Titel: Ueber eine neue Reaction der Chinarinden und Chinabasen; von F. Grahe in Kasan.
Fundstelle: Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XXXVII., S. 120
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XXXVII. Ueber eine neue Reaction der Chinarinden und Chinabasen; von F. Grahe in Kasan. Aus dem chemischen Centralblatt, 1858, Nr. 7. Grahe, über eine neue Reaction der Chinarinden und Chinabasen. Viele werden sich von der Schwierigkeit, die ächten Chinarinden von den falschen zu unterscheiden, überzeugt haben, besonders in den Fällen, wo die Umstände es nicht erlauben, eine Isolirung der Basen und quantitative Bestimmung derselben vorzunehmen. Da durch die verschiedenen qualitativen Reactionen auf nassem Wege kein positives Resultat erzielt werden kann, so suchte ich eine Methode ausfindig zu machen, auf eine leichte und sichere Weise diese Aufgabe zu lösen, was mir nach einer Reihe von Versuchen auch gelungen ist. Diese Arbeit führte gleichfalls zu einer neuen Reaction der Chinabasen, welche ich beiläufig auch folgen lasse. Die ächten Chinarinden geben bei der trockenen Destillation ein Product von schön carminrother Farbe. Diese Eigenschaft ist charakteristisch, da sie keiner andern Rinde eigen ist, nur bei der Gegenwart der Chinabasen hervorgerufen wird und daher auch ein vortreffliches Mittel darbietet, die ächten Rinden von den falschen auf eine leichte Weise zu unterscheiden. Nach dem Alkaloidgehalte der verschiedenen Chinasorten ist die Quantität des rothen Productes bei der trocknen Destillation entweder gering oder bedeutend, so daß sie genau dem Gehalte der Basen zu entsprechen scheint. Um sich zu überzeugen, ob eine vorliegende Rinde zu den ächten Chinasorten gehört, bringt man ein Stück der Rinde, etwa 5–10 Gran, entweder ganz oder gröblich gepulvert, in ein gewöhnliches cylinderförmiges Probirglas. Darauf erhitzt man die Stelle, wo die Rinde liegt, anfangs gelinde, nach und nach aber zum Glühen, indem man dabei die Probirröhre in horizontaler Richtung hält und sie möglichst gleichmäßig erhitzt. Gehört die Rinde zu den ächten Chinasorten, so zeigt sich bei dem Anfang des Versuchs ein weißer Dampf, der sich schwer an den Wänden des Probirglases ansetzt; dagegen condensiren sich die zugleich auftretenden Wasserdämpfe an den kalten Theilen der Röhre. Bald darauf entwickelt sich der charakteristische, carminrothe flüchtige Körper, der den übrigen Dämpfen eine röthliche Färbung ertheilt und sich etwa einen Zoll weit hinter der erhitzten Stelle, als scheinbar pulverförmiger Anflug ansetzt, der jedoch allmählich zu einer dicklichen ölartigen Flüssigkeit zusammenfließt und als Streifen oder Tropfen von prachtvoll carminrother Farbe in der sich zugleich entwickelnden wässerigen Flüssigkeit herumschwimmt. Dicht an der erhitzten Stelle der Röhre setzen sich braune theerartige Producte an, die gewöhnlich bei der trocknen Destillation der Vegetabilien auftreten. Will man mit größeren Quantitäten operiren, so kann man die Probirröhre auch an einem Stative befestigen und die Producte in eine kleine Vorlage oder Porzellanschale fließen lassen. Achtzehn verschiedene Sorten ächter Chinarinden, welche alle von ausgezeichneter Qualität, etwa 10 Jahre alt und sehr gut aufbewahrt waren, wurden diesem Versuche unterworfen und zeigten sämmtlich die erwähnte Reaction. Die größte Quantität des rothen Körpers geben die an Chinabasen reichen Rinden, während die Chinasorten mit geringem Alkaloidgehalte eine unbedeutende Menge liefern, doch tritt auch bei diesen die Reaction unfehlbar ganz deutlich hervor. Nur bei der China Jaen albida konnte die Reaction nicht erhalten werden. Der Alkaloidgehalt dieser Rinde ist nicht festgestellt, ja von Vielen bezweifelt worden, daher muß das Ausbleiben des rothen Körpers der Abwesenheit der Basen zugeschrieben werden, indem Rinden mit dem kleinsten Alkaloidgehalt eine deutlich rothe Färbung geben. Aechte Sorten China, denen die Alkaloide vorher mit Säuren gänzlich entzogen worden waren, und falsche Chinarinde geben die Reaction nicht. Ebenso verhielten sich einige andere officinelle Rinden, die zum Vergleich diesem Versuch unterworfen wurden. Die Gegenwart einiger Reagentien verhindert bei der ächten Chinarinde das Eintreten der Reaction. Ein Zusatz von Kali, Natron oder Kalkhydrat verhindert die Bildung des rothen Körpers. Rauchende Salpetersäure und Chromsäure wirken eben so; die Rinden verbrennen bei dem Erhitzen unter Feuererscheinung. Doppelt-chromsaures Kali oder Mangansuperoxyd mit Schwefelsäure, ferner glasartige Phosphorsäure und Schwefelsäurehydrat verhindern ebenfalls die Bildung des rothen Körpers. Der