Titel: Ueber die Wahl der elektrischen Apparate zum medicinischen Gebrauch; von Hrn. Soubeiran.
Fundstelle: Band 122, Jahrgang 1851, Nr. LVII., S. 262
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LVII. Ueber die Wahl der elektrischen Apparate zum medicinischen Gebrauch; von Hrn. Soubeiran. Aus dem Journal de Pharmacie, Sept. 1851, S. 186. Soubeiran, über die Wahl der elektrischen Apparate zum medicinischen Gebrauch. Wenn man die galvanische Elektricität zur Heilung von Krankheiten anwenden will, so entsteht zuerst die Frage, ob es gleichgültig sey, mit welcher Art von Strom elektrisirt wird. Hinsichtlich der Bequemlichkeit gewiß nicht. Die nach den bekannten Systemen construirten galvanischen Batterien erheischen eine Sorgfalt und Aufmerksamkeit, welche ihnen der Arzt selten widmen kann; ihre Wirkung nimmt rasch ab; und wenn man statt der gewöhnlichen Apparate Batterien mit constantem Strom anwendet, so erfordern diese ebenfalls viel Zeit zum Zusammenstellen, veranlassen ebenfalls Kosten für die Substanzen zu ihrer Unterhaltung, erheischen eine ziemlich häufige Erneuerung einzelner Theile, und überdieß belästigen die sich aus ihnen beständig entwickelnden Gase und Dämpfe. Aus diesen Gründen hat man die nach diesem System construirten Apparate fast ganz aufgegeben. Um ihnen bei den praktischen Aerzten wieder Eingang zu verschaffen, müßte man entweder einen Apparat herstellen, welcher diese Mängel nicht hat, oder man müßte beweisen, daß die durch die Batterie hervorgebrachten Ströme unter gewissen Umständen besondere und nothwendige Eigenschaften besitzen, die man in den Strömen andern Ursprungs nicht wieder findet. Anstatt der direct durch die Batterie erzeugten elektrischen Ströme bedient man sich heutzutage kaum mehr anderer als der inducirten Ströme. Sie besitzen die merkwürdige Eigenschaft, nur einen Augenblick zu dauern; sie folgen aufeinander, jedoch in Zeitintervallen. Durch die eigenthümliche Einrichtung der Apparate kann man die Dauer dieser Unterbrechungen reguliren, so daß sie entweder sehr langsam aufeinander folgen oder im Gegentheil so schnell, daß sie einem continuirlichen Strome gleichen. Der inducirte Strom entsteht durch den Einfluß eines Stromes auf einen in seiner Nähe befindlichen Conductor. Ein erster Metalldraht von ziemlich starkem Durchmesser, mit Seide übersponnen und spiralförmig gewunden, empfängt den Strom einer galvanischen Batterie; ein gleichfalls mit Seide übersponnener feinerer Draht ist um den ersten Draht gewickelt. In dem zweiten Draht bildet sich der inducirte Strom jedesmal, wenn der Strom der Batterie im ersten Draht unterbrochen oder wiederhergestellt (geschlossen) wird. Dieses System hatten die Gebrüder Bredon bei ihren ersten Apparaten angenommen, die bei den praktischen Aerzten gute Aufnahme fanden; und dennoch gaben es die Gebrüder Breton wieder auf, wegen der mit der Anwendung galvanischer Batterien verbundenen Uebelstände. Diese Uebelstände verminderten sich jedoch, weil schon eine schwache Batterie genügte, um starke Wirkungen hervorzubringen, indem der inducirte Strom, welchen sie erzeugt, viel stärker ist als der ursprüngliche Strom, in Folge der Induction, welche die Windungen des Conductors aufeinander ausüben, und die man dadurch noch verstärken kann, daß man in die Spirale einen Cylinder von weichem Eisen steckt. Derartige Apparate ermöglichen eine manchmal nützliche Schnelligkeit in den Unterbrechungen, welche durch magneto-elektrische Apparate nicht erreicht werden kann. Bei den magneto-elektrischen Apparaten wird der Strom durch die Wirkung eines Magnetes erzeugt, welcher sich einer leitenden Spirale nähert oder von derselben entfernt. Nähert sich der Magnet derselben, so geht durch die Spule ein nur einen Augenblick dauernder inducirter Strom; entfernt sich hingegen der Magnet, so entsteht wieder ein inducirter Strom, aber in umgekehrtem Sinn. Oefter ersetzt man diese Vorrichtung durch ein weiches Eisen, welches mit einer Spirale von Metalldraht umwickelt ist und sich den Polen eines Magnets abwechselnd nähert und davon entfernt; oder der leitende Draht ist um den Magnet selbst gewickelt und das um seine Achse sich drehende weiche Eisen begegnet nacheinander den Polen des Magnets und modificirt ihren magnetischen Zustand. Eine mechanische Vorrichtung regulirt die Bewegungen so, daß die Ströme mehr oder weniger rasch aufeinander folgen können. Der Apparat erfordert zu