Titel: Ueber Rousseau's Verfahren zur Rübenzuckerfabrication; Bericht von Thenard, Boussingault und Payen.
Fundstelle: Band 118, Jahrgang 1850, Nr. L., S. 222
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L. Ueber Rousseau's Verfahren zur Rübenzuckerfabrication; Bericht von Thenard, Boussingault und Payen. Aus dem Comptes rendus, Oct. 1850, Nr. 16. Ueber Rousseau's Verfahren zur Rübenzuckerfabrication. Die Akademie der Wissenschaften hat uns beauftragt, eine ihr von Hrn. Rousseau eingereichte Abhandlung über ZuckerfabricationDie Beschreibung seines Verfahrens wurde im polytechn. Journal Bd. CXVI. S. 297 mitgetheilt. zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, was wir hiermit thun. Ein neues Verfahren durch welches die Zuckergewinnung verbessert wird, erregt stets ein lebhaftes Interesse, besonders weil dieser Industriezweig so innig mit der Landwirthschaft verbunden ist; überdieß kann der Zuckerverbrauch bei uns (in Frankreich) noch bedeutend zunehmen und alle Verfahrungsarten, durch welche die Operationen dieses Industriezweigs sicherer gemacht und die Producte reiner werden, tragen zu diesem Zweck bei.Die Zuckerconsumtion beträgt in England und Schottland 15 Kil. per Individuum, also 4 1/2 Mal mehr als in Frankreich; in Holland beträgt sie über 8 Kil.; in Paris verzehrt man 10 Kil. Zucker per Kopf oder 3 1/2 Mal so viel als durchschnittlich in Frankreich. Seit vierzig Jahren haben unsere geschickten Fabrikanten, indem sie mit Ausdauer zahlreiche und kostspielige Versuche anstellten, bedeutende Verbesserungen in den Rübenzuckerfabriken und in den Raffinerien eingeführt. Es bleiben aber in Frankreich und noch mehr in unseren Colonien in dieser Hinsicht Probleme zu lösen und Fortschritte zu machen, denn man gewinnt durchschnittlich nur sechs Zehntel des in der Runkelrübe enthaltenen Zuckers und kaum vier Zehntel des im Rohr enthaltenen (obgleich dessen Zuckergehalt fast doppelt so groß ist); bezüglich der Zuckerfabrication sind auch die Bemühungen unserer technischen Chemiker gegenwärtig größer als jemals, und es ist zu hoffen daß das Ergebniß der Fabrication im Großen sich bald den Gränzen nähern wird, welche die Wissenschaft als erreichbar bezeichnet. Die Gewinnung des Maximums an Product wird hauptsächlich durch die sehr complicirte Zusammensetzung des Runkelrüben- und Rohrsaftes schwierig gemacht; überdieß ist diese Zusammensetzung nach der Beschaffenheit des Bodens, der Jahreszeit und dem Zeitpunkt der Ernte auch veränderlich. Die näheren Bestandtheile welche Fermente erzeugen, diejenigen welche gefärbte oder klebrige Substanzen entwickeln, veranlassen oft die Veränderung des Zuckers und überdieß complicirte Erscheinungen, welche für seine Gewinnung sehr ungünstig sind. Man hat eine große Anzahl von Reagentien versucht, sowohl in den Laboratorien als in den Fabriken, um diese schädlichen Substanzen abzuscheiden; man behielt aber in der Praxis nur zwei chemische Agentien bei; das Kalkhydrat, welches mehrere eiweißartige Substanzen sowie das Pektin unauflöslich macht, und die Knochenkohle, welche dem Saft den überschüssigen Kalk, einen Theil der Farbstoffe und einige andere fremdartige Substanzen entzieht. Im Jahr 1811 empfahl Barruel in einer im Moniteur veröffentlichten Notiz die Anwendung der Kohlensäure, um den Kalk aus dem auf gewöhnliche Weise geläuterten Saft (mit beiläufig 3 Kalk auf 100 Saft) niederzuschlagen. Später versuchte Baudrimont ein analoges Verfahren im Großen. Im Jahr 1833 machte Kuhlmann in Lille – von der Annahme ausgehend, daß bei der gebräuchlichen Läuterung alle stickstoffhaltige Materie des Safts niedergeschlagen wird, daß aber immer ein Theil des Zuckers mit dem Kalk verbunden bleibt – den Vorschlag, den Kalk durch ein Mittel abzuscheiden, welches ihm schneller wirkend und wohlfeiler schien als die Anwendung der Knochenkohle: