Titel: Ueber die Fabrication von Puddelstahl; vom Oberingenieur R. Paulus in Wien.
Fundstelle: Band 158, Jahrgang 1860, Nr. LXXII., S. 274
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LXXII. Ueber die Fabrication von Puddelstahl; vom Oberingenieur R. Paulus in Wien. Aus dem Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens, 1860 S. 112. Paulus, über die Fabrication von Puddelstahl. Es ist unnöthig, die Vortheile zu wiederholen, welche die Herstellung einer guten Sorte Stahl zu einem billigen Preise für die Industrie bietet. Für das Eisenbahnwesen insbesondere steht der ausgedehnten Anwendung des Stahls statt des Eisens nur der Preis des ersteren noch im Wege. Die Herstellung des Stahls unmittelbar in dem Puddelofen scheint nach den bisherigen Erfahrungen der richtige Weg zur Erreichung des Ziels zu seyn, besonders auch deßhalb, weil der auf diese Art erzeugte Stahl sehr gute, dem besten Gußstahl sehr nahe kommende Eigenschaften besitzt. Es wird deßhalb nicht ohne Interesse seyn, die Arbeitsmethode kennen zu lernen, welche in England dem Hrn. Ewald Riepe schon im Jahr 1850 patentirt wurde und welche seltsamer Weise bis vor Kurzem unbekannt geblieben ist,Riepe's Patentbeschreibung wurde im Jahrgang 1850 des polytechn. Journals, Bd. CXVIII S. 207 mitgetheilt. obgleich dieses Verfahren nach einem Bericht des Hrn. William Clay, Theilhaber des Mersey-Stahl- und Eisenwerkes in Liverpool, bedeutende Vortheile bietet.Man s. den Bericht von W. Clay im polytechn. Journal Bd. CXLVIII S. 40. Hr. Clay ist der Meinung, es werden künftig Schienen aus Puddelstahl höchstens 10 bis 20 Proc. höher zu stehen kommen als Schienen aus Schmiedeeisen, während gegenwärtig der Preis immer noch circa 50 Proc. höher als der Eisenpreis steht. Die Arbeitsmethode des Hrn. Riepe ist folgende: Der Puddelofen wird in gleicher Weise wie zur Stabeisenfabrication benutzt. Man gibt einen Satz von ungefähr 280 Pfd. Masseleisen auf und bringt denselben zur Rothglühhitze. Sobald der Satz zu schmelzen anfängt und tropfenweise herunter zu rinnen beginnt, wird die Klappe theilweise geschlossen, um die Temperatur im Ofen zu vermindern; 12 bis 16 Schaufeln Cinder werden jetzt dem Satze zugegeben und nun das Ganze gleichmäßig heruntergeschmolzen. Diese jetzt erhaltene Masse wird mit einem Zuschlage von schwarzem Manganoxyd, Kochsalz und trockenem Thon gepuddelt, nachdem diese Zuschläge vorher gut zusammengemahlen wurden. Ist die Masse im Ofen einige Zeit der Wirkung des Zuschlags ausgesetzt gewesen, so wird der Schieber vollständig geöffnet und es werden weitere 40 Pfd. Masseln auf ein hierzu präparirtes Bett von Cindern nahe bei der Brücke aufgegeben. Wenn letzterer Satz tropfenweise zu schmelzen beginnt und die Masse im Ofen, blaue Flammenzungen auswerfend, zu kochen anfängt, wird das zuletzt aufgegebene Eisen in die Masse hineingezogen und das Ganze sorgfältig durch einander gearbeitet. Bald fängt nun Alles an aufzukochen, kleine Körner bilden sich und treten, den geschmolzenen Cinder durchbrechend, an die Oberfläche hervor. Sobald sich diese Körner bilden, wird die Klappe in drei Viertheilen geschlossen, der Proceß im Ofen genau beobachtet und die ganze Masse tüchtig unter der Schlackendecke verarbeitet. Während dieser ganzen Zeit sollte die Temperatur nicht über Kirschröthe oder Schweißhitze von Gerbstahl gehen. Die blauen Flammen verschwinden