Titel: Ueber die Anwendung des Anilins in der Färberei, namentlich der Seidenfärberei; von Prof. P. Bolley.
Fundstelle: Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XXXVIII., S. 123
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XXXVIII. Ueber die Anwendung des Anilins in der Färberei, namentlich der Seidenfärberei; von Prof. P. Bolley. Aus der schweizerischen polytechn. Zeitschrift, 1858, Bd. III S. 124. Bolley, über die Anwendung des Anilins in der Färberei. Meines Wissens ist in den deutschen technischen Zeitschriften über das Färben mit dem Oxydationsproduct, das aus Anilin durch Einwirkung von chromsaurem Kali und Schwefelsäure entsteht, bis jetzt nichts enthalten gewesen, als was jüngsthin von Prof. G. Calvert in Manchester (im polytechn. Journal Bd. CXLIX S. 137) berichtet worden. Er theilt mit, daß Perkins sich ein Verfahren zum Färben mit Anilin habe patentiren lassen. Ehe diese noch wenig genaue Notiz mir zukam, war mir durch eine mündliche Mittheilung von Prof. Hoffmann in London im Herbste 1857 bekannt geworden, daß man jetzt in England viel Anilin erzeugt zum Zweck der Darstellung eines blauen Farbstoffs, ohne daß ich irgend etwas über das Verfahren, wie er auf der Faser fixirt werde, hätte erfahren können. Auf die Vorlage eines von Lyon gekommenen kleinen Musters violett gefärbter Seide Seitens des hiesigen den Fortschritten der Technik sorgfältig folgenden Seidenfärbers Hrn. Zeller, Vater, habe ich einige Versuche zur Herstellung dieser Farbe auf Seide angestellt. Es war mir hinsichtlich dieses Musters die Vermuthung ausgesprochen worden, es sey das färbende Princip das sogenannte Pittacall von Reichenbach, von welchem W. H. v. Kurrer in seinem Buche „Das Neueste in dem Gebiete der Druck- und Färbekunst“, Berlin 1858, berichtet wie folgt: „Das Pittacall wurde von Reichenbach in Blansko entdeckt, und aus dem Holztheer als ein schöner, eigenthümlicher, blauer Farbstoff dargestellt, der aber bis jetzt noch wenig Eingang in der Färberei gefunden hat. Um den Farbstoff zu gewinnen, scheidet man die Essigsäure, welche sich bei der Destillation des Holzes neben dem Theere bildet, von diesem ab, macht eine weingeistige Lösung der Oele und versetzt diese mit Barytwasser, wonach sich sogleich ein dunkelbrauner Niederschlag bildet, der nach dem Trocknen eine blaue Masse darstellt, die dem Indigo sehr ähnlich sieht und wie dieser beim Reiben einen kupferfarbigen Glanz annimmt. Das Pittacall ist dem Indigo so ähnlich, daß es leicht mit diesem verwechselt werden kann, unterscheidet sich aber von diesem wesentlich im Verhalten gegen Reagentien. Es ist geruch- und geschmacklos, in Wasser unlöslich, suspendirt nur darin, läßt sich jedoch durch ein feines Filter filtriren. In Säuren ist es löslich und bildet damit gefärbte Flüssigkeiten. Mit Essigsäure gibt es eine tief rosenrothe Lösung, aus der es durch Alkalien wieder mit blauer Farbe gefällt wird. Dieser Farbenwechsel geschieht durch die geringste Menge Säure oder Alkali, daher es von Reichenbach als Reagens in Vorschlag gebracht wurde, weil es noch empfindlicher als Lackmus ist.“ „Die Farbe des Pittacall verändert sich weder an der Luft, noch am Licht, eine Eigenschaft die es in der Färberei sehr empfiehlt. Mit Bleizucker, Zinnsalz, essigsaurer Thonerde und ammoniakalischem schwefelsaurem Kupfer gibt es veilchenblaue Farben.“ Das Pittacall ist ein vielleicht von keinem Chemiker außer von Reichenbach selbst gesehener oder dargestellter Körper. Seine Darstellung ist jedenfalls unsicher und alle Angaben über die Ausbeute sehr schwankend, so daß es mir wenigstens mehr als zweifelhaft erscheint, der Reichenbach'sche Körper, der auch in seinen Eigenschaften und in seiner Zusammensetzung ganz unzureichend bekannt ist, werde je als Ausgangspunkt zu Färbeversuchen nützlich werden können. Unter dieser Annahme begann ich meine Versuche mit Anilin, und es glückte mir äußerst schöne Nüancen, die dem Lyoner Muster im Charakter ganz gleich, wenn auch in der Tiefe des Farbentons verschieben waren, herzustellen. Ich habe Anilin sowohl aus Indigo und Aetzkali, als auch aus Nitrobenzin mit Eisenfeile und Essigsäure im technischen Laboratorium des Polytechnicums darstellen lassen und namentlich mit dem letzteren die schönen charakteristisch violetten Töne erhalten. Ueber die Darstellung und Eigenschaften des Anilins kann ich füglich auf jedes Handbuch der organischen Chemie verweisen; sein Verhalten