Titel: Ueber die Krankheitserscheinungen an der Runkelrübe; von Payen.
Fundstelle: Band 103, Jahrgang 1847, Nr. CII., S. 444
Download: XML
CII. Ueber die Krankheitserscheinungen an der Runkelrübe; von Payen.Die erste Abhandlung des Verf. über diesen Gegenstand wurde S. 142 in diesem Bande des polytechn. Journals mitgetheilt. Aus den Comptes rendus, Nov. 1846, Nr. 22. Payen, über die Krankheitserscheinungen an der Runkelrübe. Die auf einigen Runkelrübenfeldern in diesem Jahr (1846) zum erstenmal beobachtete Krankheits-Erscheinung scheint die Zuckerfabrikanten nicht einzuschüchtern, welche in diesem Jahr im Gegentheil mehr produciren. Ich kann daher ohne die Befürchtung, eine Beängstigung dadurch hervorzurufen, meine Ansicht über die Natur dieser Erscheinungen und die Mittel, ihre Entwickelung in Zukunft zu beschränken, veröffentlichen. Vorausschicken muß ich, daß beim ersten Auftreten dieser Erscheinung, Hr. Philippar, Director des botanischen Gartens zu Versailles, ein ähnliches Befallenseyn von Runkelrüben auf Feldern des Seine-Oise-Departements und von Möhren (Gelbrüben)Mit letztem war dieß in mehreren Gegenden, namentlich in der von Amiens, der Fall. in derselben Gegend beobachtete. Er erkannte in den Erscheinungen dieser beiden Rüben ähnliche Merkmale wie bei der Kartoffelkrankheit in den Jahren 1845 und 1846. Gleicher Ansicht war auch Hr. Prof. Kuhlmann zu Lille und ich selbst beim Studium der Art und Weise, wie das Uebel die Blätter und Wurzeln befällt, bei Beobachtung seines Eindringens unter die Epidermis und in die Gewebe mit derselben rothbraunen Farbe; seiner raschen Fortpflanzung bei in Haufen aufgeschütteten Runkelrüben; der verhärteten Beschaffenheit der befallenen Theile, wenn man sie 2–3 Stunden in kochendem Wasser liegen läßt; der veränderten Reaction des Safts, welcher ziemlich alkalisch wird; der Gestalt der mit der rothen Substanz zwischen den Zellen eingeführten Fäserchen und Keimkörner; der Einwirkung dieses abnormen Organismus auf den Zucker, welchen er eben so zerstört, wie eine verwandte Substanz, das Satzmehl, von der Schmarotzer-Vegetation zerstört wird, wenn sich diese der Kartoffelknollen bemächtigt hat. Eine ähnliche Erscheinung findet seit mehreren Jahren in einigen Zuckerraffinerien statt, wo sie schon bedeutende Verluste veranlaßte. Ich begann das Studium dieser Erscheinung im Jahre 1842, wo Hr. Bayvet, einer unserer geschicktesten Raffineurs, mich über die Ursache des bei Hüten weißen Zuckers, welche einige Tage im Magazin geblieben waren, eingetretenen Verderbnisses zu Rath zog; unregelmäßige Aushöhlungen hatten sich, von der Spitze des Kegels ausgehend, erzeugt und setzten sich gegen unten fort, von einer graulichrothen Färbung begleitet. Die Untersuchung unter dem Mikroskop war sehr leicht, indem kein fremdartiges Gewebe der Beobachtung hindernd entgegentrat; der Zucker zeigte in allen befallenen Jonen eine reichliche kugelförmige Vegetation und einige sehr feine, durchscheinende Keimkörner einschließende Fäserchen. Hr. Mirbel und ich bestimmten zu jener Zeit das Verhalten dieses sehr zarten Kryptogams gegen Reagentien und seine Zusammensetzung; wir nannten ihn Zuckerpilz (und bildeten ihn neben den rothen Brodpilzen, Oïdium aurantiacum Léveillé und dem Brand des Getreides ab). Auch in diesem Jahr erkannte ich noch denselben Pilz an Rohzucker in einem Magazin, welcher in Säcken aufbewahrt worden war, an welchem Hr. Bayvet