allmählich, während die Formation der Körner vorwärts schreitet, dieselben allmählich in einander schmelzen und die Masse wachsartig und durchweg kirschroth wird. Wird auf diese Weise nicht sorgfältig gearbeitet, so geht die Masse theilweise in Eisen über und es ist kein gleichartiger Stahl zu erhalten. Ist die Arbeit richtig vorgeschritten, so wird das Feuer frisch geschürt, um die nöthige Hitze für die folgende Operation zu bekommen. Die Klappe wird ganz geschlossen, ein Theil der Massen wird zu Luppen gebildet, während der Rest beständig unter der Schlackendecke gehalten wird. Die Luppen werden unter den Hammer gebracht und so allmählich zu Stäben verarbeitet. Bei Verwendung von Masseln aus Spatheisenstein oder einer Mischung von solchen mit ordinärem Eisen setzt man anstatt der genannten 40 Pfd. Masseln nur etwa 20 Pfd. gegen das Ende der Operation bei. Die Luppen können, anstatt in Stäbe ausgewalzt, in Platten oder Kolben geschmiedet und zur Fabrication von großen Schmiedestücken, Schienen, Blechen und anderen Stahlstücken, die große Festigkeit erfordern, verwandt werden. Zu gewöhnlichen Zwecken werden auf dem Mersey-Eisenwerk Puddelstäbe von 2 Zoll bis 14 Zoll Breite ausgewalzt, die nachher nach Bedarf wieder zerschnitten und paketirt werden. In der Anwendung von Puddelstäben ist es zweckmäßig, jeden Stab vor Verwendung desselben in Beziehung auf den Bruch zu untersuchen und immer zusammen zu verarbeiten, was für den jeweiligen Zweck am besten paßt. Es ist bei dieser, wie bei allen anderen Stahlarbeiten die größte Sorgfalt beim Wärmen und Bearbeiten des Materials erforderlich, doch haben sich bei Bearbeitung dieses Materials durchaus keine Schwierigkeiten beim Schweißen, Walzen oder Schmieden gefunden. Es ist der Bemerkung werth, daß, obgleich diese Fabricationsmethode auf dem Mersey-Eisenwerk noch neu war, und obgleich dieselbe dem Anschein nach sehr delicater Natur ist, die obige Anleitung genügte, um gleich von Anfang an mit solchem Erfolge zu arbeiten, daß nach Erzeugung von 100 Tonnen die Qualität des ersten Stückes sich kaum übertroffen fand. Es wurde von Masseln aus Nord- und Südwales, aus Staffordshire und aus Schottland von allen möglichen Arten ein durchaus schöner Stahl fabricirt. Der Unterschied zwischen heiß und kalt erblasenem Eisen war von sehr wenig Belang. Die vortrefflichsten Resultate sind mit beiden Sorten erreicht worden. Diese Beobachtung ist deßhalb wichtig, weil sie beweist, daß die Zukunft dieser Fabrication nicht durch die sehr geringe Production von kalt erblasenem Roheisen beschränkt seyn wird. Nachdem im Obigen die Arbeitsmethode des Hrn. Ewald Riepe beschrieben wurde, sey es erlaubt, noch Einiges über die Eigenschaften dieses Fabricats beizufügen. Der Puddelstahlstab zeigt einen hellen, krystallinischen, gleichmäßigen Bruch und hat den gewöhnlichen hellen Stahlglanz. Die Krystalle scheinen viel feiner und regelmäßiger zu seyn als bei gewöhnlichem Blasenstahl, ja ein nicht sehr geübtes Auge kann den Bruch dieses Stahls nicht unterscheiden von dem des besten Gußstahls, und dieser Stahl hat überhaupt alle den Stahl vom Eisen unterscheidende Eigenschaften; er läßt sich auf jeden beliebigen Grad härten, zeigt alle Anlauffarben, und es können Meißel und derartige Werkzeuge gleich aus dem rohen Puddelstahl gemacht werden. Er polirt sich fein und hat die Elasticität des gewöhnlichen Stahls. Er ist zu Allem