Titel: Beiträge zur theoretischen Photographie; von Dr. J. Schnauß in Jena.
Fundstelle: Band 146, Jahrgang 1857, Nr. XLIV., S. 189
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XLIV. Beiträge zur theoretischen Photographie; von Dr. J. Schnauß in Jena. Aus Horn's photographischem Journal, 1857, Nr. 7 und 8. Schnauß, Beiträge zur theoretischen Photographie. Bis zur einstigen Erreichung des uns jetzt noch so fern liegenden Zieles, die natürlichen Farben im Verlauf des photographischen Processes zu fixiren, können wir nur geringe Verschiedenheiten zwischen den photographischen Substanzen, hinsichtlich ihrer besondern Art und Weise die Eindrücke des Lichts in sich aufzunehmen, nachweisen. Dennoch vermögen wir in dieser Beziehung dieselben in zwei wesentlich von einander abweichende Classen einzutheilen, deren resp. Glieder unter einander eine große Uebereinstimmung ihrer Wirkungsart zeigen. Immerhin wird man dabei einigermaßen an die in der Lehre von der elektro-chemischen Theorie angenommene Eintheilung von + und - erinnert, wie die nachstehende Abhandlung zeigen wird. Die eine Classe, in der elektro-chemischen Theorie der elektronegativen Reihe, also dem Sauerstoff und den Säuren entsprechend, wird im Allgemeinen durch Jodsubstanzen, deren Analogon wir unter den entwickelnden Körpern in der Gallussäure, nach Umständen auch in der Pyrogallussäure zu suchen haben, repräsentirt; die andere, die der Basen, der Alkalien (der + Reihe) in der elektro-chemischen Eintheilung, durch die Bromsubstanzen, welchen der Eisenvitriol als Entwickler zur Seite steht, in Betracht der großen Aehnlichkeit ihrer photochemischen Wirkung. Betrachten wir nun diese beiden photographisch so wichtigen Classen etwas näher: Die Jodverbindungen bieten das Eigenthümliche dar, daß sie zur Erregung ihrer Molecüle einer bestimmten Intensität der Lichtschwingungen bedürfen, die erhaltenen Eindrücke aber so fest halten, daß der Entwickler Zeit behält, eine hinreichende Menge Silber darauf niederzuschlagen, oder anders gesagt: die belichteten Stellen üben eine quantitativ größere Anziehung aus auf die Silberatome. Daher kommt die große Kraft der bloß mit Jodsalzen dargestellten Bilder (namentlich solcher mit alkalischer Basis), denen es aber in den Schattenpartieen leicht an Harmonie fehlt, eine Folge des oben Gesagten, daß nämlich die bis zu einem gewissen Grade geschwächten Lichtschwingungen keinen Eindruck mehr auf die Jodsalze ausüben. Am stärksten zeigt sich diese Eigenschaft an den Jodsalzen mit alkalischer Basis, was jedoch nur seinen Grund in der leichten Zersetzbarkeit derselben hat, vermöge deren das frei werdende Jod eigentlich erst die genannten Wirkungen ausübt. Ich spreche hier von Auflösung genannter Verbindungen in dem Collodion, in welcher Gestalt auch die leichtere Zersetzbarkeit derselben, resp. das Freiwerden von Jod bedingt ist, wodurch gleicherweise die Empfindlichkeit verringert, die Kraft der Negativs aber erhöht wird. Je dauerhafter die Jodverbindung, je inniger der Zusammenhang des Jods mit seinem Radical, desto farbloser das damit bereitete Jodcollodion, und desto empfindlicher ist dasselbe. Zugleich aber verliert es an Kraft in den negativen Schwärzen, mit einem Wort: das Bild entsteht fast augenblicklich und in allen seinen Theilen sehr gleichmäßig, aber schwach bis zur Monotonie. Ein Beispiel ist das Jodcadmium. Derartige Jodverbindungen nähern sich in ihrer Wirkung schon dem Bromsalzen. Beide üben sogar noch eine reservirende Kraft auf die zugleich in der ätherischen Lösung befindlichen alkalischen Jodmetalle aus. Die Bromsalze zeigen gegen das Licht ein denen der Jodsalze entgegengesetztes Verhalten. Sie empfangen leicht auch die schwächsten Lichteindrücke, doch gleichsam nur auf der Oberfläche, insofern die damit erzeugten Negativs einen durch nichts zu verbessernden Mangel an Kraft, dagegen eine große Gleichmäßigkeit in den Schatten- und Lichtpartieen darbieten. Den Bromsalzen, resp. dem Bromsilber fehlt das Vermögen, das durch den Entwickler reducirte Silber in gehöriger Menge anzuziehen und zu verdichten, sie bedecken sich nur mit einer unendlich dünnen, also sehr durchsichtigen Schichte des oxydirten Silbers. Merkwürdig und schwer zu erklären ist auch die Wirkung einiger Bromsalze, namentlich des Bromcadmiums, die