Titel: Ueber vegetabilisches Pergament; von Prof. V. Kletzinsky.
Fundstelle: Band 156, Jahrgang 1860, Nr. XCVIII., S. 386
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XCVIII. Ueber vegetabilisches Pergament; von Prof. V. Kletzinsky. Aus Stamm's illusirirter Wochenschrift, Mai 1860, Nr. 16. Kletzinsky, über vegetabilisches Pergament. Das Gaine'sche Verfahren zur Darstellung des vegetabilischen Pergaments besteht nach den Angaben von Dr. A. W. Hofmann (polytechn. Journal Bd. CLV S. 388) in Folgendem: Gewöhnliches Vitriolöl wird mit seinem halben Volumen Wasser verdünnt, in diese Flüssigkeit wird geleimtes Papier einige Secunden lang eingetaucht (bei einer Mitteltemperatur von 15° R.) und hierauf in ammoniakalischem Wasser ausgewaschen. Dieses Auswaschen mit ammoniakalischem Wasser war der erste Uebelstand, welcher diese Methode vom praktischen Standpunkte aus fast entwerthete; denn einmal ist dadurch die richtige Beurtheilung des hinreichenden Erfolges der Spüloperationen erschwert oder vereitelt. Das anscheinend neutral reagirende Papier kann noch große Mengen von Schwefelsäure an Ammoniak gebunden enthalten, woraus nach dem Trocknen durch Ammoniakverlust saures schwefelsaures Ammoniak entstände, und dadurch die Haltbarkeit des Präparates bedeutend verringert werden müßte; in anderer Hinsicht werden ziemlich bedeutende Ammoniakmengen consumirt, wodurch die Spüloperation sehr kostspielig wird, endlich ist der Geruch des flüchtigen Ammoniaks sehr durchdringend, und macht das Auswaschen zu einer höchst peinlichen Operation. Ich habe nun durch Versuche festgestellt (und in meinen öffentlichen populären Samstags-Vorlesungen am 14. Januar etc. mitgetheilt), daß man das kostspielige und in mehrfachem Sinne unangenehme Auswaschen mit ammoniakalischem Wasser gänzlich entbehren kann. Das weit billigere vereinfachte Verfahren, vegetabilisches Pergament aus allen Sorten ungeleimten Papiers zu bereiten, ist folgendes: Käufliche englische Schwefelsäure von specifischem Gewichte 1,84 wird derart mit Brunnenwasser verdünnt, daß auf 1 Wiener Maaß Schwefelsäure 1–2 Seidel Brunnenwasser entfallen, wobei es bei Herstellung größerer Mengen räthlich seyn dürfte, die Schwefelsäure in dünnem Strahle in das leichtbewegte Wasser und nicht umgekehrt, einfließen zu lassen. Diese verdünnte Säure, die kurz Pergamentsäure heißen mag, wird nun auf 15° R, abkühlen gelassen; ja wenn eine Kühlung mit Schnee oder Eis oder fließendem Wasser leicht zu beschaffen ist, so spricht der Erfolg für ihre Anwendung, da eine kältere Säure eine längere Einwirkungsdauer und dadurch eine kräftigere Imprägnirung des Papieres gestattet; von 10–15° R. bewegt sich unstreitig die dem Processe günstige Temperatur. Das ungeleimte Papier, das auch in der Masse gefärbt seyn kann, da die Schwefelsäure die wenigsten dieser Farben angreift, wird nun in die erkaltete Säure eingetaucht, und darinnen je nach seiner Dicke 10 bis 50 Secunden gelassen, hierauf herausgehoben, möglichst abtropfen gelassen und sogleich in eine große Wassermasse geworfen, worin es nach Art eines Gewebes gewaschen und geschwemmt wird; diese Waschwasser, wenn sie nicht fließend sind, müssen solange erneuert werden, bis vollständig neutrale Reaction eingetreten ist, d.h. bis ein herausgehobenes, noch feuchtes Papier mit ein paar Tropfen Lackmustinctur befeuchtet, sich blau aber nicht roth färbt. Der Mechanismus des Eintauchens selbst kann auf sehr verschiedene Weisen erfolgen; da die Haut der Finger beim fortwährenden Benetzen mit der Pergamentsäure empfindlich leidet, so wären zu diesem Behufe für die Arbeiter Fingerlinge aus vulcanisirtem Kautschuk zu empfehlen, die ziemlich lange dauern, vollständig schützen, und leicht zu erneuern sind; Klemmen aus Bleifolie oder endlich sogar Fingerhüte aus Bleiblech leisten dasselbe. Schmale, aber hohe stehende Wannen sind breiten, seichten