Titel: Vereinfachtes acetometrisches Verfahren; von Dr. J. J. Pohl.
Autor: Joseph Johann Pohl [GND]
Fundstelle: Band 163, Jahrgang 1862, Nr. XCII., S. 366
Download: XML
XCII. Vereinfachtes acetometrisches Verfahren; von Dr. J. J. Pohl. Pohl's vereinfachtes acetometrisches Verfahren. Die Gehaltsbestimmung verdünnter Essigsäuren nach dem so sinnreichen Verfahren von Fresenius und Will Will und Fresenius: Neue Verfahrungsweisen zur Prüfung der Potasche und Soda, der Aschen, insbesondere des Essigs etc. Heidelberg 1843. S. 70. wurde in neuerer Zeit nicht ohne Grund durch jene mittelst Titrirung ersetztMohr: Lehrbuch der chemisch-analytischen Titrirmethode. Braunschweig 1855. S. 94., wobei man einfacher und rascher zum Ziele gelangt. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß für den Essig-Erzeuger, Händler, sowie Käufer, selbst die Titrirung der Essige insoferne Schwierigkeiten darbietet, als dabei zur Ersparung einer einfachen, für den Praktiker jedoch lästigen Rechnung, das genaue Abwägen der verhältnißmäßig geringen Flüssigkeitsmenge von 5,1 Gram. erfordert wird. Die hiezu nöthige empfindliche Waage steht aber nur verhältnißmäßig Wenigen zu Gebote, ist auch in der Essigfabrik etc. nur zu leicht dem Verderben ausgesetzt, und es mangelt den betreffenden Individuen meist die zu genauen Wägungen nöthige Uebung und Geduld. Ich versuchte daher die bisher übliche Wägung des gegebenen Productes zu umgehen, und gelangte zu folgendem acetometrischen Verfahren, welches bei hinlänglicher Genauigkeit, Einfachheit der Durchführung gewährt, und außer einer Addition keine weitere Rechnung erfordert. Textabbildung Bd. 163, S. 365 Mittelst einer Pipette von durch beistehende Figur in halber Naturgröße gezeigter Form, welche bis zum Striche a so viel Flüssigkeit faßt, daß daraus genau, auf die Temperatur 15° C. bezogen, 5 Kubikcentimeter ablaufen können, werden von der zu prüfenden Essigsäure etc. 5 Kubikcentimet. in ein größeres Becherglas abfließen gelassen. Diese Flüssigkeitsmenge versetzt man mit ungefähr 5 bis 8 Tropfen Lackmustinctur, und titrirt selbe aus der üblichen, in 0,2 Kubikcentimet. getheilten Quetschhahn-Bürette ganz auf diegewöhnliche Weise. Weiters wird mit Hülfe eines Scalen-Aräometers für specifisch schwerere Flüssigkeiten, das für 15° Celsius die Dichte des Wassers gleich der Einheit, und direct mindestens noch 0,005 angibt, die Dichte des Essiges unter den nöthigen Vorsichten ermittelt. Mit den beiden erhaltenen Zahlenangaben geht man endlich in die nachstehende Tabelle ein, welche nach der Gleichung: p = 5,1C/5D = 1,02 C/D berechnet ist, worin p den gesuchten Procentgehalt an wasserfreier Essigsäure (C⁴H³O³), C die Anzahl der zur Neutralisation verbrauchten Kubikcentimeter Normalnatron-Lösung und D die gefundene Dichte des Essiges bedeutet. Diese Tabelle enthält als horizontalen Eingang die ermittelten Dichten, als verticalen Eingang hingegen die Anzahl der verbrauchten Kubikcentimeter Natronlösung, während an der Durchkreuzungsstelle der betreffenden Columnen unmittelbar die Gewichtsprocente an wasserfreier Essigsäure stehen, welche im geprüften Producte enthalten sind. Tabelle zur Ermittelung des Essigsäure-Gehaltes. Textabbildung Bd. 163, S. 366 Kubikcentimeter Textabbildung Bd. 163, S. 367 Kubikcentimeter Der Kürze halber zerfällt vorstehende Tabelle in drei Theile, welche durch horizontale Linien von einander getrennt sind, und wovon der erste: die den gefundenen Dichten entsprechenden Procentgehalte für die Zehntel-Kubikcentimeter, der zweite Theil: die Gehalte für die Einheiten der Kubikcentimeter, und der dritte Theil: die Säure-Procente für die Zehner bis zu 90 Kubikcentimeter fortschreitend enthält. Bei Verwendung der Tabelle muß man daher meistens die den verbrauchten Kubikcentimetern Normalnatron-Lösung entsprechenden Procentgehalte durch Addition der Gehalte für die Zehner, Einheiten und Zehntel des Kubikcentimeters ermitteln, was gewiß keiner Schwierigkeit unterliegt. Um jedoch über den Gebrauch der Tabelle keinen Zweifel übrig zu lassen, mögen die