seiner Anwendung gar keine Vorbereitung; er ist immer zum Dienste bereit. Dieß ist ohne Zweifel der Grund, warum man die nach diesem System construirten Apparate vorgezogen hat. Ich muß noch bemerken, daß der eine Spirale durchlaufende inducirte Strom auf eine andere Spirale wirken und in derselben einen inducirten Strom zweiter Ordnung erzeugen kann, welcher besondere, vom ersten ihn unterscheidende Eigenschaften besitzt. Ich berühre hier eine schwierige Frage, welche sich bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft nicht vollständig lösen läßt. Einige unbestreitbare Anhaltspunkte können uns jedoch bei dem Studium der elektrischen Apparate leiten. Obgleich die Physik wenig über die wahre Natur der elektrischen Ströme weiß, konnte sie doch einige wesentliche Unterschiede zwischen den Strömen verschiedenen Ursprungs feststellen. So werden in zwei aus denselben Elementen gebildeten Batterien, welche sich nur in ihrer Anordnung unterscheiden, die Erscheinungen der Quantität oder der Intensität vorherrschen. Muß man hierin nicht eine bloße Verschiedenheit der elektrischen Spannung erblicken, oder erleiden die Ströme – wie das Licht, wenn es durch gefärbte durchsichtige Körper dringt – eine Zerlegung durch die vielen Leiter, welche sie zu durchlaufen hatten, so daß sie nur mit denjenigen ihrer Theile wieder auftreten, welche allein die Hindernisse des Durchgangs zu überwältigen vermögen? Jedenfalls können wir die Wirkungen verschiedener Ströme wohl unterscheiden, wenn wir auch über ihre wahre Ursache im Zweifel bleiben. Die einen, die Quantitäts-Ströme, durchlaufen die metallenen Leiter von hinreichendem Durchmesser so zu sagen ohne Verlust, bringen die schönsten magnetischen Effecte hervor, erhitzen die metallenen Leiter, welche zu klein sind, um ihnen leichten Durchgang zu gewähren, sind aber chemischer Wirkungen beinahe unfähig. Die andern, die Intensitäts-Ströme, unterscheiden sich vorzüglich durch ihr Vermögen, die chemischen Verbindungen in ihre Elemente zu trennen. Noch deutlicher tritt der Unterschied zwischen den Strömen verschiedenen Ursprungs hervor, wenn man sie nach den Metallen, z.B. Zink und Kupfer, vergleicht, durch deren Auflösung sie erzeugt werden. Während ein chemisches Aequivalent von jedem dieser zwei Metalle, wenn es sich in einer Säure auflöst, Ströme von gleicher Intensität gibt, deren jeder ein Aequivalent irgend einer chemischen Verbindung zu zersetzen vermag, sind dieselben Ströme in den Wirkungen der Quantität verschieden, denn der Zinkstrom besitzt ein ohne Vergleich größeres Vermögen zu magnetisiren. Die Physik sagt uns noch nichts über die gegenseitigen Verschiedenheiten, mit welchen die inducirten Ströme je nach ihrem verschiedenen Ursprung auftreten können. Hinsichtlich ihrer Unterscheidung in physiologischer Beziehung hingegen verdanken wir den Arbeiten des Hrn. Dr. Duchenne Der galvanische Apparat mit doppeltem Strom von Dr. Duchenne ist S. 32 in diesem Bande des polytechn. Journals beschrieben. einige Fortschritte; er entdeckte an jedem Strome sehr merkwürdige Eigenschaften. Seine Resultate lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen. Der mit der Batterie direct erhaltene Strom besitzt seine besonderen Eigenschaften. Beim Durchgang durch lebende Organe erzeugt er ein Gefühl von Wärme, welches man bei Anwendung der inducirten Ströme nicht bemerkt. An der Haut zeigt sich am auffallendsten diese Erscheinung, welche sich von bloßer Röthe bis zu tiefen, schmerzhaften Schorfen steigern kann. Die chemische Wirkung des Batteriestroms ist kräftig, weßhalb er da vorzugsweise zu wählen ist, wo das Blut in dem Sack einer Pulsadergeschwulst (Aneurisma) zum Gerinnen gebracht, irgend ein krankhaftes Gebilde zerstört, oder die Natur der Excretionen auf geschworenen Theilen verändert werden soll. Außerdem besitzt der Strom der Batterie noch eine ganz besondere Wirkung auf die Netzhaut. Wenn man ihn auf die Gesichtsmuskeln oder sonst einen mit den Nerven des fünften Paares in Verbindung stehenden Theil anwendet, so wirkt er lebhaft auf das Gesichtsorgan, indem er Funken, Blitze und Flammen hervorbringt, die eine außerordentliche Intensität erhalten können. Diese Erscheinung zeigt sich mit Strömen, welche kaum so stark sind, um beim gesunden Zustand die Gesichtsmuskeln zusammenziehen zu können; sie sind daher zur Behandlung gewisser Lähmungen (Paralysen) dieses Theiles nicht zu brauchen. Ein Kranker