Tassen vorzuziehen; das Material derselben muß aus Glas, Porzellan, ächtem Steinzeug oder irgend einem beliebigen Stoffe bestehen, der aber dann mit Blei auszuwanden ist, da letzteres Metall als gewalztes Blech von der Dicke eines halben Millimeters von der Pergamentsäure so gut wie nicht angegriffen wird. Es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, daß die ganze Bereitung dieses Pergamentpapiers unter Anwendung bereits bekannter mechanischer Principien in die Papierfabrik übersiedeln könne, und daselbst als letzte Phase sich gleich an die Fabrication des Maschinenpapieres ohne Ende anzuschließen vermag, indem das fertige Papier über bleierne Leitwalzen den Schwefelsäuretrog passirt, um sofort in fließendem Wasser gespült zu werden. Bei der außerordentlichen Verwerthbarkeit dieses neuen Materials würde es sicher lohnend seyn, einen fortlaufenden Betrieb einzurichten, der wahrscheinlich wesentliche Vortheile gewähren dürfte, wenn es, wie nicht unwahrscheinlich, gelingen sollte, die ganze Bereitung in einem Zuge zu vollenden. Das Papier, das sich in entsprechend langsamer Bewegung über die Leitrollen im Schwefelsäuretroge abwickelt, verläßt denselben pergamentirt, um in den Spültrog, der von fließendem Wasser gespeist wird, einzutreten, den es im Zickzack auf anderen Leitrollen unter mehrfacher Auf- und Abwicklung passirt, denselben völlig entsäuert verläßt, sofort auf mit Dampf geheizten Walzen sich glättet und trocknet. Läßt man das entsäuerte und ausgewaschene Papier frei an der Luft trocknen, so zieht es sich ungleichförmig, wellig zusammen und verschrumpft nach Art der trocknenden Thierblase; soll es eben als Surrogat dieser letzteren bei Verpackungen und zu Aehnlichem dienen, so schadet dieß zwar nichts, da beim jedesmaligen Einweichen im Wasser sich die Falten verziehen, und das Papier sich glatt spannen läßt. Bei seinen anderen Verwendungen aber, als Pergament für Urkunden, Einbände u.s.w., ist zu Erzielung einer kaufrechten Waare die Glätte des Productes erforderlich, was sich nur durch Trocknung unter Druck oder Spannung erzielen läßt. Im Kleinen habe ich bisher die feuchten Pergamentblätter durch Einlegen zwischen trockenem Filterpapiere und Pressen mit einer gewöhnlichen Handpresse in hinreichender Glätte erhalten. In Bezug auf den Kostenpunkt erscheint es räthlich, die Spüloperation des Papiers in zwei Momente zu zerlegen: das erste Schwemmen des Papieres soll in einem bestimmten Wasserquantum erfolgen, das kühl erhalten und in längeren Zeiträumen erneuert wird; dann erst hat das Zuendespülen des Pergaments in dem unbestimmten Wasserüberschusse zu erfolgen. Auf diese Weise gibt man nur die letzten Antheile von Schwefelsäure verloren, vermag aber das erste noch starksaure Spülwasser noch dadurch auszunützen, daß man es zur Verdünnung neuer Schwefelsäuremengen verwendet. Ungeleimtes Papier von einer gewissen Dicke wird von der Schwefelsäure nicht mehr ganz durchdrungen, nach der Behandlung erhält man ein Product, welches zwischen zwei Pergamenthäuten noch rohe Papierfasermasse einschließt. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die Anwendung von Druck die totale Durchdringung solcher dickeren Papiere mit Schwefelsäure und die Herstellung ganz prachtvoller Pergamentsorten ermöglichen wird, obwohl ich bisher nicht in der Lage war, diese Versuche im Kleinen auszuführen. Will man mehrere Papierblätter auf einmal in dieselbe Schwefelsäuremenge eintauchen, so muß man auf das Sorgfältigste vor der gänzlichen Durchfeuchtung aller einzelnen Papiere jede noch so geringe Berührung zweier Blätter vermeiden, da diese sonst an der Berührungsstelle dauernd verkleben, und bei Trennungsversuchen zerreißen. Man kann von diesem auffallenden Umstande absichtlichen Gebrauch machen, indem man zwei Blätter an den Rändern glattstreicht, sie aufeinander legt, und in einiger Flächenberührung