Titel: Ueber den Kraftbedarf und die Leistung der Baumwollspinnereimaschinen; von Prof. E. H. Schmidt in Stuttgart.
Fundstelle: Band 153, Jahrgang 1859, Nr. XXVIII., S. 96
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XXVIII. Ueber den Kraftbedarf und die Leistung der Baumwollspinnereimaschinen; von Prof. E. H. Schmidt in Stuttgart. Aus dem württembergischen Gewerbeblatt, 1859, Nr. 28. Schmidt, über den Kraftbedarf und die Leistung der Baumwollspinnereimaschinen. Wieck's deutsche Gewerbezeitung, 1859 S. 145, enthält „Mittheilungen aus dem Tag- und Notizbuche eines alten Technikers,“ deren Verfasser, der frühere Spinnereidirector Ernst Walter in Sachsen, sich die Aufgabe gestellt hat, einen bisher noch wenig erörterten und deßhalb sehr streitigen Punkt des Spinnereifaches, nämlich den Kraftconsum der Spinnereianlagen und dessen Vertheilung auf die einzelnen Maschinen, zur Besprechung und Erledigung zu bringen. Die ganze, ziemlich umfängliche Arbeit gründet sich vorzugsweise auf des Verfassers eigene Erfahrungen während einer langjährigen Praxis. Obgleich Walter die Beobachtungen Anderer wenig benützt hat, bleibt die Arbeit doch eine sehr schätzenswerthe. Von besonderem Interesse sind die Nachweisungen über die Veränderungen in der Leistungsfähigkeit und dem Kraftbedarf der Maschinen, welche im Laufe dieses Jahrhunderts durch die fortschreitende Verbesserung der Maschinen herbeigeführt worden sind. Am Anfange desselben rechnete man für 40er Kettengarn 600 Spindeln mit allen Vorbereitungsmaschinen und sonstigem Zubehör auf eine Pferdekraft und erzielte per Pferd und Stunde 100 Schneller Mulegarn. Gegen das Jahr 1820, als man eine bessere Wollreinigung eingeführt hatte, kamen bei derselben Nummer und Gattung nur noch 400 Spindeln mit Zubehör auf die Pferdekraft und die Production per Stunde und Pferd sank auf 90 Schneller. Die Einführung der Grobflyer statt der Kamm- und Laternenmaschinen gegen das Jahr 1830 reducirte die per Pferd getriebene Spindelzahl auf 312 und die Production per Stunde und Pferd auf 83 Schneller. Die weitere Ausbildung des Flyersystems, die Einführung der Feinflyer statt der Mulevorspinnmaschienen, die Anwendung der Pression, die Wickeldoublirung auf der Schlagmaschine, die stärkere Ventilation bei der Schlagmaschine, stärkere Spindeln und andere Verbesserungen führten bis zum Jahre 1850 die von einer Pferdekraft getriebene Spindelzahl auf 210 und die per Pferd und Stunde gelieferte Anzahl Schneller auf 67 1/2 zurück. Bei Anwendung von Selfactors kann der Kraftbedarf um 1/6 höher, die Lieferung per Stunde und Pferd um ebensoviel niedriger angenommen werden, so daß in jetziger Zeit in einer guten neuen Spinnerei nur 175 Selfactorspindeln mit Zubehör durch ein Pferd getrieben und per Spindel und Pferd 56 1/3 Schneller producirt werden können. Eine Spinnerei, welche wöchentlich 4500 Pfd. Garn Nr. 40 oder 180,000 Schneller mit Handmules liefern soll, brauchte demnach im Anfange dieses Jahrhunderts 15,000 Spindeln mit 25 Pferdekräften, im Jahr 1835 etwa 10,000 Spindeln mit 29 Pferdekräften und im Jahr 1850 nur 7760 Spindeln mit 37 Pferdekräften. Der Betrieb mit Selfactors würde 7000 Spindeln und 44 Pferdekräfte erfordern. Als Grundlage für weitere Entwickelungen nimmt W. an, daß für den jetzigen Zustand der Spinnereien bei Production von Nr. 40 folgende Angaben festgehalten werden dürften. Bei Anwendung von Handmules werden durch eine Pferdekraft 240 Spindeln mit allem Zubehör getrieben, die Production beträgt per Stunde und Pferd 70 Schneller und jede Spindel liefert in 72 wöchentlichen Arbeitsstunden 21 Schneller. Bei Anwendung von Selfactors bewegt eine Pferdekraft 200 Spindeln mit Zubehör, die Production per Stunde und Pferd beträgt 63 Schneller und die wöchentliche Production einer Spindel 22 2/3 Schneller. Gestützt auf diese Annahmen und unter Zuhülfenahme seiner Erfahrungsresultate entwirft W. eine tabellarische Zusammenstellung über die Productionsfähigteit und den Kraftbedarf bei der Herstellung von 12 verschiedenen, zwischen 8 und 120 liegenden Garnnummern, die wir unter Reduction auf 2/3 der ursprünglichen Ausdehnung, also für nur 8 Nummern, hier wiedergeben. Bei Anwendung von Handmules. Garnnummer. 8 12 20 30 40 60 80 100 Spindeln per Pferd 93 120 166 210 240 260 288 312 Schneller per Stunde und Pferd 35 42 54 64 70 65 60 54 Schneller per Spindel und Woche 27 25 23 22 21 18 15 12 Bei Anwendung von Selfactors. Garnnummer. 