Titel: Die Anfertigung der Armstrong'schen Geschütze in England, und deren Vorzüge.
Fundstelle: Band 156, Jahrgang 1860, Nr. XXXIII., S. 107
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XXXIII. Die Anfertigung der Armstrong'schen Geschütze in England, und deren Vorzüge. Nach einem Artikel der Times vom 24. Januar 1860 bearbeitet. Mit Abbildungen. Ueber die Anfertigung der Armstrong'schen Geschütze in England. Wir wollen bei der folgenden Beschreibung annehmen, daß es sich um die Anfertigung einer 25 Pfänder Kanone handelt. An einem Ende der Artilleriewerkstatt befindet sich ein sehr langer, aber schmaler Flammofen, in welchen Stäbe vom besten Walzeisen, welche ungefähr 2 Zoll im Quadrat stark und 40 Fuß lang sind, eingelegt werden können (für eine 100 Pfünder Kanone wären Stäbe 90 Fuß Länge erforderlich). Vor diesem Ofen ist ein eiserner Dorn, nämlich ein massiver Cylinder angebracht, dessen Durchmesser gleich dem der rohen 25 Pfünder Kanone ist. Nachdem in dem Flammofen ein Eisenstab von den erwähnten Dimensionen weißglühend oder schweißwarm gemacht worden ist, wird derselbe durch eine Oeffnung in der Arbeitsthür aus dem Ofen herausgezogen und langsam um den Dorn gewunden, so daß die Windungen so nahe als möglich an einander liegen. Nachdem diese Arbeit mit dem ersten Stabe ausgeführt worden ist, wird der Dorn an seinem einen Ende aufgerichtet, und das korkzieherförmige Band von 3 Fuß Länge wird weggenommen. Dasselbe kommt nun in einen großen Schweißofen, in welchem es in 10 Minuten schweißwarm gemacht wird, wornach man es aufrecht in einen eisernen Cylinder stellt, um es mittelst eines Dampfhammers zusammenzuschweißen, welcher es in eine Röhre von 2 1/2 Fuß Länge verwandelt; drei solcher Röhren bilden eine 25 Pfünder Kanone. Diese Röhren kommen nun in die Drehwerkstatt, wo man sie im Innern ausbohrt und äußerlich bis auf 1/10 Zoll des wirklichen Durchmessers der Kanone abdreht, so daß man den geringsten Riß welcher beim Schweißen der Bänder zurückgeblieben seyn könnte, aufzufinden vermag. Nachdem sich die Röhre als fehlerfrei erwiesen hat, kommt sie wieder in die Schmiede. Hier werden zwei Röhren mit ihren Enden in den Flammenstrom eines Ofens gebracht, und nachdem sie die erforderliche Schweißhitze erlangt haben, mittelst einer eisernen, durch Menschenkräfte bewegten Ramme zusammengeschweißt; drei so vereinigte Röhren bilden, wie erwähnt, das Geschützrohr. Auf der Verbindung der ersten und der zweiten Röhre, in der Nähe der Stelle wo die Schildzapfen hinkommen, bringt man ein zweites Rohr an, welches in beschriebener Weise aus einem spiralförmig gewundenen Eisenstab zusammengeschweißt und abgedreht worden ist. Dieses Rohr wird dunkelrothglühend aufgezogen. Ueber letzteres Rohr wird ein massiver Reif von Schmiedeeisen im heißen Zustande gezogen, an welchem die Schildzapfen angebracht sind, und während sich dieser abkühlt, wird Wasser durch das Rohr getrieben, um dessen Erhitzung zu verhindern. Das eigentliche Geschützrohr ist nun vollendet, es muß aber noch das Bodenstück oder der sogenannte Stoß der Kanone angebracht werden. Bei der Anfertigung der ersten, zweiten und dritten Röhre, welche zusammen das eigentliche Geschützrohr bilden, wurden die Stäbe des fadigen oder sehnigen Eisens der Quere nach um den Dorn gewickelt; bei dem Bodenstück aber, welches den ganzen Rückstoß der Explosion auszuhalten hat, würde eine solche Benutzung der Eisenstäbe bei dem ersten Schuß nachgeben. Das Bodenstück wird daher aus keilförmigen Schmiedeeisenstücken gebildet, so daß die fadige Textur des Eisens hier der Länge des Geschützes nach läuft, indem man alle diese Stücke unter dem Dampfhammer zu einer röhrenförmigen Masse zusammenschweißt und vereinigt. Dieser Theil wird dann wie die drei Röhren welche das Geschützrohr bilden, abgedreht, hernach dunkelrothglühend gemacht