verwendbar, wozu überhaupt Stahl gebraucht wird, feinere Messerschmiedearbeiten und dergleichen vielleicht ausgenommen. Eine besondere Eigenschaft dieses Stahls ist, daß sich derselbe sowohl hart und schwer biegsam herstellen läßt, als auch mit dem feinsten, seidenartig-faserigen Bruche, sowie auch in allen Stufen zwischen diesen beiden Extremen. Es scheint von Interesse zu seyn, auf die guten Eigenschaften des Puddelstahls für große Schmiedestücke, z.B. zu Geschützen, aufmerksam zu machen. Autoritäten in England, wie Mollet, sagen, daß Gußstahl zu Geschützen nicht vortheilhaft zu verwenden sey, weil Gußstahl im Verhältniß zu Schmiedeeisen und Kanonenmetall zu geringe Elasticität besitze. Dieser Mangel an Elasticität läßt sich theilweise daraus erklären, daß Gußstahl einen sehr hohen Temperaturgrad zur Schmelzung bedarf. Dieß hat bei Erkaltung der Masse in der Form eine zu beträchtliche Contraction zur Folge, und es zeigt auch wirklich der Guß die besondere krystallinische Textur, die unter solchen Umständen sich bilden muß. Die so entstandene Spannung muß durchaus schwächend auf die Masse wirken, wenn nicht die einzelnen Theilchen wieder durch Hämmern oder Walzen gewissermaßen ihre gezwungene Lage verlassen und sich ruhiger unter einander placiren. In der Fabrication von großen Schmiedestücken aus Puddelstahl verhält sich die Sache ganz anders. Die Stahltheilchen sind vom Zeitpunkt ihrer Entstehung im Puddelofen nie in flüssigen Zustand gekommen, und es ist also der Spannung, in welche die Gußstahltheilchen bei der Erkaltung aus dem flüssigen Zustande gerathen, hier von vorn herein ausgewichen. Ferner können die verschiedenen Arten von Stahl, körnig oder sehnig, lagenweise verwandt werden, wie es der Zweck des zu fabricirenden Stückes verlangt. Beim Schmieden eines großen Kanonenlaufs z.B. würde das Innere aus hartem, krystallinischem Puddelstahl zu bestehen haben, um der starken Abnutzung zu widerstehen, und für den äußeren Theil würde man weichere, sehnige Qualität verwenden – ein Verfahren, das mit Gußstahl unmöglich ist. Beim Ausarbeiten großer Schmiedestücke von Puddelstahl zeigt sich durchaus keine Schwierigkeit gegenüber von Schmiedeeisen; nur wird etwas mehr Zeit als beim Schmieden von Eisen nöthig, weil es besser ist, den Stahl langsamer zu erhitzen, und weil das Material seiner Dichtigkeit halber den Hammerschlägen nicht so leicht nachgibt wie Schmiedeeisen. Ueber die Stärke des Puddelstahls gegen das Zerreißen dienen folgende Angaben: Ein Stab von einem englischen Quadratzoll Querschnitt brach bei folgenden Belastungen: 1) höchstes Resultat     160832 engl. Pfd. 2) durchschnittliches Resultat     112000 Man sieht daraus, daß die Stärke des Puddelstahls der Stärke des Gußstahls nichts nachgibt, denn nach Mollet brach ein Stück Gußstahl von einem englischen Quadratzoll bei folgenden Belastungen: 1) höchstes Resultat     142222 engl. Pfd. 2) niedrigstes Resultat       88657 Wenn nun schließlich auch ausgesprochen werden muß, daß der Puddelstahl trotz seiner vielen guten Eigenschaften doch nicht im Stande ist, den besten Gußstahl für alle Fälle zu ersetzen, so wird er doch die größte Anwendung zu solchen Zwecken finden, für welche Gußstahl seines hohen Preises wegen bisher nicht angewandt werden konnte, und es ist gewiß ein verdienstliches und lohnendes Streben, die Production von Puddelstahl mehr und mehr zu heben.