Titel: Bemerkungen über die Weingährung; von Dr. J. J. Pohl.
Autor: Joseph Johann Pohl [GND]
Fundstelle: Band 164, Jahrgang 1862, Nr. XXXVIII., S. 135
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XXXVIII. Bemerkungen über die Weingährung; von Dr. J. J. Pohl. Pohl, über die Weingährung. Allgemein unterscheidet man drei Stadien der Weingährung, welche am häufigsten der Reihe ihres Eintrittes nach: als die erste Gährung, oder Hauptgährung, dann die stille oder Jungwein-Gährung und endlich die Lager-Gährung bezeichnet werden. Die folgenden Zeilen bezwecken, die Aufmerksamkeit des Gährungs-Chemikers und Wein-Producenten auf diese verschiedenen Gährungs-Stadien, sowie einige dabei eintretende Erscheinungen zu lenken. Manches des Angeführten mögen vielleicht Einzelne bereits kennen, es wurde jedoch meines Wissens nirgends als principiell geltend veröffenlicht. Die sogenannte Hauptgährung des Weinmostes oder Maisches bietet, wie schon der oberflächlichste Vergleich zeigt, dem Wesen nach mit der Haupt- oder Vordergährung der Bierwürzen oder Branntwein-Maischen die größte Aehnlichkeit dar. Die Hauptgährung ist nämlich bei guter Leitung fast ausschließlich ein Gährproceß, bei welchem die Umsetzung des größeren Theiles vorhandenen Traubenzuckers in Aethyl-Alkohol, Kohlensäure, Glycerin, Bernsteinsäure etc. stattfindet, sowie Bildung und Ausstoß von Hefe. Nach Abschluß dieses Stadiums bleibt aber noch, wie bei der Bier- und Branntwein-Gährung, ein Theil Zucker unzerlegt und nebst stickstoffhaltigen, sowie stickstofffreien Substanzen in verhältnißmäßig großer Menge gelöst. Die quantitative Bestimmung des Traubenzucker-Gehaltes am Schlusse der Hauptgährung, welche meiner Ueberzeugung nach am einfachsten und entsprechend genau nur mit dem Polarisations-Saccharimeter ausführbar ist, zeigt aber, daß bei der Weingährung unbedingt mehr Zucker unzerlegt bleibt, als bei der normalen Branntwein-Gährung, und in vielen Fällen auch mehr, als bei der Biergährung. Ebenso sind der Weinhefe in großer Menge mehrere Salze, insbesondere aber kleine Krystalle von doppeltweinsaurem Kali beigemengt, die man schon mit freiem Auge, besser unter dem Mikroskope, erkennt, und welche der Bier- und Branntweinhefe fehlen. Bekanntlich kann die Hauptgährung bei der Bier- und Branntwein-Erzeugung als Ober- oder Untergährung geleitet werden, wovon bezüglich des Bieres, nebst anderen Eigenschaften, großentheils auch dessen Aufbewahrungs-Fähigkeit abhängt. Für die Weinbereitung wurden sonderbarerweise diese beiden Gährungsarten bis jetzt nicht besonders berücksichtigt, obschon sich hiedurch große Vortheile erzielen lassen. Ein Hauptvorzug des Weines als Getränke besteht nämlich in dessen Haltbarkeit, das heißt der längeren Aufbewahrungsfähigkeit im genießbaren Zustande. Abgesehen von den in den Trauben vorkommenden Bestandtheilen, beeinflußt entschieden die Art der Gesammtgährung, insbesondere der Hauptgährung, die Haltbarkeit der Weine. Gleiches gilt auch für deren Geschmack und vorzüglich den Wohlgeschmack, sowie jenen angenehmen Geruch, welchen man als Blume (Bouquet) bezeichnet. Diesen Einfluß erweiset leicht ein Gährversuch in größerem Maaßstabe. Läßt man nämlich die eine Hälfte eines Mostes oder Maisches bei einer Temperatur zwischen 5 und 15 Graden Celsius vergähren, so erfolgt die Hauptgährung unter allen Erscheinungen der Untergährung, somit auch sehr langsam, und hält man diese Temperatur-Grenzen selbst für die späteren Gährungs-Stadien ein, so wird nicht nur ein sehr angenehm schmeckender