Titel: Ueber die Natur der Wohlgerüche und die Gewinnung einiger Riechstoffe aus den Pflanzen; von Hrn. Millon, Vorstand des chemischen Central-Laboratoriums in Algier.
Fundstelle: Band 146, Jahrgang 1857, Nr. XCVI., S. 380
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XCVI. Ueber die Natur der Wohlgerüche und die Gewinnung einiger Riechstoffe aus den Pflanzen; von Hrn. Millon, Vorstand des chemischen Central-Laboratoriums in Algier. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, April 1857, S. 238. Millon , über die Natur der Wohlgerüche und die Gewinnung der Riechstoffe aus den Pflanzen. Wenn man den Weizen oder das ganze Mehl desselben mit Aether behandelt, so löst sich ein Gemenge von fetten und wachsartigen Substanzen auf, welche mehr oder weniger gefärbt sind, stets aber einen starken Geruch besitzen, identisch demjenigen welchen eine Masse von Getreidekörnern von sich gibt. Der aromatische Stoff darin ist sehr kräftig und die Fettsubstanz entwickelt ihn mehrere Jahre nach ihrer Absonderung aus dem Getreide noch deutlich; erst wenn das Fett ranzig wird, verschwindet er. Von dieser Thatsache ausgehend, stellte der Verfasser zahlreiche Versuche über die Gewinnung des aromatischen Bestandtheils der Blüthen und einiger Gewächse an. „Ich glaube, sagt erJournal de Chimie et de Pharmacie, December 1856., im Allgemeinen die Behauptung aufstellen zu können, daß die natürlichen Wohlgerüche eine Veränderung erleiden, wenn man sie einer höhern Temperatur aussetzt, als die Pflanze in der Atmosphäre antrifft; ich suchte daher den Wohlgeruch durch Auflösen in einer sehr flüchtigen Flüssigkeit abzuscheiden, die man hernach durch Destillation austreibt. Der Aether leistete mit dazu vortreffliche Dienste; man verfährt folgendermaßen: „Man bringt die Blüthe in einen Verdrängungs-Apparat und gießt so viel (vollkommen reinen) Aether zu, daß sie davon bedeckt wird. Nach Verlauf von 10 bis 15 Minuten läßt man die Flüssigkeit ablaufen und gießt, um die Blüthe auszuwaschen, eine frische Quantität Aether hinzu, welche man nicht länger als die erste damit in Berührung läßt. „Der Aether löst allen Riechstoff auf, und hinterläßt denselben bei der Destillation in Form eines weißen oder verschieden gefärbten, bald festen, bald flüssigen, bald ölartigen oder halbflüssigen Rückstandes, der aber nach einiger Zeit stets fest wird. „Dieser Rückstand wird, sobald man ihn erhielt, als dünne Schicht ausgebreitet und durch die Sonnenwärme oder eine derselben entsprechende Temperatur in geschmolzenem Zustand erhalten und öfters umgerührt, bis er den Geruch des Auflösungsmittels nicht mehr von sich gibt. „Die durch die Destillation übergetriebene Flüssigkeit wird condensirt und immer wieder benutzt. Zur Behandlung jeder Blüthenart muß stets dieselbe Flüssigkeit und derselbe Destillir-Apparat angewendet werden. „Bei richtiger Leitung der Destillation und zweckmäßiger Anordnung des Apparats geht sehr wenig Aether verloren, auch ist die Operation rasch ausführbar. „Ich habe auch andere Auflösungsmittel, wie Schwefelkohlenstoff, Chloroform, Benzin etc. versucht, aber man erreicht den Zweck mit ihnen nur ausnahmsweise und sie sind auch nicht so leicht zu behandeln. „Das Einsammeln der Blüthen erfordert die größte Sorgfalt. Man muß dabei für jede Species die geeignete Tagesstunde wählen und einen gewissen Grad der Entfaltung berücksichtigen, welchen man nur durch Uebung kennen lernt. „Bei der