Titel: Ueber die Untersuchungen des Hrn. Chatin hinsichtlich der Verbreitung des Jods; Bericht von Hrn. Bussy.
Fundstelle: Band 127, Jahrgang 1853, Nr. XLV., S. 215
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XLV. Ueber die Untersuchungen des Hrn. Chatin hinsichtlich der Verbreitung des Jods; Bericht von Hrn. Bussy. Aus dem Journal de Pharmacie, Novbr. 1852, S. 364. Chatin, Untersuchungen über die Verbreitung des Jods. Seit der Entdeckung des Jods im J. 1811 durch Courtois bis zur ersten Arbeit des Hrn. Chatin vom J. 1850 wurde dieser einfache Körper nur in einigen wenigen Naturproducten nachgewiesen. Zuerst zeigte Davy, daß das Jod in mehreren Seefucusarten vorkommt; später, nachdem Colin und Gaultier de Claubry die eigenthümliche Einwirkung des Jods auf das Stärkmehl entdeckt hatten, machte es die Empfindlichkeit dieses neuen Reagens möglich, die Nachforschungen auf Jod weiter auszudehnen. Angelini und Cantu wiesen nun das Jod in mehreren mineralischen Schwefelwässern nach. Letzterm Chemiker gelang es, dasselbe im Schweiß, im Speichel und im Harn der mit Jod behandelten Kranken aufzufinden; Balard entdeckte es in mehreren Mollusken und Polypen des Meeres; Vauquelin in einem mexicanischen Silbererze; del Rio im Hornsilber von Temoroso; Yniestra und Bustamente im Weißbleierz von Catorce. Dessenungeachtet mußte man das Jod für einen der in der Natur mindest verbreiteten Körper halten, bis Hr. Chatin in einer der franz. Akademie der Wissenschaften am 25. März 1850 eingereichten Abhandlung zeigte, daß dieser Körper in allen Wassergewächsen in bestimmbarer Menge enthalten sey; seitdem setzte er seine Untersuchungen fort und sah dieselben mit neuen Erfolgen gekrönt. Vorkommen des Jods in den süßen Wässern, in den Landpflanzen und Landthieren. – Nachdem Hr. Chatin das Jod in den Wassergewächsen nachgewiesen hatte, untersuchte er (im Jahr 1850) auch die den Pflanzen sich am meisten annähernden Thierspecies, die Alcyonellen, Spongillen (Süßwasserschwämme); dann zu höhern Organismen aufsteigend, die Muscheln, Schlammschnecken, Scheibenschnecken, Blutegel, Süßwasser-Steuerkrabben, Krebse, Trompetenschnecken, Salamander, Frösche und verschiedene Fische, und fand in allen Jod. Ich überzeugte mich, indem ich das von Hrn. Chatin angegebene Verfahren befolgte, von mehreren dieser Resultate und namentlich von dem Vorkommen des Jods im Gründling (Cyprinus Gobio) aus der Seine. Bald darauf wies Hr. Chatin das Jod in den meisten Süßwässern nach; er untersuchte über 300 Proben Wasser aus den vorzüglichsten Flüssen, Quellen und Brunnen, die durch ihre geographische oder geologische Lage einiges Interesse darbieten konnten. Die Resultate dieser Versuche sind in einer Tabelle zusammengestellt, woraus man ersieht, daß beinahe alle diese Wässer Jod lieferten, mit Ausnahme von nur 20, also ungefähr 7 Procent. Das Vorkommen des Jods im Wasser wäre sonach eine allgemeine Erscheinung, wovon es nur wenige Ausnahmen gibt. Ich mußte mich begnügen den Jodgehalt des Seinewassers zu constatiren, welches oberhalb Paris, fern von allen Zufälligkeiten, die es verunreinigen könnten, geschöpft wurde. Hierauf zu den Landgeschöpfen übergehend, welche sich ohne beständige Berührung mit Wasser entwickeln, entdeckte Hr. Chatin auch in diesen das Jod, wodurch seine ersten Resultate eine Ausdehnung und Allgemeinheit erlangten, welche er beim Beginn seiner Arbeiten keineswegs erwarten konnte. Alle von ihm untersuchten Landpflanzen, mehr als 100, enthalten Jod; dahin gehören Hülsengewächse und Futterkräuter, Zierpflanzen unserer Gärten, Arzneigewächse etc. Ich habe mich von der Genauigkeit dieser Resultate beim Glaskraut (Parietaria), beim Borretsch und mehreren andern Pflanzen aus der Umgegend von Paris überzeugt; auch in der Asche des Holzes, welches man in Paris zum Heizen der Wohnungen anwendet, fand ich Jod. Die käufliche Potasche, welche man durch Auslaugen der Pflanzenasche gewinnt, enthält immer Jod. Daraus muß man schließen, daß das Jod in vielen chemischen Präparaten enthalten seyn wird, zu deren Darstellung man Potasche angewendet hat. Die interessante Frage, ob die Pflanzengebilde, welche früheren geologischen