es bestand ebenfalls darin, in den Rübensaft nach der gewöhnlichen Läuterung kohlensaures Gas zu treiben. Nachdem Versuche von Pelouze bewiesen hatten, daß der aus seiner Verbindung mit dem Kalk abgeschiedene Zucker sich in seinen Eigenschaften unverändert zeigt, machte Kuhlmann im Jahr 1838 einen neuen Vorschlag; indem er überdieß annahm, daß der Kalk im geläuterten Saft die Absorption des Sauerstoffs verhindert, glaubte er auf die erwähnte Eigenschaft des Zuckers ein Fabricationsverfahren gründen zu können, ohne daß man im geringsten den Einfluß des Kalks während der Arbeit im Großen zu befürchten hat. Kuhlmann empfahl daher, mit dem Zucker – während derselbe noch mit Kalk verbunden ist – einen großen Theil der Behandlungen vorzunehmen, welche für seine Gewinnung nöthig sind, wobei man an Knochenkohle ersparen und dennoch die Arbeit in den Fabriken erleichtern würde. Nach diesen Angaben wurden auch Versuche im Großen angestellt: man ließ den Saft mit einem Ueberschuß von Kalk (15 auf 1000) kochen, ohne den Schaum vollkommen abzusondern. Erst nach diesem Kochen oder theilweisen Abdampfen wurde der Kalk mittelst Kohlensäure gefällt, und zwar bei einer Temperatur der Flüssigkeit von 20 bis 24° R. Obgleich die Resultate, welche man nach diesen Methoden im Laboratorium erhielt, günstig erschienen, so konnten sie doch im Großen nicht realisirt werden: keine Fabrik in Frankreich nahm eine Verfahrungsart an, welche auf solchen Grundlagen beruhte. So stand die Sache, als Hr. Rousseau gegen Ende des Jahrs 1848 anfing im Großen ein Verfahren zur Zuckergewinnung auszuführen, für welches er durch lange Untersuchungen die Hauptbedingungen des Erfolgs ermittelt hatte; sein Verfahren unterscheidet sich, wie man sehen wird, in Hauptpunkten von denjenigen welche vorher mißlungen waren. Rousseau wiederholte seine Versuche mit kleinen Quantitäten Saft vor Hrn. Cail, einem unserer geschicktesten Constructeurs von Apparaten für Zuckerfabriken, und vor Hrn. Lequime, einem sehr erfahrenen Zuckerfabrikant. Diese Herren überzeugten sich bald, daß das neue Verfahren vortheilhaft seyn müsse; sie zögerten nicht es anzuwenden, und erhielten schon bei den ersten im Großen vorgenommenen Operationen günstige Resultate. Das Verfahren von Rousseau erfordert: 1) die Anwendung eines gewissen Ueberschusses von Kalk bei einer bestimmten Temperatur; 2) die Absonderung des Schaumes und der niedergeschlagenen Substanzen; 3) die unmittelbare Abscheidung des Kalks aus seiner Verbindung mit Zucker; 4) das Filtriren über gekörnte Knochenkohle; 5) rasches Abdampfen, ferner Krystallisiren und Decken mit Zuckersyrup aus gewöhnliche Weise. Rousseau erklärt in seiner Abhandlung die Punkte worin sich sein Verfahren von den Methoden unterscheidet, welche vorher in Vorschlag gebracht wurden und jedesmal mißlangen, während sein Verfahren unfehlbar gelingt; in dieser Hinsicht müssen wir sagen, daß die Untersuchungen welche wir anstellten, um uns von der Richtigkeit der von ihm angegebenen Thatsachen zu überzeugen, sowohl diese Thatsachen, als die daraus abgeleiteten Erklärungen bestätigt haben. Um die Abweichungen des Rousseau'schen Verfahrens von den bisherigen klar darzulegen, brauchen wir nur die Ursachen anzugeben welche das Mißlingen der letztern veranlaßten, und die wesentlichen Bedingungen welche den Erfolg des neuen Verfahrens sicherten. Das erste Verfahren welches von den Vorgängern des Hrn. Rousseau angegeben wurde, hatte offenbar als Zweck und als Resultat, den Kalk nach einer gewöhnlichen Läuterung abzuscheiden, oder die Knochenkohle in dieser Hinsicht durch die Kohlensäure zu ersetzen. Man begreift aber daß diese Substitution nicht vortheilhaft seyn konnte, weil sie an die Stelle der entfärbenden und reinigenden Eigenschaften der Knochenkohle nichts setzte. Das zweite Verfahren gestattete keine technische