und mit dem Geschützrohr vereinigt. Ueber das Bodenstück werden endlich noch (wie es an der Schildzapfenstelle geschehen ist) zwei aus einem spiralförmig gewundenen Eisenstab zusammengeschweißte Röhren gezogen, bei denen also der Faden oder Nerv des Eisens einen rechten Winkel mit der fadigen Textur des Bodenstückes bildet. Das Geschützrohr kann nun äußerlich auf seine eigentlichen Dimensionen abgedreht werden. Hernach wird das Rohr unter die Bohrmaschine gebracht, welche senkrecht von Oben nach Unten vier Geschütze auf einmal ausbohrt. Jedes Rohr wird zweimal gebohrt, und jede Bohrarbeit beansprucht nur sechs Stunden Zeit; bei der ersten Bohrung wird das Rohr bis auf 1/1000 Zoll von seinem wirklichen Durchmesser ausgebohrt, während es bei der zweiten vollendet wird. Nachdem sich die Bohrung bis zu einer halben Haardicke als richtig erwiesen hat, beginnt die Anfertigung der Züge. Hierzu wird das Rohr horizontal in einer Drehbank eingerichtet und die Züge werden einer nach dem andern in einem Zeitraum von fünf Stunden eingeschnitten. Ein Armstrong'sches Geschütz hat 40 feine Züge, von denen jeder seine eigene winkelige Form hatDer englische Berichterstatter sagt: each groove is of a peculiar angular shape; dieß ist wohl so zu verstehen, daß jede Zugfläche zwei verschiedene Winkel hat., beiläufig 1/8 Zoll tief istNach der Angabe des Hrn. Ingenieur Alfred Lenz, welcher in der Wochenversammlung des österreichischen Ingenieurvereins am 12. November 1859 einen Vortrag über die Construction der Armstrong'schen Kanone hielt, die er bei dem Erfinder selbst gesehen und untersucht hat, sind die Züge 2 Millimeter tief und 4 Millimeter breit, während die viel besprochenen französischen Kanonen Züge von beiläufig 3 1/2 Millimeter Tiefe und Breite haben. (Zeitschrift des österreichischen Ingenieurvereins, November 1859. S. 203.), und auf einer Länge von 10 1/2 Fuß einen vollständigen Umgang (Drall) im Rohre bildet. Man hat nun bloß noch eine prismatische Vertiefung für das Einsatzstück (vent piece) in dem oberen Theile des Bodenstückes herzustellen (an der Stelle des Zündlochs der gewöhnlichen Geschütze), und ein feines Gewinde in das offene Bodenstück am Ende der Kanone einzuschneiden. Fig. 1., Bd. 156, S. 109 Fig. 2., Bd. 156, S. 109 Die starke Schraube d, Figur 1 und 2, welche sich in der Rohrachse am Ende des Geschützes befindet, läßt sich mittelst eines an seinem Ende verstärkten Schlüsseldorns leicht losschrauben. Will man schießen, so wird vorerst das Einsatzstück a herausgenommen, das den eigentlichen Stoßboden der Kanone bildet und in welchem vorn eine kupferne Scheibe c etwas vorstehend befestigt ist. Alsdann wird die Patrone und das conische Geschoß in das Bodenstück durch die hohle Schraube eingelegt.Im polytechn. Journal Bd. CLI S. 416 wurde eine Beschreibung der Armstrong'schen Kanone aus dem Mechanics' Magazine vom 25. Februar 1859 mitgetheilt, welche aber in einem wesentlichen Punkt unrichtig ist. Sir William Armstrong hielt nämlich zu Newcastle am 10. Mai v. J. eine Rede, worin er sich (nach dem Mechanics' Magazine vom 20. Mai) folgendermaßen äußerte:„In allen Berichten, welche bisher über die Construction meiner Kanone erschienen, heißt es daß die große Schraube, welche durch den hintern Theil des Rohrs geht, gegen eine Kupferscheibe andrückt, zu dem Zweck die Seele nach dem Laden der Kanone zu schließen; es blieb aber den Berichterstattern entweder die Thatsache unbekannt, daß diese Schraube eine hohle Schraube ist, oder sie haben den Zweck dieses Umstandes nicht begriffen. Da jetzt täglich Kanonen nach meinem System angefertigt werden, so läßt sich deren Construction in keiner Hinsicht mehr geheim halten; dieselben werden durch die hohle Schraube geladen, und es war ein großer Irrthum zu behaupten, daß die Ladung (das Geschoß und das Pulver) durch die enge prismatische Oeffnung eingebracht werden kann, in welche das mit dem Zündloch versehene Einsatzstück eingesenkt wird.