Titel: Ueber die Nothwendigkeit, ein einfaches, im Großen anwendbares Mittel ausfindig zu machen, um das Getreide vor dem Angriff der Kornmotte zu bewahren; von F. E. Guérin-Méneville.
Fundstelle: Band 124, Jahrgang 1852, Nr. LII., S. 229
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LII. Ueber die Nothwendigkeit, ein einfaches, im Großen anwendbares Mittel ausfindig zu machen, um das Getreide vor dem Angriff der Kornmotte zu bewahren; von F. E. Guérin-Méneville. Aus den Comptes rendus, Decbr. 1851, Nr. 23. Ueber Bewahrung des Getreides vor dem Angriff der Kornmotte. In den letzten Sitzungen der Central-Ackerbau-Gesellschaft zn Paris, wurden sehr interessante Bemerkungen der HHrn. Bourgeois, d'Arblay, de Gasparin, Bazin und Anderer mitgetheilt über die Vortheile welche der Ackerbau aus dem Verfahren ziehen würde, das Getreide vor seiner vollkommenen Reife zu schneiden, damit es langsam austrocknen und in Schwaden oder kleinen Haufen seine Reife vollenden kann. Zu diesen, in meinen Augen unbestreitbaren, Vortheilen, von denen ich mich bei mehreren Landwirthen zu überzeugen Gelegenheit hatte, kommt aber höchst wahrscheinlich noch ein anderer, nicht geringerer, nämlich daß bei dieser Methode der Entwickelung der Eier und Larven der Kornmotte Einhalt geschähe. Schon im Jahr 1848 sprach ich in einem vom Cher-Departement aus dem Ministerium für Ackerbau erstatteten Bericht meine Ansicht dahin aus, daß man die Ernten frühzeitig vornehmen und die Garben einige Tage in kleinen Schobern oder Haufen auf dem Felde lassen sollte, weil dieß Einfluß auf die in die Aehren gelegten Keime der Kornmotte haben kann; und ich äußerte den Wunsch, daß Versuche in dieser Hinsicht angestellt werden möchten. Daß das Legen des Getreides in Haufen oder Schwaden von Einfluß auf das Erscheinen der Kornmotte ist, scheinen schon im Jahr 1760 Duhamel und Tillet vermuthet zu haben, denn sie sagen, daß man in Angoumois die Garben, sobald sie gebunden sind, ohne sie in Schwaden zu legen, einführt. Weiter sagen sie, daß in der Picardie die Garben, wenn sie noch feucht in die Scheuer gebracht werden, sich in dem Grade erhitzen, daß der Keim des Samenkorns zerstört wird. Unter diesen Umständen scheint das Insect bei der Erzeugung dieser Temperatur keinen Einfluß zu haben. Wenn dieselbe gemäßigt, nämlich das Getreide, wenn es eingeschlossen wird, schon etwas trocken ist, so entwickeln sich die darin enthaltenen Eier oder jungen Larven, wie das immer in den Gegenden stattfindet, wo die Kornmotte hauset. In dem Fall wo die durch das Einführen zu feuchter Garben erzeugte Temperatur, wie Duhamel und Tillet sagen, so hoch steigt, daß sie den Keim des Korns zerstört, wird sie wahrscheinlich auch denjenigen der Insecten zerstören. Jedenfalls müßte man, wenn diese Bemerkungen richtig sind, das gerade Gegentheil von dem was heutzutage die Ansicht ist, annehmen, nämlich daß die Temperatur-Erhöhung der Garben und der Körner die Ursache der Entwickelung der Insecten ist, nicht aber ihre Wirkung. Ist dieses Princip durch genaue Beobachtungen einmal festgestellt, so erhellet daraus der Nutzen des In-Schwaden- oder Haufen-Legens des Getreides, welches Körner und Stroh hinlänglich austrocknet, daß die zur Entwickelung der darin enthaltenen Eier oder Larven erforderliche Temperatur deren Entwickelung nicht mehr