Epochen angehörten, ebenfalls Jod enthalten, beantwortete sich bejahend. In den Destillationsproducten der Steinkohle war das Jod zwar schon nachgewiesen worden; Hr. Chatin fand dasselbe aber auch in ihrer Asche, deßgleichen im Anthracit und selbst im Graphit. Nun an den eigentlichen Mineralstoffen angelangt, constatirte Hr. Chatin die Gegenwart des Jods in den meisten Eisenerzen und in der Ackererde; er entdeckte das Jod sogar in vielen einfachen Körpern, welche man als rein zu betrachten pflegt, z.B. im Schwefel, Eisen und Kupfer, welche im Handel vorkommen. Die Nachweisung des Jods in diesen Körpern ist höchst einfach; man braucht z.B. hinsichtlich des Kupfers nur Kupferspäne in einem Porzellanschälchen mit Wasser zum Kochen zu bringen, welches 1 Tausendstel vollkommen reinen Aetzkalis enthält, oder die Kalilösung unmittelbar in einem vollkommen blanken Kupferschälchen zum Sieden zu erhitzen. Nachdem das Sieden eine gewisse Zeit gedauert hat, enthält die Flüssigkeit Jod, dessen Vorhandenseyn durch eine geeignete Behandlung nachgewiesen werden kann; wenn man denselben Versuch in einer Porzellanschale mit derselben Kalilösung, aber ohne Kupfer, wiederholt, so erhält man kein Jod. Ueber das Vorhandenseyn von Jod in der Luft und die Einathmung desselben. – Um die Gegenwart von Jod in der Atmosphäre nachzuweisen, leitet Hr. Chatin eine bestimmte Menge Luft in einen Apparat, bestehend aus einer Anzahl Liebig'scher Waschröhren (wie sie zum Sammeln und Verdichten der Kohlensäure bei organischen Analysen angewandt werden). In diese Röhren bringt er eine schwache Lösung von reinem Aetzkali, damit diese das Jod zurückhält; das eine Ende des Apparats ist mit einem Aspirator verbunden; das andere, frei bleibende, dient zum Einströmen der Luft, welche durch die verschiedenen Röhren zieht, worin sie das etwa in ihr enthaltene Jod abgibt. Auf diese Weise konnte Hr. Chatin bei Anwendung von 2000 bis 8000 Litern Luft die Gegenwart des Jods erkennen. Bei eilf vom 15. Febr. bis zum 4. Mai 1851 in Paris unter verschiedenen Umständen angestellten Versuchen fand er zwischen 1/50 und 1/250 Milligramm Jod in 4000 Litern Luft. Es gibt aber ein einfacheres Mittel, um die Gegenwart des Jods in der atmosphärischen Luft nachzuweisen, welches vorstehende Apparate und Manipulationen überflüssig macht, nämlich die Aufsuchung desselben im Regenwasser, worin es sich in wägbarer Menge findet. Bei seinen Versuchen mit Regenwasser fand Hr. Chatin 1/5 bis 1/2 Milligr. Jod in 10 Litern. Dieses sehr interessante Resultat fand ich in vollem Maaße bestätigt. Ein in den Regenmessern (Hyetometern) des Pariser Observatoriums aufgefangenes Liter Regenwasser wurde mit 1 Decigramm vollkommen reinen kohlensauren Kalis abgedampft; der bis zur Zersetzung einer kleinen Menge vorhandener organischer Substanz erhitzte Rückstand, in Alkohol aufgelöst, gab sichere Anzeichen der Gegenwart von Jod. Welches nun der Ursprung dieses Jods ist, ob es sich in der Atmosphäre in Dunstgestalt, oder nur zufällig als ein Bestandtheil der stets in der Luft schwebenden staubförmigen organischen Körperchen befindet; diese wichtige Frage suchte Hr. Chatin auf inductivem Wege zu lösen. Unseres Dafürhaltens kann aber nur das Experiment darüber entscheiden. Aufsuchung des Jods in der Luft, den Wässern, dem Boden und den Nahrungsproducten der französischen Alpen und Piemonts. – Die Hauptpunkte, wo die Luft von Hrn. Chatin (im Jahr 1851) untersucht wurde, sind Moustiers, Aoste, Turin, Genua, Alessandria, St.-Jean-de-Maurienne, Aiguebelle, Lyon, Tullins, Villars-de-Lans, Vaulnavays, Grenoble, Allevard, Bourg-St.-Maurice, klein St.