Gewichte getrieben, nur muß das Hauptgewicht desto schwerer und das Werk massiver werden, je mehr Uehrchen die Scheibe enthält; denn der dadurch zu hebende Widerstand bleibt sich dann zu allen Zeiten völlig gleich und das Ganze ist so einfach als möglich. Ich ergreife hier die Gelegenheit einer möglichst großen Verbreitung dieser Idee, denn nicht allein die geographischen Apparate erlangen einen ansehnlichen Zuwachs durch so ein Uhrwerk, sondern auch die Uhrenliebhaber ein neues Prachtstück, das alle möglichen Decorationen annehmen kann. Das Stellen der Uhr nach den geographischen Längen ist leicht: man mißt die Längendifferenz auf Landkarten oder Erdgloben in Graden u.s.w. Da beträgt nun jede Stunde fünfzehn solcher Grade, jede Zeitminute fünfzehn Bogenminuten, jede Zeitsecunde fünfzehn Bogensecunden etc. Viele astronomische Werke enthalten hierüber bequeme Tafeln und die Connaissance des temps ausführliche Daten, wo die Meridianunterschiede von mehreren hundert Orten in Bogen und Zeit gefunden werden können. Professor Gruithuisen.“ Hiezu erlaube ich mir nur einige Bemerkungen bezüglich der Secunden. Die Ansicht des Hrn. Prof. Gr. nämlich, daß ein einziger Secundenzeiger für alle besonderen Uhren ausreiche, scheint mir nur für den Fall richtig zu seyn, daß sie alle um volle ganze Minuten – mit oder ohne Stunden, jedoch immer ohne Secunden – gegen einander differiren. Dann wäre aber eine besondere Auswahl der Orte nöthig, die jedoch nicht durchzuführen seyn würde, wie schon die oben angeführten Städte zeigen, indem sie alle, mit Ausnahme von Madrid und Lissabon, ganz verschiedene Stundenzahlen haben, von denen also immer je eine die übrigen andern von der Uhr ausschließen würde. Dagegen scheint mir überhaupt die Secunden-Weisung nur bezüglich desjenigen Ortes, an welchem man sich mit der Uhr gerade selbst befindet, nützlich, bezüglich aller andern Orte aber überflüssig zu seyn. Denn die übliche genaue, bis auf die Zeit- oder gar auch Bogensecunden erstreckte Angabe der geographischen Lage – Länge und Breite – eines Ortes, besonders einer großen Stadt, ist ja doch nur eine ungenaue, wenn man sie auf die ganze Stadt beziehen will, da sie ja eigentlich nur von einem einzigen Theile oder vielmehr Punkte derselben – z.B. von ihrer Sternwarte – verstanden wird und werden kann, während alle übrigen Theile derselben Stadt entweder in der – geographischen – Länge oder Breite, oder in beiden zugleich, von jener Angabe abweichen und abweichen müssen. – Bezüglich der Länge, auf welche allein es doch bei der Uhr eines jeden Ortes ankommt, muß die Abweichung sich in dem Maaße beträchtlicher gestalten, wie die Entfernungen der einzelnen Orte vom Regulator zu- und ihre Parallelkreise, auf denen sie liegen, abnehmen. So z.B. müßte nach meiner freilich nur oberflächlichen Berechnung in München, dessen Parallelkreis nur zwei Drittheile des Erdäquators beträgt, zwischen der Uhr am Rathhause und der am Karlsthore, wenn jede nach ihrem eigenen Meridian gerichtet wurde, ein Unterschied von etwas mehr als zwei Secunden sich zeigen, nämlich wann z.B. auf ersterer Mittag wäre, könnte auf letzterer noch nicht ganz 11 Uhr 59' 58'' seyn, und von den zwischen den Meridianen dieser beiden Uhren liegenden Gebäuden nimmt schon die Metropolitankirche allein fünf Secunden, die Mauth 3'' und das Akademiegebäude 