Titel: Der Krupp'sche Gußstahl als Geschützmetall.
Fundstelle: Band 145, Jahrgang 1857, Nr. LXXXVII., S. 363
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LXXXVII. Der Krupp'sche Gußstahl als Geschützmetall. Aus der Beilage zu Nr. 212 der Allg. Zeitung vom 31. Juli 1857. Ueber den Krupp'sche Gußstahl als Geschützmetall. Seit Jahren wurde, wie bekannt, für und gegen den Krupp'schen Gußstahl (eine Erfindung des Hrn. Alfred Krupp, Besitzers der Fabrik „Friedrich Krupp zu Essen a. d. Ruhr) auf den Artillerie-Schießstätten wie in der deutschen Presse gekämpft. Das neue Material hatte in der Bronze einen Gegner von so uraltem gutem Nuf, und in dem Gußeisen einen durch seinen niedrigen Preis so gefährlichen Concurrenten, daß die Entscheidung des Kampfes jahrelang geschwankt hat. Das erste Geschütz, welches Hr. Alfred Krupp der deutschen Artillerie (1849) zur Disposition stellte, war ein kleiner Dreipfünder, der auch im Jahre 1852 in Berlin einer allseitigen Prüfung unterworfen wurde. Die erste Aufnahme der neuen Erfindung in der Artillerie war nichts weniger als sehr günstig. In der That würde eine Gußstahlfabrication die keine größern Massen als Dreipfünderrohre zu erzeugen im Stande wäre, für die Artillerie ohne alle Bedeutung seyn. Der Dreipfünder ist bereits kein Feldgeschütz mehr, und auch der Sechspfünder ein nur noch überkommenes, den Bedürfnissen der Gegenwart nicht mehr entsprechendes Artillerie-Feldkaliber. Hr. Alfred Krupp strebte, trotz der Warnung nicht Mühe und Geld an eine undankbare Aufgabe zu verschwenden, unermüdlich mit der zähen Beharrlichkeit des Deutschen allen Forderungen der Artillerie zu entsprechen. Auch fand von anderer Seite der Krupp'sche Gußstahl eine hoffnungsvollere Beurtheilung. Der Commandeur der braunschweig'schen Artillerie veröffentlichte seinerseits im polytechnischen Journal 1852, Bd. CXXIII S. 191 die mit dem ersten Krupp'schen Gußstahlgeschütz angestellten Versuche, und äußerte sich auf das günstigste über das Fabricat. Im Jahre 1854 stellte derselbe selbst Versuche mit einem zwölfpfündigen Granatkanon von Krupp'schem Gußstahl an, die im polytechnischen Journal Bd. CXXXIII S. 369 veröffentlicht sind, und sprach sich in Nr. 243 des Jahres 1854 der Allg. Ztg. entschieden zu Gunsten des Gußstahls aus. Es heißt dort: „Ich stehe daher, auf Grund der angestellten Versuche, nicht an zu behaupten, daß die aus westphälischen Erzen gewonnenen Krupp'schen Gußstahlrohre mehr leisten als bis jetzt die besten Bronzerohre, daß ihre Einführung in die deutschen Feldartillerien den größten Vortheil gewähren, ihre Aufnahme in die Festungs- und Belagerungsartillerie, so wie auch vorzüglich bei den Pivot-Schiffsgeschützen von großem Nutzen seyn, namentlich aber auch dazu dienen würde der deutschen Eisenindustrie Millionen zuzuwenden (die deutschen eisernen Geschütze wurden bisher von Finsponz, Aker und Lüttich bezogen), und uns in Beziehung eines wichtigen Kriegsbedürfnisses unabhängig vom Auslande zu machen.