zu Oxydationsmitteln dagegen und dasjenige des Oxydationsproducts gegen Gespinnstfasern will ich, so weit meine noch unvollständigen Versuche reichen, hier mittheilen. Als Reaction auf Anilin wird von den Chemikern schon lange Chlorkalklösung angewendet; es wird aber angegeben der anfangs blaue Niederschlag habe durchaus keine Beständigkeit. Ganz ähnlich wie Chlorkalk wirkt Chromsäure; die Farbe der Flüssigkeit, in welcher der abgeschiedene Farbstoff suspendirt ist, hat aber eine weniger charakteristische Farbe, und der Niederschlag selbst sieht sich wegen der Farbe der Flüssigkeit keineswegs violett oder blau an, das Magma ist vielmehr rothbraun. Ich habe mich überzeugt, daß, wenn man Chlorwasser (Chlorkalk zeigte sich mir weit weniger geeignet) zu einer sehr verdünnten Anilinsalzlösung mit der Vorsicht, daß ein Ueberschuß vermieden wird, hinzusetzt, die Farbe sich allmählich in Violett umwandelt und ziemlich Bestand hat. Sie wird mehr ins Rothe gezogen, wenn die Flüssigkeit stark sauer gemacht und namentlich wenn sie erhitzt wird. Calvert berichtet über das Patent von Perkins: „Sein Verfahren besteht darin, schwefelsaures Anilin, Cumidin oder Toluidin in Wasser aufzulösen und dann die Schwefelsäure dieser Salze durch eine hinreichende Menge zweifach-chromsaures Kali zu sättigen. Man läßt das Ganze 12 Stunden lang in Ruhe und erhält alsdann einen braunen Niederschlag, den man mit Steinkohlentheeröl wäscht und hernach mit Methylalkohol (Holzgeist) auflöst. Diese Auflösung, welcher man ein wenig Weinsteinsäure oder Oxalsäure zusetzt, bildet das Färbebad.“ Ich habe keine Erfahrung über die Richtigkeit dieser Angabe und die Zweckmäßigkeit des Verfahrens. Es kann ein jeder Färber dasselbe leicht prüfen. Es scheint mir jedoch, daß es als ein Gewinn zu betrachten wäre, wenn man, anstatt den Farbstoff zu fällen, auszuwaschen und wiederzulösen, denselben sofort auf der Faser erzeugen könnte. Der violette Farbstoff aus dem Anilin ist eine sogenannte substantive Farbe, d.h. sie haftet ohne das Medium einer Beize auf der Faser. Dieß ist wenigstens nach meinen Erfahrungen der Fall, wenn der Farbstoff in Gegenwart der Faser gebildet wird; ob dem auch so sey, wenn er in Holzgeist gelöst worden, ist in Calvert's Notiz unberührt geblieben. Das Färben damit hat durchaus keine Schwierigkeit, wenn man die vorher genetzte Seide in eine verdünnte Anilinlösung bringt, die man kurz vorher mit etwas Chlorwasser (dessen Geruch, falls nicht Ueberschuß zugesetzt wird, augenblicklich verschwindet) gemischt hat, und die Seide auf dem Bade mehrere Stunden ruhig stehen läßt. Durch Erwärmung wird die Fällung des Farbstoffs beschleunigt. Ueber Concentration der Anilinlösung und Stärke und Menge des Chlorwassers kann ich, da mir das Material ausging, jetzt noch keine Mittheilung machen, die passenden Verhältnisse werden indessen leicht zu finden seyn. Daß auch sehr verdünnte Lösungen von Anilin noch ziemlich tiefe Farbentöne liefern, ist eine (bei dem hohen Preis, den das Anilin noch behalten wird, ehe neue Quellen der Erzeugung aufgeschlossen sind) für die Entwicklung dieser Färberei sehr wichtige Thatsache. Mit chromsaurem Kali und Schwefelsäure fielen meine Versuche insofern minder günstig aus, als die Farbe immer zu viel roth und etwas trüber erschien, als die mit Chlorwasser erzeugte. Die Violett, welche ich erzeugte, sowie das Lyoner Muster, sind gegen das Licht viel solider als Blauholz- und Orseilleviolett. Nachschrift. – Nachdem obige Mittheilung schon dem Druck übergeben war, wurde uns eine Probe einer carminrothen Flüssigkeit mitgetheilt, die unter dem Namen pourpre française von Guiner und Comp. in Lyon in den Handel gebracht wird. Dieselbe reagirte etwas sauer, außer etwas Essigsäure ließen sich andere Säuren nur spurweise darin nachweisen. Ihr allgemeines Verhalten kam ziemlich mit dem der Flüssigkeit überein, die durch Chlorwasser und etwas Weinsäure und Anilinlösung erhalten worden war. Durch Zusatz von Aetznatron zu der mit Chlorwasser gemischten Anilinlösung wurde ein brauner Niederschlag erhalten, der auf einem Filter gesammelt und mit etwas Wasser ausgewaschen, in einer schwachen Lösung von Weinsäure und Oxalsäure ganz löslich war. Diese Lösung war im Ansehen und ihrem Verhalten gegen Seide nicht von der aus Lyon kommenden zu unterscheiden. Es ist Holzgeist demnach entbehrlich als Lösungsmittel, in dem pourpre française war kein solcher nachweisbar.