in die Schwefelsäure eintaucht. Die äußeren Flächen der Blätter werden pergamentirt, und die Ränder wasserdicht verklebt. Schneidet man einen der vier Ränder mit einer scharfen Schere weg, so hat man ein fertiges Papiersäckchen; vielleicht dürfte auch dieser Umstand in gewissen Fällen eine praktische Anwendung finden. Das auf die angegebene Weise erhaltene vegetabilische Pergament steht zwar an Zähigkeit und Tragkraft den thierischen Membramen etwas nach (das Verhältniß ist ungefähr wie 4 : 5); aber es übertrifft alle thierischen Gewebe an Widerstandsfähigkeit gegen atmosphärische und chemische Agentien, es fault nicht; Dr. Lorinser, welcher die Güte hatte, es auf mein Ersuchen auf eiternden und verjauchenden Wundflächen zu prüfen, hat es für dauerhafter als Leinwand, Wachstuch und Gutta-percha erklärt, da es in zweiwochentlicher Berührung mit dem jauchigen Eiter, der alle die genannten Materialien zerfraß, sich unversehrt erhielt. Diese Unfähigkeit des vegetabilischen Pergaments zu faulen, macht dessen Anwendung zu Conserven aller Art, zu Confituren und ähnlichen Consumtionsartikeln äußerst reinlich und wünschenswerth. Das vegetabilische Pergament kann in Kalilauge von hoher Concentration und überhaupt den meisten alkalischen Menstrum, so auch in den schärfsten Laugen aller Art selbst bei Siedhitze behandelt werden, ohne sich zu verändern, wobei sich die thierischen Häute ohne Ausnahme vollkommen lösen. Auch der Behandlung mit kalten Säuren widersteht es weit besser als die thierische Membrane, weßhalb es sich vorzüglich an der Stelle der Thierblase zum Verschlusse der mannichfaltigsten Chemikalien eignet. Leere, stark erhitzte Gefäße wurden mit feuchtem, vegetabilischem Pergamente dicht verbunden, in kaltes Wasser gebracht; der Verband wurde sehr stark eingezogen, aber es drang kein Wasser in das Gefäß. Kochröhrchen aus dünnem Glase wurden kalt mit vegetabilischem Pergament verschlossen und dann zum Glühen erhitzt; der Verband trat prall gespannt convex hervor, das erweichte Glas blies sich auf und barst; wurde dickeres Glas in ähnlicher Weise geschlossen und erhitzt, so riß endlich der gespannte Verband mit lautem Knalle. Der Verschluß durch vegetabilisches Pergament war daher mindestens eben so gut, als der mit der besten Thierblase. Da nun im ungünstigsten Falle der Preis des vegetabilischen Pergaments sich zu dem der Thierblase wie 2 zu 5 verhält (der durch billigern Betrieb bis auf 1 zu 5 sinken möchte), so ist das neue Material im offenbarsten Vortheile. In heißer, concentrirter Salzsäure wird das vegetabilische Pergament unter Zurücklassung weniger (wahrscheinlich nicht pergamentirter) Papierfasern zu Glucose, Stärke- oder Schleimzucker aufgelöst. In concentrirter heißer Schwefelsäure wird es unter Caramelgeruch und schwacher Verkohlung zu Zuckerschwefelsäure gelöst. Tränkt man das vegetabilische Pergament mit Wasser, das man bis zum Sieden erhitzt läßt man nun englische Schwefelsäure zufließen, so entsteht eine ziemlich heftige Reaction, und verdünnt man den nun entstandenen sauren, dunkelbraunen Brei sogleich mit Wasser, so erhält man eine nur wenig gefärbte Zuckerlösung, aus welcher mittelst Kalkmilch die Schwefelsäure abgeschieden werden kann. Der dabei sich abscheidende Gyps reißt zugleich die unzersetzten Papierfasern mit sich, und klärt die Flüssigkeit. Die geklärte Zuckerlösung kann durch Kunsthefe gestellt und auf Spiritus vergohren werden. Sollte einmal die Fabrication des vegetabilischen Pergaments jenen Grad von Ausdehnung erreicht haben, der ihr gebührt, so würden die bei der Verarbeitung dieses Artikels unvermeidlichen Abfälle nicht leicht eine zweckmäßigere Verwendung, als die zur Branntweinbereitung finden können. Der dabei sich vielleicht in größeren Mengen ansammelnde Gyps würde einen ganz werthvollen ökonomischen Dünger abgeben. Das vegetabilische Pergament zeigt bei genauer