“Wir haben, um das Verständniß obiger Beschreibung zu erleichtern, eine Skizze beigegeben; Fig. 1 ist ein senkrechter Längendurchschnitt der Kanone, und Fig. 2 eine obere Ansicht derselben.A. d. Red. Hierauf wird das Einsatzstück durch die obere Oeffnung eingebracht und mittelst der hohlen Schraube vorgeschraubt, wornach das Ende der Seele vollkommen geschlossen ist, was durch einen einzigen Schraubenumgang bewerkstelligt wird. Ist nun das Geschütz abgefeuert, so wird die Schraube so weit zurückgedreht, daß das Einsatzstück leicht herausgenommen werden kann, die Pulverkammer mit einem durch die hohle Schraube eingeführten Schwamme gereinigt, und das Geschütz dann auf angegebene Weise wieder schußfertig gemacht, wozu eine einzige Minute hinreicht. Das Zündloch ist natürlich durch das Einsatzstück gebohrt, und die Zündung erfolgt mittelst eines gewöhnlichen Percussionszünders. Die Einsatzstücke sind alle prismatisch, haben aber für jedes Geschützkaliber andere Dimensionen. Die Visire für diese weittragenden Geschütze sind auf der rechten Seite des Bodenstückes, auf dem rechten Schildzapfen und auf der rechten Seite der Mündung angebracht, um durch diese Visirlinie die Abweichung des Geschosses zur Linken zu corrigiren, welche bei allen gezogenen Kanonen, deren Züge nach dieser Richtung gedreht sind, stattfindet. Wir wollen nun noch die Kosten, das Gewicht, die Dauerhaftigkeit und die Tragweite dieser Artilleriestücke besprechen, damit man einen Vergleich zwischen diesem neuen Systeme und dem ältern anstellen kann. Was zuvörderst die zur Anfertigung einer Armstrong'schen Kanone erforderliche Zeit betrifft, so versicherte die englische Regierung bereits vor 10 Monaten, daß die vereinigte Thätigkeit der Arsenale zu Woolwich und zu Elswick die Vollendung von 100 Geschützen im Laufe des Jahres 1859 gestatten würde. Vor Ablauf des gedachten Jahres waren aber in Woolwich allein mehr als 100 Geschütze vollendet. Der Betrieb der verschiedenen Werkstätten war ein so regelmäßiger und gut geleiteter, daß die Fabrication nach und nach zur Vollendung von 5 auf 23 Stück in der Woche gelangte. Gegenwärtig (Ende Januar 1860) sind zu Woolwich 113 12 Pfünder Feldgeschütze vollendet, und im Ganzen sind 220 Stücke dieses Kalibers in der Fabrication mehr oder weniger vorgeschritten, daher man jetzt zur Fabrication von Stücken stärkeren Kalibers überzugehen beabsichtigt. Nimmt man an, daß Woolwich wöchentlich 23 Geschütze zu liefern im Stande ist, so könnte diese Fabrik allein im Laufe dieses Jahres 1100 neue Geschütze anfertigen. Aus den eigenen Werkstätten des Sir William Armstrong zu Elswick hat man außer einigen groben Geschützen zwei vollständige 12 Pfünder-Batterien sowie 21 12 Pfünder für den Schaluppen-Dienst nach China geschickt; außerdem sind daselbst 40 12 Pfünder fertig, welche nur noch nach Woolwich geliefert werden müssen, um daselbst laffettirt zu werden. Man verfertigt zu Elswick täglich zwei 40 Pfünder und hat jetzt die Anfertigung eines 100 Pfünder Geschützes von 10 1/2 Zoll Bohrung begonnen, von welchem man eine Tragweite von 6 1/2 englischen Meilen (13900 Schritten oder beiläufig 2 4/5 Wegstunden) erwartet. Sowie zu Woolwich haben die Werkstätten zu Elswick ihre Production von 3 Stück wöchentlich auf 14 gesteigert. Das Armstrong'sche Geschütz ist als die wohlfeilste bis jetzt angewendete Waffe zu betrachten. Ein gewöhnliches 12 Pfünder Feldgeschütz kostet an Material und Arbeitslöhnen ungefähr 200 Pfd. Sterl. (etwa 1370 Thlr.); die größte Tragweite eines solchen Geschützes beträgt 1400 Yards1400 Yards= 1700 Militär-Schritte5000    „= 6075           „; sein Gewicht beträgt 19 Ctr., und es erfordert eine Bespannung von 6 Pferden. Unter günstigen Umständen