Titel: Beobachtungen über die Uebersättigung der Salzlösungen, insbesondere der Glaubersalzlösungen; von Hrn. Löwel in Münster (Oberrhein).
Fundstelle: Band 116, Jahrgang 1850, Nr. LXXXIX., S. 452
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LXXXIX. Beobachtungen über die Uebersättigung der Salzlösungen, insbesondere der Glaubersalzlösungen; von Hrn. Löwel in Münster (Oberrhein). Aus den Comptes rendus, Febr. 1850, Nr. 7. Löwel's Beobachtungen über die Uebersättigung der Salzlösungen. 1. Das durch Erkalten krystallisirte schwefelsaure Natron (Glaubersalz) enthält 10 Atome Wasser, wenn seine Lösung beim Zutritt der Luft erkaltete. Es ist, namentlich seit Gay-Lussac's Beobachtungen über die Salzlösungen, bekannt, daß eine bei ihrem Siedepunkte gesättigte schwefelsaure Natronlösung, in einer luftleeren Glasröhre eingeschlossen, beim Erkalten, ohne zu krystallisiren, einen viel höhern Concentrationsgrad behalten kann, als wenn sie in Berührung mit der Luft erkaltete. Wir haben also zwei Sättigungsgrade für dasselbe Salz, je nachdem die warm bereitete Auflösung desselben in Berührung mit der Luft oder bei Ausschluß derselben erkaltete. In letzterm Fall kann man die Lösung in Beziehung zur erstem übersättigt nennen. Der Umstand, daß die ohne Zutritt der Luft bei gewöhnlicher Temperatur erkaltete übersättigte Auflösung, sobald man die Luft hinzutreten läßt, krystallisirt, kann nach Gay-Lussac keineswegs dem Druck der Atmosphäre zugeschrieben werden. Dieß war der Ausgangspunkt der von Hrn. Löwel angestellten Versuche. 2. Er bereitete in der Wärme drei Lösungen von schwefelsaurem Natron; jede bestand aus 30 Grammen des Salzes und 15 Grammen Wasser und war in einer an der Lampe zugeschmolzenen Röhre eingeschlossen. Die Röhre Nr. 3 enthielt Platindraht; die Röhre Nr. 2 scharfkantige Glasstücke; die Röhre Nr. 1 nur die Lösung. Während mehr als zweier Monate, wo die Röhren einer von 15 bis 25° C. wechselnden Temperatur ausgesetzt waren, setzte sich selbst durch Umschütteln nichts ab. Als die Temperatur um 6 bis 7 (Celsius'sche) Grade gesunken war, bildeten sich in allen drei Röhren Krystalle in gleicher Menge. Die Menge der Krystalle zeigte an, daß ihre Mutterlaugen sich noch im übersättigten Zustand befanden. Umschütteln vermehrte ihre Masse nicht. Stieg die Temperatur der Atmosphäre, so verschwanden die Krystalle durch Umschütteln; und der Wiedereintritt einer Temperatur von 7–8° brachte sie wieder zum Vorschein. Als er die Röhren zerbrach und die Mutterlaugen in Schälchen abgoß, beobachtete er folgende zwei Erscheinungen: a) die Krystalle aus den Röhren, mit einem Glasstäbchen berührt, wurden, von dem berührten Theil anfangend, in ihrer ganzen Masse undurchsichtig; die bloße Berührung der Luft brachte nach längerer Zeit dieselbe Erscheinung hervor; b) die in die Schälchen abgegossenen Mutterlaugen erstarrten zu einer krystallinischen Masse. Die ersten Krystalle waren schwefelsaures Natron mit 8 oder vielleicht mit 7 Atomen Wasser. Dieses Salz wurde von Faraday und Ziz beschrieben, welche es durch ruhiges Erkaltenlassen der kochenden concentrirten Glaubersalzlösung in bedeckten Gefäßen erhielten. Die Krystalle der Mutterlaugen, welche sich unter dem Einfluß der Luft gebildet hatten, waren gewöhnliches Glaubersalz mit 10 Atomen Wasser. 3. Löwel machte viele Beobachtungen über die Bereitung des schwefelsauren Natrons mit 8 Atomen Wasser. Dieses Salz krystallisirt in langen Prismen mit rhombischer Basis; wenn es durch die Berührung gewisser Körper undurchsichtig wird, so erwärmt es sich. Er überzeugte sich, daß die Mutterlauge dieser Krystalle bei einer bestimmten Temperatur eine bestimmte Menge Glaubersalz mit 8 Atomen Wasser enthält. Man war allgemein der Meinung, daß der Zustand der Uebersättigung der Salzlösungen ein sehr unbeständiger sey, weil er durch anscheinend rein mechanische Ursachen, wie Umschütteln, Berührung mit einem chemisch unwirksamen Körper, aufhört. Vorstehende Versuche beweisen, daß einerseits das Umschütteln, und andererseits Glasstücke, Platindrähte, welche man in die übersättigte Lösung vor ihrem Erkalten brachte, auf die Krystallbildung gar keinen Einfluß haben. Der elektrische Strom veranlaßt in einer Lösung von Glaubersalz mit 8 Atomen Wassers gar keine Veränderung. Eine solche Lösung entbindet nach Gay-Lussac's Beobachtung beim Krystallisiren Wärme. Das krystallisirte Salz mit 8 Atomen Wasser entbindet, wie bemerkt, wenn es undurchsichtig wird, ebenfalls Wärme. 