und bouquetreicher, sondern auch sehr haltbarer Wein erzielt. Setzt man hingegen die zweite Hälfte des Rohmaterials bei 15–25 und mehr Graden Celsius der Gährung aus, so erfolgt selbe nicht nur rasch, unter den charakteristischen Erscheinungen der Obergährung, sondern man erhält endlich auch einen Wein, welcher zwar feurig (alkoholreich) aber verhältnißmäßig nicht sehr wohlschmeckend, ohne besonderes Bouquet ist und nur geringe Haltbarkeit besitzt. Diese vielfach festgestellten Thatsachen zeigen unzweifelhaft, daß eine zweckentsprechende Weingährung: Untergährung seyn müsse. Leider ist diese Bedingung von den Wein-Erzeugern kaum erkannt, und wenn auch hie und da im Großen eingehalten, so doch nur zufällig oder aus langjähriger Gewohnheit, ohne Erkenntniß des theoretischen Grundes. Als Folge davon werden an manchen Orten zur vermeintlichen Erzielung besserer Weine Umstände herbeigeführt, welche dem Wein unbedingt zum Nachtheile gereichen. Selbst in ein und derselben Weingegend findet man die Hauptgährung des Weines bald als Ober-, bald als Untergährung, oder so geleitet, daß eine Art Mittelding beider Gährungen erfolgt. Natürlicherweise erhält man dann Weine von sehr ungleicher Beschaffenheit, und nur zu oft wird den Bestandtheilen der Traube zugeschrieben, was bloß die Gährungsart bedingte. Die bereits erwähnten Versuche liefern in dieser Richtung gewiß den schlagendsten Beweis, und Jene, welche sie nicht selbst anstellen können, finden das damit zu Erhärtende bestätigt, wenn sie im Allgemeinen die Eigenschaften von Weinen ins Auge fassen, welche in gewissen Weinländern nach althergebrachten Verfahren gewonnen wurden. In Deutschland, insbesondere in den Rheingegenden, schwankt bekanntlich die Gähr-Temperatur zwischen + 5 und + 15º C. Die Gährung ist thatsächlich Untergährung und die erzielten Weine sind sehr haltbar, geschmackvoll, sowie bonquetreich, wenn auch letztere Eigenschaften zum Theil auch durch andere Umstände bedingt werden, deren Aufzählung hier keinen Platz finden kann. Die daselbst übliche späte Lese ist nicht nur, wie allgemein geglaubt wird, für die Güte des Weines von so großem Belang, weil die Trauben besser ausgereift und ihr Saft concentrirter geworden, sondern auch weil selbe, in einer kälteren Zeit vom Stocke genommen, einen Most oder Maisch geben, welcher die Temperatur zur Untergährung besitzt, womit auch jene der Atmosphäre, sowie der Gähr-Localitäten im vollen Einklange steht. In einem großen Theile Frankreichs, in den nördlicheren Weinländern Oesterreichs ist dagegen bei dem bisher allgemein landesüblichen Verfahren die Gähr-Temperatur zwischen 15 und 18ºC. liegend, und auch die übrigen Umstände vor und während der Hauptgährung derart, daß weder eine reine Obergährung noch ausschließlich Untergährung stattfindet. Es sind die daselbst erzielten Weine von nur mittlerer Haltbarkeit, leicht dem sogenannten Bruche unterworfen und im Allgemeinen von ziemlicher Stärke (reich an Alkohol), dagegen entschieden von matterem Bouquet und weniger aromatisch als die Rheinweine. Aber selbst der kleine Wein-Producent weiß, namentlich in Oesterreich, daß jene Weine, welche lange in Hauptgährung blieben (sich langsam abklären), besonders haltbar und geschmackvoll werden. Immer erweiset dann die genauere Nachforschung solche Weine ohne Wissen des Erzeugers als untergährige Producte. Im südlichen Europa, wie z.B. südlichen Frankreich, Spanien, Italien, selbst im südlichen Ungarn, Istrien, im Venetianischen, Dalmatien etc. sind dagegen beim landesüblichen