Titel: Vorschlag eines neuen Wasserrad-Systems; von Carl Walther.
Fundstelle: Band 106, Jahrgang 1847, Nr. XXXV., S. 165
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XXXV. Vorschlag eines neuen Wasserrad-Systems;Programm der königl. Kreis-Gewerbs-Schule zu Augsburg. 1847. von Carl Walther. Walther's Wasserrad-System. Es ist längst allgemein bekannt, und in sehr vielen Fällen drückend gefühlt, daß die gewöhnlichen unterschlächtigen Wasserräder im Schnur- oder Schutzgerinne, wozu auch die in Canäle eingehängten Panster- und die Schiffsmühlen-Räder gehören, nur einen verhältnißmäßig unbedeutenden Theil der verwendeten Wasserkraft nutzbar abgeben. Viele Vorschläge zur Verbesserung solcher Räder wurden schon gemacht; jedoch durch keinen der Zweck vollständig erreicht, da unserem alten Wasserrad-Princip Fehler anhängen, die durch keine Abänderung vermieden werden können, und es muß, so lange nicht ein neues Princip aufgestellt wird, der Nutzeffect solcher Räder nothwendig ein geringer seyn. Die aus dem Princip hervorgehenden unvermeidlichen Fehler unserer Wasserräder sind nun folgende: Denkt man sich ein gewöhnliches Wasserrad mit radial oder schief gestellten, ebenen Schaufeln im Gange, und vergleicht man den Weg, welchen die der Achse zugekehrte Kante der Radschaufel macht, mit dem Wege der Schaufelkante, welche von der Achse am weitesten entfernt ist, so findet man, daß diese Wege in gleichen Zeiten ungleich groß sind, und zwar umsomehr, je höher die Radschaufel ist, je tiefer also das Rad im Wasser geht. Aber nicht bloß die äußersten Kanten der Radschaufeln haben verschiedene Geschwindigkeiten, sondern je zwei Punkte, welche wir in ungleichen Entfernungen von der Achse auf der Schaufel annehmen, legen in gleichen Zeiten ungleiche Wege zurück. Setzen wir nun den Fall, was jedoch nicht ganz richtig ist, daß das Wasser im Canal überall gleiche Geschwindigkeit habe (d.h. in einem und demselben senkrechten Querschnitt des Canals), so geht daraus hervor, daß nur eine zur Achse parallele Linie auf der Radschaufel diejenige Geschwindigkeit annehmen kann, welche, um den größten Nutzeffect hervorzubringen, die geeignetste ist. Derjenige Theil der Radschaufel, welcher von dieser Linie aus gegen die Radachse zu liegt, geht also zu langsam, während der von dieser Linie gegen die Peripherie des Rads zu liegende Theil eine zu schnelle Bewegung macht. Es arbeitet demnach auf jeder Radschaufel nur eine sehr kleine Fläche unter den günstigsten Verhältnissen, und bei weitem der größere Theil derselben unter nachtheiligeren. Je tiefer nun die Radschaufel im Wasser geht, je höher sie also gemacht werden muß, desto größer ist der Unterschied der Geschwindigkeit einzelner Punkte, und unter desto ungünstigeren Umständen wird deßhalb der größte Theil der Radschaufeln arbeiten müssen. Berücksichtigt man nun, daß am Grund oder auf der Sohle des Canals das Wasser die kleinste Geschwindigkeit hat, während das Rad an dieser Stelle gerade die größte besitzt, so wird leicht der Fall eintreten können, daß sich das arbeitende Rad an dieser Stelle mit der nämlichen Geschwindigkeit bewegt, welche das Wasser hat, so daß also ein Theil des Wassers gar nicht auf das Rad wirkt. Ja es könnte sogar der Fall seyn, daß sich das Ende der Radschaufel mit größerer Geschwindigkeit bewegt, als diejenige ist, welche das Wasser auf der Canalsohle hat, und es müßte dann nothwendig ein Theil der Kraft, welche das Rad nutzbar abgeben sollte, verwendet werden, um das Wasser auf dem Grund des Canals schneller fortzuschaffen. Diese Eigenthümlichkeit der Schaufelbewegung bei gewöhnlichen Wasserrädern, deren Achsen senkrecht auf die Richtung des treibenden Wassers stehen, ist also sicherlich ein Grund, warum durch solche