den oben erwähnten ähnliche Erscheinungen beobachtet hatte. Diese beinahe unsichtbare kryptogamische Vegetation vermag daher weißen wie Rohzucker auf Kosten der Zuckersubstanz zu befallen, welche sie in Wasser und Kohlensäure umwandelt, wobei sie selbst die nähere und Elementar-Zusammensetzung der mikroskopischen Pilze beibehält. Bei dieser Art von Krankheits-Erscheinung war offenbar nichts vorhanden, was einer faulen Gährung gliche; denn der Zucker hat in dem Grade fäulnißwidrige Eigenschaften, daß die zur freiwilligen Fäulniß geneigtesten Körper, wie z.B. das Eiweiß von Eiern, mit Zucker gesättigt, Jahre lang jeder Fäulniß widerstehen. Die zerstörende Einwirkung dieses Zuckerpilzes ist übrigens vollkommen zu vergleichen mit den chemischen Erscheinungen bei Verbrennung der stärkmehlartigen Substanz unter dem Einfluß des Oïdium aurantiacum oder bei der Zerstörung des Kartoffelsatzmehls durch Schmarotzer-Organismen, oder beim Verschwinden des von den Fäden der die Runkelrüben befallenden rothen Substanz consumirten Zuckers. Es war nun noch die Zusammensetzung des in die Zonen, aus welchen der Zucker allmählich verschwindet, eingeführten Organismus zu bestimmen; folgendes sind die Resultate der zu diesem Behufe angestellten Analysen: Textabbildung Bd. 103, S. 446 Stickstoff; Fettsubstanzen; Asche; Der nicht befallenen Runkelrübe; sie gab Procente; Derselben, des Zuckers beraubten, sonst aber nicht veränderten Gewebe, die im 100 gaben; Der von dem fremdartigen Organismus befallenen Gewebe, dessen Zesetzung Procente gab Auch in diesem Fall werden die Mengenverhältnisse der stickstoffhaltigen Materien durch die Gegenwart des abnormen Organismus verdoppelt und die Quantität der Fettsubstanzen verzehnfacht, was bei der Hypothese einer freiwilligen Fäulniß unerklärlich wäre, welche Hypothese übrigens allen richtig beobachteten Thatsachen, vorzüglich aber der thätigen Vegetation der Runkelrüben widerspricht, welche in diesem Jahre eine reichliche und an Zucker ergiebige Ernte lieferten; die Ausnahmen hievon waren sehr selten; sie fanden an einigen Punkten statt, wo sich ohne Zweifel ein specielles Agens einführte, welches einen den Wirkungen des Parasitismus ganz ähnlichen Einfluß in den Geweben ausübt, in welchen es den Zucker consumirt, die stickstoffhaltigen, fetten und salzigen Materien zurücklassend, die es sich assimilirt und die ihrer Constitution, wie derjenigen verschiedener anderer Pilze zusagen. Bemerkenswerth ist, daß wenn man von den befallenen Geweben die Elemente abzieht, welche in die Zusammensetzung der erschöpften Zellen eingehen (und ungefähr 45 Proc. vom Gesammtgewicht eines gleichen Gewichts gesunden Gewebes ausmachen), man nahezu 0,09 Stickstoff und 0,05 Fettsubstanzen erhält, so wie bei den meisten analysirten mikroskopischen Pilzen und den Schmarotzer-Organismen, welche ohne Beihülfe irgend einer Fäulniß, frisch bereitetes Brod, weißen Zucker, Rohzucker und die lebenden Knollen der Kartoffel befallen können. Allem nach zu schließen, hat der krankhafte Zustand, welchem die Runkelrüben ausgesetzt sind, in dem in zu kurzen Zwischenzeiten wiederholten Anbau derselben ihren Grund; eine hinlänglich ausgedehnte Wechselwirthschaft würde die Entwickelung dieser Krankheitserscheinungen unterdrücken und mehrere der erwähnten Uebelstände beseitigen; eine Wechselwirthschaft z.B. die alle 5 Jahre auf die Runkelrübe zurückkäme und durch welche so