5'' des Parallelkreises ein. In zwei späteren Artikeln – Beilage zur Allg. Ztg. vom 1. Januar und 11. Februar 1840 – veröffentlicht Hr. Prof. Gr. zwei bei ihm eingelaufene verschiedenartige Lösungen der gestellten Aufgabe: – Die erste, von Hrn. Kunstuhrmacher Ratzenhofer in Wien, besteht in einer von demselben bereits verfertigten Uhr, deren 14zölliges Zifferblatt eine schwebende Sonne vorstellt und im Mittelpunkte das Zifferblatt von Wien, dann strahlenartig 72 Stundenblätter für eben so viele Städte aus allen Welttheilen enthält. Diese Uhr, welche acht Tage geht, zeigt den Unterschied der Mittlern Zeit zwischen Wien und diesen 72 Städten, wird nur von einem Gewichte von vier Pfd. getrieben und vom Mitelpunkte der Wiener Uhr aus – für welche man ohne bedeutende Veränderung auch die einer beliebigen anderen Stadt wählen kann – werden alle übrigen Uhren in Bewegung gesetzt. – Diese Uhr hat, wie Hr. Prof. Gr. dazu bemerkt, nicht die von ihm vorgeschriebene Einrichtung, auch keine Minuten für die 72 Städte. – Der von dem andern Erfinder, Hrn. Johbaum zu Kapfenberg in Obersteyermark, mitgetheilten Idee zufolge braucht man bloß ein einziges Zifferblatt mit so vielen concentrischen Kreisen als für verschiedene Orte die Zeit gezeigt werden soll. In diese Kreise sollen die beliebigen Ortsnamen und ihre Zeiten correspondirend unter einander eingeschrieben werden, und der nämliche geradlinige Stundenzeiger zeige dann für alle diese Städte die Stunden und der nämliche Minuten- oder Secundenzeiger die Minuten oder Secunden. Z.B. wo der Ring für Paris 12 Uhr zeigt, gerade darunter sey im Ringe für Augsburg 12 Uhr 34' 16''; dann darunter in denen für Wien 12 Uhr 56' 10'', für Ofen 1 Uhr 6' 51'', für St. Petersburg 1 Uhr 51' 59''; über dem Ringe für Paris zeigen die für Madrid, Lissabon und Philadelphia 11 Uhr 35' 5'', 11 Uhr 14' 5'', 6 Uhr 49' 57''. – Werde die Angabe der Zeit für viele Orte gewünscht, so sollen die Ringe die Farben, allenfalls nach denen des Regenbogens, wechseln, um das Auge zu erleichtern. Bei einer solchen Zimmeruhr – bemerkt hiezu Hr. Prof. Gr. – ließe sich, da die Zwischenräume einer Minute, besonders bei den äußeren Kreisen, noch immer 60 Theilstriche für die Secunden zulassen, die auf der Ratzenhofer'schen Uhr angebrachte Zahl von 72 Orten noch immer erreichen, wobei jedoch die Breite jedes Ringes nur zu einem halben Zoll angenommen, das Zifferblatt schon über sechs Fuß im Durchmesser bekommen werde. – Hiezu scheint mir jedoch auch noch zu beachten, daß dem Auge eine ungeheure, und trotz der verschiedenen Farben der Ringe doch schwer zu entwirrende Masse von Ziffern vorschweben würde, daß die Ringe, je weiter nach innen rückend, immer weniger Raum und nicht einmal den für die Minute mehr zulassen würden, und daß überhaupt noch nicht auf gehörigen Platz für die Ortsnamen Bedacht genommen ist. – In den die Erfindungen der HHrn. Ratzenhofer und Johbaum abhandelnden Artikeln erwähnt Hr. Prof. Gr. auch zweier ihm von einem vortrefflichen, inzwischen gestorbenen Mechaniker Hrn. Traub mitgetheilten Ideen zu Sackuhren – von denen die eine ums Jahr 1812 mitgetheilte, dreizehn Zifferblätter projectirt, die andere aber auf ähnlicher Ansicht wie die des Hrn. Johbaum beruhte – dann einer großen Uhr, die er im Jahre 1825 im königlichen Kunstkabinette zu Dresden