Räder nur ein verhältnißmäßig geringer Theil der rohen Kraft, oder des dynamischen Effects des verwendeten Wassers nutzbar gemacht wird. Hiezu kommt ferner noch der Uebelstand daß, wenn auch die Schaufel sich überall mit gleicher Geschwindigkeit, nämlich parallel mit sich selbst bewegte, sie doch, je nachdem gerade ihre Stellung ist, für gleiche geradlinige Wege des Wassers die Radachse um ungleich große Winkel drehen muß, so daß von den zu gleicher Zeit eingetauchten Schaufeln jede dem Rad eine andere Winkel-Geschwindigkeit ertheilen will. Man könnte entgegnen, daß die oben erwähnten Uebelstände verringert würden, wenn man die Radschaufel nicht hoch, sondern dafür um so viel länger machte. Dieß geht nun in vielen Fällen der Oertlichkeit wegen nicht an; in allen aber würde man dadurch einen zweiten Fehler an dem Rad vergrößern, der ohnedieß schon einen nachtheiligen Einfluß auf den guten Gang des Rads, d.h. auf seine zweckmäßige Benutzung des Wassers ausübt. – Dieser zweite Fehler, den alle unterschlächtigen Wässerräder im Schnur- oder Schutzgerinne gemeinschaftlich haben, ist der, daß eine nicht unbeträchtliche Menge Wassers stets zwischen dem Rad und der Canalsohle hindurch, also unbenützt verloren geht, wenn nicht gerade eine Schaufel senkrecht unter der Achse des Rads steht, in welcher Stellung sie dem Grund des Canals am nächsten ist, also am wenigsten Wasser durchläßt. – Addirt man die Dicke aller Radschaufeln, so wird das erhaltene Maaß, auf die Peripherie des Rads aufgetragen, demjenigen Theil einer Radumdrehung entsprechen, während welcher immer eine Schaufel dem Canalboden am nächsten ist. Zieht man aber die Summe der Schaufeldicken von der Peripherie des Rads ab, so wird der Rest denjenigen Theil einer Radumdrehung angeben, während welcher beständig mehr oder weniger Wasser unter dem Rad unbenutzt hindurchgeht. Es leuchtet ein, daß dieser Theil bei weitem der größere ist; denn sonst müßte eine Schaufel dicker als die Oeffnung zwischen je zwei Schaufeln seyn. Selten, ja vielleicht nie, wird ein Wasserrad vorkommen, dessen Schaufeln zusammengenommen eine Dicke haben, welche dem zwölften Theil eines Radumfangs gleichkommt; deßhalb wird auch bei fast allen Rädern im Schnur- oder Schutzgerinne wenigstens während 11/12 einer Radumdrehung Wasser unbenutzt unter dem Rad durchfließen, und zwar um so viel mehr, je breiter das Rad gemacht wird, da hiedurch die zwischen dem Rad und der Canalsohle entstehende Oeffnung um so größer wird. Betrachten wir nun das Eintreten der Radschaufel in das Wasser und ihr Austreten aus demselben, so sehen wir, daß sie, während sie dem Wasser näher kommt, sich nicht in der Richtung bewegt, welche das fließende Wasser hat. Sie drückt vielmehr beim Eintauchen von oben nach unten auf das Wasser, und findet so an demselben einen Widerstand, welcher auf Kosten der nutzbaren Kraft überwältigt werden muß. Augenscheinlicher wird dieser Uebelstand noch beim Austreten der Radschaufel aus dem Wasser. In diesem Fall bewegt sich die Schaufel von unten nach oben und ist genöthigt, einen Theil desjenigen Wassers zu heben, welches seine lebendige Kraft bereits an das Rad abgegeben hat; geht also das Rad nur einigermaßen schnell, so wirft es viel Wasser in die Höhe, und die dazu verwendete Kraft ist offenbar für die Maschine verloren. Diese Eigenschaft der Radschaufel muß folglich als ein weiterer Grund betrachtet werden, warum der Nutzeffect der gewöhnlichen Räder kein großer ist. Daß das Aufwerfen des Wassers beim Austreten der Schaufel schon längst als ein Uebelstand betrachtet wurde, beweisen mehrere in die Praxis übergegangene Radconstructionen; so gibt es z.B. Räder mit Schaufeln, welche vorzüglich deßhalb nicht radial, sondern schief gestellt