Verfahren der Weinbereitung alle Umstände zu einer sehr raschen kräftigen Obergährung vorhanden, insbesondere hinsichtlich der zwischen 18 und seihst 30º C. liegenden Temperatur. Feurige (starke) aber verhältnißmäßig wenig bouquetreiche Weine und von sehr geringer Haltbarkeit werden erzielt. Ist es doch längst erwiesen, daß z.B. in Dalmatien nicht ausbruchartige Weine selten länger als ein Jahr zum Genusse tauglich bleiben. Geht man nun zu dem folgenden Gährungs-Stadium über, so läßt sich wieder nicht läugnen, selbes sey der Nachgährung des Bieres analog. Es fällt nämlich die stille oder Jungweingährung mit dem ersten Nachgährungs-Stadium des Bieres zusammen. Sicherlich ist die sogenannte stille Gährung großentheils eine Fortsetzung der Weingährung überhaupt, wobei also noch vorhandener Zucker zerlegt, abermals Hefe und Weinstein abgeschieden und unbedingt durch bereits eintretende Verwesung (Oxydations-Processe) ein großer Theil jener Substanzen, namentlich zusammengesetzte Aetherarten, gebildet werden, welchen der Wein seinen Wohlgeschmack und das Bouquet verdankt. Die Dauer dieses Gährungs-Stadiums hängt nicht nur von der Art der vorausgehenden Hauptgährung und der dadurch entstandenen größeren oder kleineren Alkoholmenge, sowie beziehungsweise von der Größe des noch vorhandenen Zuckerrestes, sondern auch vom Extractgehalte des Jungweines und dessen Temperatur ab. Bei guter Leitung ist diese Gährung in drei bis fünf Monaten beendet. Entschieden ist der Theorie nach, auch bei der ersten Nachgährung, eine der Untergährung entsprechende Temperatur die zweckmäßigste, und es wird ein um so haltbarerer und wohlschmeckenderer Wein erzielt, je langsamer man dieses Gährungs-Stadium leitet. Die Erfahrung bestätiget diese Grundsätze vollkommen, wie jene Weinerzeuger zugestehen müssen, welche absichtlich durch bei höherer Temperatur geleitete stille Gährung rasch feurige und verhältnißmäßig alt schmeckende Weine erzielen, die jedoch weit geringere Haltbarkeit und weniger Wohlgeschmack besitzen, als durchgehends untergährige Producte, und denen daher meist durch sogenannte Blumen-Einschläge oder künstliche Bouquets nachgeholfen wird. Es fragt sich nur noch, bis zu welchem Grade am Schlusse der stillen Gährung der Jungwein vergohren, das heißt mit anderen Worten: wie viel vom ursprünglich vorhanden gewesenen Traubenzucker zu dieser Zeit noch in der Flüssigkeit vorkommt. Seit sechs Jahren hatte ich die sich so Wenigen darbietende Gelegenheit, mehr denn 80 Original-Jungweine verschiedenster Art und aus mehreren Weinländern zur chemisch-technischen Untersuchung zu erhalten. Diese Weine standen alle im Alter von 6 bis 8 Monaten, von der Zeit der Weinlese an gerechnet. Auf die übereinstimmenden Resultate der damit vorgenommenen Analysen gestützt, muß ich nun den Satz hinstellen, daß Jungwein, welcher nicht absichtlich mit Zucker versetzt oder gallisirt, auch petiotisirt wurde, im Durchschnitte nach sieben Monaten nur mehr Spuren von Traubenzucker enthalte, da die Menge desselben entschieden unter 0,26 Gewichts-Procent beträgt. Jungwein ist somit am Ende der stillen Gährung so gut wie vollkommen vergohren, wenn man den Ausdruck Gährung auf die reine Alkohol- oder Zuckergährung beschränkt. Dieses Resultat steht so sehr im Widerspruch mit allen bisher bezüglich der Weingährung behaupteten Thatsachen, daß eine nähere Begründung desselben durch Angabe der Methode folgen muß, nach welcher eben nur Spuren von Zucker im Jungwein gefunden wurden. Als Zucker-Bestimmungsart diente jene mittelst des polarisirten Lichtes, und zwar genau so durchgeführt, wie ich selbe bereits vor einigen Jahren angab.Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, math. naturwissenschaftliche Classe, Bd. XXI S. 492. Es gelingt nach dieser Methode, zufolge des Umstandes, daß der Traubenzucker in der Traube und im Moste etc. linksdrehend vorkommt, dem nur etwas Geübten leicht: 0,3 Proc. dieses Zuckers nachzuweisen. Eine, Täuschungen veranlassende Aufhebung der Linksdrehung durch die vorhandenen weinsauren Salze kann dabei nicht eintreten, weil man vor der Beobachtung diese Salze aus der Flüssigkeit vollständig entfernt. Gegen die Richtigkeit der nach dieser Methode erhaltenen Resultate lassen sich allerdings noch andere Zweifel hegen, jedoch ohne stichhaltigen Grund. Man könnte so vor Allem behaupten, daß durch Gährung oder einen anderen chemischen Proceß während der Weinbildung, ein oder mehrere neue Körper entstehen, welche rechtsdrehend auf die Polarisations-Ebene wirken, und somit die vom Traubenzucker bedingte Linksdrehung aufheben. Dagegen gilt aber einfach und entscheidend, daß bis jetzt die Bildung solcher Körper bei der Weingährung niemals beobachtet wurde, eine Annahme derselben in das Gebiet der Fictionen gehört, und daß selbst, wenn solche neue Körper entstünden, es unerklärlich bliebe, wie unter so vielen untersuchten Weinen immer der Traubenzucker und die neugebildete rechtsdrehende Substanz genau in jenem Verhältnisse vorkommen, welchem die Drehung: Null entspricht. Weiters ließe sich einwenden, daß schon der süßliche Geschmack der Weine, noch mehr aber jener des Wein-Extractes, das Vorhandenseyn von Traubenzucker beweise, und daß alle Chemiker, welche vollständigere Wein-Analysen durchführten, durch chemische Methoden, insbesondere die so empfindliche Fehling'sche Zuckerprobe, im Weine namhafte Mengen von Traubenzucker auffanden. Auch diese Einwürfe zerfallen bei gründlicherer Untersuchung in Nichts. Einerseits wissen wir, seit Pasteur seine so wichtigen Arbeiten über Zuckergährung veröffentlichte,Annales de Chimie et de Physique. 3me série, t. LVIII p. 323. es werde dabei bis zu 3,04 Proc. vom Gewichte des vergohrenen Zuckers, unter Umständen vielleicht mehr oder weniger Glycerin gebildet, also ein optisch inactiver und ebenfalls sehr süß schmeckender Körper, dessen Entstehung den süßen Geschmack der Weine mehr denn zu Genüge erklärt. Andererseits ist eben bis zur neueren Zeit der Zuckergehalt der Weine nur aus dem intensiv süßen Geschmacke der syrupartigen Flüssigkeit geschlossen worden, welche man aus den Weinen extrahiren konnte, ohne einen directen Beweis: daß Traubenzucker und nicht ausschließlich Glycerin vorhanden war. Allerdings mag Manchem in dieser Beziehung die seit Kurzem so vielfach gebrauchte Fehling'sche Probe als Beweismittel für den Zuckergehalt der Weine erscheinen, jedoch trotz der großen Vorzüge, welche diese Methode in vielen Fällen darbietet, taugt sie gerade für den vorliegenden Zweck am wenigsten, wo es sich um die Nachweisung des wirklichen Vorkommens von Traubenzucker im Weine handelt. Tatsächlich werden viele Weine absichtlich versüßt und außerdem kommen bekanntlich im Weine eine Reihe organischer Verbindungen, insbesondere Aetherarten vor, deren Einfluß auf die Probeflüssigkeit bis jetzt keineswegs genügend bekannt ist. Wurden nnn gar, wie dieß häufig vorkommt, die mit Fehling's Flüssigkeit geprüften Weine mit Zucker-Tinctur oder irgend einem zuckerhaltigen gelben Pflanzensafte gefärbt, so erscheint der