sah, deren einziges Uhrwerk eine etwa drei Fuß im Durchmesser haltende Scheibe treibt, auf welcher sich mehr als 200 Zifferblätter befinden, die man drehen kann, um sie auf die specielle Zeit zu stellen, und deren Zeiger alle durch ihr eigenes Gewicht nach dem Schwerpunkte der Erde und somit die Zeit der verschiedenen Städte, jedoch bloß in Stunden zeigen. Seitdem habe ich über diesen Gegenstand nichts mehr in der Allgemeinen Zeitung gefunden, wohl aber in der Leipziger illustrirten Zeitung vom 1. März 1845 die Abbildung – jedoch ohne nähere Beschreibung – einer bei der deutschen Gewerbausstellung in Berlin ausgestellten „astronomischen Uhr“ von Weglin in Münster mit 21 Zifferblättern, von denen das mittlere einen Stunden- und einen Minutenzeiger hat, die 20 äußeren aber, welche die Namen eben so vieler verschiedenen Städte aus allen Welttheilen haben, nur mit Stundenzeigern versehen sind. – Es scheint mir also keine neuere, wesentlich verschiedene Lösung der eigentlichen Aufgabe bekannt worden zu seyn, daher ich die meinige nach langem schüchternem Zaudern hiemit veröffentliche. Gleich als ich in der Allgemeinen Zeitung vom 13. December 1839 die Abhandlung des Hrn. Prof. Gruithuisen las, fand ich, daß in der an ihn gerichteten Frage: „ob es nicht möglich sey, eine Uhr zu construiren, welche die Zeit mehrerer Städte zugleich anzeigt?“ die eigentliche Aufgabe liege, und daß deren Lösung nicht nur, wie so vielseitig geschah, auf dem Gebiete der Mechanik, sondern auch, und ganz vorzüglich, auf dem der mathematischen Geographie zu suchen und zu finden seyn dürfte. – Den Grund der Zeitverschiedenheiten, nämlich die tägliche Umdrehung der Erde ins Auge fassend, kamen mir einige hiemit verwandte frühere Ideen in Erinnerung, welche zwar ganz andere Gegenstände betrafen, durch deren Association und weitere Verfolgung aber ich zur Lösung jener Aufgabe, nämlich zur Idee einer polytopischen (vielortigen) Uhr nach folgenden Principien gelangte. Da es bei der Zeit eines Ortes nur auf dessen geographische Länge ankömmt, so kann man sich ihn auch unter jeder andern als seiner wirklichen Breite denken, ja allenfalls sogar unter einem so hohen Breitengrade, unter welchem sein längster Tag und seine längste Nacht mehr als 24 Stunden dauern würde, indem ja auch für solche, wenn auch Monate lang andauernde Tage und Nächte immer die Zeitrechnung nach 24stündigen Perioden fortgesetzt und beibehalten werden muß. – Kann man sich sonach jeden der Orte, deren Zeit die polytopische Uhr anzeigen soll, unter jeder beliebigen Breite und eben sowohl südlich als nördlich vom Aequator denken, so kann man sie sich auch alle, insoweit als sie verschiedene Zeiten haben, unter gleicher Breite und folglich auch auf einem und demselben Längenkreise, am besten gleich auf dem Erdäquator selbst denken. – Denkt oder vielmehr verfertiget man sich nun eine den Aequator vorstellende Kreislinie, und außerhalb derselben, gleichviel wo, jedoch in gleicher Ebene, eitlen Punkt, welcher die Sonne vorstellt, so wird, wenn dieser feststeht, die Kreislinie aber sich alle 24 Stunden einmal gleichmäßig um ihren Mittelpunkt herumdreht, jeder einzelne Punkt derselben und folglich auch jeder auf demselben befindliche oder dahin gedachte Ort alle 24 Stunden einmal gerade an dem Sonnenpunkte vorbeikommen, d.h. so, daß eine von diesem