-Bernhard, Mont Cenis etc. Die Beobachtungen wurden von ihm in Tabellen mit Angabe der meteorologischen und topographischen Umstände zusammengestellt. Er zieht aus denselben den Schluß, daß die an den erwähnten Orten analysirte Luft kein oder doch weniger Jod enthält als die Pariser Atmosphäre, welche nach demselben Verfahren und unter gleichen Umständen analysirt wurde. Bei den Quell- und Brunnenwässern hängt der Jodgehalt hauptsächlich von der Beschaffenheit des Bodens ab, welchen sie durchziehen; man findet daher in dieser Hinsicht selbst an solchen Orten, die einander sehr nahe liegen, oft auffallende Verschiedenheiten. Als merkwürdig erwähnt Hr. Chatin, daß in Lans-de-Bourg, einem Dorfe im Maurienne-Thale, in welches man vom Mont Cenis herabkömmt, die Wässer beinahe so stark jodhaltig sind, als die besten Pariser Wässer, obwohl alle übrigen in der Umgebung es in sehr geringem Grade sind. In der Regel enthalten die Wässer desto weniger Jod, je härter sie sind, d.h. je mehr Gyps sie enthalten; so findet man in den Pariser Brunnenwässer gar kein Jod. Doch kömmt es auch vor, daß sehr reine Wässer ebenfalls kein Jod enthalten, was bei vielen Gießbächen und Flüssen in den höhern Theilen der Alpen der Fall ist; sie sind jodfrei, obwohl sie fast gar keine Kalksalze enthalten, z.B. das Drac-Wasser bei Grenoble, das Furonwasser bei Sassenage, das Wasser der Bourne und des Vernaison bei Pont-en-Royans im Isère-Depart. u.s.w. Jod im Erdreich. – In einer besondern Abhandlung untersucht Hr. Chatin vergleichend den Jodgehalt des Bodens und kömmt zu dem Schlusse, daß, während von der Erde aus den Feldern bei Paris 1–2 Gramme hinreichen, um die Gegenwart von Jod nachzuweisen, von den Thonboden zu Bresse oder in der Umgegend von Bourgoin, Grenoble, Chambéry schon das doppelte Gewicht erforderlich ist, um ein solches Resultat zu erhalten; von der leichten, schwarzen, auf dem Liasschiefer liegenden Erde zu Tarentaise, Maurienne und Val-Aoste aber das vier- bis zehnfache Gewicht. Wie man sieht, fehlt das Jod in den besprochenen Alpengegenden nicht ganz; nur findet es sich in geringerm Verhältniß als in dem Erdreich von Paris, oder richtiger, aus einem gleichen Gewicht Erde bekommt man eine geringere Menge Jod. Hr. Chatin macht überdieß darauf aufmerksam, daß die Temperatur des Wassers, welches auf die jodhaltigen Gebirgsarten einwirkt und der Aggregatzustand dieser letztern auf das Verhältniß des daraus erhaltenen Jods von großem Einfluß sind; daher enthält auch das vom Schmelzen des Schnees herrührende kalte Wasser, welches die hohen Berggipfel auswäscht, unter übrigens gleichen Umständen weniger Jod, während die Thermalwässer und besonders die alkalischen Wässer, in der Regel mehr Jod enthalten als das gewöhnliche Wasser. Kropf und Cretinismus. – Läßt sich, fragt Hr. Chatin, wenn man die Summe des in der Luft, im Wasser, im Boden und in den Nahrungsproducten vertheilten Jods kennt, nachweisen, daß ein großer Jodgehalt mit gänzlicher Abwesenheit von Kropf und Cretinismus zusammentrifft, und daß eine progressive Abnahme des Jodgehalts einer verhältnißmäßigen Entwickelung dieser Krankheiten entspricht? Hr. Chatin beantwortet diese Frage bejahend; er glaubt, daß Kropf und Cretinismus nothwendig der Abwesenheit von Jod zugeschrieben werden müssen, obschon er den Einfluß der allgemeinen Gesundheits-Bedingungen bei Erzeugung dieser beiden Krankheiten zugibt. Wir werden seinen Erörterungen hierüber nicht folgen. Der heilsame Einfluß des Jods und seiner Präparate bei diesen Krankheiten ist unbestreitbar, aber die Thatsachen, auf welche Hr. Chatin seine Theorie stützt, sind nicht so zahlreich und entscheidend, daß man schon jetzt ein Urtheil über diesen Gegenstand fällen könnte. Der außerordentlich kleine Jodgehalt der Atmosphäre und die Ungewißheit über die Art wie es in derselben vorkommt oder mit anderen Substanzen verbunden ist, berechtigen zu bezweifeln, daß das Jod die ihm zugeschriebene Wichtigkeit hinsichtlich jener Krankheiten hat. Diese Unsicherheit beeinträchtigt jedoch keineswegs die allgemeinen und wesentlichen Schlüsse aus den Untersuchungen des Hrn. Chatin, nämlich die außerordentliche Verbreitung des Jods in der organischen und anorganischen Natur. Man verdankt Hrn. Chatin die Kenntniß der wichtigen, unbestreitbaren Thatsache, daß das Jod auf dem ganzen Erdball verbreitet ist, im Wasser, in der Ackererde, in vielen Erzen, in den organischen Substanzen. Während er seine mühsamen Untersuchungen verfolgte, wurden seine Resultate schon durch Beobachtungen anderer Chemiker bestätigt; Hr. Personne entdeckte das Jod in der Jungermannia pinguis Lin.; gleichzeitig fand es Hr. Meyrac in mehreren Oscillarien des Thermalwassers zu Dax.