sind, damit sie nahezu senkrecht sich aus dem Wasser emporheben sollen. Ob durch dieses Schiefstellen der Schaufeln aber ihr Eintauchen in das Wasser nicht fast in demselben Verhältnisse und aus demselben Grund erschwert, als das Austreten erleichtert wird, das wollen wir dahin gestellt seyn lassen. Als fernerer Beweis, daß der oben berührte Uebelstand schon längst als solcher erkannt wurde, dienen die vielen complicirten und kostspieligen Mechanismen zum Reguliren beweglicher Radschaufeln. Fragen wir nun, wie müßte ein Wasserrad beschaffen seyn, wenn bei demselben die oben angeführten Fehler vermieden seyn sollen, so drängt sich uns die Antwort auf: 1) Jeder Punkt der Radschaufel müßte, wenigstens so lange sie im Wasser geht, also arbeitet, gleiche Geschwindigkeit haben, d.h. die Schaufel müßte sich geradlinig und parallel mit sich selbst im Wasser fortbewegen, und dabei noch so eingerichtet seyn, daß für jede gleich große geradlinige Bewegung derselben die Achse des Rads um einen gleichen Winkel gedreht wird, die Schaufel mag senkrecht unter der Achse, oder seitwärts stehen. 2) Die Schaufel müßte, so lange sie arbeitet, immer gleiche Entfernung von der Canalsohle beibehalten, d.h. derselben immer so nahe als möglich bleiben, damit kein Wasser unter ihr unbenutzt abfließen kann, und 3) müßte die Schaufel senkrecht ein- und austauchen. Wollte man aber ein Wasserrad bauen, welches diesen drei Bedingungen entspräche, so würde dasselbe sehr complicirt, und seiner vielen beweglichen Theile wegen ganz unpraktisch werden, wenn man wie gewöhnlich die Richtung der Achse senkrecht auf die Richtung des treibenden Wassers beibehielte. Ungemein complicirt würde ein solches Rad nämlich deßhalb werden, weil jede Schaufel beim Ein- und Austauchen sich um eine eigene Achse, und nach einem gewissen Gesetz drehen müßte, wozu noch eine geradlinige Verschiebung der Schaufel in der Richtung des Radius erforderlich wäre, damit sie eine Zeit lang in gleicher Entfernung von der Canalsohle bleiben könnte. Hiemit wäre aber noch nicht alles erreicht; denn trotz der Beweglichkeit der Schaufeln bliebe noch immer der Fehler, daß das Rad von jeder der zu gleicher Zeit arbeitenden Schaufeln veranlaßt wird sich um einen anderen Winkel zu drehen. Einfacher würde das Rad werden, obgleich der vielen beweglichen Theile wegen noch immer unpraktisch, wenn wir demselben zwei parallele Achsen gäben, so daß der Schaufelkranz gleichsam in eine endlose Schaufelkette überginge, deren eine Hälfte sich wie bei einem sogenannten Schaufelwerk im Wasser bewegte. Auf diese Weise würde jede der zu gleicher Zeit arbeitenden Schaufeln eine gleiche Drehung der beiden Radachsen veranlassen. Die Verschiebung der Schaufeln in der Richtung des Radius würde ebenfalls dabei wegfallen, obgleich noch jede Schaufel um eine eigene Achse drehbar seyn müßte. Den oben angeführten drei Bedingungen kann jedoch auf viel einfachere Weise entsprochen werden; denn man benutzt schon seit den ältesten Zeiten in der Mechanik eine einfache Maschine, welche gerade die drei Bedingungen, deren Nichterfüllung man mit Recht den gewöhnlichen Wasserrädern zum Vorwurf macht, erfüllt. Dieß ist die Schraube. Wirkt ein Körper parallel zur Achse auf die Schraubenfläche, so wird sich die Schraube bei gleicher geradliniger Bewegung des Körpers um gleiche Winkel drehen, wenn auch der Angriffspunkt des sich bewegenden Körpers auf der Schraubenfläche beliebig verändert wird. Denken wir uns nun das Wasser, als den geradlinig sich bewegenden Körper, parallel zur Schraubenachse auf die Schraubenfläche drückend, so wird jeder einzelne Wasserfaden gleich drehend (d.h. um gleiche Winkel) auf die Schraube wirken, und es kann demnach die ganze Schraubenfläche sich mit der