war in Folge einer solchen Galvanisirung auf zwei Stunden erblindet, obwohl Hr. Duchenne beim Erscheinen der Flammen fast sogleich den Strom zu appliciren aufhörte. Die inducirten Ströme besitzen Eigenschaften, welche sie von den Batterie-Strömen unterscheiden. Sie sind nothwendig intermittirend; ihre chemische Wirkung ist schwach, und bei ihrem Durchgang durch Organe lassen sie keine erwärmende Wirkung wahrnehmen. Es folgt daraus, daß sie nur da anzuwenden sind, wo man mit einer großen Intensität wirken muß, ohne eine Desorganisation hervorzubringen. Hierin liegt der Vorzug der Apparate, bei welchen der Batteriestrom durch die inducirten Ströme ersetzt ist. Noch mehr verdienen sie den Vorzug zum Elektrisiren der Gesichtsmuskeln, weil sie die oben erwähnte Wirkung der Batterieströme auf die Netzhaut in viel geringerem Grade besitzen. Hr. Duchenne fand auch, daß selbst die inducirten Ströme, wenn sie verschiedenen Ursprungs sind, nicht gleiche Eigenschaften besitzen. Der eine von denselben bewirkt lebhafte Muskel-Contractionen, ist aber von geringer Wirkung auf die Empfindlichkeit der Haut. Dieß ist der inducirte Strom erster Ordnung, welcher in einer von dem Batteriestrom durchströmten Spule in dem Augenblick entsteht, wo man die Kette schließt oder unterbricht; derselbe Strom wird in einer Inductionsspule unter dem Einfluß eines Magnets erzeugt. Wenn endlich unter dem Einfluß eines ersten inducirten Stroms (gleichviel ob galvano-elektrischen oder magneto-elektrischen Ursprungs) in einer zweiten Spule ein inducirter Strom zweiter Ordnung erzeugt wird, so charakterisirt sich dieser durch specielle Wirkung auf die Sensibilität der Haut, welche er so aufregt, daß seine Anwendung bei Personen, deren Haut sehr reizbar ist, unterlassen werden muß. Diese Beobachtungen des Hrn. Duchenne sind für die Wissenschaft gewiß von großem Werthe und sollten bei Anwendung der Elektricität in der Therapie nie außer Auge gelassen werden. Ferner lenkt Hr. Duchenne die Aufmerksamkeit der Aerzte neuerdings auf die Nothwendigkeit, die Stärke der Ströme genau zu messen und nach der Empfindlichkeit der Individuen und der franken Theile zu reguliren. Die Kenntniß der Stromstärke ist von besonderem Interesse, wenn es sich um Vergleichung der relativen Empfindlichkeit verschiedener Muskeln handelt. Mit jedem Apparat, welcher die Stärke des Stroms nicht mißt, läuftlauft man Gefahr eine zu ungestüme oder eine unwirksame Anwendung der Elektricität zu machen. Ganz besondere Aufmerksamkett verdient nach Hrn. Duchenne die Unterbrechung (Intermittenz) der Ströme. Die continuirlichen Ströme finden beinahe keine Anwendung in der Medicin; man bedient sich ihrer nur, wenn man mittelst metallener Leiter eine chemische Reaction oder eine mehr oder weniger starke Ableitung veranlassen will, während man stets die intermittirenden Ströme anwendet, welche die Wirkungen der Contraction und der Sensibilität hervorzubringen geeignet sind. Die Intermittenzen sind in diesem Falle mit größter Aufmerksamkeit zu reguliren. Indem man den Stößen ihre ganze Kraft erhält, müssen sie in beliebigen Zwischenräumen gegeben werden können. Intensive Entladungen, welche zu rasch aufeinander folgen, können durch den Schmerz, welchen sie verursachen, unerträglich und gefährlich werden; und doch werden die Kranken eben so intensive Entladungen geduldig ertragen, wenn sie in gehörigen Zwischenräumen aufeinander folgen. Sehr auffallend zeigt sich dieß bei Kindern und sehr nervösen Personen; ohne große Intervalle müßte man bei ihnen auf die Anwendung der Elektricität verzichten. Hat man nun einen elektrischen Apparat vor sich, so ist, um ihn zu prüfen und zu erfahren, welche Hülfe er zu leisten vermag, zu ermitteln: 1) Ob er verschiedene Arten von Strömen zu unserer Verfügung stellt und welcher Art diese Ströme sind? 2) Ob er die erforderliche Kraft besitzt, um die Muskeln erreichen zu können, welche manchmal tief unter einem starken, mit Fettstoffen infiltrirten oder angefüllten Zellgewebe liegen; ob diese Kraft auch gemäßigt und gehörig gemessen werden kann? 3) Ob die Wirkung eine continuirliche oder intermittirende ist; wie lange die Unterbrechungen dauern und ob sie verzögert oder gehörig beschleunigt werden können? 4) Ob er eine lange Dauer verspricht und bequem anzuwenden ist; und endlich ob er in seiner Anwendung nicht von Seite des Arztes mehr oder weniger lästige Vorsichtsmaßregeln erheischt?