folgenden Beispiele dienen. Beispiel 1. Es seyen 5 K. C. eines Essigs, der die Dichte 1,055 zeigte, unter Verbrauch von 30 K. C. Normalnatron-Lösung titrirt worden. Man sucht in dem Kopf der Tabelle die Dichte 1,055, ferner in der Kubikcentimeter-Columne die Zahl 30, fährt in der Dichtenspalte vertical herab bis zur Durchkreuzungsstelle mit der 30 K. C. entsprechenden Horizontalzeile, und findet daselbst die Zahl 29,00, welche unmittelbar den gesuchten Procentgehalt des untersuchten Essiges an wasserfreier Essigsäure gibt. Beispiel 2. Die geprüfte Waare hätte die Dichte 1,040, und benöthigte zur Neutralisation 26,4 K. C. Normalnatron-Lösung; die Tabelle gibt: für 20 Kubikcentimeter 19,62 Procente   „    6   5,88      „   „    0,4   0,39      „ –––––––––––––––––––––––––––––––– Zusammen 25,89 Gewichtsprocente wasserfreier Essigsäure. Wie ferner aus der Tabelle ersichtlich, sind die von 0,005 zu 0,005 bestimmten Dichten für schwächere Essige genügend, um ohne weitere Interpolation die Zahlen derselben benützen zu können. Für mehr denn 50procentige Essigsäuren kann jedoch auf diese Weise ein Fehler bis zu 0,4 Procenten entstehen. Bei solchen Prüfungen erscheint es für genauere Bestimmungen angemessen: die Dichten am Aräometer mit aller Sorgfalt abzulesen und eine sehr leichte Interpolation vorzunehmen, die sich aus der Differenz zweier Zahlen, welche für die Zehner den Dichten entsprechen, zwischen welchen die gefundene Dichte liegt, mit Leichtigkeit ergibt. Wenn man z.B. die Dichte 1,032 für eine Essigsäure fand, die 75,2 K. C. Normalnatron zur Neutralisation brauche, so gäbe die Tabellenach Obigem für die Dichte 1,030 den Procentgehalt: 74,47, während, da der den Dichten 1,030 und 1,035 entsprechende Unterschied für 70 K. C. gleich 0,32 Procenten ist, genauer für die Dichte 1,032 der Gehalt zu 74,34 Procenten folgt. Bisher galt die Annahme, daß die anzustellenden Versuche bei 15° C. vorgenommen wurden. Es kommen jedoch derlei Bestimmungen auch bei einer von 15° C. wesentlich verschiedenen Temperatur zur Ausführung. Für die abgemessene Volumsmenge läßt sich die hienach anzubringende Correction wohl vernachlässigen, für die Dichtenbestimmung dürfte hingegen bei genaueren Untersuchungen eine kleine Verbesserung nöthig erscheinen. Selbe folgt leicht aus der Thatsache, daß sich die mittelst eines gläsernen Aräometers bestimmten Dichten verdünnter Essigsäuren von 5 bis 65 Procentgehalt für je 1° Celsius im Durchschnitte um 0,000555 ändern. Für die gewünschte Correction multiplicire man daher die Zahl 0,000555 mit dem Unterschiede der beobachteten Temperatur gegen die Normaltemperatur, und addire das Product zur gefundenen Dichte, wenn die Beobachtungstemperatur höher als 15° C. war; subtrahire selbes jedoch im entgegengesetzten Falle. Man kann fragen: ob das vorgeschlagene acetometrische Verfahren gegenüber dem bisher üblichen nicht zu ungenau sey? Eine kleine Ueberlegung zeigt das Gegentheil. Bei der Form der gewählten Pipette läßt sich nämlich die zu prüfende Flüssigkeit bis zu 0,01 Kubikcentimeter genau abmessen, und bei Annahme einer selbst um 0,005 fehlerhaften Dichtenbestimmung wird sich der durch beide Versuche bedingte Maximalfehler im Essigsäure-Gehalte, die gebräuchliche Titrirmethode als fehlerfrei vorausgesetzt, wie folgt herausstellen: für   5 procentige Essigsäuren zu 0,12 Proc. 10 0,15    „ 25 0,22    „ 50 0,35    „ 75 0,46    „ Hiemit dürfte wohl der vollgiltige Beweis für die Brauchbarkeit des vorgeschlagenen Verfahrens gegeben seyn.Pipetten von der beschriebenen Form, sowie zweckentsprechende Aräometer, sind von der Fabrik und Handlung chemischer und physikalischer Instrumente des Hrn. G. A. Lenoir in Wien zu beziehen. Zur Vermeidung jedes Mißverständnisses mag schließlich auch bemerkt seyn, daß zwar schon Mohr für die Titrirung gewisser Essige, die Wägung durch eine Abmessung zu ersetzen versuchte, jedoch auf die sowechselnden Dichten der Handelsproducte keine Rücksicht nahm, und daß daher seiner Bestimmungsweise im Allgemeinen die erforderliche Genauigkeit mangelt.