kann ein solches Geschütz 800 Schüsse machen, wornach es stets als unbrauchbar außer Dienst gesetzt wurde oder zersprang, und etwa die Hälfte seiner Kosten an Kanonenmetall ersetzt. Eine 12 Pfünder Armstrong'sche Kanone kostet ungefähr 250 Pfd. Sterl., ihre Schußweite beträgt wenigstens 5000 Yards, ihr Gewicht beläuft sich nur auf 8 Ctr., und zu ihrer Bespannung sind nur 4 Pferde erforderlich. Aus einigen dieser Geschütze hat man schon 3500 Geschosse verschossen, ohne daß sie dadurch im Geringsten beschädigt wurden. In Beziehung auf die Anzahl der Schüsse zu den Kosten des Geschützes stellt sich jeder Schuß aus den älteren von Vorn zu ladenden Geschützen auf 5 Shilling, während ein Schuß aus einer Armstrong-Kanone sich nur auf 3 Shilling 3 Pence beläuft. Dabei hört die Wirksamkeit eines Schusses aus den alten Bronzegeschützen bei 3/4 engl. Meilen auf, während das Ziel der Armstrong-Kanonen 2 engl. Meilen beträgt. Sir William Armstrong beabsichtigte jedoch durch sein Geschütz nicht nur eine bedeutende Tragweite zu erreichen, sondern hauptsächlich sichere und genaue Schüsse zu erzielen. Im Arsenal zu Woolwich zeigt man ein 22 Zoll langes und 9 Zoll breites Bret, welches als Scheibe in einer Entfernung von 3/4 englische Meile aufgestellt, so daß es kaum sichtbar war, bei vier Schüssen dreimal getroffen worden ist. Zum Zielen dient ein Diopter mit Fadenkreuz. Das Armstrong'sche Geschoß ist conisch und seine Länge gleich dem 2 1/2 fachen Durchmesser. An der Basis des Kegels ist ein bleierner Ring mittelst eines Schwalbenschwanzes auf dem Eisen befestigt, und ein anderer Ring an der Basis des Geschosses. Der Durchmesser dieser beiden Ringe ist um 1/16 Zoll stärker als derjenige der Seele der Kanone, so daß die Züge ausgefüllt werden und daher hinter dem Geschoß der Spielraum vollkommen abgehoben ist. Ein gewöhnliches 32 Pfünder Geschütz, welches 56 Ctr. wiegt, erfordert eine Pulverladung von 10 Pfund, um 3000 Yards  3000 Yards= 2914 Militär-Schritte.10000     „= 9713           „ weit zu tragen. Ein Armstrong'sches 32 Pfünder Geschütz dagegen, welches nur 20 Ctr. wiegt, erfordert nur 5 Pfund Pulver, um sein Geschoß auf 10,000 Yards Entfernung zu werfen. In der letzten Zeit machte das brittische Kriegsdepartement den Versuch, die alten gußeisernen Kanonen mit Zügen zu versehen, aber diese gezogenen Geschütze zersprangen ohne Ausnahme in Woolwich nach kürzeren oder längeren Proben. Man mußte sich daher nach einem Mittel umsehen, die gußeisernen Kanonen, welche zu Tausenden in den brittischen Arsenalen vorhanden sind, so fest zu machen, daß sie den größeren Stößen Widerstand leisten können, welche die conischen Geschosse veranlassen. Zu diesem Zwecke umgab man eine Anzahl gußeiserner Geschütze von gewöhnlichen Kalibern mit schmiedeeisernen Reifen, welche rothglühend darüber gezogen wurden. Dadurch erzielte man eine Vervierfachung der Stärke des Geschützes; dennoch zersprangen 68 Pfünder, welche 96 Ctr. wogen und zu Low-Moor Zu Low-Moor werden reine Erze bei kaltem Winde in nicht sehr hohen Hohöfen mit vorzüglichen Steinkohlen verschmolzen, so daß das erzeugte Roheisen fast eben so gut ist als das Holzkohlenroheisen. gegossen waren, sehr häufig bei der Probeladung mit 28 Pfd. Pulver und einem Geschoß. Ein Geschütz von gleichen Dimensionen und gleichem Gewichte, welches nur zum Theil mit eisernen Bändern umgeben war, hielt eine Ladung von 28 Pfd. Pulver aus und schleuderte, ohne zu zerspringen, einen langen eisernen Cylinder von 5 Ctr. Gewicht weit weg. Wenn aber diese Geschütze in Folge einer sehr starken Probeladung zersprangen, so geschah es stets an Stellen zwischen zwei schmiedeeisernen Bändern. Gegenwärtig liegen dem brittischen Kriegsdepartement von mehreren Ingenieuren Pläne zu dieser Umwandlung der gußeisernen Kanonen vor, worüber entscheidende Versuche im Gange sind.