Titel: Ueber den sogenannten Griff der Seide; von Ph. David, Seidenfärber aus Basel.
Fundstelle: Band 140, Jahrgang 1856, Nr. LXV., S. 294
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LXV. Ueber den sogenannten Griff der Seide; von Ph. David, Seidenfärber aus Basel. Aus der schweizerischen polytechn. Zeitschrift, 1856, Bd. I S. 13. David, über den sogenannten Griff der Seide. Das Rauschen der seidenen Gewänder, überhaupt Stoffe, ist eine längst bekannte Thatsache, und man benennt dieses leise knisternde Geräusch wohl auch mit dem technischen Ausdruck „Griff“ und die Seide alsdann selbst griffig oder krachend, französisch soie craquante. Die Erscheinung dieses Griffs oder dieses Krachens der Seide, so allgemein bekannt es auch sonst seyn mag, war aber gleichwohl eine sonst wenig aufgeklärte Thatsache. Bald nahm man allgemein an, daß ohne Unterschied alle und jede Seide ganz ohne Weiteres (als wie von selbst) krache und krachen müsse, und nannte dieses dann kurzweg das „der Seide eigene oder eigenthümliche“ Knistern oder das „ihr eigene“ krachende Gefühl. Oder, wenn aber Erklärungen versucht wurden oder versucht werden wollten, so gerieth man oft, die technische Praxis ganz außer Augen lassend, auf die ganz absurdesten Dinge. So wurde der Griff einer in und auf der Seide vor sich gehenden Krystallisation früher angewandter Substanzen zugeschrieben, allein mit dieser auf den ersten Augenblick ganz gefällig aussehenden Erklärung konnte man nicht durchdringen, weil eben dieselbe gerade durch die bezügliche Färberpraxis, wie auch sonst, nicht weiter belegt und begründet werden konnte. Denn wenn einmal angenommen wird daß zum Färben angewandte Substanzen (zunächst Salze) in und auf einer Faser krystallisiren könnten, so müßte mit derselben Möglichkeit und mit ganz gleichem Erfolg dieser Fall auch bei anderen Fasern eintreten. Man kann aber Wolle, Baumwolle oder Leinen behandeln wie man will und mit den gleichen Substanzen und in ganz gleichen Bädern wie die Seide, so kracht doch immerhin nur diese letztere; die anderen Fasern, in denen ja dann auch Krystallisationen vor sich gehen könnten, krachen gleichwohl nicht. ES krachen bei der Seide zum öftern auch solche Farben, zu deren Erzeugung gar keine krystallisirbaren Substanzen angewandt wurden, z.B. nach Bädern in verschiedenen nicht krystallisirbaren Säuren, wie nach Schwefelsäure oder Salzsäure. Der Verfasser hatte langjährige Gelegenheit sich über den erwähnten Vorgang eine eigene Meinung zu bilden, von welcher das Wesentliche in folgenden Sätzen enthalten ist. 1) Vor allen Dingen ist der Griff der Seide nicht von vornherein schon wie angeboren, denn die rohe Seide kracht, so wie sie im Handel vorkömmt, noch nicht. 2) Durch die Zubereitung zum Färben wird die Seide ebenfalls noch nicht krachend, denn weder das Abkochen, noch das Soupliren, noch das Bleichen (wenn sie roh gefärbt werden soll) bewirkt für sich schon einen Griff, sondern 3) die Seide kracht erst nach dem Färben, und hier ist es ferner nicht die Farbe, d.h. der Farbstoff, welcher das genannte Resultat herbeiführt, sondern für den Griff ist entscheidend der allgemeine Charakter des letzten (unter Umständen auch des vorletzten) Bades, auf dem die Seide steht, sey dieses Bad nun ein eigentliches Färbebad oder eine bloße Avivage. Und zwar läßt sich leicht nachweisen daß die Seide allemal krachend wird, wenn das letzte (manchmal auch das vorletzte) Bad eine freie Säure oder ein saures Salz (aufgelöst) enthält; daß die Seide aber nicht krachend wird, wenn das letzte Bad bloß neutrale Salze enthielt, oder wenn sich gar im weiteren Verlauf der Operation (z.B. durch Waschen) basische Salze in und auf der Seide gebildet haben, oder wenn auch ferner die Seide von einem alkalischen oder einem starken Seifenbade kömmt, vorausgesetzt daß diesen Bädern nicht etwa ein Säurebad vorausging. Die Ursache des Griffs ist also zurückzuführen auf die Einwirkung einer Säure (oder eines sauren Salzes) auf den Seidenfaden. Der Seidenfaden, so wie er ursprünglich von der Raupe kommt, ist aber seiner chemischen Zusammensetzung nach nicht ein einzelner vollkommen in sich gleicher, homogener Stoff, sondern derselbe ist gebildet aus der reinen Seidensubstanz (Fibrin), dem Eiweiß, Gallerte (früher Leim oder Gummi genannt), etwas Wachs, Fett und Harz und vorkommenden Falls (gelbem) Farbstoff. Auf welche dieser Stoffe findet nun die Säure-Einwirkung, welche den Griff hervorbringt, statt? – 1) Die Seide, wenn sie zum Färben vorgerichtet werden soll, verliert fast durchweg von ihren Bestandtheilen, und zwar, je nachdem sie behandelt wird, bald mehr, bald weniger. Soll Seide als roh gefärbt werden und erfordert sie zu diesem Zweck bloß ein Bleichen, so geht durch dieses nur der Farbstoff, sonst nichts verloren. Soll 2) Seide souplirt werden, so verliert sie schon mehr, nämlich die Bestandtheile von Harz, Fett, Wachs und, sofern sie gebleicht wurde, auch ihren Farbstoff. – Zurück bleiben wesentlich: die reine Seidensubstanz, Eiweiß und Gallertstoff. Und wird 3) Seide gar abgekocht, so verliert dieselbe noch mehr, nämlich außer Obigem auch noch den Gallertstoff, und zurück bleibt: der Hauptsache nach bloß die reine Seidensubstanz mit dem Eiweiß. Die abgekochte, bloß noch die reine Seidensubstanz mit dem Eiweiß enthaltende Seide läßt sich auf die früher genannte Weise in der That leicht, ja fast am leichtesten griffig machen, und so folgt dann daraus, daß der Griff durch eine Säure-Einwirkung auf die reine Seidensubstanz oder – das Eiweiß entstehe. Und sehr wahrscheinlich geschieht das letztere. Genaue, eigentlich nur auf diese Frage gerichtete Untersuchungen sind bis dahin, unseres Wissens, noch nicht gemacht worden, doch dürfte in der That die zuletzt berührte Annahme Manches für sich haben. Es würde zu weit führen, wollten wir die einzelnen Fälle aufzählen, an welchen sich die obige Erklärungsweise bewahrheitet; diese zu kennen, ist übrigens für den Seidenfärber wichtig genug. Wir verweisen in Betreff der Verfahrungsarten, Seide von den unterschiedlichsten Farben griffig zu machen, auf des Verfassers Handbuch der Seidenfärberei. (Aarau, Verlag von A. R. Sauerländer, 1855.)