Anwendung, weil es folgende bedeutende Uebelstände darbot: 1) wegen der unvollkommenen Läuterung blieben in der trüben Flüssigkeit organische Substanzen zurück, welche die Kohlensäure aus ihrer Verbindung mit dem Kalk ebenfalls frei machte und so dem Zucker wieder beigesellte; 2) da die Säfte oder Syrupe Zuckerkalk, oder Zuckerkali und Zuckernatron enthielten, so konnten sie – selbst wenn sie klar gewesen wären – weder so schnell noch so leicht abgedampft werden wie die Auflösung des aus seinen Verbindungen mit den Basen isolirten Zuckers; 3) da die Temperatur beim Versieden offenbar höher ist und länger andauert, so mußte sie mit Beihülfe einer starken alkalischen Reaction die Veränderung oder Zersetzung mehrerer stickstoffhaltigen Bestandtheile bewirken; diese Veränderung derselben gab sich auch durch Entbindung ammoniakalischer Dämpfe, Entwickelung eines starken Geruchs und einer braunen Färbung zu erkennen; zugegeben, daß der Zucker selbst unversehrt blieb, so war doch seine Absonderung in reinem Zustande schwieriger geworden; 4) unter solchen Umständen konnte die Kohlensäure, zum Sättigen des Kalks angewandt, allerdings die Fortschritte des Uebels aufhalten, sie vermochte aber die erzeugten Veränderungen nicht zu verbessern. Wir wollen nun zeigen, daß die bei dem Verfahren des Hrn. Rousseau vereinigten Bedingungen ganz andere sind, und daß sie auf neuen experimentellen Beobachtungen beruhen. Hr. Rousseau bewerkstelligt die Läuterung mit einer solchen Quantität Kalk, daß nicht nur diejenigen Substanzen, welche eine größere Verwandtschaft zu dieser Basis haben als der Zucker, sondern auch diejenigen welche eine geringere haben, und folglich der Zucker selbst, sich damit verbinden können. Die Folge davon ist, daß der ZuckerkalkRousseau beobachtete zweierlei Verbindungen von Zucker mit Kalk; die Verbindung welche die größere Menge Basis enthält, könnte einen Theil derselben den zu fällenden fremdartigen Substanzen abtreten. aufgelöst bleibt, während die fremdartigen Substanzen in stärkerem Verhältniß abgeschieden werden als durch die gewöhnliche Läuterung. Wir haben Versuche über die Producte angestellt, welche durch stufenweise Dosen von Kalk gefällt werden, woraus hervorging daß in der That verschiedenartige organische Substanzen so nach einander dem Saft entzogen werden können. Die wesentlichen Bedingungen der neuen Läuterung bestehen darin, das Kalkhydrat als starke Emulsion in den Rübensaft zu gießen, welcher vorher auf beiläufig 44° Reaumur erhitzt wurde. Mit der zunehmenden GerinnungEin Hauptzeichen einer vollständigen Läuterung nach diesem Verfahren besteht in der Entfärbung und Klärung der Flüssigkeit; die Dosen von Kalk, welche diese Wirkung hervorbringen, drei- bis viermal so viel als man bisher anwandtsind noch stärker in dem Maaße als die Jahreszeit vorschreitet, so daß sie gegen das Ende der Campagne (nämlich drei Monate nach dem Ausgraben der Runkelrüben) bisweilen verdoppelt werden müssen. steigt zugleich die Temperatur; und sobald der Thermometer 64 bis 72° R. zeigt, jedenfalls aber ehe das Sieden beginnt, unterbricht man das Heizen, indem man den Hahn schließt welcher den Dampf zuleitet. Man zieht alsdann klar ab und sondert sorgfältig mittelst einer Filtration alle in der Flüssigkeit schwebenden flockigen Substanzen ab. Der filtrirte Saft lauft unmittelbar in einen Kessel mit doppeltem Boden, worin man sogleich zum Sättigen des Kalks durch kohlensaures Gas schreitet. Anfangs steigt ein voluminöser Schaum in die Höhe; in dem Maaße aber als sich die Klebrigkeit in Folge der Zersetzung des Zuckerkalks vermindert, läßt die dünnflüssiger gewordene Zuckerlösung das Gas entweichen wie wenn es durch Wasser strömen würde. Diese Veränderung leitet den Arbeiter, welcher in dem geeigneten Zeitpunkt das Eintreiben des Gases unterbricht.Man begreift, daß das