nach jenem Punkte gedachte Linie gehörig verlängert, den Mittelpunkt der Kreislinie treffen würde. In diesem Augenblick wird der diese Linie passirende Ort oder Punkt Mittag, der ihm diametral entgegengesetzte aber Mitternacht und von den beiden um 90° abstehenden Zwischenpunkten der eine Morgen der andere Abend haben. Die zwischen diesen vier Punkten in Abständen von 15° zu 15° liegenden Punkte haben alsdann eben so viele verschiedene Stunden u.s.w. Alle diese verschiedenen Haupt- und Unterabtheilungen des Tages werden alle 24 Stunden einmal in Folge der unausgesetzten Rotation der Kreislinie nach und nach allen Punkten derselben zu Theil. – All das nämliche wird aber auch eintreten, wenn die Kreislinie feststeht und dagegen der Sonnenpunkt alle 24 Stunden einmal in gleichem Abstande und mit gleicher Geschwindigkeit um sie herumlauft, und da er alsdann selbst eine concentrische Kreislinie beschreibt, welche sich zu einem um die feststehende Kreislinie herumlaufenden Ringe gestaltet, so kann die ganze Zeiteintheilung des Tages auf diesem Ringe eingetragen werden. – Je nach diesen zweierlei Arten der Anwendung meines Princips zur Herstellung einer polytopischen Uhr kann diese entweder den wirklichen oder den scheinbaren Grund der Zeitverschiedenheiten und zugleich diese selbst anschaulich machen, nämlich entweder – nach der ersten Art – die tägliche Umdrehung der Erbe um ihre Achse, oder – nach der zweiten Art – den täglichen Umlauf der Sonne um die Erde. Diese letztere Anwendungsart habe ich, als die für den Zweck einer polytopischen Uhr bequemere, bei dieser angenommen, wie die folgende nähere Beschreibung derselben zeigt. Das Uhrwerk, oder vielmehr die Oberfläche desselben, also der Raum, welchen bei gewöhnlichen Uhren das Zifferblatt einnimmt, wird von einer runden Scheibe und von einem um diese herum liegenden schmalen Ringe bedeckt, welcher von derselben nur um weniges absteht, um bei seinem Umlaufe die Reibung zu vermeiden. – Die Scheibe ist zur Einzeichnung der Orte nach ihren geographischen Längen, der Ring zur Einzeichnung der Zeit eines Tages nach ihren Haupt- und Unterabtheilungen bestimmt, und zur richtigen und genauen Ausführung dieser beiden Einzeichnungen dient ein und derselbe richtig bis auf Viertelsgrade eingetheilte Kreis oder Quadrant für jede polytopische Uhr ohne Unterschied der Größe. Auf die Scheibe kommen links herum, von Osten nach Westen, die Namen der Orte, und zwar auf Linien, welche von den den geographischen Längen der Orte selbst entsprechenden Punkten der Peripherie gegen den Mittelpunkt zu gezogen werden, jedoch nicht bis an diesen – wie Radien – zu reichen, sondern bloß so lang zu seyn brauchen, als etwa die Größe der Namen erfordert. Sämmtliche Orte – deren geographische Längen nur bis auf Viertelsgrade beachtet zu werden brauchen, weil auch die Zeit nur bis auf Minuten berechnet wird – werden als auf dem Rande der Scheibe befindlich gedacht, und es bedarf für sie keiner Zeiger, indem diese durch die Linien ersetzt werden, auf welchen sich die Namen der Orte befinden. Haben mehrere Orte ganz gleiche Zeit – Minuten – so werden ihre Namen auf eine und dieselbe Linie geschrieben. – Der Ring wird in 24 Stunden und jede Stunde in 60 Minuten eingetheilt, welche Theile alle zum leichtern Ueberblick in verschiedene auf der Breite des Ringes