viel an Getreidearten gewonnen werden könnte, als dieselbe Erdoberfläche ohne Einschaltung dieses Anbaues zu liefern vermöchte. Man kann gar keinen Anstand nehmen zu diesem Verfahren anzurathen, welches unter allen Umständen nützlich wäre, weil durch dasselbe ein größerer Theil des Bodens an den Vortheilen einer unserer besten gejäteten Culturen Antheil nehmen könnte. Die Runkelrübe ist wirklich vielleicht die einzige Pflanze, die im Lauf eines jährigen Wachsthums im Stande ist den Boden in einer über Mannshöhe gehenden Tiefe in Thätigkeit zu setzenIch sah bei Hrn. Crespel-Delisse Wurzeln, die etwa 2 Meter tief in einen Boden hinabreichten, der thonhaltig und fest genug war, um gute Backsteine zu erzeugen., welche in einer so dicken Schicht die Mineralkörper und organischen Substanzen auszuziehen vermag und während sie diese Substanzen in ihre Blätter aufnimmt, deren allmählicher Abfall die Oberfläche des Bodens zum Vortheil der darauffolgenden Culturen bereichert, läßt sie dagegen den größten Theil ihrer langen Wurzeln zurück, die bis auf den Grund der von ihnen gebohrten Löcher hinabtreiben. Es leuchtet ein, daß letztere in dieser Tiefe zerfallend, Tausende von kleinen Kanälen erzeugen, welche Ueberbleibsel enthalten und auf diese Weise einen mehr oder weniger compacten Unterboden in eine den atmosphärischen Gasen zugängliche Pflanzenerde umwandeln. Die Stücke, welche ich von den beim Ausziehen abgebrochenen Wurzelpfählen und den abgefallenen oder während der Vegetation zersetzten Blättern sammelte, setzten mich in Stand, die Menge dieses Antheils von Rückständen der Ernte, welche man bisher noch nicht in Rechnung zu ziehen versuchte, approximativ zu berechnen; ihrer Analyse zufolge konnte ich folgende Berechnung aufstellen, welche das Minimum des Aequivalents Dünger angibt, den sie auf einer Hectare liefern: Im Laufe der Vegetation zersetzte BlätterIm Boden steckende Wurzel-Pfähle und -Zasern(radicelles) 3850460 Kil. „   4310 Kilogr. Gehalt an mineral. Bestandtheilen in den BlätternGehalt an mineral. Bestandtheilen in den Wurzeln 84,7050,60  „ „ 145,30     „ Gehalt an Stickstoff der BlätterGehalt an Stickstoff der Wurzeln 19,2511,04  „ „   30,29     „ Diese Quantitäten repräsentiren an landwirtschaftlichemDünger wenigstens    7550     „ Die aus diesen Versuchen hervorgehende neue Thatsache scheint mir zur Erklärung der merkwürdigen Fruchtbarkeit, welche der Runkelrübenbau tiefem thonsandigem Erdreich ertheilt, sehr viel beizutragen. (In einem Zusatz beschreibt Hr. Payen ein von ihm an Kartoffeln beobachtetes neues Schmarotzergewächs; Brogniart, Léveille und Montagne erkannten es mit ihm für das Schwammgewebe (mycelium) eines noch nicht näher bestimmten Pilzes. Die mikroskopische Beobachtung desselben liefert einen neuen Beweis, daß ein Pflanzenorganismus sich des Gewebes der lebenden Kartoffelknollen bemächtigen, ihr Stärkmehl auflösen und zerstören kann, und zwar alles dieß mittelst so feiner Fädchen, daß sie einzeln gar nicht sichtbar werden und unter den Falten der Membranen und der Zellenwände verschwinden, während sie an gewissen Stellen zusammengehäuft mit unbewaffnetem Auge zu erkennen sind. Durch diese Schmarotzerpflanze erklärt sich die Zerstörung des Stärkmehls, die Zunahme der fett- und stickstoffhaltigen Substanzen, das Festwerden im kochenden Wasser, welche Erscheinungen durch die Hypothese einer gewöhnlichen Fäulniß nicht erklärlich sind).