damit gefundene Zuckergehalt um so leichter erklärlich. Ebenso verdienen in dieser Beziehung die, vielen Weinen im kleinen Ueberschusse zugesetzten Schönungsmittel alle Berücksichtigung. Aus diesen Gründen halte ich die bisherigen Auffindungen von Zucker im Weine mittelst Fehling's Probeflüssigkeit mindestens für unentscheidend bezüglich der Lösung der Frage, ob im Weine am Schlusse des Gährungs-Stadiums noch Traubenzucker in wägbarer Menge enthalten sey oder nicht? Der Einwurf endlich, es müsse im Weine Zucker gelöst seyn, weil man selben darin mittelst der saccharometrischen Weinprobe etc. nachweisen könne, ist ebenfalls nicht richtig, da bekanntlich diese und ähnliche Proben nur in Saccharometer-Procente umgesetzte Dichten angeben, welche, eben so gut wie vom Traubenzucker, ausschließlich vom Glycerin, den gelösten Salzen und anderen Extractiv-Stoffen bedingt seyn können. Unterstützt wird die nach Obigem so zahlreich bestätigte Thatsache des Nichtvorkommens von Traubenzucker im Jungweine am Schlusse der stillen Gährung noch durch den Umstand, daß, wenn man einen derartigen Wein zur Syrup-Consistenz abdampft, ein süß-säuerliches Extract erhalten wird, das durch mehrere Tage im Wasserbade bei 95 bis 98º Celsius erhitzt, eine braune Farbe annimmt, immer mehr sauer und zugleich bitterlich schmeckt, an Süße hingegen abnimmt, welche endlich fast völlig verschwindet. Läßt man dieses lang erhitzt gewesene Extract einige Tage mit Wasser übergössen stehen, so verliert sich zwar der bittere Geschmack, allein der süße kommt nicht wieder zum Vorschein. Wäre Traubenzucker vorhanden gewesen, so müßte in letzterer Beziehung entschieden das Gegentheil eintreten. Der Süßigkeits-Verlust erklärt sich aber vollkommen durch die Verflüchtigung des Glycerins, welche bekanntlich bereits unter 100º C. ziemlich rasch erfolgt. Es erübrigt nur noch das sogenannte dritte Gährungs-Stadium: die Lager-Gährung zur Betrachtung. Das Vorhergehende zeigt wohl zur Genüge, es könne von Lager-Gährung im bisherigen Sinne des Wortes, d.h. einer namhaft fortschreitenden Traubenzucker-Gährung nicht gesprochen werden, man müßte denn annehmen, daß während des Lagerns der Weine gährungsfähiger Zucker als Spaltungs-Product entstehe. Für diese Annahme spricht jedoch keine einzige bisher beobachtete Thatsache, und selbe ist auch bei unserer jetzigen Kenntniß der Bestandtheile des Weines sehr unwahrscheinlich. Die höchstens noch vorhandenen 0,26 Procente Traubenzucker können gewiß keine dauernde Gährung, wie man selbe beim Lagern gegenwärtig annimmt, erregen, und wenn neuere Untersuchungen auch erwiesen, es sey Glycerin im Stande, bei längerer Berührung mit Fermenten Aethyl-Alkohol als Spaltungs-Product zu liefern, so ist einerseits die Menge davon im Jungweine ebenfalls zu gering (bei Weinen, deren Moste 21 Proc. Zucker enthielten, nur etwa 0,64 Proc. betragend), um eine dauernde Gährung zu bedingen, anderseits diese Glycerin-Gährung nicht mit der Traubenzucker-Gährung zu verwechseln. Wollte man also das Lagern der Weine mit einem Gährungs-Verlaufe in Verbindung bringen, so müßte dieß entschieden mit der secundären Glycerin-Gährung, als vorherrschend, geschehen. Trotzdem aber beim Lagern der Weine Gähr-Processe, namentlich die Traubenzucker-Gährung, entweder gar nicht oder nur sehr unbedeutend erfolgen, ist selbes, wie Jedermann weiß, auf die Qualität der Weine von entscheidendem Einflusse. Beim Lagern unterliegt nämlich der Wein thatsächlich einem sehr langsamen secundären Verwesungs-Proceß, in Folge dessen