“ Der Krupp'sche Gußstahl wurde darauf ein Gegenstand der Untersuchung für viele Artillerien. Wie in Braunschweig, so in Hannover, in Augsburg, in Vincennes wie in Woolwich, wurde auf den Schießstätten und in den Laboratorien für und gegen die Erfindung des deutschen Fabrikanten probirt und polemisirt. Selbst das auf seine Eisen- und Stahlindustrie so stolze England konnte nicht umhin von dem deutschen Product Notiz zu nehmen, und war glücklich als es durch unsinnig angestellte Versuche an einem 60 Centner (!) schweren Lancaster-Kanon angeblich nachgewiesen hatte, daß der fremde Gußstahl dem über ihn von Seite der braunschweigischen Artillerie gefällten überaus günstigen Urtheil keineswegs entspreche. In Frankreich theilte man diese Ansicht nicht, denn in Vincennes wurden die Versuche ununterbrochen fortgesetzt. Dieser Tage erhielten wir einen aus Braunschweig vom 23 Juli datirten Brief, worin uns Oberst Orges Nachstehendes mittheilt: „So eben wird mir die freudige Kunde, daß die französische Regierung durch Vermittlung des Generals Morin mit Hrn. Alfred Krupp eine Lieferung von 300 Stück zwölfpfündiger Kanon-Haubitzenrohre von Gußstahl abgeschlossen hat. Der Sieg der deutschen Erfindung ist damit entschieden, mein über dieselbe ausgesprochenes Urtheil bestätigt, und die englische, auf ganz unzureichende und fehlerhaft angestellte Erfahrungen begründete Ansicht glänzend widerlegt. Die Größe der Lieferung scheint mir zu beweisen, daß die Vincenner Versuche beendigt sind, und der Ausfall derselben als ein allgemein gültiger betrachtet wird. Der letzte Bericht der vom französischen Kriegsministerium zum Zweck der Untersuchung des Krupp'schen Gußstahls ernannten Commission ist vom 10 Juni, und von Vincennes datirt. Es waren zwei Zwölfpfünder-Kanon-Haubitzröhre, Napoleonischer Construction, welche geprüft worden waren, und sagt darüber der vidimirte Bericht Folgendes: Aus jedem dieser Geschütze sind 3000 Schüsse mit gewöhnlicher Feldladung (1,400 Kilos) geschehen, ohne daß irgend eine wahrnehmbare Veränderung in der Seele sich gezeigt hätte, in welcher sich sogar noch die Spuren der Bohrkreise erhalten hatten. Die Zündlochstellen von rothem (geschmiedetem) Kupfer haben ebenfalls vollkommen widerstanden. Wenn gleich der Zündlochcanal sich erweitert hat, so ist derselbe doch noch brauchbar. Der Bestimmung zufolge wurde darauf eines der Rohre auf 100 Meter Entfernung mittelst eines Feldzwölfpfünders mit Feldladung (1,958 Kilos) beschossen. Der erste Schuß, direct auf die Mündung gerichtet, sprengte einen Theil der Verstärkung des Kopfes ad, und brachte eine Verengung der Mündung hervor, die ein ferneres Einbringen der Kugel verhinderte. Auf ein Bronzegeschütz würde die Wirkung dieselbe gewesen seyn. Eine zweite Kugel traf das Rohr an gleicher Stelle, vergrößerte die frühere Wirkung, bewirkte tiefe unregelmäßige Risse von der Verstärkung des Kopfes bis zum Halsband. Das Rohr wurde darauf so gelegt, daß einer der Schildzapfen vertical stand. Ein Schuß darauf schlug ihn ab, wie er es bei einem bronzenen Schildzapfen gethan haben würde. Es geschahen darauf fünf Schüsse gegen das Langefeld, die entsprechende Eindrücke in der Seele hervorbrachten. Die Geschosse drangen bis zur Hälfte ihrer Stärke in das Metall ein, wodurch eine Zähigkeit desselben bewiesen wurde, wie sie sicher kein gußeisernes Geschütz gezeigt hätte. Die durch die Schüsse herbeigeführten Risse trennten allmählich das Geschütz. Der Bruch zeigte überall ein feines gleichartiges Korn, im allgemeinen zuckerähnlich wie Gußeisen, aber die Zerreißungsflächen bewiesen gleichzeitig eine Zähigkeit wie die der Bronze.