Zersetzung der (alkalischen) Jodsalze im Collodion auf längere Zeit zu verhindern, worin sie gewissen Chlorverbindungen, z.B. dem Chlorammonium, Chlornatrium, auffallend ähneln. Wenn eine geringe Menge der letzteren zum Jodcollodion gesetzt wird, so entfärbt sich letzteres bald vollständig und bleibt lange Zeit unverändert. (Beiläufig zeigt ein solches durch eine Chlorverbindung entfärbtes Collodion zuletzt einen eigenthümlich starken Anis ähnlichen Geruch.) Eine doppelte Zersetzung zwischen den Jod- und Chlorverbindungen läßt sich deßhalb in diesem Falle nicht annehmen, weil ja das Chlorammonium die besprochene Wirkung auch hervorbringt, wenn das Jodcollodion bloß Jodammonium enthält. Gehen wir zur Eintheilung der Hervorrufungsflüssigkeiten über. Wir nehmen auch hier eine große Verschiedenheit in der Wirkung wahr, die uns an die so eben besprochene der Jod- und Bromverbindungen erinnert. Im Allgemeinen kann man den Grundsatz aufstellen, daß die negativen Schwärzen um so kräftiger ausfallen, je langsamer die Reduction, resp. Ablagerung des Silbers, und also die Erscheinung des verborgenen negativen Bildes stattfindet, natürlich als unabhängig gedacht von der veränderlichen Lichtstärke während der Aufnahme, oder indem man eine mittlere Lichtstärke als Norm bei der Vergleichung der Entwickler annimmt. Säuren verlangsamen die Reduction, daher dieselben, namentlich Essigsäure, ein vortreffliches Mittel an die Hand geben, die Negativs kräftiger erscheinen zu lassen, indem man sie entweder zu dem Entwickler, oder zum Silberbade, ja selbst zum Jodcollodion (woselbst sie aber eine theilweise Zersetzung hervorbringen) setzen kann. In den beiden letzten Fällen ist die Wirkung am kräftigsten. Was die Säuren in genannter Beziehung für das Silberbad und für die Entwickler, das ist das freie Jod für das Jodcollodion. Man hat also viele Mittel an der Hand, nach Belieben kräftigere Negativs zu erhalten, selbst wenn man mit einem farblosen, stark Bromsalz – und Cadmium haltigen Collodion arbeitet. Von allen Entwicklern übt die Gallussäure die langsamste Wirkung aus; daher sind ihre Negativs die kräftigsten, sie verlangt aber als Vehikel der photographischen Substanzen einen Körper, welcher der freiwilligen Reduction derselben einen größeren Widerstand entgegensetzen kann, als das Collodion. Daher ist die Gallussäure am zweckmäßigsten auf Albumin, Stärke, oder Papier anzuwenden. Dagegen wirkt eine alkoholische, ziemlich concentrirte Lösung dieser Säure sehr energisch auf die erscheinenden Collodion-Negativs, weßhalb nun wegen der Schnelligkeit der Wirkung der entgegengesetzte Fall eintritt und die Negativs kraftlos, von grünlicher Färbung sind. Die Wirkungen der Pyrogallussäure auf die Collodion-Negativs sind am bekanntesten, sie lassen sich durch mehr oder weniger Zusatz von Essigsäure oder Alkohol zu der Säure bedeutend modificiren. Je älter übrigens diese Auflösung, desto langsamer reducirt sie, desto undurchsichtiger werden daher die negativen Schwärzen, während die Schattenpartieen immer weniger herauskommen. Es ist dieß eine Folge der theilweisen Verbrennung, d.h. Oxydation der Pyrogallussäure, und liefert einen Beitrag zur Bestätigung meiner Ansicht, daß die Wirkungen des Sauerstoffs auf die photographisch thätigen Substanzen wie die der Säuren eine verlangsamende (also die Kraft des Negativs vermehrende) sey. Um gute, gleichmäßige Resultate zu erhalten, sollte man nie mit einer Pyrogallussäure arbeiten, die älter als drei Tage ist. Der Eisenvitriol nähert sich, wie gesagt, in seiner Wirkung den Bromsalzen, er gibt schnell ein in allen seinen Theilen sehr gleichmäßig erscheinendes, aber oft zu schwaches Negativ, das gewöhnlich noch der Kräftigung bedarf. Wenn der Eisenvitriol etwas Oxyd enthält, so gibt er kräftigere Bilder, ebenso auf Zusatz einer Säure (Essig- oder Salpetersäure). Es läßt sich aus diesen so eben mitgetheilten Beobachtungen leicht eine dynamische Eintheilung der photographischen Substanzen entwerfen, welche auch für die Praxis von Nutzen ist; hier möge eine solche versuchsweise ihren Platz finden: I. Solche Substanzen, welche entweder direct, oder indirect die photographische Wirkung verlangsamen, folglich die Erzeugung kräftiger Negativs begünstigen: 1)Sauerstoff, durch höhere Oxydation der Pyrogallussäure, des Eisenvitriols, des im Silberbade enthaltenen Alkohols u.s.w. 2) Jod, im freien Zustande (vielleicht auch Chlor) oder als Salzbildner in solchen Salzen, welche sich leicht zersetzen (namentlich in denen der Alkalien) sowohl im Collodion, wie im Papier bei der Talbotypie. 