Titel: Ueber das Vorkommen eines grünen Farbstoffs in gewissen Pflanzen, welcher von dem Chlorophyll oder Blattgrün ganz verschieden ist; von F. Verdeil.
Fundstelle: Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XXXVI., S. 119
Download: XML
XXXVI. Ueber das Vorkommen eines grünen Farbstoffs in gewissen Pflanzen, welcher von dem Chlorophyll oder Blattgrün ganz verschieden ist; von F. Verdeil. Aus den Comptes rendus, Septbr. 1858, Nr. 11. Verdeil, über das Vorkommen eines neuen grünen Farbstoffs in gewissen Pflanzen. Der fleischige Theil der Distel- und Artischokenköpfe ist vollkommen farblos, weiß. Wenn man ihn in Wasser kochen läßt und dann den Saft auspreßt, so erhält man eine farblose Flüssigkeit, welche in Berührung mit der Luft farblos bleibt. Setzt man aber einige Tropfen einer Auflösung von kohlensaurem Natron oder Kalkwasser zu, so färbt sich die Oberfläche der Flüssigkeit nach einiger Zeit grün, und wenn man die Flüssigkeit schüttelt, damit sie mit der Luft vollständig in Berührung kommt, so färbt sich die ganze Masse derselben nach einigen Stunden dunkelgrün. Wurde das Alkali in Ueberschuß zugesetzt, so ist die Farbe der Flüssigkeit gelblichgrün; aber durch Zusatz von ein wenig Essigsäure verschwindet die gelbe Farbe und die Flüssigkeit wird blaugrün, was ihre normale Nüance ist. Der Alaun, das essigsaure Bleioxyd, das Zinnoxyd fällen die Flüssigkeit und bilden Lacke von verschiedenem Ton, die aber alle schön dunkelgrün sind. Wenn man diese Lacke von der Flüssigkeit abfiltrirt und trocknet, so behalten sie ihre Nüance und widerstehen der Einwirkung des Lichtes. Das Zinnoxydul bildet einen gelben Niederschlag; es färbt auch die grünen Lacke der Thonerde und des Bleioxyds gelb. Ich habe diesen Farbstoff nach folgendem Verfahren abgeschieden. Der mit essigsaurem Bleioxyd erhaltene Lack wird mittelst Schwefelsäure zersetzt, welche man mit viel Alkohol von 40° Baumé (0,817 spec. Gewicht) verdünnt hat; der Farbstoff löst sich hierbei im Alkohol auf, welchen er braungelb färbt, während das Bleioxyd sich mit der Schwefelsäure verbindet. Die filtrirte Flüssigkeit wird mit einem großen Ueberschuß von Aether vermischt, welcher den Farbstoff fällt, hingegen Fette und Gerbstoff in Auflösung zurückhält. Der Niederschlag wird filtrirt, dann mit Wasser gewaschen. Der auf diese Weise isolirte Farbstoff ist nach dem Trocknen gelblichbraun; er zersetzt sich beim Erhitzen, ohne zu schmelzen; er sublimirt sich nicht; er verbrennt mit Hinterlassung einer Spur von Asche. Er besteht aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. In Wasser und in den Säuren ist er unauflöslich, in Alkohol wenig löslich; dagegen löst er sich sehr leicht in den Alkalien, dem kohlensauren Natron, dem Kalkwasser, welche er grün färbt. Eine sehr geringe Menge von einer Basis reicht hin, um ihn in Wasser löslich zu machen; er bildet alsdann Auflösungen von einer schön grünen Farbe. Essigsäure und Salzsäure modificiren den Farbstoff nicht; setzt man sie aber in Ueberschuß einer alkalischen Auflösung des grünen Farbstoffs zu, so ändern sie die Farbe in ein schwaches Roth um, und fällen dieselbe. Concentrirte Schwefelsäure löst den Farbstoff mit einer schön rothen Farbe auf. Ueberschüssige Alkalien zersetzen ihn in Berührung mit der Luft. Dieser Farbstoff ist neu; durch seine physischen und chemischen Eigenschaften unterscheidet er sich von allen anderen Farbstoffen. Er gehört unter die kleine Anzahl von Pflanzenfarbstoffen, welche sich erst durch Oxydation an der Luft bilden. Zu der auf Baumwolle befestigten Thonerdebeize hat er viel Verwandtschaft, aber er färbt die Wolle und die Seide nicht direct, während fast alle Farbstoffe die Gewebe thierischen Ursprungs mehr oder weniger färben. Die Disteln und Artischoken in unserm Klima enthalten die farblose Substanz nicht in solcher Menge, daß der Farbstoff welchen sie erzeugt, in der Industrie benutzt werden könnte; wahrscheinlich enthalten aber diese Pflanzen in wärmeren Klimaten jene Substanz in größerm Verhältniß; ich habe nämlich gefunden, daß die Disteln und Artischoken im südlichen Frankreich mehr von ihr enthalten, als diejenigen aus der Umgegend von Paris. Am meisten enthält von dem neuen Farbstoff der Kopf der erwähnten Pflanzen, bevor sich die Blume entwickelt hat; nachdem sich die Blume gebildet hat, kommt der Farbstoff nur noch in geringem Verhältniß darin vor; die Stengel und Blätter der Pflanze sind arm an Farbstoff. Der grüne Farbstoff ist sehr beständig, nachdem er mit Basen zu Lacken verbunden wurde. Das Extract der Pflanze, welches durch Oxydation an der Luft grün geworden ist, entfärbt sich, sobald die Gährung in der Flüssigkeit eintritt, obgleich es alkalisch bleibt; nur die Oberfläche der Flüssigkeit ist dann gefärbt. Die Farbe erscheint in Berührung mit der Luft sogleich wieder, eben so schnell, wie beim desoxydirten Indigo. In Flüssigkeiten, welche ich seit zwei Jahren aufbewahrt habe, entwickelt sich die grüne Farbe noch durch Oxydation in Berührung mit der Luft.