“ „Es wurde darauf mit dem andern Rohr zur Gewaltprobe geschritten, und aus demselben, welches schon 3000 Schuß ausgehalten hatte, 20 Schuß mit 3 Kilos Ladung und 2 Kugeln, 10    „       „ 3     „         „       „ 3     „   5    „       „ 6     „         „       „ 6     „ gethan. – Die Commission erklärt, glücklich zu seyn, daß sie den Befehl erhielt, die Versuche, denen sicher kein anderes Geschützmetall widerstanden haben würde, nicht weiter zu treiben, denn es wäre schade ein solches Geschütz bis zum Sprengen, wie es im Programm vorgeschrieben, zu Probiren.“ „Die Commission bemerkt darauf, daß die bei diesen Versuchen gebrauchten verstärkten 8 Pfünder-Laffetten, selbst wenn sie ganz neu, sich nicht als hinreichend haltbar erwiesen haben.“ „Das Schlußgutachten der Commission lautet wörtlich: „In Betracht der so auffallenden Resultate, welche man bei der Untersuchung der oben bezeichneten Rohre gewonnen, ist die Commission der Ansicht, daß der Gußstahl besondere Berücksichtigung als Kanonenmetall verdient. Eine neue Aera scheint für die Artillerie zu beginnen, da sie bald gezogene Stücke nothwendig haben wird, um den Fortschritten der Infanterie folgen zu können. Es ist aber voraussichtlich, daß Züge in Bronze sich rasch durch die starke Reibung abnutzen werden. Die in Gußstahl dürften dagegen unversehrt bleiben; man darf das wenigstens schließen, da die Seelen der bezüglichen Geschütze nach 3055 Schuß keine wahrnehmbare Veränderung zeigten.“ „Der durch die Commission untersuchte Gußstahl vereinigt beinahe die Eigenschaften des Gußeisens mit denen der Bronze. Er ist härter als das erstere, und besitzt einen Theil der Zähigkeit der letztern, wenn er gleich spröder ist.“ Oberst Orges bemerkt seinerseits: „Mein Urtheil (in Nr. 243 d. A. Z. d. J. 1854) dürfte danach vollständig bestätigt seyn, und es ist der Commissionsbericht insbesondere eine Bestätigung der Ansicht, daß es eine irrige Theorie, zu vermuthen, Zähigkeit und Härte ließen sich nie in höherem Maaß als bisher in einem Geschützmetall vereinigen. Die vortrefflichen Untersuchungen des Oberst Weber in Augsburg (polytechnisches Journal Bd. CXXXV S. 401) liefern dazu weitere Belege.“ „Ich theile allerdings die Ansicht, daß gezogene Bronzeröhren keine hinreichende Haltbarkeit bieten. Die Versuche mit einem gezogenen 6 Pfünder sind mir zunächst zwar nur mißglückt, weil der angewendete Drall (5/8) zu stark war. Das Geschoß von der Form der neuen Gewehrspitzkugel mit einer Rinne wog dabei in seiner Bleihülle 17 Pfund. Daß das gezogene Geschütz aber überhaupt das Geschütz der Zukunft ist, halte ich zunächst für sehr gewagt zu behaupten. Für das Feldgeschütz möchte ich es entschieden bezweifeln, weil die Wirkung des weittragenden Infanteriegewehrs in der Hand guter Schützen auch durch die beste Vollkugel nicht paralysirt wird. Dem Tirailleur ist damit nicht beizukommen. Daß die sogenannte Napoleonische 12pfündige Kanonenhaubitze dem Bedürfniß nicht genügt, ist freilich gewiß, aber nicht wegen ihrer Form, sondern wegen ihres Gebrauchs, denn die Franzosen wollen damit Granaten schießen. Der kurze, leichte 12 Pfünder oder die seit Jahrzehnten in Deutschland eingeführte 12 Pfünder Granatkanone sind aber vortreffliche Shrapnellgeschütze. Schießversuche, welche ich im vergangenen Jahr mit 12 Pfünder Shrapnells gegen Scheiben unternahm, welche Tirailleure in der Weise wie sie sich im Gefecht am Boden placiren und sonst im Terrain einnisten, darstellten, haben mir bewiesen, daß gegen das 12 Pfünder Shrapnellfeuer bis auf 300 und 1000 Schritt sich der Tirailleur, wenn ihn nicht ungewöhnliche Umstände begünstigen, nur schwer halten kann.