3)Säuren, Salpetersäure, namentlich Essigsäure, sowohl als Zusatz zum Silberbad, wie zum Entwickler. Hieher wären auch ihrer photographischen Wirkung nach die Gallus- und Pyrogallussäure zu rechnen, obwohl sie kaum Säuren zu nennen und ohne Zusatz einer stärkeren Säure (Essigsäure) nicht anzuwenden sind. II. Solche Substanzen, welche die photographischen Wirkungen beschleunigen, und sehr gleichmäßige, aber wenig kräftige Negativs erzeugen. 1)Bromsalze im Collodion, und als Bromsilber im Silberbade. 2)Alle freien Alkalien und alkalischen Erden, welche durch Bindung freier Säuren, und als Salzbildner, die denselben entgegengesetzten photographischen Wirkungen zeigen, sowohl im Collodion, wie im Silberbade. 3)Eisenvitriol, möglichst oxydfrei. 4)Fluorsalze und Fluorsilber. Die sub. I. bezeichnete Gruppe hat einen mehr negativ-elektrischen Charakter; die sub. II. angeführten Alkalien dagegen sind positiv-elektrisch, die übrigen Körper dieser Gruppe aber sind neutrale Salze. Man wendet schon längst mit Vortheil neben den Jodsalzen Bromverbindungen an, um durch die Vereinigung ihrer verschiedenen Eigenschaften vollkommenere Resultate zu erzielen. Dagegen ist der Gedanke, auch diesen Vortheil durch Vermischung oder auf einander folgende Einwirkung verschiedener Hervorrufungsflüssigkeiten zu erreichen, noch ziemlich neu, und doch erhält man auf diese Art die schönsten Bilder, die keiner Retouche bedürfen. Nachstehend das von mit seit einem halben Jahre eingeschlagene Verfahren: Man entwickelt die Negativs durch eines der bekannten Eisenvitriolbäder, wäscht ab und gießt darauf eine Lösung von Pyrogallussäure und etwas Silberlösung. Diese verstärkt die Negativs in den Schwärzen außerordentlich, und da durch den Eisenvitriol schon alle Details von Schatten und Licht hervorgebracht werden, so erhält man ein Bild von größter Harmonie und Kraft. –––––––––– In der neuesten Zeit wird der bisher so räthselhafte Vorgang des Hervorrufens wieder häufig erörtert; es möge mit daher gestattet seyn, zum Schluß meine Ansicht hierüber mitzutheilen: Schon in meiner vor vier Jahren erschienenen ersten Abhandlung über die Photographie, betitelt: „Ueber die chemischen Vorgänge bei der Erzeugung von Photographien“ (siehe Archiv der Pharm. Bd. CXXIV S. 6 und 7),Im Auszug im polytechn. Journal Bd. CXXX S. 75. bezeichnete ich diese Erscheinung als einen besondern Act elektrischer Anziehungskraft, während zu jener Zeit noch die Ansicht allgemein gültig war, daß das Jodsilber selbst in seiner chemischen Zusammensetzung verändert werde. Ich dagegen stellte von Anfang an die Ansicht auf, daß das Jodsilber in chemischer Beziehung unverändert bleibe und nur durch die Bestrahlung (d.h. durch die dasselbe treffenden Lichtwellen) auf eine gewisse Zeit hin die Eigenschaft erhalte, die reducirten Silbertheilchen anzuziehen, vermöge einer eigenthümlichen elektrischen Spannung! Ich kann mich daher rühmen, der Erste gewesen zu seyn, der diese Hypothese öffentlich ausgesprochen hat, und freue mich, daß jetzt auch so berühmte Namen, wie Davanne, Monckhoven etc. derselben Ansicht huldigen. Es ist dieser Vorgang noch der am wenigsten aufgeklärte in der ganzen Photographie und zugleich der wichtigste. Geht man demnach von der Annahme aus, daß er in nichts anderem bestehe als in der eigenthümlichen Erregung der Jodsilbermolecüle durch die Aetherschwingungen (durch das Licht), so wird man unwillkürlich zu der weiteren Folgerung veranlaßt, anzunehmen, daß das so eigenthümlich erregte Jodsilber während dieses Zustandes fähig seyn müsse, auch andere fein zertheilte, chemische im Status nascens befindliche Niederschläge anzuziehen, daß es folglich möglich sey, auch andere als silberne Negativs zu erzeugen. Wirklich weisen auch manche der neuesten Beobachtungen auf diese Möglichkeit hin, und es ist zu hoffen, daß aus ferneren derartigen Versuchen die wichtigsten Resultate für die praktische Photographie entspringen werden, wodurch eine völlige Umwälzung in diesem Theile der Praxis vor sich gehen dürfte.