Destillation, wie man sie gewöhnlich ausführt, werden alle Modificationen der Blüthe zu einer einzigen Essenz verarbeitet, welche dann keinen der Riechstoffe genau repräsentirt, wogegen durch deren Vermengung die mangelhaften Theile der Ernte bis zu einem gewissen Grade verbessert werden dürften; bei dem neuen Extractions-Verfahren aber gibt sich das geringste Verderbniß, die kleinste Veränderung im Zustande oder in der Güte der Riechstoffe durch den Geruch zu erkennen, und wenn dieser die Frische und Annehmlichkeit der Blüthe besitzen soll, so muß der Riechstoff von einer frischen, lieblichen Blüthe herrühren. „Ich habe gefunden, daß die Riechstoffe, weit entfernt, sich wie die ätherischen Oele leicht zu verflüchtigen, größtentheils sehr beständig sind. Nur durch die Berührung mit den anderen Bestandtheilen der Pflanzen erleiden sie endlich eine Veränderung; sind sie einmal von diesen abgeschieden und folglich deren Einfluß entzogen, so unterliegen sie nur mehr den Gesetzen ihrer eigenen Zersetzung. So bewahre ich seit mehreren Jahren isolirte Parfüms auf dem Boden stets offener Glasröhren oder der freien Luft ausgesetzter Schälchen auf, ohne daß eine merkliche Verdunstung derselben statt fand. Diese Beständigkeit charakterisirt die eigentlichen Riechstoffe (Parfüms); die ätherischen Oele, welche die Pflanzen ausschwitzen oder bei der Destillation abgeben, sind anderer Natur.“ Der Verf. läßt nun die Versuche folgen, welche er anstellte, um vermittelst verschiedener Auflösungsmittel den eigentlichen Riechstoff von den verschiedenen, ihn in der Blüthe begleitenden Substanzen abzuscheiden, nämlich von dem Wachs, Fett, Oel und dem Farbstoff; dieß ist ihm jedoch nur unvollkommen gelungen, und er glaubt daraus schließen zu können, daß wenn eine vollkommene Abscheidung gelänge, man von vielen Blüthen per Kilogr. nicht mehr als einen Milligramm Product erhielte. Bei dem Preise gewisser Blüthen würde dieser gereinigte Riechstoff per Gramm wenigstens mehrere tausend Francs kosten. In Ermangelung einer Elementar-Analyse und wesentlicher chemischer Reactionen beschränkt sich Hr. Millon auf folgende Charakteristik des Riechstoffs der Blumen. „Derselbe ist, sagt er, eine beständige, nur selten flüchtige, an der Luft unveränderliche oder nur wenig veränderliche Substanz, wovon die Blüthe nur unwägbare Spuren enthält. Durch die Wärme, sobald diese die Gränzen der Atmosphäre übersteigt, wird sie zersetzt. Der Riechstoff ist fast immer ohne bemerkliche Zersetzung auflöslich in Alkohol, Aether, Fetten und in vielen anderen Flüssigkeiten, z.B. in Schwefelkohlenstoff, Chloroform, Benzin etc. In der Luft verbreitet er sich leicht und gibt seine Gegenwart durch einen angenehmen Geruch zu erkennen, ohne daß die Luft dadurch in bestimmbarer Weise ihr Gewicht ändert. Ebenso leicht vertheilt er sich in Wasser, welches durch ein Paar Tropfen der alkoholischen Lösung, die man hineinbringt, einen aromatischen Geruch erhält. Daß aber der Riechstoff durch die Reagentien eine Veränderung erleiden kann, beweist die Thatsache, daß der Geruch verschwindet, wenn man seine alkoholische Lösung in das gewöhnliche Wasser gießt, während er sich in destillirtem Wasser conservirt.