“ „Wegen der Shrapnellwirkung, d.h. der Kartätschwirkung auf weite Entfernungen, und nur ihretwegen, ist ein großes Kaliber bei entsprechender Ladung für das Feldgeschütz erforderlich; dabei muß aber das Gesammtgewicht des Geschützes wegen der nöthigen Beweglichkeit, und der Rücklauf desselben wegen der Bedienung gleich limitirt bleiben. Großes Kaliber, große Ladungen, vergleichsweise leichte Rohre und leichte Laffetten, und geringen Rücklauf in einem Geschütz zu vereinigen, ist also die Aufgabe der heutigen Feldartillerie. Der Krupp'sche Gußstahl erlaubt leichte Rohre bei Vergleichungsweise großen Kalibern und Ladungen; mit den gegenwärtigen Constructionsprincipien könnten aber keine entsprechend leichten Laffetten gebaut werden; die bestehenden Dimensionen und Gewichtsverhältnisse gewähren ihrerseits, wie die Vincenner Versuche abermals darthun, bei den neuen leichten Gußstahlrohren und starken Ladungen keine genügende Haltbarkeit, und doch können sie nicht ohne Nachtheil vergrößert werden. Um der betreffenden Anforderung an die Laffetten zu genügen, hat nun Hr. Alfred Krupp eine neue Construction der Laffetten vorgeschlagen, wobei der Rückstoß des Rohrs durch die Elasticität einzelner Theile der Laffette sehr gemäßigt, also die Wirkung auf die Laffette und der Rücklauf verringert wird. Die im Januar dieses Jahres in meiner Gegenwart, in der eines andern braunschweigischen und zweier hannoverischen Artillerie-Officiere in Essen selbst mit einer nach dem Krupp'schen System veränderten 12 Pfünder Laffette angestellten Versuche erschienen mir sehr günstig, und ich werde bei den dießjährigen Schießübungen der herzoglichen Artillerie Gelegenheit haben die Wirkungen der Krupp'schen Vorrichtungen an einer andern Laffette noch genauer zu prüfen.“ „So viel glaube ich aber schon mit Sicherheit aussprechen zu dürfen, daß den Forderungen der Neuzeit von Seite der Feldartillerie an die Laffetten ebensowohl genügt werden wird, wie es in Bezug auf das Geschützrohrmaterial der Fall gewesen. Der außerordentlichen Intelligenz, wie der eisernen Beharrlichkeit des Hrn. Alfred Krupp, gebührt in diesen Beziehungen der Ruhm jeder Forderung der Waffe, zum Theil in höherem Grade genügt zu haben als sie gestellt wurde; ihm gebührt der Ruhm, fremde Heere und Länder, welche die eigene Industrie der deutschen weit überlegen geglaubt, zur Anerkennung der höhern Entwickelung dieser gezwungen und ihr dienstbar gemacht zu haben.“ Mögen unsere Hoffnungen auf die Vortheile, welche die deutsche Industrie durch die Krupp'schen Erfindungen erringen wird, auch sanguinisch seyn, für die Stellung derselben im Ausland sind sie jedenfalls vom höchsten Werth. Bezeichnend ist es in dieser Beziehung, daß uns von einer in Sachen des Gußstahls unbedingt competenten Persönlichkeit vor wenig Tagen die Anzeige zugegangen, daß sie im Begriff sey: „eine Geschichte der Gußstahlkanonen zu schreiben.“ Ihre Einführung ist in der That ein Sieg des deutschen Fabrikanten über die Eisenindustrie der ganzen übrigen Welt.