Kali und Natron, welche als einfach-kohlensaure Salze aufgelöst bleiben, auf mehrere stickstoffhaltige und nicht stickstoffhaltige Substanzen reagiren und dadurch die weiter oben angegebenen ungünstigen Wirkungen hervorbringen. Rousseau kann diese Ursache der Veränderung fast vollständig verschwinden machen; er benutzt zu diesem Zweck den Zusatz von Ammoniak gegen das Ende des Eintreibens der Kohlensäure. Es bildet sich dann kohlensaures Ammoniak, welches die Kalksalze mit organischen Säuren sogleich zersetzen wodurch Ammoniak frei und kohlensaurer Kalk gebildet wird, während sich die organischen Säuren mit dem Kali und Natron vereinigen, so daß die Alkalität fast ganz aufhört. Man öffnet alsdann den Dampfhahn, um mittelst des doppelten Bodens die Flüssigkeit bis zum Sieden zu erhitzen, welches man einige Minuten lang unterhält um die überschüssige Kohlensäure zu verjagen und die Fällung des kohlensauren Kalks zu vervollständigen. Man gießt die Flüssigkeit auf ein Filter mit gekörnter Knochenkohle, ohne das Absetzen des kohlensauren Kalks abzuwarten, denn dieses krystallinische Salz erschwert das Filtriren nicht. Die folgenden Operationen, das Abdampfen, zweite Filtriren über Knochenkohle und Verkochen, werden wie gewöhnlich ausgeführt; nur geht dieses leichter und schneller; denn da die Syrupe weniger klebrig, besser von Kalkverbindungen befreit und weniger gefärbt sind, so bilden sie während des Siedens keinen Schaum mehr, concentiren sich schneller, bei einer niedrigeren Temperatur, bilden keine Krusten in den Kesseln (Pfannen) mehr, und erfordern endlich kaum das Drittel von dem Knochenkohlenquantum welches man bei dem jetzt gebräuchlichen Verfahren anwendet. Der Zucker, welchen man erhält, ist weißer, von angenehmerem Geschmack, und man kann ihn leichter jeden Tag in mittelst Zuckersyrup gedeckte Brode verwandeln, welche unmittelbar in den Handel gebracht werden können. Die aufeinander folgenden Krystallisationen, nämlich die zweite, dritte, vierte und fünfte sind leichter zu bewerkstelligen, und es werden zu den letzteren Syrupe verwendet, welche bei dem bisherigen Verfahren schon unter die Melassen kamen; die Producte dieser Krystallisationen tropfen leicht ab und sind mittelst Zuckersyrup in den Centrifugalapparaten leicht zu reinigen. Nach diesen Thatsachen ist es uns sehr wahrscheinlich, daß das neue Verfahren mehr Zucker liefert und ökonomischer ist, als die bisher befolgten Methoden, vorausgesetzt, daß man besorgt ist den größten Theil des im Schaum enthaltenen Zuckers auszuziehen; denn ein gleiches Volum Syrup wird reichlichere Krystalle geben, man wird weniger Knochenkohlen verbrauchen, die Abdampfapparate werden besser functioniren und viel weniger gereinigt werden müssen; die geringen Auslagen für die Kohlensäure (sie betragen 15 Centimes per Hektoliter Saft) und den überschüssigen Kalk (beiläufig 3 Centimes) werden durch die Verminderung der andern Kosten reichlich ausgeglichen. Mehrere unserer geschicktesten Rübenzuckerfabrikanten nahmen diese Methode an, nachdem sie sich (wie wir selbst) bei Hrn. Lequime von der Richtigkeit der Thatsachen überzeugt hatten; so im verflossenen Jahre die Gebrüder Bernard in Santes und Hr. Tilloy in Courrières (Nord); in diesem Jahre folgten ihrem Beispiel Hr. Hebert und die Gebrüder Rhem in Basse-Yute (Mosselle), Hr. Clovis Godin in Cuincy (Nord) und Hr. Alexandre Perier in Flavy (Aisne). Einige bedeutende Rübenzuckerfabrikanten im Auslande haben in Folge der in Frankreich erzielten Resultate sich die Apparate der HHrn. Cail und Chelius verschafft, um Rousseau's System anzuwenden, namentlich in Rußland Hr. Graf von Bobrinsky und Hr. Potoki; in der Nähe von Warschau Hr. Raut. Auch mehrere Zuckerfabrikanten auf unsern Colonien beabsichtigen sich diese Apparate anzuschaffen und das neue Verfahren bei dem Rohrsaft anzuwenden.