beschleunigen kann. In diesem Falle bleiben die Garben und Körner in Uebereinstimmung mit der Temperatur des Winters und folglich die im Innern derselben enthaltenen Larven bewegungslos und erstarrt, wie wenn sie sich in zu Boden gefallenen und einzeln der äußern Temperatur ausgesetzten Körnern befänden. Es wäre dann höchstens noch das Auskriechen im Frühling zu befürchten, das durch die normale Erhöhung der Temperatur hervorgerufene natürliche Auskriechen. Vielleicht — und die von mir darüber gesammelten Thatsachen berechtigen sehr zu dieser Annahme — werden die in dem vor seiner vollen Reife geschnittenen Getreide enthaltenen Insectenkeime sogar eben dadurch schon getödtet. Denn bekanntlich sind die Lebensbedingungen der Schmarotzerthiere in der Regel mit dem Leben der Pflanzen und Thiere, welche sie angreifen, so innig verknüpft, daß die Schmarotzer, sobald diese Pflanzen oder Thiere getödtet sind, dieselben verlassen oder sterben. Ein Säugethier oder ein Vogel, von einem Jäger erlegt, wird von den zahlreichen, auf ihm lebenden Läusen, Milben etc. sogleich verlassen. Ein Baum, dessen Blätter und junge Triebe von Blatt- und Schildläusen und von Milben (Acariens) überzogen sind, wird von diesen Gästen verlassen, obgleich er noch lange Zeit grün und voll Saft bleibt. Hinsichtlich der Eier und Larven der Kornmotte wird man schwerlich annehmen können, daß sie die Körner, worin sie sich befinden, verlassen; dann ist es aber wahrscheinlich, daß sie darin absterben, wie dieß z. B. mit den Keimen der Erbsenkäfer der Fall ist, welche in den vor ihrer vollen Reife geernteten Erbsen absterben. Mehrere Gemeinden um Paris erhalten, indem sie die Erbsen auf diese Weise einernten, dieselben von Insecten frei, ohne den Grund zu wissen. Auch seit Duhamel und Tillet haben zufällige Thatsachen gezeigt, daß das In-schwadenlegen Einfluß auf die Kornmotten zu haben scheint. Landwirthe, welche sich im Cher-Departement erst ansässig machten und bei ihren Culturen das Verfahren anderer Länder einführten, nämlich das Getreide erst, nachdem es in Schwaden gelegt war, einzuführen, sahen mit Erstaunen, daß ihr Getreide frei von Kornmotten war. Die über diesen Gegenstand noch zu machenden Studien sind nicht leicht und erfordern vollkommen wissenschaftliche Kenntnisse und die uneigennützigste Hingebung. Hat man einmal ein im Großen anwendbares Verfahren zur Vertilgung der Kornmotte ermittelt — durch deren Angriff das Getreide in kurzer Zeit 30 bis 80 Procent an Gewicht verliert — so muß die Anwendung dieses Mittels Jedermann zur Pflicht gemacht werden, weil sonst ein einziger unwissender und widerspänstiger Gutsbesitzer Veranlasser werden könnte, daß die Felder derjenigen, welche das Verfahren anwandten, von der Motte befallen werden. Das schon alte Gesetz des Abraupens ist eine Maaßregel derselben Art und hat, so unvollkommen sie auch seyn mag, doch ohne Zweifel Nutzen gestiftet. Dadurch daß wir die Pflanzen vor den Anfällen der Insecten schützen, sorgen wir zugleich für Brod und für Fleisch, denn ohne Pflanzen gibt es keine Thiere, deren Fleisch nur durch die Verarbeitung der Pflanzensubstanzen gebildet werden kann. Der unsterbliche Linné sagte schon: „Ein Thier ist, so zu sagen, nur ein von der Hand des Allmächtigen zur Befriedigung unserer Bedürfnisse und unseres Appetits bereitetes Gemüse.“