Titel: Versuche über den Einfluß der Kolbengeschwindigkeit auf die mechanische Wirkung des Dampfs in den Maschinen mit Expansion; von Paltrineri.
Fundstelle: Band 106, Jahrgang 1847, Nr. XLVIII., S. 250
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XLVIII. Versuche über den Einfluß der Kolbengeschwindigkeit auf die mechanische Wirkung des Dampfs in den Maschinen mit Expansion; von Paltrineri. Aus den Comptes rendus, Sept. 1847, Nr. 13. Paltrineri's Versuche über den Einfluß der Kolbengeschwindigkeit auf die mechanische Wirkung des Dampfs in den Maschinen mit Expansion. Zahlreiche Versuche, welche ich über die Anwendung der Triebkräfte bei Maschinen anstellte, und insbesondere meine Versuche über den Effect der Federn, haben mich vollkommen überzeugt, daß bei der Absperrung (Expansion) des Dampfs ein Verlust an mechanischer Wirkung stattfindet, welcher in einem gewissen Verhältniß mit der Anzahl der Dampfschichten stehen muß, die im Cylinder, von dessen fixem Boden angefangen bis zum Kolben, übereinanderliegen. Da diese Schichten mit dem Kolben gehen, so müssen sie sich natürlich entwickeln, um ihm zu folgen und ihn zu treiben; bei dieser Entwickelung der übereinander befindlichen Schichten muß aber der Dampf einen Theil seiner mechanischen Wirkung anwenden, welcher gewiß für die Maschine verloren ist. Je größer die Anzahl der Schichten ist, je schneller man die Entwicklung geschehen läßt, desto mehr wird von dem Effect des Dampfs hiezu absorbirt und desto weniger bleibt für den Nutzeffect übrig. Angenommen, der in einen Cylinder eingelassene Dampf werde in dem Augenblick abgesperrt, wo der Kolben am Viertel oder Drittel seines Laufs angelangt ist, damit die Expansion stattfinden kann: so kann man annehmen, daß von diesem Augenblicke an die flüssige Masse in eine bestimmte Anzahl von übereinanderliegenden parallelen Schichten getheilt ist, welche anfangen sich zu entwickeln und zu expandiren um den Kolben zu treiben und ihm zu folgen. Es ist nun klar, daß die zunächst am Kolben befindliche Schicht auf denselben ihre ganze Kraft und Geschwindigkeit übertragen kann; daß aber die Schicht, welche nach ihr folgt, dieses nicht mehr in demselben Maaße kann, weil die über ihr befindliche Schicht sie daran hindert, indem dieselbe sie zurückstößt und zugleich den Kolben vorwärts treibt. Als elastische Flüssigkeit muß der Dampf sich natürlich in allen Richtungen ausbreiten und bei seinem Eintritt eine gleichförmige Dichtigkeit in seinem ganzen Volum beibehalten; folglich stößt die Schicht, welche den Kolben auf einer Seite vorwärts treibt, zu gleicher Zeit in umgekehrtem Sinne die auf sie folgende Schicht zurück, läßt sich aber von ihr durchdringen; die zweite Schicht stößt die nach ihr kommende zurück und so fort bis zur letzten, welche sich am Boden des Cylinders befindet. Es muß also zwischen den übereinander befindlichen Dampfschichten ein Zusammenstoß stattfinden, wegen ihrer verschiedenen Geschwindigkeit und weil sie einander durchdringen müssen, damit die Dichtigkeit des Dampfs eine gleichförmige bleibt; dieser Zusammenstoß muß offenbar einen Kraftverlust verursachen, welcher den Differenzen der Geschwindigkeiten proportional und um so beträchtlicher ist, je größer die Anzahl der übereinander befindlichen Schichten ist und je schneller die Absperrung (Expansion) stattfindet. Nach diesen Betrachtungen, welche durch meine Versuche über den Effect der Spiralfedern bestätigt werden, bin ich überzeugt, daß eine gegebene Menge Dampf in einer Maschine mit Expansion unter übrigens gleichen Umständen einen größeren Nutzeffect hervorbringen muß, wenn er auf einen Kolben mit breiter Basis und kurzem Hub, als wenn er auf einen Kolben von kleinerem Durchmesser und verhältnißmäßig längerem Hub wirkt. Um hierüber entscheidende Versuche anstellen zu können, ließ ich zwei Dampfapparate construiren, welche sich bloß dadurch von einander unterscheiden, daß das Verhältniß