4. Eine kochende gesättigte Glaubersalzlösung, beim Zutritt der Luft in eine Schale gegossen, überzieht sich mit einem Häutchen von wasserfreiem Salz; bei 32 bis 29° C. gibt sie Krystalle mit 10 Atom. Wasser und das Häutchen verschwindet nach und nach. Wenn man die Schale, in welche obige kochende Salzlösung gegossen wird, in eine durch eine Glocke begränzte Atmosphäre stellt, worin sich die Luft nur sehr schwer erneuern kann, z.B. unter eine Glocke von 6 bis 8 Liter Inhalt eine Schale, welche 1 Liter Lösung enthält, so behält die Flüssigkeit noch beim Erkalten ihren Zustand der Uebersättigung und es bilden sich erst bei einer Temperatur unter 12° C. Krystalle, die das Salz mit 8 Atomen Wasser sind. Die Lösung kann 8 bis 14 Tage im Zustande der Uebersättigung verbleiben; so lange dieses der Fall ist, veranlassen Erschütterungen, Schwingungen, Schütteln keine Krystallisation darin; wenn die Glocke aber entfernt wird, erstarrt die Flüssigkeit zu einer Masse und gibt Krystalle mit 10 Atomen Wasser. Bringt man unter die Glocke wasserfreien Kalk bei einer Temperatur von 24° C., so gibt die Lösung Krystalle mit 8 Atom. Wasser. Bedeckt man einen Kolben, worin man eine kochende, übersättigte Lösung von Glaubersalz bereitete, mit einer kleinen Glas- oder Porzellanschale, so bleibt die Flüssigkeit in ihrem übersättigten Zustand. In offenen Röhren von 6 bis 10 Millimeter Durchmesser erhält sich der Zustand der Uebersättigung sehr lange Zeit, d.h. 3, 4, 6, 8 Wochen und darüber. 5. Schütteln bringt das Salz mit 10 Atomen Wasser nicht zum krystallisiren; aber ein Stückchen des Salzes, oder die bloße Berührung mit einem Glas- oder Metallstäbchen, veranlaßt die Krystallisation. Löwel hat sehr interessante Beobachtungen über die Umstände angestellt, welche die Krystallisation des Salzes mit 10 Atomen Wasser mittelst Berührung desselben veranlassen können oder nicht. Ein Glas- oder Metallstäbchen, welches die Bildung des Salzes mit 10 Atomen veranlaßt, wenn man es in die übersättigte Flüssigkeit taucht, verliert diese Eigenschaft, wenn es vorher auf 40 bis 100° C. erhitzt wurde. Wie könnte sonst die übersättigte Flüssigkeit in einer Schale, in einer Glasglocke bei einer Temperatur über 8° C. unverändert bleiben? Ein Glas- oder Metallstäbchen, welches vorher auf 100° C. erhitzt wird, behält seine Eigenschaft, die Krystallisation nicht zu bewirken, selbst nach 10 bis 15 Tagen noch bei einer von 0 bis 20° C. wechselnden Temperatur bei, wenn man, nachdem man einen Korkstöpsel daran gesteckt, mit letzterm eine Luft enthaltende Flasche in der Weise verstopft, daß der größte Theil des Stäbchens der freien Berührung der Luft nicht ausgesetzt ist; denn wenn das aus der Flasche gezogene Stäbchen nur eine Viertelstunde der freien Luft ausgesetzt wird, so bewirkt es die Krystallisation. Man ersieht hieraus, daß die Wärme den Glas- und Metallstäbchen ihre Wirksamkeit benimmt, während die Berührung mit der freien Luft sie ihnen wieder verleiht. Eine 12 Stunden dauernde Berührung der Stäbchen mit Wasser benimmt ihnen ebenfalls ihre Wirksamkeit, welche sie durch Trocknen an freier Luft wieder bekommen. Wasser bewirkt die Krystallisation der übersättigten Flüssigkeit nicht. Kalter Alkohol veranlaßt sie, warmer aber nicht. 6. Es gelang Hrn. Löwel übersättigte Lösungen zu erzielen durch Auflösen von Glaubersalz bei Temperaturen, welche nicht über 26° C. betragen. Er überzeugte sich, daß eine übersättigte Glaubersalzlösung, welche auf einem vorher seiner Wirksamkeit beraubten Glase durch Abdampfen concentrirt wurde, Krystalle des Salzes mit 8 Atomen Wasser gibt. Wie es scheint, sagt Hr. Löwel, ziehen die Körper, welche die Krystallisation des Glaubersalzes mit 10 Atomen Wasser bewirken, die Krystallmolecüle an, währen die passiven Körper sie abstoßen. Daraus wäre zu schließen, daß die Wände der eine übersättigte Lösung enthaltenden Gefäße eine Wirkung ausüben, welche jener der Luft entgegengesetzt ist. 7. Ohne die Einwirkung der Luft und der Körper, welche die Krystallisation des Glaubersalzes bei 10° C. bewirken, würden wir also nur das Glaubersalz mit 8, oder vielmehr 7 Atomen Wasser kennen. 8. Hr. Löwel hat gefunden, daß das einfach-kohlensaure Natron, der Kalialaun, der Chromalaun etc. ähnliche Erscheinungen darbieten.