Titel: Ueber die Assimilirung des Stickstoffs der Luft durch die Pflanzen und über den Einfluß des Ammoniaks auf die Vegetation; von Hrn. Ville.
Fundstelle: Band 118, Jahrgang 1850, Nr. LXIX., S. 310
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LXIX. Ueber die Assimilirung des Stickstoffs der Luft durch die Pflanzen und über den Einfluß des Ammoniaks auf die Vegetation; von Hrn. Ville. Aus den Comptes rendus, Oct. 1850, Nr. 17. Ville, über die Assimilirung des Stickstoffs durch die Pflanzen. Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit Untersuchungen über die Vegetation, deren Resultate ich hier mittheile. Schon Th. v. Saussure bemerkte, daß eine Auflösung von schwefelsaurer Thonerde, lange genug der Luft ausgesetzt, sich in Ammoniakalaun verwandelt. Diese meines Wissens schon im Jahr 1804 gemachte Beobachtung setzt das Vorhandenseyn von Ammoniak unter den Bestandtheilen der Luft außer Zweifel. Seitdem haben mehrere Chemiker den Ammoniakgehalt der Luft durch schärfere Methoden bestimmt, hauptsächlich wegen der Wichtigkeit, welche die Physiologen den Ammoniakverbindungen für die Entwicklung der Pflanzen beilegen. Man betrachtet jetzt wirklich das Ammoniak als die Quelle, aus welcher das Pflanzenreich den Stickstoff schöpft, den es verzehrt, dieses Ammoniak mag nun aus dem Erdreich oder dem in dasselbe gebrachten Dünger oder aus der Atmosphäre herrühren. Nachdem ich mich durch eine lange Reihe von Analysen viel größerer Luftmengen, als vor mir zu solchen Versuchen angewandt wurden, überzeugt hatte, daß die in der Luft enthaltene Menge Ammoniaks, wenn man alle zufälligen Ausströmungen ausschließt, welche solches in die Analysen einführen könnten, kaum für etwas anzuschlagen ist, mußte ich bezweifeln, daß es die ihm zu geschiedene Rolle beim Vegetationsproceß wirklich spiele. Um meine Zweifel zu verscheuchen, säete ich eine Anzahl Samenkörner in ein Gemenge aus gleichen Theilen weißen Sands und Ziegelpulvers, welche durch mehrtägiges Ausglühen in einem Porzellanofen von allen darin enthaltenen organischen Materien befreit worden waren. Diesem, in eine Anzahl Töpfe vertheilten Gemenge wurden fünf Procent durch Verbrennung der Pflanzenspecies, die gezogen werden sollten, erhaltener Asche zugesetzt. Die Töpfe wurden, nachdem die Samen eingelegt waren, unter eine hermetisch verschlossene Glocke gebracht, und die Luft in deren Innerm mittelst eines Aspirators von sehr großem Inhalt (631 Liter bei 0° unter dem normalen Druck) täglich erneuert. Da aber diese Luftmenge, so bedeutend sie auch war, nicht Kohlensäure genug enthalten hätte, um dem Bedarf für das Wachsthum zu liefern, so setzte man ihr fünf, später sieben Procent von diesem Gase mittelst eines Apparats zu, aus welchem es sich, so lange die Lufterneuerung dauerte, Blase für Blase entwickelte. Bei ihrem Austritt aus der Glocke streicht die Luft durch einen Analysir-Apparat, in welchem sie das in ihr etwa enthaltene Ammoniak abgibt. So werden zwei Versuche zugleich beendigt. Im ersten wird nämlich der Ammoniakgehalt einer gewissen Menge reiner Luft bestimmt, und im zweiten der Ammoniakgehalt einer ziemlich gleichen Menge Luft, nachdem dieselbe zur Ernährung der in der Glocke eingesperrten Pflanzen gedient hat. Vergleicht man nun die Resultate beider Analysen, so sieht man sogleich, ob der Ammoniakgehalt der Luft an der Entwickelung der Pflanzen betheiligt war. Andererseits kennt man durch eine vorher angestellte Analyse der Samen, mit welchen man die Versuche macht, die Stickstoffmenge, welche in Form von Samen unter die Glocke gebracht wurde. Wenn man mit dem Versuche zu Ende ist, erfährt man durch ähnliche Analysen die Stickstoffmenge welche in den geernteten Pflanzen enthalten ist, folglich auch diejenige, welche die Pflanzen im Verlauf des Versuchs assimilirt haben, und somit, ob dieser Stickstoff vom Ammoniak oder von der Luft herrührt. Obschon die Pflanzen noch nicht geerntet sind, kann die Frage doch schon als beantwortet betrachtet werden. Es wurde nämlich eine gewisse Menge Stickstoffs von den Pflanzen assimilirt und dieser Stickstoff rührt von dem in der Luft enthaltenen her; denn die Pflanzen haben sich unter der Glocke auffallend entwickelt, und die Luft enthielt bei ihrem Austritt aus der Glocke noch dieselbe Menge Ammoniaks wie bei ihrem Eintritt. Wenn aber auch das Ammoniak der Luft von den Pflanzen gänzlich absorbirt worden wäre, so wäre dadurch diese Schlußfolgerung keineswegs entkräftet, weil das Ammoniak, welches die Luft in den vier Monaten, welche der Versuch schon dauert, eingeführt hat, kaum 1 bis 2 Centigramme beträgt, eine offenbar zu geringe Menge, als daß sie in diesem Proceß eine in Anschlag zu bringende Rolle gespielt haben könnte. Der aus der bloßen Besichtigung der Glocke sich ergebende Schluß ist also, daß der Stickstoff der Luft durch die Pflanzen unmittelbar assimilirt wurde, das atmosphärische Ammoniak aber dabei gar keine merkliche Rolle spielte. Nachdem ich einmal so weit war, hatte ich zur vollständigen Erforschung dieses Processes noch zu bestimmen, welchen Einfluß eine gewisse Menge Ammoniaks, der Luft zugesetzt, ihrerseits auf die Vegetation ausüben würde. Um hierüber ins Klare zu kommen, säete ich dieselben Species, wie bei dem vorhergehenden Versuch, neuerdings ein, und brachte die Töpfe wieder unter eine ähnliche Glocke. In ihrem Innern wurde die Luft durch einen Aspirator von demselben Inhalt erneuert. Deßgleichen wurden der Luft 5, später 7 Procent Kohlensäure zugesetzt. Kurz es geschah alles unter denselben Umständen, nur wurde täglich in das Innere der Glocke eine gewisse Menge Ammoniaks entwickelt. Schon in den ersten Tagen zeigte sich die Wirkung dieses Zusatzes. Die Blätter der Pflanzen wurden frischer und lebhafter grün; die Stengel wuchsen höher; die zahlreichern Zweige bekamen mehr Blätter; das Ammoniak äußerte aber nicht auf alle Pflanzen in gleichem Grade seinen Einfluß; die Cerealien zeigten sich am empfänglichsten dafür. In der Glocke mit reiner Luft waren die Cerealien hinfällig, dünn aufgeschlossen, ihr Halm war mehr kriechend als stehend; in der Glocke hingegen, deren Luft mit Ammoniak versetzt war, sind sie stark, gerade, hoch, und zahlreiche Blätter entspringen aus ihnen in allen Richtungen. Es läßt sich sonach ein zweiter Schluß aus der bloßen Besichtigung der Apparate ziehen, daß nämlich der Luft zugesetztes Ammoniak vortheilhaft auf die Pflanzen wirkt, insbesondere auf die Cerealien.