Geschwindigkeit bewegen und dem Wasser nachgeben, welche zur Erlangung des größten Nutzeffects die passendste ist. Diese Eigenschaft entspricht vollkommen der ersten gestellten Bedingung, da kein Theil des Wassers langsamer oder schneller zu fließen von dem Rad genöthigt wird. Derjenige Theil der Kraft, welcher hiedurch bei den gewöhnlichen Rädern verloren geht, wäre also durch die Schraube gewonnen. Die Peripherie der Schraube bleibt ferner beständig in gleicher Entfernung von einem umhüllenden Cylinder, so daß auch die zweite Bedingung vollkommen erfüllt ist. Was endlich das Ein- und Austauchen der Schaufel anbelangt, so genügt auch hier die Schraube; denn der Anfang und das Ende derselben bewegt sich in der nämlichen Richtung, wie ihr gerade wirksamer Theil, wobei der Schraubengang immer mit seiner hohen Kante das Wasser beim Eintreten durchdringt. Mein Vorschlag besteht nun darin, die Schraube als Wasserrad zu verwenden. Denken wir uns denjenigen Theil des Canals, an welchem das Rad angebracht werden soll, statt wie bisher mit einem rechtwinkeligen, mit einem halbkreis- oder überhaupt mit einem kreisbogenförmigen Querschnitt, so daß der Canal ein Theil eines hohlen Cylinders wird; so müßte in diesen Cylinder die Schraube so gelegt werden, daß die äußerste Schraubenlinie den Cylinder nahezu berührt, daß also ihre Achse parallel zur Richtung des zufließenden Wassers ist. Natürlich müßte die Achse der Schraube auch zugleich die Achse des cylinderförmigen Canaltheils seyn. Die Schraube selbst müßte entweder ähnlich zusammengesetzt werden, wie die allgemein bekannten Wasserschnecken, oder noch leichter würde der Schraubengang sich aus starkem Eisenblech herstellen lassen, welches durch bekannte Mittel mit der hölzernen oder eisernen Welle vereinigt werden könnte. Einen neuen Vortheil würde man noch mit dem eben vorgeschlagenen Wasserrad erreichen, nämlich den, daß die Umdrehungsgeschwindigkeit desselben bei gleichbleibendem Durchmesser dadurch verändert werden könnte, daß man die Steigung verschieden annimmt; wodurch man in den Stand gesetzt ist, die Geschwindigkeit des Rads derjenigen Geschwindigkeit anzupassen, mit welcher irgend eine Maschine bewegt werden soll. – Die Uebertragung der Wasserradbewegung auf Maschinen, welche sich wie sonst innerhalb eines Gebäudes befinden, würde durchaus keine Schwierigkeit haben; denn es dürfte nur auf der Welle des neuen Wasserrads ein conisches Rad aufgekeilt werden, das in ein zweites eingreift, welches sich auf einer Welle befindet, die die nämliche Lage wie die bisherige Wasserradachse hat. Ueberhaupt könnte durch ein Paar conische Räder die Wasserradbewegung fast in jeder beliebigen Richtung fortgepflanzt werden. Indem ich nun dieses neue Wasserrad-System vorschlage, und wünsche, daß dasselbe eines Versuchs gewürdigt werden möchte, glaube ich noch erwähnen zu müssen, daß für einen ähnlichen Fall der Werth der Schraube bereits anerkannt ist. Betrachten wir die gewöhnlichen Ruderräder der Dampfschiffe, so finden wir, daß sie sich in nichts von unfern unterschlächtigen Wasserrädern unterscheiden; sie haben deßhalb auch als Ruderapparat dieselben Fehler wie unsere Wasserräder, und seit lange gab man sich Mühe, diese Fehler, worunter das Aufwerfen des Wassers in Folge der großen Geschwindigkeit, die Hauptrolle spielt, zu vermeiden. – Diese Ruderräder wurden nun in neuerer Zeit fast gänzlich durch die Schraube verdrängt, ein Beweis, daß man die guten Eigenschaften der letzteren schätzen lernte, und daß sie für praktisch gehalten wird. So wie nun früher ein mittelmäßig gutes Wasserrad auch ein mittelmäßig guter Ruderapparat für Dampfschiffe war, so dürfte in der Folge ein verbesserter Ruderapparat auch ein verbessertes Wasserrad abgeben.