nach und nach mehrere Stoffe entstehen, welche den Wohlgeschmack und das Bouquet bedingen. Ebenso läßt sich nicht läugnen, daß hiebe: die während der vorangehenden Gährungen entstandenen kleinen Mengen von Säuren, wie Milchsäure, Essigsäure, Bernsteinsäure, Buttersäure, Valeriansäure etc., mit dem Aethyloxyd des Alkohols, sowie dem secundär entstandenen Amyloxyd etc. sich verbinden, welche Verbindungen man neuerer Zeit entschieden als zum Wohlgeschmacke und Geruche der Weine beitragend erkannte. Auch geschieht namentlich in der ersten Zeit des Lagerns ein nicht unbeträchtlicher Hefen-Ausstoß, welcher zur Geschmacks-Aufbesserung der Weine beiträgt (die Weine verlieren den sogenanten Hefengeschmack) und nicht durch Fortschreiten der Gährung, sondern durch bloße Umsetzung der im Jungweine noch gelösten stickstoffhaltigen Körper entsteht. Die Bildung von Hefenpilzen ist aber nach den neuesten Untersuchungen mit der Zuckergährung in keinem directen Zusammenhange. Daß die Weine durch das Lagern noch einen Theil von weinsauren Salzen verlieren und dadurch wohlschmeckender werden, ist ebenfalls allgemein bekannt; allein diese Abscheidung erklärt sich einfach, ohne Annahme einer Gährung, einerseits durch die zufolge der Schwendung beim Lagern zunehmende Concentration der Flüssigkeit mit weinsauren und insbesondere doppelt-weinsauren Salzen, anderseits durch den gleichfalls von der Schwendung bedingten, jedoch nur bis zu einem gewissen Lager-Stadium wachsenden Alkohol-Gehalt des Weines, da weinsaure Salze in alkoholreicheren Flüssigkeiten weniger löslich sind als in alkoholärmeren. Was nun weiters die Erscheinungen betrifft, welche man bisher nur durch eine Lager-Gährung erklären wollte, so kann man selbe auch ohne Annahme einer fortlaufenden Gährung bloß aus den Umständen ableiten, unter welchen das Lagern der Weine stattfindet. Dieß gilt beispielsweise von der bis zu einer gewissen Lagerzeit fortschreitenden Zunahme des Alkohol-Gehaltes der Weine, welche übrigens, wie an anderem Orte mitzutheilende zahlreiche Versuche nachweisen sollen, weit kleiner ist, als man allgemein glaubt. Bei der Schwendung dringt nämlich durch die Poren der Fässer im Verhältnisse weit mehr Wasser als Alkohol, indem ganz Aehnliches erfolgt, wie bei dem Sömmering'schen Versuch, Weingeist in einer thierischen Blase zu concentriren. Beim Nachfüllen kommt nun immer wieder nebst Wasser etc. ein neuer Antheil Alkohol in die Flüssigkeit, während ersteres in größerer Menge als der Alkohol diffundirt, wodurch die Vermehrung des Alkohol-Gehaltes der Weine ohne fortschreitende Gährung erklärt ist. Die erfahrungsmäßige Abnahme des Alkohol-Gehaltes sehr alter Weine ist aber begründet: in der verringerten, von dem erhöhten Extract-Gehalte abhängigen Schwendung, der kleineren Menge noch absorbirter und diffusionsfähiger Kohlensäure, dem geringeren Ersatz des verdampften Alkohols mittelst des Füllweines, ferner durch die fortgesetzte Bildung von Aetherarten und Oxydations-Producten des Alkohols auf Kosten des durch die Faßporen eindringenden Sauerstoffes. Der bei Weinen unverhältnißmäßig lange anhaltende prickelnde Kohlensäure-Geschmack ist gleichfalls, ohne Annahme einer fortgesetzten Traubenzucker-Gährung, theils aus der erfolgenden secundären Glycerin-Gährung, theils aus der großen Absorptions-Fähigkeit der Weine für Kohlensäure erklärlich. Die letztere Eigenschaft zeigt sich am besten, selbst mit 8- bis 12jährigen Weinen, wenn man eine damit vollgefüllte, etwa einen Liter haltende Flasche durch ein