zu unterscheidende Gruppen, z.B. von 15 zu 15 und von 5 zu 5 Minuten geordnet und theils mit römischen, theils mit arabischen Ziffern bezeichnet werden. Die Stunden werden rechts herum, wie auf dem Zifferblatte einer gewöhnlichen Uhr, und zwar von I bis XII und dann fortfahrend wieder von I bis XII bezeichnet und zur Unterscheidung der Tageszeit, von welcher sie sich verstehen sollen, erhalten die vier Tageszeiten vier verschiedene Farben, z.B. roth für die sechs mittäglichen Stunden von 9 bis 3 Uhr, blau für die abendlichen von da bis 9 Uhr, schwarz für die nächtlichen von da bis 3 Uhr Morgens, und gelb von da bis wieder zu 9 Uhr Vormittags. – Um die Uhr in Function zu bringen, wird die Scheibe festgestellt, der Ring aber durch das in Gang gebrachte Uhrwerk alle 24 Stunden einmal – es sey im gleichmäßigen Gange oder in Sprüngen von Minute zu Minute – um die Scheibe links herum, wie von Osten nach Westen getrieben, wodurch er dann in jedem Momente und auf einen einzigen Blick für alle auf der Scheibe befindliche Orte die relative Zeit derselben, d.h. den Unterschied ihrer mittlern Zeit ganz richtig zeigen wird. Damit er aber auch die absolute, d.h. die einem jeden Momente entsprechende wirkliche mittlere Zeit eines jeden Ortes ganz richtig zeige, braucht man ihn bloß ein einzigesmal richtig nach der Zeit irgend eines dieser Orte zu stellen – am leichtesten nach der Mittlern Zeit desjenigen Ortes, an welchem man sich mit der polytopischen Uhr gerade selbst befindet – womit dann zugleich auch die Zeiten aller übrigen Orte richtig gestellt seyn werden. Von den auf der Scheibe befindlichen Orten wird, bevor man jene befestigt, derjenige, an welchem man sich mit der Uhr gerade selbst befindet (oder irgend ein erwählter anderer) und den ich darum den Hauptort nenne, zur schnellern Erblickung seiner Zeit, gegen den höchsten oder sonst ausgezeichnetsten Punkt der Uhr-Oberfläche gerichtet, z.B. gegen den, wo bei andern Uhren gewöhnlich die zwölfte Stunde bezeichnet ist, und zur noch sichereren Auszeichnung des Hauptortes kann für denselben auch ein Zeiger angebracht werden, der außerhalb des Zeitringes befestigt ist und über diesem schwebt. Um aber nach Belieben auch mit der Wahl des Hauptortes wechseln zu können, erhält die Scheibe eine Vorrichtung, wodurch sie um ihren Mittelpunkt gedreht, dann befestigt, aber auch nach Belieben wieder losgemacht, gedreht und wieder befestigt werden kann. – Für die Secunden des Hauptortes wird in der Mitte der Scheibe ein Zifferblatt mit einem Zeiger angebracht. Diese polytopische Uhr zeigt für alle darauf befindlichen Orte zugleich die Tageszeit – welche hier beiläufig bemerkt, bei allen oben erwähnten andern Uhren nicht unterschieden ist, obwohl es doch gewiß nicht gleichgültig ist, ob z.B. 11 Uhr Tags oder Nachts, 7 Uhr Morgens oder Abends zu verstehen sey – dann die Stunden, Viertelstunden und Minuten, und für den Hauptort auch noch die Secunden. – Daß und warum mir diese für die übrigen Orte überflüssig scheinen, habe ich schon oben bemerkt. Wünscht man sie aber gleichwohl für alle Orte, so kann man bei jedem Namen eines Ortes die Anzahl von Zeit-Secunden beisetzen, welche diesem Orte noch zukommen, und um sie richtig zu bestimmen, muß man gleich bei Einzeichnung der Orte auf die Scheibe irgend einen beliebigen ersten Meridian mit einer