der Kolbenfläche zur Hublänge bei dem einen das umgekehrte des anderen ist: wenn der eine Kolben eine Fläche von 20 und einen Hub von 24 hat, so hat der andere Kolben eine Fläche von 80 und einen Hub von 6, so daß beide durch ihren Lauf ein genau gleiches Dampfvolum erzeugen. Es muß daher bei jedem Kolbenhub nothwendig bei beiden Cylindern genau gleich viel Dampf ein- und austreten; und wenn folglich die Anzahl der Kolbenhube bei beiden Apparaten in einer gegebenen Zeit dieselbe ist, so kann man überzeugt seyn, daß unter gleichen physischen und mechanischen Umständen jeder Cylinder dasselbe Dampfvolum liefert. Folgende Tabelle enthält die durchschnittlichen Resultate mehrerer Versuchsreihen, wobei sich die Apparate immer unter gleichen Umständen befanden. Textabbildung Bd. 106, S. 251 Versuchsreihe; Beschaffenheit des Cylinders; Gewicht am Zaum, in Kilogr.; Anzahl der Umgänge der zwei Wellbäume in der Minute; Geschwindigkeit, welche der Aufhängepunkt der Last in der Secunde annahm; Druck am Manometer, in Atmosphären; Absperrung oder Raum für die Expansion des Dampfs, in Bruchtheilen des Kolbenlaufs; Nutzeffect, oder Kilogramme auf 1 Meter in der Secunde gehoben; Verhältniß der Effecte beider Apparate; Kil.; Met.; Kilogr.; weiter; enger; voller Dampf Aus den Ziffern in dieser Tabelle ersieht man sogleich die Verschiedenheit des Effects beider Apparate. Obgleich dieselben aber das Mittel aus mehreren Versuchsreihen sind und die Beobachtungen mit der größten Genauigkeit angestellt wurden, so will ich doch nicht behaupten, daß die gefundenen Verhältnisse streng die aus dem physikalischen Gesetz dieser Erscheinung hervorgehenden sind; dieselben müssen vielmehr durch neue Versuche mit größeren Apparaten ermittelt werden. Doch glaube ich aus meinen theoretischen Betrachtungen und den erhaltenen Resultaten, welche jene bestätigen, folgende Schlüsse ziehen zu können: 1) daß die Geschwindigkeit des Kolbens auf den Nutzeffect des Dampfs einen viel größeren Einfluß hat als man bisher vermuthete; 2) daß dieser Einfluß mit der größeren Expansion des Dampfs sehr zunimmt; je größer die Expansion ist, desto beträchtlicher wird die Differenz des Effects; 3) daß man, um vom Dampf einen größeren Nutzeffect zu erhalten, weite und kurze Cylinder anwenden und den Kolben mit sehr kleiner Geschwindigkeit gehen lassen muß. Daß der Effect des Dampfs in Beziehung mit der Geschwindigkeit des Kolbens steht, ist bereits bekanntMan vergl. S. 152 in diesem Bande des polytechn. Journals.; neu ist aber meines Wissens, daß die Geschwindigkeit des Kolbens einen eigenthümlichen und bedeutenden Einfluß auf den Effect der Expansion hat, was ich zuerst durch Versuche nachgewiesen zu haben glaube. Die Ziffern in der Tabelle ergeben in der That sehr beträchtliche Unterschiede, obgleich die Geschwindigkeiten der Kolben nur im Verhältniß von 1 zu 4 standen. Durch die erwähnten Versuche wurde ich auch noch auf zwei andere Erscheinungen aufmerksam gemacht: die erste ist, daß bei der Thätigkeit obiger Apparate mit Expansion, die Kolben in einigen Versuchen ihren Lauf vollenden mußten, indem sie gegen sich (wegen des atmosphärischen Drucks) eine stärkere Pression hatten als diejenige war, durch welche sie getrieben wurden; die andere bezieht sich auf den Effect beider Apparate. Fast bei allen Versuchen war der Nutzeffect, am Zaum gemessen, stets und sogar viel größer als der theoretische Effect des Motors. Hängt diese Differenz im Effect etwa von einem theilweisen Vacuum ab, welches sich in den Auslaßröhren wegen der Geschwindigkeit der Dampfausströmung bildet, so daß der Druck auf den Kolben einen verhältnißmäßig größeren Werth annimmt? Vielleicht könnte diese Verdünnung des Dampfs in den Auslaßröhren auch den Umstand erklären, daß die Kolben ihren Gang fortsetzen, obgleich sie sich im Gleichgewicht mit dem atmosphärischen Druck befinden, ehe sie an der Hälfte oder zwei Dritteln ihres Laufs anlangten?