8 12 20 30 40 60 80 Spindeln per Pferd 77 100 138 175 200 217 240 Schneller per Stunde und Pferd 31 38 48 58 63 58 54 Schneller per Spindel und Woche 29 27 25 24 23 19 16 W. nimmt ferner an, daß dermalen durch eine Pferdekraft ohne die zugehörenden Vorbereitungsmaschinen 500 Mule- oder 400 Selfactorspindeln getrieben werden können. Mit Zugrundlegung der in der ersten Tabelle enthaltenen Werthe für Produktion und Betriebskraft gibt er dann eine zweite, sehr ausgedehnte Tabelle über Spindelzahl, Betriebskraft und deren Vertheilung auf Vorbereitung und Feinspinnerei, mit Beziehung auf eine Spinnereianlage, welche wöchentlich 4000 Pfd. Garn von Nr. 8 bis 120 erzeugen soll. Diese Tabelle ist beifolgend mit einigen Modificationen und bedeutenden Reductionen wiedergegeben. Die in der zweiten Horizontalreihe enthaltene Anzahl Schneller per Woche ergibt sich durch Multiplication der in der ersten Reihe stehenden Nummer mit der Pfundzahl 4000. Die Spindelzahl der dritten Horizontalreihe wird dadurch erhalten, daß die Anzahl Schneller per Woche durch die in der ersten Tabelle angegebene, per Spindel und Woche zu producirende Anzahl Schneller dividirt wird. Die in der vierten Reihe gegebenen Pferdekräfte für das Feinspinnen ergeben sich durch Division der Spindelzahl mit 500 bei Handmules und mit 400 bei Selfactors. Die hierauf folgende Anzahl Pferdekräfte für die Vorbereitung sind Ergebnisse von Walter's praktischen Erfahrungen, und die Pferdekräfte für den ganzen Betrieb ergeben sich durch Addition der in den beiden vorhergehenden Horizontalreihen enthaltenen Werthe. Zusammenstellung der Spindelzahl und der Pferdekräfte für acht verschiedene, auf die Nummern von 8 bis 100 eingerichtete Spinnereien, unter der Annahme, daß jede derselben 4000 Pfd. per Woche produciren soll. a) Bei Anwendung von Handmules. Garnnummer. 8 12 20 30 40 60 80 100 Anzahl Schneller   per Woche 32,000 48,000 80,000 120,000 160,000 240,000 320,000 400,000 Anzahl   Feinspindeln   1,185   1,920   3,400     5,454     7,620   13,333   21,333   32,000 Pferdekräfte zum  Feinspinnen   2,37   3,84   6,80   10,90   15,24   26,67   42,67   64,00 Pferdekräfte zur  Vorbereitung 10,38 12,16 13,70   15,10   16,51   24,58   31,33   39,00 Pferdekräfte zum  Gesammtbetrieb 12,75 16,00 20,50   26,00   31,75   51,25   74,00 103,00 b) Bei Anwendung von Selfactors. Garnnummer. 8 12 20 30 40 60 80 Anzahl Schneller  per Woche 32,000 48,000 80,000 120,000 160,000 240,000 320,000 Anzahl  Feinspindeln   1,100   1,778   3,152     5,052     7,060   12,300   19,753 Pferdekräfte zum  Feinspinnen   2,75   4,44   7,88   12,63   17,65   30,75   49,38 Pferdekräfte zur  Vorbereitung 11,25 13,06 15,12   16,12   17,60   26,25   32,87 Pferdekräfte zum  Gesammtbetrieb 14,00 17,50 23,00   38,75   35,25   57,60   82,25 Aus dieser Zusammenstellung lassen sich verschiedene interessante Folgerungen ableiten. Die Betriebskräfte für die Vorbereitung und das Feinspinnen sind unter a) bei Nr. 50, unter b) bei Nr. 40 einander gleich, für niedrigere Nummern erfordert die Vorbereitung, für höhere Nummern das Feinspinnen den größeren Kraftaufwand. Bei Production von Nr. 8 nimmt die Vorbereitung circa 80 Proc. der Gesammtbetriebskraft in Anspruch, bei Nr. 20 nur circa 66 Proc. und bei Nr. 100 mit Handmules nur 38 Proc. Es ist hieraus zu ersehen, welche Fehler namentlich von den Statistikern gemacht werden, wenn alle Spinnereien bezüglich ihres Kraftbedarfs nach einer einzigen Regel geschätzt werden. In derselben Anordnung hat W. auch Zusammenstellungen für Waterspinnereien geliefert, mit Berücksichtigung der verschiedenen Systeme von Watermaschinen. Er nimmt drei Classen Watermaschinen an, nämlich: 1) die gewöhnliche Watermaschine von 3000–5000 Umdrehungen mit 180 bis 300 Spindeln per Pferdekraft; 2) die verbesserte Watermaschine mit 6000 Umdrehungen und 120 bis 200 Spindeln per Pferdekraft; 3) die Danfroth-Watermaschine u. dgl., welche über 6000 Umdrehungen machen und 100 bis 170 Spindeln per Pferdekraft erfordern. Die weiteren Untersuchungen sind ebenfalls sehr gründlich durchgeführt; da jedoch die Waterspinnerei dermalen noch in sehr geringer Ausdehnung betrieben wird, so mag wegen des Weiteren die Hinweisung auf unsere Quelle genügen.