Secundenzahl = 0 annehmen und dann jeden Ort bei dem ihn treffenden Viertelsgrad einzeichnen, mit Hinweglassung der darüber hinausgehenden, aber keinen Viertelsgrad mehr ausmachenden Minuten und Secunden des Bogens. – Die diesem weggelassenen kleinen Bogentheilen-Reste entsprechende Anzahl von Zeit-Secunden ist es dann, welche dem Namen des Ortes beigesetzt werden muß, um dann immer zu derjenigen, welche der Secundenzeiger angibt, mitgezählt zu werden. Ist dieser einmal richtig nach der mittlern Zeit eines Ortes – z.B. des Hauptortes – gestellt, wobei natürlich auch die bei dem Namen dieses Ortes befindliche Secundenzahl gehörig berücksichtigt werden muß, so wird man immer von allen Orten zugleich auch die Secunden richtig haben. Alles bis Hieher von der polytopischen Uhr Gesagte versteht sich natürlich nur von einem größern Formate derselben, z.B. von dem einer Wanduhr, wobei, wenn die Oberfläche derselben – Ring und Scheibe zusammengenommen – auch nur eine mäßige Größe, etwa von sieben Zoll im Halbmesser hat, schon mehr als zweihundert Orte, deren geographische Länge bekannt ist, ihren gehörigen Platz finden können. – Es läßt sich aber alles, natürlich nur mit den durch den kleinern Raum gebotenen Beschränkungen, analog auch auf Taschenuhren anwenden. Eine solche nämlich würde nur die Tageszeiten, die Stunden und Viertelsstunden für alle Orte, für den Hauptort aber auch die Minuten und die Secunden angeben, und wenn man für alle übrigen Orte ebenfalls Minuten und Secunden haben wollte, so könnte hiemit analog eben so verfahren werden, wie oben bei den größern Uhren mit den Secunden gezeigt wurde. Was die mechanischen und artistischen Anforderungen zur wirklichen Construirung solcher polytopischen Uhren großen oder kleinen Formats betrifft, so zweifle ich nicht, daß jeder geschickte, in seinem Fache bewanderte Uhrmacher denselben zu entsprechen im Stande seyn werde. – Eine solche fertige Uhr, oder auch schon eine bloße Zeichnung der Oberfläche wird sich als etwas so Einfaches und Natürliches darstellen, daß Jeder glauben mag, es verstehe sich alles von selbst schon so und man würde es ebenfalls so und nicht anders gemacht haben, es könne daher im Grunde nichts Neues seyn. – Mich selbst hat wirklich dieser Gedanke lange von der Veröffentlichung meiner Ideen abgehalten. Allein wenn diese, und resp. ihre Anwendung, nachdem ja die Materialien dazu schon seit Jahrhunderten vorliegen, wirklich nicht neu wären, so müßten doch, zwar nicht ich selbst, wohl aber viele Gelehrte, besonders alle die vom Fache und wohl noch viele andere Personen Kunde davon haben, und dann würde doch gewiß irgend Jemand, der die Aufforderung und die weiteren Abhandlungen des Hrn. Professors Gruithuisen in der so weit verbreiteten und vielgelesenen Allgemeinen Zeitung las, oder der die Uhr im Dresdener Cabinette, oder die in Wien oder die in Berlin ausgestellte, oder deren Abbildung in der illustrirten Zeitung sah, Anlaß genommen haben, mit den doch um so vieles einfacheren, meiner polytopischen Uhr zum Grunde liegenden Ideen öffentlich auf- und entgegen zu treten! Daß dieses bis jetzt – wenigstens meines Wissens – noch nicht geschah, bestärkt mich in der Ueberzeugung von der Neuheit der Sache, somit auch in dem Entschluß zur gegenwärtigen Veröffentlichung. München, den 7. August 1846. Benedict Henle.