Gasentbindungsrohr mit einer Vorrichtung in Verbindung setzt, welche das Aufsammeln entweichender Gase über Quecksilber gestattet, dann die Flasche langsam in einem Salzwasserbad bis zur Siedehitze desselben erhitzt und das Kochen längere Zeit unterhält. Die Menge der hiebei aus alten, scheinbar kohlensäurefreien Weinen entwickelten Kohlensäure ist überraschend groß. Auch die vom Wein-Erzeuger sogenannte neue Gährung (das neue Leben) etc., welche im Frühjahre bei nicht zu lange lagernden Weinen in seichteren, Temperaturwechseln unterworfenen Kellern eintritt, und welche mit dem Erwachen des vegetabilischen Lebens in einen gewissen Zusammenhang gebracht wird, hängt nicht mit einer thatsächlichen Zucker-Gährung zusammen. Erst im letzten Winter-Stadium sinkt nämlich die Temperatur der Keller auf das Minimum herab, die lagernden Flüssigkeiten nehmen ihr kleinstes Volumen ein, zehren am meisten, und alle secundären chemischen Processe darin, insbesondere der Verwesungs-Proceß, sowie die Abgabe der Kohlensäure, sind ebenfalls, wenn nicht gänzlich unterdrückt, so doch nur sehr unbedeutend. Die Fässer müssen nun durch ausgiebiges Nachfüllen voll erhalten werden. Im Frühjahre beginnt sich die wärmere Temperatur der Atmosphäre der Kellerluft und den lagernden Weinen mitzutheilen, folglich dehnt sich der Wein nicht nur beträchtlich aus (er steigt), so daß er selbst beim Spunde herausquillt, sondern die erwähnten chemischen Processe werden auch kräftig begünstigt; die Kohlensäure kann nicht mehr in dem Maaße wie bei der Winterkälte von der wärmeren Flüssigkeit absorbirt bleiben, und nun zeigen sich Erscheinungen, welche der Laie nur zu leicht von dem Auftreten einer neuen Zucker-Gährung ableitet und mit dem Erwachen der Vegetation in Zusammenhang bringt. Namentlich gilt dieß von dem abermaligen, deutlich ficht- und hörbaren Aussteigen der Kohlensäure-Bläschen und der davon, sowie von der Flüssigkeits-Bewegung durch die Erwärmung abhängigen geringen Trübung mit aufgerührtem Geläger. Das thatsächliche Aufhören dieser Erscheinungen bei sehr alten, das heißt 25- bis 50jährigen Weinen widerspricht nicht dem Gesagten, sondern steht damit im vollen Einklange; denn in solchen Weinen müssen die meisten vom periodischen Temperaturwechsel herrührenden Erscheinungen ihr Ende finden, weil die Kohlensäure bereits der Hauptmenge nach langsam entwichen ist, und ebenso die reichlich gebildeten Aetherarten, dann der erhöhte Säure- und Salzgehalt, nebst der verringerten Diffusion durch die Poren der Fässer, bedeutendere chemische Veränderungen unterdrücken. Faßt man nun schließlich die Ergebnisse der obigen Erörterungen kurz zusammen, so sind selbe: 1) Die zweckentsprechendste Weingährung ist eine sowohl im ersten als zweiten Stadium zwischen + 8 und + 15 Graden Celsius geleitete Untergährung. 2) Durch die zweite, sogenannte stille Gährung wird so gut wie aller im Traubensafte vorhanden gewesene Traubenzucker zerlegt; die fertigen Jungweine sind somit als vollständig vergohren zu betrachten. 3) Der süßliche Geschmack der nicht ausbruchartigen oder absichtlich gezuckerten Weine rührt bloß vom durch die Gährung gebildeten Glycerin her. 4) Die bisher angenommene Lager-Gährung, als drittes Gährungs-Stadium der Weine, existirt nicht, wohl aber ist das Lagern der Weine nöthig, um selben vollen Wohlgeschmack und Wohlgeruch zu geben, welche Eigenschaften durch eine Reihe beim Lagern langsam erfolgender chemischer Processe bedingt sind, die jedoch mit Gähr-Processen in keinerlei Zusammenhang stehen.