Bereitung und hinlänglichem Auswaschen keine Gewichtszunahme; sein Aschengehalt steigt nicht; es hält keine wägbare Menge von Schwefelsäure zurück, die auffallende und technisch so brauchbare Veränderung des Papieres in der Schwefelsäure ist somit eine rein moleculäre. So wenig eine chemische Veränderung mit dem Papiere vorgeht, so auffallend ist die räumliche Schrumpfung und Volumsverminderung bei diesem Processe; bei einer geringen Verdickung wird der Flächenraum um 10–30 Proc. vermindert, je nach der Verschiedenheit der Einwirkungsdauer von 10–50 Secunden; da die Verdickung diese Raumverminderung im Areale nicht compensirt, so erklärt sich hieraus schon nach physikalischen Principien die nothwendige Verfestigung der Masse. Am interessantesten ist das Verhalten des Pergamentpapieres gegen starke weiße oder rothrauchende Salpetersäure des Handels von 1,4–1,5 specifischem Gewichte. Läßt man ein Schwefelsäurepergament in dieser Säure mindestens 10 Minuten liegen und wäscht es hierauf in Wasser vollständig aus, so hat es 10–25 Proc. im Gewicht, circa 25 Proc. an Dicke und bedeutend an Zähigkeit und Tragfähigkeit zugenommen, während die abermalige Verminderung des Areales weit unbedeutender ist. Nach dem Auswaschen und Trocknen unter mäßigem Drucke zeigt es ein völlig pergamentähnliches Aeußeres von noch weit größerer Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Abnützung und atmosphärische Einflüsse. Taucht man dieses Salpetersäure-Pergament nach dem Trocknen wieder in die alte Pergamentsäure mehrere Minuten lang, und wäscht es dann aus, so ist es glashell durchsichtig geworden. Merkwürdig ist der Umstand, daß dieses Nitropergament gerade gegen Säuren selbst in der Wärme widerstandsfähiger geworden ist, während es in kochender Kalilauge nunmehr unter goldgelber Färbung gelöst wird, wobei gleichfalls die Malagutti'sche Zuckerreaction auftritt. Das Nitropergament ist vegetabilisches Pergament, dessen Wasserstoffgehalt theilweise durch Untersalpetersäure NO⁴ vertreten erscheint; es theilt daher auch die Eigenschaft aller Nitroverbindungen, rasch zu verglimmen. (Auch von diesem relativen Uebelstande ließe sich in gewissen concreten Fällen ein guter Gebrauch machen: wasserdichte Lunten, Patronenpapiere etc.) Diese Feuergefährlichkeit kann übrigens, wo sie ein Uebelstand wäre, bedeutend abgeschwächt und beseitigt werden, wenn man das Nitropergament in eine mit Schwefelsäure schwach angesäuerte Eisenvitriollösung einlegt, es darinnen circa 10 Stunden verweilen läßt, dann auswäscht und trocknet. Während die Schwefelsäure selbst die zartesten Massefarben ungeleimter Papiers, wie Rosa, Himmelblau etc. größtentheils verschont, manchmal sogar schönt, und somit buntes vegetabilisches Pergament als Luxuswaare und werthvoller Rohstoff für die Fabrication künstlicher Blumen leicht herstellbar ist, vernichtet begreiflicher Weise die Salpetersäure mit wenigen Ausnahmen alle Farben, und läßt sich daher das Nitropergament nur in blaßgelben und bräunlichen Tönen erhalten; auch blaßblaue Nüancen, wenn sie vom Berlinerblau abstammen, lassen sich noch nothdürftig behaupten. Das Nitropergament gewährt aber andererseits den Vorzug, daß auch schwachgeleimte Papiere, die in der Schwefelsäure allein ein unschönes brüchiges Pergament liefern, bei der darauf folgenden Behandlung in der Salpetersäure tadellose Pergamentmuster geben, die dem Ansehen nach von dünnerem Schweinsleder kaum zu unterscheiden sind. Bei der Bereitung sowohl des vegetabilischen als des Nitropergamentes muß die besondere Vorsicht beobachtet werden, die völlig trocknen Blätter beim Tauchen in die Säure nie mit feuchten Händen anzufassen und sie überhaupt vor jeder Befeuchtung mit Wasser vor erfolgter Tränkung zu schützen, da sonst an den befeuchteten Stellen Erhitzung und Auflösung eintritt, und somit ein löcheriges unbrauchbares Product erhalten würde.