Zusatz von reinem Mangansuperoxyd ist ohne Einfluß, die Reaction wird bei der Gegenwart dieses Körpers eben so gut erhalten, als ohne denselben. Um zu entscheiden, welche Bestandtheile der Chinarinden die Bildung des rothen Körpers bei der trocknen Destillation vorzüglich bedingen, stellte ich folgende Versuche an: Chinin, Cinchonin, Chinidin und Cinchonidin, ein jedes für sich, eines mit dem anderen oder auch alle zusammen gemischt, geben bei dem Erhitzen die rothe Reaction nicht. Chinoidin, verkäufliches, das wahrscheinlich nicht ganz rein war, gibt, vorsichtig erhitzt, eine schwache, schnell vorübergehende rothe Färbung. Chinagerbsäure und Chinasäure, eine jede besonders und auch zusammen erhitzt, geben keine Reaction. Chinin, Cinchonin, Chinidin, Cinchonidin und Chinoidin, ein jedes für sich oder im Gemische mit einander, mit 1 oder 2 Tropfen concentrirter Essigsäure, auf etwa 1 Gran Alkaloid, erhitzt, gaben die rothe Reaction ausgezeichnet gut, und der sich hierbei bildende rothe flüchtige Körper ist von schön carminrother Farbe, ganz dem ähnlich, wie er bei der Reaction der Chinarinden erhalten wird. Ebenso verhalten sich die Chinabasen bei dem Erhitzen mit Chinasäure, Chinagerbsäure, Citronensäure, Weinsäure, Valeriansäure, Buttersäure und Gerbsäure. Cinchonin, Chinidin und Cinchonidin geben, mit Essigsäure erhitzt, die Reaction nicht augenblicklich, weil diese Körper sich leicht sublimiren, doch die Bildung des rothen Körpers bleibt nie aus, wenn man das Sublimat schmelzt und in den erhitzten Theil der Röhre zurückfließen läßt, oder gleich anfangs eine der genannten Säuren anwendet. Schwefelsaures Chinin oder die anderen Chinabasen mit Schwefelsäurehydrat erhitzt, färben sich momentan roth, doch die Färbung verschwindet sehr bald in Folge der energischen Wirkung der Säure. Da bekanntlich Strychnin mit Aetzkali destillirt, ebenso wie die Chinabasen, Leukolin liefert, so wurde der Versuch auch mit dieser Base angestellt, doch gab das Strychnin bei dem Erhitzen für sich, sowie auch mit Säuren, die rothe Färbung nicht. Ebenso verhielten sich: Aconitin, Atropin, Berberin, Brucin, Emetin, Gentianin, Morphin, Narcotin, Salicin und Theïn. Aus diesen Versuchen läßt sich der Schluß ziehen, daß die Bildung des rothen Körpers bei dem Erhitzen der Chinabasen mit organischen Säuren und der Chinarinden für sich charakteristisch ist. Die Reaction tritt immer ein, wenn die Chinaalkaloide in höherer Temperatur mit organischen Säuren zusammentreffen – eine Bedingung, die bei den ächten Chinarinden in der Natur der Sachen liegt. Was die Producte der trocknen Destillation der ächten Chinarinden anlangt, so sind sie, wie es sich voraussetzen läßt, sehr complicirt, daher kann ich auch nur eine kleine Notiz über die Eigenschaften des rothen Körpers folgen lassen. Der flüchtige carminrothe Stoff bildet sich immer zugleich mit einer wässerigen, sauer reagirenden Flüssigkeit und hat, so wie auch die bei der Operation auftretenden reichlichen Dämpfe, einen eigenthümlichen, brenzlich aromatischen Geruch, der zugleich an Leukolin und den charakteristischen Geruch der Chinarinden erinnert. Von der sauren, wässerigen Flüssigkeit abgeschieden, stellt der Körper eine dicke ölartige Flüssigkeit von prachtvoll carminrother Farbe dar, die in Berührung mit der Luft in Braunroth übergeht. Der Geschmack ist bitter, brennend, pfefferartig. Der Körper ist leichter als Wasser und theilt diesem einen schwachen Geruch und Geschmack mit, ohne sich darin aufzulösen. Alkohol löst ihn in allen Verhältnissen, und Wasser scheidet aus dieser Lösung ein weiches Harz von dunkler Farbe aus. Der Körper scheint ein Gemisch von Brandharzen, indifferenten Oelen und essigsauren Salzen zu seyn, denn mit Aetzkalilösung der Destillation unterworfen, liefert er eine kleine Menge einer flüchtigen organischen Base; mit wässeriger Phosphorsäure destillirt gibt er Essigsäure.Prof. Böttger bemerkt in seinem polytechnischen Notizblatt, 1858, Nr. 7: „Der hier in Rede stehende rothe Farbstoff ist unstreitig ein mehr oder weniger mit empyreumatischen Stoffen verunreinigtes Chinaroth, welches bei der Chininfabrication bekanntlich in nicht unbeträchtlichen Quantitäten als ein bis jetzt werthloses Nebenproduct gewonnen wird; dasselbe kommt in manchen Chinarinden bereits fertig gebildet vor, entsteht aber auch bei der Oxydation der Chinagerbsäure sehr leicht. Erhitzt man ein wenig reines Chinaroth in einer Probirröhre, so sieht man die oben erwähnten Reactionen in vollendeter Schönheit, die ganze Röhre erfüllt sich nämlich mit einem prachtvoll rothgefärbten Dampf, ähnlich dem, welchen man bei der Erhitzung von Jod wahrnimmt.“