Titel: Ueber mehrere chemische Processe, welche auf die Gesundheit bevölkerter Städte von Einfluß sind; von Prof. Chevreul.
Fundstelle: Band 128, Jahrgang 1853, Nr. XCII., S. 377
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XCII. Ueber mehrere chemische Processe, welche auf die Gesundheit bevölkerter Städte von Einfluß sind; von Prof. Chevreul. Aus den Comptes rendus, März 1853, Nr 13. Chevreul, über chemische Processe im Boden bevölkerter Städte. Unter obigem Titel überreichte der Verfasser im Jahr 1846 der französischen Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung, deren Hauptzweck ist: darzuthun, daß die Ungesundheit des Bodens stark bevölkerter Städte von organischen Materien herrührt, welche in denselben einsickern und darin verbleiben, daher man, um ihr zu begegnen, diese Einsickerung verhindern, oder wenn sie stattfindet, das Verweilen einer und derselben organischen Materie im Boden möglichst abkürzen muß. a. Diese organische Materie kann aus dem Boden herausgeschafft werden durch Auswaschen desselben per descensum, wie mittelst des Regenwassers oder des Wassers von Quellen welche höher als die Stadt liegen und in deren Umkreis gehörig vertheilt sind. b. Wenn das Auswaschwasser nicht durch Waschungen per descensum von dem bewohnten Boden weggezogen werden kann, dienen in diesem Boden angebrachte Schächte (tiefe Gruben), durch welche es abzieht, sofern dieselben fleißig geleert werden, als Gesundheits-Vorrichtungen. c. Der Sauerstoff der Atmosphäre ist wegen seines Bestrebens, die organische Materie durch eine langsame Verbrennung in Wasser, Kohlensäure und Stickstoff zu zersetzen, als ein gesundmachendes Agens zu betrachten. Sein Bestreben die organische Materie zu zerstören, wird durch Erhöhung der Erdwärme, durch den Einfluß des Sonnenlichts und durch die Gegenwart eines Alkalis gesteigert. d. Die Bäume, indem sie durch ihre Wurzeln Wasser aus dem Boden saugen, entziehen demselben organische Materie und sind in dieser Beziehung natürliche Salubritäts-Werkzeuge; damit sie aber leben können, müssen ihre Wurzeln sich in einem Boden befinden, in welchem Luft zutreten kann; folglich werden sie, wo diese Bedingung nicht erfüllt ist, überall zu Grunde gehen. Kurz alle Mittel, welche 1) dem Boden Wasser zuführen, um seine organische Materie hinwegzuführen, 2) ihm atmosphärischen Sauerstoff zubringen, um die organische Materie zu verbrennen, befördern die Gesundheit; folglich müssen alle Umstände, welche 1) dem Boden organische Materien zuführen, und welche 2) den Sauerstoff der Atmosphäre verzehren, bevor derselbe auf die organische Materie wirken konnte, für die Gesundheit nachtheilig seyn. Diesen Ansichten entsprechend, untersucht Hr. Chevreul in seiner Abhandlung 1) den Einfluß des Straßenpflasters auf die Gesundheit des Bodens, insofern dasselbe das unmittelbare Eindringen des Regens in den Boden verhindert; 2) den Einfluß des durch die Gußsteine in die Gossen gelangenden Wassers; 3) den Einfluß der Luftcirculation, welche Wasser in den unteren Bodenschichten an die Oberfläche desselben Bodens, oder das Wasser im Grunde eines Gebäudes in die Mauern des Erdgeschosses hinaufsteigen macht; 4) den Einfluß des Sonnenlichts auf die organische Materie; 5) den Einfluß der brenzlichen Stoffe, welche nach ihrer Verdichtung in den Gasleitungsröhren sich dem Erdreich beimengen; 6) endlich das Bestreben des schwefelsauren Kalks und der organischen Materie ein Schwefelalkali zu erzeugen, welches sich noch vor der organischen Materie des Sauerstoffs der Luft bemächtigt. Zu seiner Abhandlung schickte der Verfasser später fünf Nachträge ein. Der erste handelt von der schwarzen Substanz, welche sich unter und zwischen den Pflastersteinen von Paris befindet. Dieselbe rührt von dem Eisen her, welches sich durch die Reibung von den Wagenrädern und den Hufeisen der Pferde ablöst; es wird anfangs durch eine spätere Reibung und hernach durch das Regenwasser von der Oberfläche der Straßen zwischen und unter die Pflastersteine geführt. In diesem zertheilten Zustand ist das Eisen sehr oxydirbar; es geht zuerst unter dem Einfluß der Luft und des Wassers in das magnetische Oxydul-Oxyd und hernach ganz in Oxyd über. Eisen, welches mit Gypsstein (woraus das Pariser Pflaster besteht) in einer luftdicht verschlossenen Flasche in Berührung blieb, hatte sich nach sieben Jahren in schwarzes magnetisches Oxyd umgewandelt; es bildete sich ein wenig Ammoniak. Dagegen besteht unter einigen Straßen die schwarze Substanz aus Schwefeleisen, welches offenbar dadurch entstand, daß das anfänglich gebildete Eisenoxyd mit Schwefelcalcium oder einem sonstigen auflöslichen Sulfurid in Berührung kam. Jedenfalls bildet diese eisenhaltige Substanz eine sehr verbrennliche Schicht, welche den Sauerstoff der in den Boden eindringenden Luft an sich zu ziehen sucht und dadurch die wohlthätige Wirkung desselben verhindert. Der zweite Nachtrag handelt von der Nothwendigkeit eines ununterbrochenen Wasserstroms zur Gesundmachung der Gossen. Der dritte bezieht sich auf den Gehalt des natürlichen Wassers des Pariser Bassins und des Wassers der artesischen Brunnen der Stadt Tours an festen Bestandtheilen. Der vierte ist der Theorie der Trockenlegung durch Röhren (Drainage) gewidmet. Das Wasser kann offenbar durch die Röhren nicht ablaufen, ohne Luft in den Boden zu ziehen; die Drainage bezweckt also nicht nur, den Boden auszutrocknen, sondern befördert auch die Circulation der Luft in der oberhalb der Röhren befindlichen Erdschicht. Der letzte Nachtrag bespricht die Desinficirung der festen Excremente vom landwirthschaftlichen Gesichtspunkte aus.