“ Die Leichtigkeit, womit sich diese Wohlgerüche in Alkohol, Oelen und Fetten auflösen, weist auf den in der Industrie daraus zu ziehenden Nutzen hin. Hauptsächlich hervorzuheben ist, daß die kleine Menge des Products, welches die Blüthe liefert, deren Riechstoff genau repräsentirt; dasselbe enthält ihn unversehrt und vollständig, daher 1 Gramm des Rückstandes von 1 Kilogr. Blüthen das Fett oder Oel eben so stark aromatisch macht wie die Blüthen selbst, also dieselben Wirkungen bei einem 1000 Mal kleinern Volum hervorbringt. Durch das beschriebene Verfahren wird somit der nutzbare Bestandtheil der Blüthen ausgezogen, concentrirt, und kann dann leicht und ohne Verlust an die Parfümierer zur letzten Verarbeitung versendet werden. Ueberdieß fällt das bisherige so langwierige, kostspielige und unvollkommene Verfahren, das Parfüm der Blüthen den Fetten und Oelen einzuverleiben, ganz weg und wird fast in allen Fällen durch eine sehr rasche Methode, ein bloßes Mischen oder Auflösen ersetzt, die sich überall und ganz gelegentlich ausführen läßt. Dieß ist für die Kunst der Parfümerie, welche für den französischen Handel von so außerordentlicher Bedeutung ist, offenbar ein sehr großer Vortheil. Im Verlauf seiner Versuche behandelte Hr. Millon die in Algier hauptsächlich gedeihenden Blüthen, deren Benützung eben durch sein Verfahren leicht und einträglich zu werden verspricht. Er empfiehlt insbesondere: 1) Die varnesische oder levantische Cassie, welche in Frankreich nur im Departement Var, bei Cannes, gebaut wird. Der durchschnittliche Preis der frischen Blüthe ist 5 Frcs. per Kilogr.; sie wird an die Parfümierer zu Grasse verkauft, welche sie unmittelbar mit Oel und Fett behandeln. Aus ihrem hohen Preis läßt sich schließen, daß ihre Production unzureichend ist und daß sie bei häufigerer Cultur leicht abgesetzt werden könnte. 2) Die drei, von den Mauren cultivirten Varietäten der Moschrose, a) die einfache weiße Rose, Nécéri musqué, b) die ebenfalls weiße, aber nicht so stark nach Moschus riechende Nécéri double, c) die Moschrose schlechthin, manchmal tunesische Rose genannt. Diese drei Species geben ihren Riechstoff an Aether ab; die beiden ersteren werden in Frankreich nicht angebaut und ihre Producte sind in der Parfümerie unbekannt. Die Darstellung des Parfüms dieser Varietäten der Moschrose mittelst des neuen Verfahrens dürfte sehr gewinnbringend seyn. 3) Zwei Jasmin-Arten: den türkischen Jasmin mit kleiner Blüthe, und den algierischen Jasmin mit großer, oft gefüllter Blüthe. Das Jasminöl hat stets einen starken und etwas brenzlichen Geruch, weßhalb es den Vergleich mit der frischen Blüthe nicht aushält, während der durch Aether ausgezogene Riechstoff an die Lieblichkeit dieser Blüthe erinnert. Ferner eignen sich zu dieser Behandlung die Blüthe der bittern Orange, die Tuberose, die Heliotrope, die Levkoje, die Narcisse und Nelke. Des Geraniums, Thymians, Lavendels, Anises und einiger anderen (in Algier sehr gut fortkommenden) aromatischen Pflanzen erwähnte Hr. Millon deßwegen nicht, weil das neue Verfahren der Parfümgewinnung ihm auf dieselben nicht anwendbar zu seyn schien.Weil alle diese Pflanzen, mit Ausnahme vielleicht des Geraniums, ein ätherisches Oel (essence) enthalten, welches ihnen den Geruch verleiht und auf die gewöhnliche Weise leicht aus ihnen gewonnen werden kann, während die Pflanzen, auf welche Hr. Millon sein Verfahren anwendet, ein solches durch Destillation größtentheils nicht liefern. – x. Die beschriebenen Riechstoffe, bemerkt der Verf. schließlich, unterscheiden sich von den ätherischen Oelen dadurch, daß sie den Vergleich mit der betreffenden Blüthe aushalten, die ätherischen Oele aber nicht.